Sehr geehrte Frau Nagel, Ihr Vortrag war unlogisch. Sie haben auf der einen Seite darauf hingewiesen, dass es enorm wichtig sei, dass es eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa geben müsse. In Ihren letzten Sätzen haben Sie ausgeführt, dass Sie keinen Verteilschlüssel haben wollen, weil Sie den natürlichen Zuzug oder Umzug – oder wie auch immer Sie das nennen wollen – dort nicht behindern wollen.
Fakt ist doch aber: Wenn es keinen Verteilschlüssel gibt, wenn es dieses Dublin-Verfahren nicht gibt, dann ist es doch völlig klar, wo der Großteil der Asylbewerber hingeht. Das haben wir jetzt erlebt, als die Grenzen offen waren: Dublin hat nicht funktioniert. Diesbezüglich gebe ich Ihnen völlig Recht. Aber nur aufgrund der Tatsache, dass wir unsere eigenen Gesetze nicht eingehalten haben, dass wir an den Grenzen nicht kontrolliert haben, hat Dublin nicht funktioniert. – Danke.
Ich möchte erwidern. Vielleicht haben Sie am Ende meiner Rede nicht zugehört. Ich glaube, eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Flüchtlinge in verschiedene Länder gehen wollen, sind die Bedingungen, die in den Länder geschaffen werden. Wir wissen – ich habe die Staaten genannt, in die teilweise nicht mehr rücküberstellt wurde: Italien, Griechenland, Ungarn, Bulgarien –, wie die Bedingungen in diesen Ländern sind. Es ist doch logisch, dass dorthin keine Menschen wollen. Sie müssen das sozusagen komplex sehen und zusammenhängend denken. Wir brauchen gute Aufnahmebedingungen, faire Asylverfahren, und dann werden sich die Menschen bewegen. Sie können zwar die Bewegung von Menschen sehr schwer steuern, aber Sie können Anreize schaffen. Das ist sozusagen ein grundle
(Uwe Wurlitzer, fraktionslos: Dann geben Sie mir recht an der Stelle, weil bei uns die Bedingungen am besten sind und dann alle zu uns kommen!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir scheint es nach dem bisher Gehörten klar zu sein, dass es hierbei weniger darum geht, über den Vorschlag einer neuen Dublin-IVVerordnung zu diskutieren, sondern dass es mehr darum geht, das Gespenst von vermeintlich drohenden Migrantenmassen an die Wand zu malen und damit Furcht und Schrecken zu verbreiten.
Ich glaube, das sollten wir nicht hinnehmen. Wir sollten uns sachlich mit dem Vorschlag, der aus dem Europäischen Parlament gekommen ist, auseinandersetzen und anschauen, worum es dabei eigentlich geht.
Herr Schiemann hatte vorhin zutreffenderweise ausgeführt, dass Dublin III versagt habe und es einer dringenden Reform dieses System bedürfe. Wir brauchen ein europäisches Aufnahme- und Asylrecht, das funktioniert und das in Europa solidarisch funktioniert.
Das neue Dublin-System soll durch einen sogenannten Fairness-Mechanismus ergänzt werden. Für jedes Land werden nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft Schwellenwerte festgelegt, bis zu deren Erreichen jedes Land für Ankommende selbst zuständig ist. Steigt die Anzahl der Asylbewerber in einem Land – etwa wie in Italien – auf das Anderthalbfache dieses Schwellenwertes, werden alle weiteren Schutzsuchenden nach Prüfung ihres Antrages auf Mindesterfolgsaussicht nach diesem Mechanismus automatisch auf andere EU-Länder verteilt. Dadurch wird verhindert, dass ein Land zu viele Asylbewerber bekommt, also mehr als es seinem Schwellenwert nach aufzunehmen in der Lage ist. Eine unverhältnismäßig hohe Belastung Deutschlands mit Asylsuchenden, wie die AfD sie beschreibt, würde dadurch nicht entstehen, sondern vermieden.
Kern der Kritik der AfD ist allerdings nicht dieser Verteilmechanismus, der, wenn ich mich recht entsinne, heute überhaupt noch nicht Gegenstand der Diskussion war, sondern sie wendet sich gegen das angeblich neue Ziel, die Zusammenführung von Antragstellern, die sich in verschiedenen Staaten der EU befinden und einer Familie angehören, zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren! Das ist nicht neu, diese Regelung besteht bereits. Artikel 6 und Artikel 10 der DublinIII-Verordnung sehen vor, dass Verwandte und Eheleute, die sich in unterschiedlichen Staaten befinden und dort Anträge auf internationalen Schutz stellen, auch beantragen können, gemeinsam in einem Staat geprüft und
gemäß Artikel 20 f. in diesem Staat zusammengeführt werden. Neu ist, dass einen solchen Antrag auch erwachsene Geschwister von unbegleiteten Minderjährigen stellen können und dass das Verfahren vereinfacht werden soll.
Meine Damen und Herren! Für uns ist nicht erkennbar, dass dadurch der Untergang des Abendlandes heraufbeschworen werden würde. Es wird deshalb auch keine neue Flüchtlingswelle geben; denn die müssten wir, wenn das alles stimmen würde, nach Dublin III längst haben.
