Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

Kollege Hartmann hat gesagt, Sie mögen nicht die sächsische Geschichte für Ihre Initiative missbrauchen. Ich sage: Hören Sie bitte auf, die sächsischen Bürgerinnen und Bürger mit so etwas zu verschaukeln!

Meine Damen und Herren, ich sagte es bereits: Die Polizeirechtsnovelle ist schon auf dem Weg. Für die SPD ist wichtig, dass mit dem neuen Polizeigesetz auf die gestiegenen Anforderungen an die Polizei und die Polizeibehörden, aber auch auf neue Phänomene und neue Entwicklungen reagiert wird. Dazu gehören beispielsweise Hass- und Gewaltkriminalität in Sachsen genauso wie die politisch oder religiös motivierte Kriminalität bis hin zu Terrorismus.

Herr Kollege Stange, ich möchte Ihnen in der Einschätzung der Relevanz widersprechen. Der Maßstab ist eben das, was in Brüssel und in Paris passiert ist. Der Maßstab ist das, was in Deutschland zum Beispiel im Fall al-Bakr verhindert werden konnte – der Mann, der einen terroris

tischen Anschlag in Deutschland geplant hatte. Je höher die Rechtsgüter sind, die gefährdet werden,

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

je größer die Zahl der potenziellen Opfer, im Zweifel auch Todesopfer, anzulegen ist, desto geringer darf auch der Maßstab an die Wahrscheinlichkeit sein. Das wissen Sie wahrscheinlich auch und insofern ist es legitim und sogar wichtig, darüber nachzudenken, wie wir die Polizei in die Lage versetzen, mit solchen akuten Situationen umzugehen, aber auch möglichst so etwas zu verhindern.

Deshalb werden Sie in dem inzwischen veröffentlichten Gesetzentwurf der Staatsregierung eben auch Vorschläge finden, wie solche Personen, die möglicherweise terroristische Anschläge planen, vorhaben oder begehen, überwacht und im Griff behalten werden können.

Ich finde aber auch gut, dass Themen aufgegriffen werden, die sich aus der polizeilichen Praxis heraus als Defizite ergeben haben, wie zum Beispiel die Rechtsgrundlage für die Handyortung bei Vermissten oder die Möglichkeit der DNA-Analyse ausschließlich zur Identifizierung unbekannter Toter oder hilfloser Personen.

Für die SPD ist dabei immer wichtig, zwischen Sicherheit und Freiheit auszubalancieren. Die Menschen in unserem Land vertrauen zu Recht darauf, dass der Staat für Sicherheit sorgt. Erst dadurch können die Menschen überhaupt von ihrer Freiheit Gebrauch machen. Wer in Unsicherheit lebt oder sich unsicher fühlt, der wird sich selbst in der eigenen Freiheit beschränken.

Private Sicherheit kann sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung – die reichsten 10 % – leisten; die große Mehrheit aber ist darauf angewiesen, dass der Staat für sie einsteht, für Sicherheit sorgt und ihre Freiheitsrechte wahrt.

Genau das muss eine Polizeirechtsnovelle gewährleisten. Der heutige Entwurf, Herr Kollege Wippel, wird dieser Aufgabe nicht annähernd gerecht – schlimmer noch: Das herausgegriffene Thema wird zudem ungenügend in das sächsische Polizeirecht eingefügt. Sie haben auch gravierende handwerkliche Fehler gemacht. Dies bestätigt nicht zuletzt die schriftliche Anhörung.

Meine Damen und Herren, die wirklich ernsthafte Debatte über das sächsische Polizeirecht führen wir dann, wenn sie an der Reihe ist, nämlich nach der Sommerpause, wenn wir den umfassenden Gesetzentwurf der Staatsregierung hier im Parlament haben werden. Darauf freue ich mich sehr, denn dann werden wir die fachlichen und politischen Knackpunkte, die schon kurz angedeutet wurden, angemessen diskutieren können. Ich bin mir sicher, wir werden intensiv darüber diskutieren, welche Befugnisse wir der sächsischen Polizei in welchem Umfang einräumen wollen und wie wir hier die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit gewährleisten können.

Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf hat die einbringende Fraktion leider keinen sinnvollen Beitrag

zur Debatte geleistet. Die SPD-Fraktion wird ihn deshalb ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Nun für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Abg. Lippmann. Bitte sehr, Herr Lippmann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme den Gesetzentwurf zum Anlass, ein paar grundsätzliche Punkte zur Auffassung der GRÜNEN-Fraktion im Polizeirecht zu sogenannten Gefährdern darzulegen.

