Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ja, eine Kurzintervention auf den Redebeitrag des Kollegen Pallas. Ich bin erschüttert über die Haltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zum Thema Polizeikontrolle. Herr Kollege Pallas, zwei Dinge: Zum einen, wenn jedwede Kontrolle Misstrauen in die Handelnden darstellt, dann „freue“ ich mich demnächst auf den Antrag der Koalition, den Sächsischen Datenschutzbeauftragten abzuschaffen.
Zweitens: Ihr Vergleich zur Inquisition ist eine Frechheit! Eine Institution, die in der Geschichte für die Verfolgung Andersdenkender zuständig war und durch die viele Menschen diese Verfolgung mit dem Tod bezahlt haben, mit einer Kontrollinstanz polizeilichen Handelns zu vergleichen, schlägt dem Fass den Boden aus. Entschuldigen Sie!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrter Kollege Stange! Heute brauche ich nicht zu schreien. Aber es ist gut, dass Sie gerade den Aufhänger geben; denn bezüglich der Kennzeichnungspflicht kann ich den Verweis auf meine Rede an gleicher Stelle zum Thema Kennzeichnungspflicht machen. An unserer Position hat sich nichts geändert. Die Kennzeichnungspflicht lehnen wir nach wie vor ab. Insofern vielen Dank für den Hinweis.
Wir wollen jetzt aber über das „Gesetz zur Errichtung der Unabhängigen Ombudsstelle der Sächsischen Polizei und zur Änderung weiterer Gesetze“ reden. Für mich ist klar, dass DIE LINKE Klientelpolitik macht. Sie schüren das Misstrauen in die sächsische Polizei, und das wollen wir als Alternative für Deutschland nicht mittragen. Wir haben grundsätzlich erst einmal Vertrauen in die gute Ausbildung und die gute Arbeit unserer Polizisten in Sachsen und in Deutschland.
Die Misstrauensbildung bei der Polizei kann allein dadurch entstehen, dass Sie hier eine Beschwerdestelle einrichten wollen, die im Grunde eine Vorwärtsprüfung macht. Diese Beschwerdestelle soll von sich aus quasi Sachverhalte aufarbeiten können. Damit unterlaufen Sie das, was wir in Deutschland schon haben. Wir haben in Deutschland eine Gewaltenteilung. Wir haben die Exekutive, die Legislative und die Judikative. Wir haben als Parlament unsere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Die Exekutive hat die Pflicht, beim Erkennen von Rechtsverstößen, beim Bekanntwerden von Rechtsverstößen zu ermitteln. Wenn diese Rechtsverstöße von Polizeibeamten durchgeführt werden, wird auch gegen Polizeibeamte ermittelt. Die Judikative wird dann ihr Übriges tun und diese Person verurteilen, wenn es ein Sachverhalt ist, der letzten Endes zu einer Verurteilung führen kann, oder sie wird die Person freisprechen, wenn die Faktenlage eine andere ist.
Diese Beschwerdestelle kann allerdings auch dazu führen, dass polizeiliches Handeln übervorsichtig wird. Wir brauchen aber Polizisten, die grundsätzlich erst einmal mutig vorangehen und die nicht dahin kommen, dass sie möglicherweise polizeiliches Handeln ein Stück weit zurückstellen, weil sie Angst vor einer möglichen Beschwerdestelle haben, die vielleicht vonseiten des polizeilichen Gegenübers wie ein drohendes Zeichen gezeigt wird.
Das wollen wir nicht. Nein, die Polizei muss vernünftig arbeiten können. Wir wollen auch nicht, dass im Ausfluss der Arbeit dieser Beschwerdestelle neue bürokratische Vorschriften entstehen, die das Arbeiten noch mehr erschweren und die zu noch mehr Formalitäten, zu noch mehr Schriftkram führen und die Polizisten weg von der Straße hinein in die Schreibstube holen.
