Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Aber ich muss mich, weil wir die kleinste Fraktion sind und wenig Zeit haben, auf den Inhalt meiner Rede konzentrieren.

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, sehr geehrte Staatsministerin, liebe Petra Köpping, dass ich Sie nicht zuerst genannt habe; das hole ich jetzt nach. Ich sage Ihnen großen, herzlichen Dank für Ihre sehr engagierte Fachregierungserklärung. Meine Fraktion – das habe ich Ihnen schon mehrfach gesagt – zollt Ihnen

Respekt: für die Arbeit, die Sie leisten, für das Erreichte und vor allem für Ihr authentisches, glaubwürdiges Auftreten. Das ist in diesen rauen Zeiten – der Ton ist rau – nicht selbstverständlich.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Gestatten Sie mir einen Blick zurück, auch wenn das heute schon einige getan haben: Die Aufgabe der Ministerin ohne Ministerium war keine einfache, als sie den neu ins Leben gerufenen Geschäftsbereich 2014 übernahm. Um alles mussten Sie, Frau Ministerin, kämpfen, um Stellen genauso wie um materielle Ressourcen. Ich versuche es mit einem Bild: Wo andere Ressorts Rennpferde bekamen, hat man Ihnen einen Sattel ohne Pferd zur Verfügung gestellt.

(Frank Kupfer, CDU: Unfug!)

Trotzdem, das muss ich sagen, haben Sie sich bei starkem Gegenwind in unbekanntes Gelände aufgemacht. Den Kampf um das Pferd haben Sie mittlerweile gewonnen. Aber der Gegenwind, auch aus den Reihen der Regierungspartner, ist noch da, und die Navigation bleibt außerordentlich schwierig.

Das hat natürlich Ursachen. Diese liegen auch in der Art und Weise, wie die vorangegangenen CDU-Regierungen in Sachsen das Thema Integration und Teilhabe bisher behandelt, gesehen oder, besser gesagt, nicht gesehen haben; denn alle Regierungen – und ich lebe schon so lange in Sachsen – waren auf dem Integrations- und Teilhabeauge bisher blind.

So kam es auch, dass weder eine integrationsbezogene Haltung vorhanden war noch teilhabefördernde Strukturen entstanden sind. Integration – das war für mich eine zentrale Botschaft ausgehend von dem, was vorher hier in Sachsen stattgefunden hatte – war die Aufgabe der Zugewanderten. Integration war ihre Aufgabe. Der Staat sah sich bisher nicht in der Pflicht, auch einen aktiven Part zu übernehmen. Zugewanderte wurden eher als Bürger zweiter Klasse wahrgenommen, von denen Anpassung, Assimilation und Zufriedenheit mit den sächsischen Zuständen erwartet wurden – schwer, schwer. Die Folgen dieser Auffassung zeigen sich bis heute.

In Ihrer Rede, Frau Staatsministerin, haben Sie gesagt – ich zitiere –: „Mitten unter uns fühlen sich Menschen ausgegrenzt und unwürdig behandelt und fordern nunmehr, auch andere Menschen auszugrenzen und diese unwürdig zu behandeln.“ Dahinter steckt ein klarer Befund gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, nämlich die Auffassung, als Etablierte, und wenn es einem gefühlt noch so schlecht geht, bestimmte Vorrechte gegenüber denen zu haben, denen es noch schlechter geht.

Es sind eben nicht nur – das möchte ich Ihnen auch sagen – die von Ihnen immer wieder diagnostizierten Kränkungen der Nachwendezeit, die einen Teil der Sachsen zu Rassisten und Demokratiefeinden gemacht haben. Auch die jahrzehntelange staatliche Weigerung, aktive Integrationspolitik zu betreiben, hat daran entscheidenden Anteil.

Vor diesem politischen Hintergrund wurde im März 2012 das sogenannte ZIK I der Staatsregierung veröffentlicht. Der Blick auf die Zuwanderungspolitik war darin völlig verengt und konzentrierte sich aus rein marktwirtschaftlichen Gründen ausschließlich auf den Gewinn der sogenannten „klugen Köpfe“ aus dem Ausland. Schon damals forderte die GRÜNE-Fraktion hier im Landtag ein Konzept, das eben nicht nur den qualifizierten Fachkräften vorbehalten ist, sondern auch geflüchtete Menschen einbezieht. Migrantenorganisationen haben das Konzept damals kritisiert, weil sie an der Erarbeitung nicht beteiligt wurden und weil vor allem eines gefehlt hatte: politische Teilhabe, politische Partizipation. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration – Kollegin Nagel hat darauf hingewiesen – hat im Jahr 2014, nach der Evaluierung des ersten ZIK, klar und eindringlich zu einer Fortentwicklung des sächsischen Konzepts geraten.

Wir haben das übrigens politisch – hier im Landtag – auch gemacht und gleich am Anfang der Legislatur unseren Antrag „Integration von geflüchteten und zugewanderten Menschen im Freistaat Sachsen voranbringen“ eingebracht. In diesem Antrag haben wir bereits ein Integrationsmonitoring gefordert. Wir freuen uns sehr, dass es einen festen, etablierten Platz im neuen Konzept gefunden hat.