Wir reden in Deutschland seit Langem über Gefährder, und gemeinhin versteht man darunter in der Öffentlichkeit gern vor allem Terroristinnen und Terroristen, die unmittelbar vor der Begehung eines Anschlags stehen. Sicherheitsbehörden verstehen unter Gefährdern meistens mehr; demnach ist ein Gefährder zwar nicht gesetzlich definiert, aber unter den Polizeien der Länder – als Begriffsbestimmung vereinbart – eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100 a Strafprozessordnung, begehen wird. Welche Maßnahmen gegen solche Gefährder, die keine Straftäter sind, getroffen werden können, ist bis auf wenige Regelungen im BKA-Gesetz bisher weitgehend unklar.

Der Entwurf der AfD, aber auch der Referentenentwurf der Staatsregierung zum neuen Polizeirecht sehen ebenfalls keine Legaldefinition von Gefährdern vor, er regelt jedoch Maßnahmen, die gegen Personen getroffen werden können, die nach der abgestimmten Definition der Länder als Gefährder gelten, geht aber noch deutlich darüber hinaus.

Auch Ihr Gesetzentwurf, werte AfD, orientiert sich an dem seit letztem Freitag geltenden BKA-Gesetz, das keine politisch motivierte Straftat voraussetzt, die eine Person plant. Vielmehr reicht die Gefahr einer terroristischen Straftat oder die Verhütung einer solchen aus, um Aufenthaltungsanordnungen oder Kontaktverbote zu erlassen und Fußfesseln anzulegen.

Beim Referentenentwurf der Staatsregierung geht es übrigens noch weiter. Jetzt brauchen gar nicht mehr terroristische Straftaten geplant werden, es reichen beispielsweise auch Straftaten gegen erhaltenswerte Sachen – das ist dann doch deutlich mehr. Einmal davon abgesehen, dass der Referentenentwurf hinsichtlich der bedeutsamen Rechtsgüter und der für erforderlich angesehenen Maßnahmen präventiver Art vollkommen über das Ziel hinausschießen und jede verfassungsrechtlich rote Linie überschreitet, stellt sich uns GRÜNEN dann doch die Frage – und diese Frage muss sich auch die AfD gefallen lassen –, wann denn nun der Anwendungsfall konkret eintreten soll. Steht der Verdacht einer terroristischen

Vereinigung oder der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat im Raum, ist die StPO anwendbar. Geht es um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, dann ist zudem das BKA zuständig.

Die Nachzeichnung des Gefährderrechts in diesem Sinne ist in den Landespolizeigesetzen, also für den Bereich des internationalen Terrorismus, vollkommen sinnlos, und ich kann nur konstatieren, purer symbolischer Aktionismus.

Es verbleibt somit ein Anwendungsrest für Maßnahmen wie Hausarrest, Kontaktverbot und Fußfessel im Bereich Spekulation und Gerüchte. Die gesamte Gefährderdiskussion und die darauf aufbauenden Regelungen präventivpolizeilicher Befugnisse bewegen sich in diesem Bereich, bei dem es schon lange nicht mehr um eine konkrete Gefahr, sondern eher um Bauchgefühl geht, dann im Nebulösen. Weil der Gesetzgeber keine konkreten Definitionen parat hat und Begriffsbestimmungen an die Hand gibt, ist das, was im Einzelnen erlaubt ist, schlicht unter der Vorlage unbestimmter Rechtsbegriffe ein erheblicher Grundrechtseingriff, den wir schlicht für verfassungswidrig halten.

(Uwe Wurlitzer, fraktionslos, steht am Mikrofon.)

Zum Schluss gern noch ein Wort zur Fußfessel. – –

Eine Zwischenfrage? – Bitte sehr.

Ja, folgende Frage: Wenn ich Sie so höre, ist der Antrag der AfD nicht zu gebrauchen. Der Referentenentwurf, der zu erwarten ist, ist nicht zu gebrauchen. Sie selbst haben keinen entsprechenden Entwurf eingebracht. Gehen Sie davon aus, dass alles gut ist, dass wir keine terroristischen Probleme haben? – Das ist nur eine Frage. Dann könnten wir uns das ja sparen.

Wenn Sie zugehört hätten, dann hätten Sie das Problem verstanden.

Habe ich.