Ihre Beschwerdestelle wird im Grunde eine eigene Behörde mit eigenen Kompetenzen. Sie soll selbst ermitteln. Das wird übrigens sehr interessant, wenn es sich um strafrechtlich relevante Sachverhalte handelt, wie man da vorgehen soll; denn letzten Endes muss so etwas auch überprüft werden. Soll das nach der Strafverfolgung stattfinden oder während der Strafverfolgung? Oder soll die Strafverfolgung vielleicht sogar ausgesetzt werden, bis Ihre Beschwerdestelle das irgendwann einmal durchgearbeitet haben soll?
Hinzu kommt ein hoher Personal- und Kostenaufwand, der für uns nicht nachvollziehbar ist. Wir halten uns an den Vorschlag, den wir in der Anhörung vom Bund deutscher Kriminalbeamter gehört haben, der gesagt hat, zur Wahrung der Unabhängigkeit der parlamentarischen Kontrolle wird die Schaffung einer zentralen Ansprechstelle im Sächsischen Landtag, mit einem Polizeibeauftragten in Analogie zum Wehrbeauftragten im Bundestag empfohlen. Ja, meine Damen und Herren, das ist ein Punkt, an dem wir mitgehen können. Darüber sollte man einmal ernsthaft nachdenken.
Die Beschwerdestelle, die jetzt beim Innenministerium angesiedelt ist, ist für den Bürger nicht die große Hürde. Er kann sich dorthin wenden, und das wird auch getan. Das zeigen die Zahlen, wenn auch nicht sonderlich häufig. Mit diesen drei, vier Anrufen am Tag ist das doch eher wenig, wovon die wenigsten tatsächlich ernsthafte Anliegen sind, die von einer so hoch aufgehängten Stelle geprüft werden müssen. Das hätte man auch auf kleinerem Wege machen können.
Aber die Polizeibeamten selbst, die auf Missstände innerhalb der eigenen Behörde aufmerksam machen möchten, auf technische Ausstattung, vielleicht im Einzelfall auf Fragen der Personalführung durch individuelle Vorgesetzte, brauchen einen Ansprechpartner. Diese werden mit der jetzigen Regelung an das Innenministerium, also quasi an ihren eigenen Chef verwiesen. Inwieweit das Vertrauen in die tatsächliche Unabhängigkeit dieser Beschwerdestelle vorhanden ist, sehen wir anhand der wenigen Eingaben, die aus Richtung der Polizei kommen. Deshalb brauchen wir hier eine Alternative. Ihren Gesetzentwurf jedenfalls lehnen wir ab. Der ist für diese Sache nicht tauglich und geht an anderer Stelle eindeutig zu weit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte vergangenen Donnerstag die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von je 2 000 Euro an zwei Münchner Fußballfans und zur Übernahme von Verfahrenskosten in Höhe von 6 500 Euro.
Was war geschehen? Zwei Fußballfans waren bei einem Fußballspiel von behelmten Polizisten ohne ersichtlichen Grund mit Schlagstöcken und Pfefferspray attackiert worden. Einer trug eine blutende Wunde davon.
Sie erstatteten Anzeige, und die Staatsanwaltschaft eröffnete das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt. Dieses Verfahren wurde zweimal eingestellt. Beim ersten Mal hieß es noch, es sei nicht zur Gewaltanwendung gekommen. Beim zweiten Mal hieß es, dass man die Beamten nicht hätte identifizieren können bzw. dass das entsprechende Handeln gerechtfertigt sei. Die verletzten Fans klagten sich erfolglos durch alle deutschen Instanzen.