Zu dem Thema Integration – wir haben heute einiges zu den unterschiedlichen Auffassungen gehört – möchte ich aus grüner Sicht noch ergänzen: Integration braucht beides. Integration braucht selbstverständlich – das sehen auch wir GRÜNEN so – Bewegung und Willen auf der Seite der Zugewanderten. Aber sie braucht eben auch Bewegung und Willen auf der Seite der Aufnahmegesellschaft.

Sehr geehrte Frau Köpping, die Neuauflage oder das neue Konzept ZIK II – man kann es nennen, wie man will; es ist eigentlich keine Fortentwicklung, sondern es ist etwas Eigenständiges, etwas Neues herausgekommen – liegt nun vor. Auch wir möchten uns bei Ihnen bedanken. Wir danken aber auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den vielen engagierten Menschen im Land. An einigen der Verbändegespräche konnte ich teilnehmen. Ich weiß, dass es mittlerweile von vielen Menschen sowohl in der Verwaltung als auch im ehrenamtlichen Bereich sehr geschätzt wird, wie Sie die Themen benennen und wie strukturiert Sie arbeiten. Das ist ein Format, das es vorher in Sachsen so nicht gab; es wäre auch undenkbar gewesen.

Insofern sage ich: Das ganze Konzept trägt in entscheidendem Maße Ihre Handschrift. Es ist von Ihrer Auffassung geprägt, wie Sie Integration sehen. Das ist in Ordnung so. Damit habe ich keine Probleme. Ich möchte besonders positiv herausheben, dass zum Beispiel das Phänomen Diskriminierung aufgegriffen wurde und ein zentrales Moment in diesem Konzept ist. Das Integrationsmonitoring habe ich schon genannt, und wir finden es auch gut, dass Sie in den unterschiedlichen Bereichen das,

was bereits vorhanden ist, aber weiterentwickelt werden muss, aufführen. Ich denke zum Beispiel an das Thema Arbeitsmarktintegration, aber auch an den Zugang zur Sprache in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Da liegt uns schon etwas von der Koalition vor, es bleibt abzuwarten, wie es umgesetzt wird. Das sind alles sehr positive Sachen, die wir auch schätzen.

Ich möchte Ihnen sozusagen aus der Perspektive meiner Fraktion den Rücken stärken, dass dieses Konzept tatsächlich nur umgesetzt werden kann, wenn das komplette Kabinett mitmacht und es als ressortübergreifende Aufgabe gesehen wird, dass das auch tatsächlich passiert. Ich habe so meine Bedenken, ob jedes Ressort das auch so sieht. Wir haben im Sächsischen Landtag in den letzten Jahren eine Reihe von Aktionsplänen beschlossen. Kollegin Klepsch sitzt neben Ihnen. Ich denke hier nur an den Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Das ist alles andere als ein Selbstläufer und wird nicht unbedingt als ressortübergreifendes Thema gesehen.

Ich denke an die Debatte der letzten Tage um die sogenannten Ankerzentren. Sie sind die Expertin, was die Situation in Erstaufnahmeeinrichtungen angeht. Kollege Mackenroth wird dann vielleicht auch noch etwas dazu sagen. Sie haben die Kontakte und wissen, was für ein explosives Potenzial ein langer Aufenthalt in solchen Einrichtungen in sich birgt. Sie haben sich zum Thema Ankerzentren geäußert. Ich fand das gut, weil wir das genauso sehen. Es dauert nicht lange, da wird Ihnen von Ihrem Kollegen Innenminister sozusagen von hinten in die Beine gegrätscht. Wir haben einen schwankenden Ministerpräsidenten, der erst hü sagt und dann hott.

(Zurufe von der CDU: Überhaupt nicht wahr!)

Das war schon eine schwierige Situation, insofern wünschen wir Ihnen, dass Sie diesen Rückhalt bei der Durchsetzung Ihres Konzeptes haben.

Nachbesserungsbedarf, und da möchte ich auf das Sachverständigengutachten von 2018 verweisen, sehen wir auch. Der Sachverständigenrat hat gesagt, es braucht nicht nur die gruppenspezifischen Angebote und Projekte, es braucht nicht nur das Individualisierte, sondern auch den Blick auf die Regelsysteme, auf die bestehenden Gesetze. Passen sie zu den neuen Anforderungen? Ich finde, da hätte man etwas mehr machen können, aber ich kenne auch die Grenzen Ihrer politischen Möglichkeiten, die Sie in diesem Kabinett haben. Man kann sich trefflich darüber streiten, ob wir sofort ein Integrationsgesetz brauchen oder nicht, ich finde das Angebot einer breiten Diskussion gut, aber man kann sich auf den Weg machen.