Der Vorschlag des Europäischen Parlaments soll den erkennbar bestehenden Effekt verstärken, die sogenannte Sekundärmigration zu reduzieren und die Integration zu erleichtern. Denn es ist unbestreitbar, dass ein familiäres Umfeld im Aufnahmestaat die Integration erleichtert und dazu beiträgt, abweichendes Verhalten zu verringern. Die sogenannte Sekundärmigration ist vor allem deshalb ein Problem, weil sie illegal abläuft und damit das Schlepperunwesen begünstigt, in diesem Fall das Schlepperunwesen innerhalb der Europäischen Union.
Kriminalität wird ohne Not begünstigt. Antragsteller, die keine familiären Bindungen zu einem bestimmten Mitgliedsstaat haben, werden zum Ausgleich über ein Korrektursystem in andere Staaten umgesiedelt. Die Reform würde bedeuten: Es gibt in Zukunft weniger sekundäre Migration nach Deutschland, dem Schlepperwesen wird systematisch entgegengewirkt.
Auf Deutschland würden nach dem Vorschlag des Europäischen Parlaments durchschnittlich weniger Flüchtlinge entfallen, als es jetzt der Fall ist; denn von den anderen Staaten der EU beteiligen sich bisher keineswegs alle entsprechend ihren eingegangenen Verpflichtungen an der Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen.
Wer sich in Zukunft nicht daran hielte, wäre aber – das steht auch drin – mit Sanktionen konfrontiert. Wenn dies auch die Staaten akzeptieren würden, die sich bisher verweigern, dann würde die Belastung weiter sinken. Wenn man insgesamt betrachtet, dass die Zahlen der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, sinken, werden es noch viel weniger, um die es hier geht.
Alles in allem ist die gesamte Kritik und das Malen von Gespenstern an irgendwelche Wände so durchsichtig wie nur irgendetwas. Die Gefahren, von denen die Rede ist, gibt es nicht, und deshalb werden wir den Antrag ablehnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich fasse mich kurz: Es ist richtig, dass das EU-Parlament endlich daran geht, die höchst unsolidarischen Dublin-Verordnungen in ihrer Gesamtheit zu reformieren. Dass Ihnen das nicht passt, werte Damen und Herren Abgeordnete der AfD, ist natürlich nicht verwunderlich; denn wenn man realistisch auf das Thema Flucht und Asyl in Europa schaut, dann darf man sich eben nicht nur die Jahre 2015 und 2016 ansehen, sondern man muss ein Stück weiter nach vorn schauen. Wenn man das macht, dann ist ganz klar, dass Deutschland eigentlich zu den Profiteuren dieser DublinRegelungen gehört. Der Grund dafür ist: weil es in der Mitte Europas liegt und de facto nur über sichere Drittstaaten und auf dem Landweg zu erreichen ist.
Es ist von vornherein immer klar gewesen, dass die Hauptlast der Dublin-Verordnungen – die Vorredner haben darauf verwiesen – Länder wie Griechenland, Italien, Ungarn oder Bulgarien zu tragen hatten. Man muss sagen: Es ist ein ungerechtes und unsolidarisches System, und deshalb besteht Handlungsbedarf. Es ist richtig, dass sich das Europäische Parlament mit der Reformierung der Dublin-Verordnungen befasst.
Aber es funktioniert nicht nur das Dublin-System nicht, Kollege Schiemann, sondern es funktioniert auch der europäische Verteilmechanismus nicht. Der Kollege von der SPD hat darauf verwiesen: Es funktioniert eben nicht. Man hat sich das einfacher vorgestellt und gedacht, man redet mit den beteiligten Ländern, die zurzeit keine Geflüchteten aufnehmen, und dann wird sich das schon irgendwie einruckeln. Nein, es ruckelt sich nicht ein. Es gibt eine Disharmonie. Der Verteilmechanismus funktioniert nicht. Er funktioniert ebenso wenig wie das europäische Resettlement-Programm.
Wir – das kann ich kurz machen – lehnen natürlich den Antrag der AfD ab. Wir stehen für eine völlig andere Asylpolitik. Wir wollen ein neues, solidarisches System in Europa, das tatsächlich auf einer gerechten Verantwortungsteilung unter den Mitgliedsstaaten basiert und – Kollegin Nagel hat es ausführlich dargestellt – auch die Präferenzen der Asylsuchenden betrachtet.
Es wird nur so gehen, indem man versucht, beide Interessen miteinander in Zusammenhang und zum Funktionieren zu bringen. Es ist ganz klar, dass, wenn man zum Beispiel Anreizsysteme für Zielstaaten von Asylsuchenden finanziell unterstützt, dies besser funktioniert, als Zwangsmaßnahmen auszuüben und die Menschen daran zu hindern, dorthin zu gehen, wo zum Beispiel ihre Familien leben. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, würden das ganz genauso machen. Jeder, der auch nur ansatzweise ein gewisses Maß an Empathie hat, wird das nachvollziehen können. Europa muss dies tun. Wir müssen Bedingungen und Möglichkeiten schaffen, dass die Menschen, die Familien zueinanderkommen. Das wird der Integration guttun.