Der EGMR jedoch wurde in seinem Urteil deutlich. Mögliche Rechtsverstöße der Polizeibeamten seien nicht im ausreichenden Maße untersucht worden. Diese mangelhaften Ermittlungen stellten eine Verletzung von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar – dem Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, insbesondere wegen der fehlenden Kennzeichnung der Beamten, die eine Identifizierung nicht ermöglichte –, hätten andere Maßnahmen zur Identitätsfeststellung und Sachverhaltsaufklärung ergriffen werden müssen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, dieses Urteil sollte uns als Gesetzgeber eine Mahnung sein. Es macht erstens deutlich, dass Ermittlungsbehörden auch durch mangelhafte Ermittlungen Menschenrechte verletzen können. Es macht zweitens sehr deutlich, dass solche mangelhaften Ermittlungen in erster Linie darauf beruhen können, dass Polizistinnen und Polizisten in ihrem Tun nicht identifizierbar sind. Und drittens setzt das Urteil Maßstäbe, was Ermittlungen gegen die eigenen Kolleginnen und Kollegen angeht. Diese sind unabhängig zu führen. Es sind – wenn möglich – alle Zeugen zu hören, und das gesamte Videomaterial ist auszuwerten.
Was bedeutet das für die sächsische Polizei und die Ermittlungen in den eigenen Reihen? Auch in Sachsen besteht Handlungsbedarf. Die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen sächsische Polizeibedienstete wegen
Körperverletzung im Amt ist im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 55 % gestiegen. Wurden im Jahr 2015 noch 274 Beschuldigte gezählt, so waren es im Jahr 2016 425 Beschuldigte. Gleichzeitig war die Zahl der Anklagen wegen Körperverletzung im Amt so gering wie nie. Ganze drei Fälle wurden angeklagt. Statistisch gesehen hätten übrigens 20 % aller Ermittlungen mit einer Anklage enden müssen. Bei Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt liegt diese Quote bei gerade einmal 0,7 %.
Und bevor Sie mir jetzt damit kommen, Herr Minister, dass sich alle Ihre Beamten natürlich – so wollen wir es annehmen – rechtmäßig verhalten haben, zeigt der bayerische Fall wieder einmal, dass die Einstellung eines Verfahrens eben nichts über die begangene Straftat aussagt, sondern dass es auch bedeuten kann, dass die Täterin oder der Täter nicht ermittelt wurde.
Damit wären wir beim Gesetzentwurf der LINKEN, der zum einen eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete und zum anderen – das ist der Hauptteil – die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle der sächsischen Polizei vorsieht. Auch wir GRÜNEN haben bereits in der letzten Legislaturperiode einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet. Die Zielrichtung der Gesetzentwürfe ist ähnlich. Es soll eine von der Polizei, dem Innenministerium und sonstigen Behörden unabhängige Stelle eingerichtet werden, an die sich die Bürgerinnen und Bürger wenden können, wenn sie sich durch polizeiliche Maßnahmen in ihrem Recht verletzt fühlen. Eine von der Ermittlungsbehörde unabhängige Stelle kann dann Einsicht in alle Vorgänge aufzeichnen und Dateien nehmen. Sie kann die Ermittlung begleiten und dafür sorgen, dass Zeugen befragt werden und Videomaterial gesichtet wird.
Für uns GRÜNE ist klar: Es muss endlich auch in der sächsischen Polizei eine unabhängige Kontrollinstanz geben, die für saubere und vollständige Ermittlungen unerlässlich ist. Eine solche Stelle kann aber auch ein wichtiges Instrument für die Beamtinnen und Beamten sein. Sie können sich unter Umgehung des für die Aufklärung meist hinderlichen Dienstweges bei Verfehlungen von Kolleginnen und Kollegen ebenso an die Ombudsstelle wenden. Das wäre ein wichtiger Schritt hin zur Verbesserung auch der Fehlerkultur in der Polizei.
Mit Blick auf das Urteil des EGMR und die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention halte ich daher die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf hier und heute sogar für zwingend geboten.
Lassen Sie mich zum Schluss auf den Vorwurf eingehen – ich habe ihn jetzt mehrfach gehört –, dass eine solche Ombudsstelle ein Misstrauen in die Polizei sei. Ich sage Ihnen: Ja, das ist durchaus so. Aber: Ja, das ist auch richtig so. Vergegenwärtigen Sie sich bitte immer, dass die Polizei das staatliche Gewaltmonopol verkörpert und dazu im Ernstfall sogar Gewalt und Waffen einsetzen darf. Wer solch einschneidende Befugnisse besitzt, muss umfassend und mit einem sehr kritischen Blick kontrolliert werden.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wer der Ausübung des Gewaltmonopols durch den Staat nicht misstraut, hat die wirkmächtige Idee des Rechtsstaates nicht verstanden.