Man kann zum Beispiel die Frage der nachholenden Schulabschlüsse für 18-jährige Jugendliche über das Schulgesetz regeln. Bayern macht das. Dort besteht die Schulpflicht bis zum 21. bzw. 25. Lebensjahr. Ich bin sehr froh, dass der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Burkhard Jung, sich jetzt einmischt und sagt, was wir hier für riesige Chancen vergeben. Ich möchte auch, dass das

noch mehr kommunale Mandatsträger machen. Sie als Koalition könnten dieser Personengruppe das Recht geben, über das 18. Lebensjahr hinaus diesen dringend gebotenen Schulabschluss nachzuholen, der Voraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung wäre. Das wäre dann ein Recht, das man in Anspruch nehmen könnte, und ein großer Fortschritt.

Das würde nicht nur den jungen Geflüchteten helfen. Wenn wir sehen, wie viele Schüler durch das sächsische Bildungssystem fallen und ohne Abschluss die Schule verlassen – damm hätten auch diese eine Chance. Das wäre eine moderne Form, wo wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Das eine oder andere hätten wir gern etwas konkreter gehabt, aber machen Sie weiter, es ist aus unserer Perspektive der richtige Weg. Wir stehen als GRÜNEFraktion hinter Ihnen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auf Frau Kollegin Zais folgen jetzt eine ganze Anzahl fraktionsloser Kolleginnen und Kollegen. Die Redezeit beträgt 1,5 Minuten, das bitte ich auch einzuhalten. Als Erste spricht Frau Kollegin Dr. Petry.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer Teil der Gesellschaft ist und vor allem sein möchte, will ich ergänzen, greift sie nicht an, Frau Köpping. Ich danke für diesen klugen Satz. Leider offenbart Ihr Konzept ZIK II, dass Sie diesen Grundsatz noch nicht ausreichend beherzigt haben. Wenn circa ein Drittel der Ausländer in Sachsen, insgesamt 160 000, eine eigene Staatsministerin und ein eigenes Integrationskonzept brauchen, wenn offenbar EU-Ausländer eben genau das nicht brauchen, weil sie sich selbst integrieren, weil es gar keine Frage ist, sich in die Gesellschaft einzugliedern, dann sehen wir, wo das Problem liegt.

(Widerspruch bei den LINKEN)

Frau Köpping, Asylbewerber und Flüchtlinge sind eben per se keine Zuwanderer und das wissen Sie selbst ganz genau. Die fehlende Differenzierung ist das Problem, seitdem der Flüchtlings- und Migrantenstrom auch nach Sachsen anhält. Deshalb kann es neben selbstverständlicher Akzeptanz von demokratischer Teilhabe und vielen anderen Ideen, die gut sind, wie den Spracherwerb, da stimme ich Ihnen zu, am Ende eben nicht das Konzept sein, durch kulturelle Akzeptanz all dessen, was da ist, genau dieses Ziel zu erreichen.

(Widerspruch bei den LINKEN und der SPD)

Wird es nicht, Menschen sind gleichwertig in ihrer Würde, aber Kulturen sind es eben nicht.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Die Redezeit!)

Deswegen brauchen wir Fordern und Fördern in einem Integrationskonzept. Am Ende brauchen Sie Maßstäbe und Standards, an denen Integration gemessen wird. Genau das tun Sie nicht.

Die Redezeit ist abgelaufen.

Genau da muss nachgebessert werden, sonst kann Integration nicht funktionieren.

Die Redezeit ist abgelaufen.

Ohne den eigenen Willen geht es eben nicht.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Wieder 11 Sekunden länger!)

Als Nächstes spricht jetzt Herr Kollege Wild.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Wir müssen uns endlich darüber im Klaren sein, dass das wirkliche Bedrohungspotenzial für diese Menschen mit ihnen auch hierherkommt. Diejenigen, die ihnen schon in ihren Heimatländern das Leben zur Hölle gemacht haben, werden auch hier nicht davon lassen.

(Widerspruch des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Wäre es anders, bräuchten wir keine extra Schutzräume. Wenn wir auf das Thema Schutzräume zu sprechen kommen, sind wir schon bei der unrühmlichen Rolle, die Sie und große Teile der SPD-Fraktion seit Tagen beim Stichwort Ankerzentren aufführen. Natürlich sind Ankerzentren auch Schutzräume, die uns vor unkontrolliertem Zuzug und Aufenthalt unberechtigt Einreisender schützen können, jedenfalls um einiges konsequenter als bisher. Ankerzentren sind der erste Schritt in die richtige Richtung.

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Was? In Richtung nationalbefreite Zonen, oder was?)

Es ist nicht die Sortierung zwischen guten und schlechten Flüchtlingen, wie Ihr Parteinachwuchs es behauptet. Es ist die zeit- und ortsnahe Entscheidung: Bedarf jemand unseres Schutzes oder nicht? Menschen, die wirklich Schutz suchen, werden vermutlich den geringsten Anreiz verspüren, in ihrem Gastland mit Eisenstangen auf Polizisten einzuprügeln, Frauen beim Joggen zu überfallen oder Mitmenschen Smartphones brutal wegzunehmen.

Die Redezeit ist beendet.

Was Sie jedoch verfolgen, ist der überaus teure und erfolglose Versuch, ausnahmslos – –

Herr Wild, Ihre Redezeit ist zu Ende.