Nein, Sie haben nicht zugehört. Sie können in Deutschland doch keine terroristische Straftat mehr andenken, ohne in das Vorfeldstadium der Planung derselbigen einzutreten. Wenn Sie allerdings eine solche Straftat bereits planen, dann finden die einschlägigen Regelungen des Strafgesetzbuchs Anwendung. Sie können quasi nicht mehr im Gefahrenabwehrrecht agieren, schlicht, weil schon die Vorbereitung einer terroristischen Straftat eine Straftat an sich darstellt. Bereits die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel der Wiedereinreise und der anschließenden Begehung einer terroristischen Straftat ist in Deutschland strafbar. Kurzum: Sie sind im Strafrecht. Damit sind Sie im repressiven Teil und nicht im Gefahrenabwehrrecht.

Ergo, wir sind im Regelungsbereich der Strafprozessordnung. Was hat der Bund in der Strafprozessordnung geregelt, was hat der Bund im BKA-Gesetz – was wiederum die Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr bei inter

nationalem Terrorismus ist – geregelt? Genau das, was Sie jetzt mit Ihrem Gesetzentwurf und dann auch die Staatsregierung regeln will. Sie deuten hier eine Regelungslücke an und gaukeln sie vor, die es schlicht nicht gibt. Kurzum: Es braucht im Landespolizeirecht keine Regelungen zu den Gefährdern. Sie sind nutzlos, es sei denn, man ist einmal ehrlich, dass es eben nicht um den internationalen Terrorismus geht, sondern um viel mehr.

Gestatten Sie noch eine Frage?

Ja, gern. Wir können das gern weiter ausdiskutieren.

Ich gebe zu, dass die Frage jetzt möglicherweise etwas populistisch ist.

Von Ihrer Seite sind wir das gewohnt.

Vielen Dank für die Herabwürdigung. – Was würden Sie denn denjenigen sagen, die Hinterbliebene der Opfer derartiger terroristischer Anschläge sind? Wenn Sie gerade feststellen, dass alles gut ist, wenn Sie feststellen, dass alles geregelt ist, frage ich mich, wenn es doch Lücken gibt, warum Sie als GRÜNE nicht entsprechende Anträge eingebracht haben.

(Staatsminister Christian Piwarz: Sie sollen nicht sich fragen, sondern den Redner!)

Sie haben völlig recht, Herr Piwarz. Ich frage natürlich Herrn Lippmann und nicht mich.

Vielen Dank.

Herr Wurlitzer, noch einmal: Hätten Sie mir zugehört – Sie haben ja nicht einmal bei meiner Beantwortung Ihrer Frage zugehört –

(Enrico Stange, DIE LINKE: Er hat es nicht verstanden!)

möglicherweise haben Sie es auch nicht verstanden –, dann hätten Sie mitbekommen, dass ich gar nicht davon rede, dass es hier überhaupt eine Regelungslücke gibt, weil das Ganze schon über die StPO und das BKA-Gesetz einschlägig geregelt ist. Das ist auch das, was dabei Anwendung findet. Dann findet doch nicht das Landespolizeirecht Anwendung. Sie konstruieren jetzt eine Regelungslücke herbei, die es schlicht nicht gibt. Daher ist der Rest Ihrer Frage so zu beantworten: Wenn es das schon gibt – entsprechende Regelungen im BKA-Gesetz und in der stopp –, dann ist das kein Punkt, den wir jetzt regeln müssen. Daher ist das Horrorszenario, das Sie hier an die Wand malen, schlicht falsch.

(Uwe Wurlitzer, fraktionslos: Es war kein Horrorszenario, als der Lkw über den Weihnachtsmarkt gefahren ist!)

Herr Wurlitzer, danach hat man ja Änderungen im Bundesrecht vorgenommen. Es sind genau die Änderun

gen, die es im Landesrecht nicht braucht, weil es sie schon im Bundesrecht gegeben hat. Sie haben einfach nicht verstanden, was der Unterschied zwischen der Zuständigkeit des BKA und der Landespolizei und der Unterschied zwischen der StPO und einem Polizeigesetz ist. Tut mir leid! Anders kann ich das nicht konstatieren.

(Carsten Hütter, AfD: So ein Unsinn!)

Frau Präsidentin, ich würde mit meinem Redebeitrag fortfahren wollen. – Zum Schluss noch ein paar Sätze zur Fußfessel: Es ist bekannt, dass sie keine Straftat verhindert, nicht von bereits verurteilten Straftätern, auch nicht von Personen, von denen die Polizei glaubt, dass sie Straftaten begehen. Kollege Stange hat diverse Beispiele angeführt.