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht erkennbar. Dann bitte ich jetzt die Staatsregierung, das Wort zu nehmen. Herr Minister Ulbig, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Herr Stange hat uns heute noch einmal den
Gesetzentwurf vorgestellt und erläutert. Er hat im Kern deutlich gemacht, wie DIE LINKE sich vorstellt, eine Ombudsstelle als Anstalt des öffentlichen Rechts einzusetzen. Diese soll den Bürgerinnen und Bürgern und den Beschäftigten der Polizei ermöglichen, sich mit Beschwerden und Anliegen, insbesondere auch zur außergerichtlichen Streitschlichtung, an eine zusätzliche Instanz zu wenden. So weit, so gut. Im Kern kann man sagen, was auch mein Grundanliegen ist: einen offenen Umgang mit Problemen, mit Beschwerden, mit Dingen, die vorgetragen werden müssen, zu pflegen.
Aber anders, als Herr Lippmann das gerade vorgetragen hat, möchte ich als Innenminister deutlich sagen: Bei mir ist der Grundsatz genau andersherum; ich habe Vertrauen in die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen der Polizei. Dazu stehe ich. In Einzelfällen, bei denen es begründete Hinweise gibt, muss ihnen konsequent nachgegangen werden.
Sie haben alle über die unabhängige Beschwerdestelle gesprochen. Wir haben sie eingerichtet. Am 4. Januar 2016 haben die Kolleginnen und Kollegen die Arbeit aufgenommen. Sie sind seitdem erste Ansprechpartner sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Beschäftigten der Polizei. Dort kann sicherlich das eine oder andere noch nachgearbeitet werden.
Sie nehmen genauso auf allen gängigen Kommunikationswegen unkompliziert Beschwerden entgegen, wie Bitten, Hinweise und Anregungen. Nach der Prüfung der jeweiligen Beschwerde erhält der Beschwerdesteller eine entsprechende Antwort; möglich sind sogar persönliche Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Beschwerdestelle arbeitet weisungsfrei und prüft die vorgetragenen Beschwerden unvoreingenommen. Sie arbeitet aber anders, als es der vorliegende Gesetzentwurf vorsieht. Geprüft werden Verhaltens- und Sachbeschwerden zu sämtlichen Aufgabenfeldern unserer Polizei und nicht nur – wie im Gesetzentwurf zum Beispiel im § 4 Abs. 1 Nr. 1 vorgesehen – im Bereich der Gefahrenabwehr.
Deshalb kann ich für mich schon jetzt sagen: Die Arbeit der Beschwerdestelle hat durchaus einen positiven Einfluss auf die Akzeptanz und das Vertrauen in die polizeiliche Arbeit. Kritik am polizeilichen Handeln kann unvoreingenommen überprüft, Fehler können erkannt und das Handeln der Polizei nachvollziehbar erläutert werden.
Meine Damen und Herren, wie gut die Zentrale Beschwerdestelle der Polizei angenommen wird, zeigen auch die Zahlen. Den Jahresbericht habe ich hier im Hohen Haus bereits am 2. Februar 2017 vorgestellt. Darin
ist deutlich geworden: Im Jahr 2016 sind 219 Beschwerden sowie 445 weitere Anliegen eingegangen. Nach eingehender Prüfung haben sich davon bislang 20 Beschwerden als begründet sowie 35 weitere Beschwerden zumindest als teilweise begründet erwiesen. Auch in diesem Jahr werden die Dienste der Beschwerdestelle gut genutzt. Bislang haben wir 180 Beschwerden und 380 sonstige Anliegen gezählt.