Das, was ich hier gesagt habe – das möchte ich abschließend bemerken –, ist ein zentrales Element einer von Humanismus geprägten Flüchtlingspolitik, einer liberalen Politik. Das ist ein Ansatz, den die AfD nicht vertritt. Das ist legitim im demokratischen Spektrum. Aber ich will ausdrücklich sagen: Es ist auch legitim im demokratischen Spektrum, dass es solche Auffassungen wie unsere, die grüne Auffassung, oder die Auffassungen der LINKEN und der SPD gibt.
Das zeichnet eine demokratische Debattenkultur aus. Wir werden in dieser Frage keinen Schritt zurückweichen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den Änderungsvorschlägen der Europäischen Kommission, insbesondere nach den Änderungsvorschlägen des Europäischen Parlaments soll die Dublin-Verordnung komplett verändert werden.
Für die Regelungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz galt bisher das Prinzip der Zuständigkeit der ersten Einreise. Die Umsetzung dieses Prinzips regelten die Artikel 13 bis 15 der DublinVerordnung. Den Bestrebungen des Europäischen Parlaments, welche die Aufhebung dieser Vorschriften zum Gegenstand haben, ist unbedingt zu begegnen.
Das Ziel der Beantragung internationalen Schutzes ist dann erfüllt, wenn die individuelle Verfolgung oder individuelle Bedrohung des Schutzsuchenden abgewendet ist. Dies ist dann erreicht, wenn der Schutzsuchende einen Staat betreten hat, in dem er dauerhaft weder politisch verfolgt noch bedroht ist. Dieser Fakt begründet die Zuständigkeit des Staates des Erstzutritts für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz. Daran ist nichts zu ändern, und daran darf nichts geändert werden, wenn wir unser Land schützen wollen.
Sie alle müssen sich heute dessen bewusst sein, dass Sie, wenn Sie diesen Antrag wieder einmal aus ideologischen Gründen ablehnen, einen Eid entsprechend § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags verletzen. Ihre Aufgabe ist es nicht, dafür zu sorgen, dass in allen anderen europäischen Ländern eine entsprechende Solidarität vorhanden ist. Ihre Pflicht ist es, entsprechend diesem Eid der Geschäftsordnung dafür zu sorgen, dass es unseren Bürgern hier in Sachsen gut geht.
(Beifall bei den fraktionslosen Abgeordneten – Zurufe von der CDU – André Barth, AfD: Wo er recht hat, hat er recht!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war ja jetzt eine ganze Menge schon zu hören. Vielleicht noch einmal zur Klarstellung: Die aktuelle Fassung der DublinVerordnung hat – und darüber ist ja auch schon gesprochen worden – in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie die anstehenden Herausforderungen nicht lösen kann, und das ist mehr als eine Frage der Bürokratisierung, Frau Nagel. Es hat etwas damit zu tun, wie wir innerhalb der Europäischen Union mit den Herausforderungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern umgehen und welche Länder welche Belastung zu tragen haben.
Es ist zweifelsohne ein Teil der Wahrheit, dass es gerade die Anrainerstaaten der EU-Außengrenzen waren, die besondere Belastungen zu tragen haben, und zwar auch Belastungen, die sie überlastet haben mit entsprechenden Reaktionen – war es auch in unterschiedlicher Art und Weise und Güte. Zweifelsohne lässt sich in Italien der Versuch des Umgangs mit dem Thema und gleichzeitig steigenden Belastungen deutlich darstellen. Ich glaube, dass man im Umgang mit Griechenland durchaus auch einige andere Betrachtungen anstellen könnte und müsste, was die Verantwortung einer griechischen Regierung und eines griechischen Staates in diesem Prozess bedingt hat.
Gleichwohl ist es auch so, dass wir im Rahmen der Umsetzung der Dublin-Verordnung konstatieren müssen, dass es einige wenige Länder waren, die in den letzten Jahren die besondere Belastung zu tragen hatten. Neben Schweden und einigen anderen Staaten gehörte auch Deutschland dazu. Es ist auch ein Teil der Wahrheit, dass wir konstatieren müssen, dass die jetzigen Regelungen der Europäischen Union nicht geeignet sind, um die bestehenden Herausforderungen zu lösen, insbesondere weil wir hier bei der Kernfrage der europäischen Gemeinschaft sind: Sind wir eine Solidargemeinschaft, sind wir eine Gemeinschaft, die gemeinschaftliche Interessen vertritt, oder sind wir eine wirtschaftliche Zweckgemeinschaft?
Diese Frage, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eben auch und insbesondere in der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu beantworten. Dazu gehört es eben auch anzuerkennen – und deswegen teilen wir Ihren Ansatz von der Fraktion DIE LINKE ausdrücklich nicht –, dass wir ein originäres Interesse hätten, eine allein europäische Zuständigkeit zu erfahren, denn wir sind immer noch ein Europa der Vaterländer, meine sehr geehrten Damen und Herren.