Protokoll der Sitzung vom 05.09.2018

Ich glaube, dass wir das also tatsächlich nicht zulassen dürfen. Dieses Verbrechen ist schlimm genug, aber wir müssen alle gemeinsam deutlich machen, dass es keine Rechtfertigung dafür geben kann, die Institutionen in unserer Demokratie zu unterhöhlen, Politiker pauschal in Misskredit zu bringen und so zu tun, als sei die repräsentative Demokratie nichts anderes als ein Versorgungsbetrieb für zweitklassige Talente. Damit tun Sie so vielen Menschen, die sich zum Teil ehrenamtlich in diesem Land in politischen Parteien engagieren, Unrecht. Das ist aus meiner Sicht tatsächlich ungeheuerlich.

(Zuruf des Abg. Dirk Panter, SPD, an Jörg Urban, AfD)

Ich möchte deutlich machen, dass die Ereignisse vom Wochenende uns als politisch Verantwortliche natürlich nicht davon entbinden, selbstkritisch darüber zu sprechen, wie wir denjenigen Menschen, die in diesem Land Sorge haben und mit bestimmten Entwicklungen unzufrieden sind, auch vernünftige politische Angebote machen können. Ich glaube nicht, dass wir die Polarisierung der Gesellschaft dadurch aufbrechen, dass wir selbst polarisieren. Wir müssen Orte und Formate schaffen, wo wir mit der Mitte der Gesellschaft in Kontakt kommen und mit der Mitte der Gesellschaft diskutieren – und zwar ohne Denkverbote und auch mit der Möglichkeit, ganz konkret Dinge anzusprechen, die einen stören. Natürlich gibt es auch die Verpflichtung für politisch Verantwortliche, darauf Antworten zu finden und Missstände in dieser Gesellschaft abzustellen.

Ich möchte noch einmal kurz auf Sie eingehen, Herr Gebhardt: Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie gemerkt haben – das ist meistens so bei bornierten Menschen –, dass Sie die Borniertheit, die Sie uns vorwerfen, hier vorn eins zu eins vorgetragen haben – in einer Art und Weise, die einem wirklich fast den Atem raubt.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben nichts, aber auch wirklich gar nichts an Angeboten formuliert. Sie haben keine konkreten Vorschläge gemacht. Sie haben nur vermeintliche oder tatsächliche Versäumnisse der Vergangenheit aufgezeigt, weil es Ihnen am Ende nur darum geht, innerhalb Ihrer Community sagen zu können: „Wir sind die Guten!“. Ich glaube aber nicht, dass das verantwortungsbewusste Politik ist.

Ich glaube nicht, dass Sie Erfolg damit haben, wenn Sie immer wieder gebetsmühlenartig davon reden, dass wir jetzt einmal über 40 Jahre SED genauso reden müssen

wie über 28 Jahre CDU. Ich glaube, Sie vergessen da eine ganze Reihe von Landtagswahlen in der Zwischenzeit. Es ist ja nicht so, dass irgendjemand dazu gezwungen wurde. Ich halte es schon für sehr zweifelhaft, wenn jemand, der immer gebetsmühlenartig vom Aufstand der Demokraten spricht, so tut, als sei dies das Ergebnis von Landtagswahlen und gleichbedeutend mit den Ergebnissen von 40 Jahren Diktatur. Die Demokratie ist ja gerade deshalb stark, weil sie in der Lage ist, sich mit Versäumnissen und Fehlern auseinanderzusetzen – und das möglichst noch, bevor sie untergeht, und nicht erst danach, so wie Sie das vermeintlich getan haben.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich war am Samstag bei der Demo „Herz statt Hetze“ in Chemnitz, und ich habe auch diesen Aufruf unterschrieben, weil ich es offen gestanden für meine Pflicht gehalten habe, das zu tun, denn das, was an Instrumentalisierung in Chemnitz passiert ist – auch an Relativierung von Rechtsradikalismus –, ist nicht hinnehmbar. Ich teile die Einschätzung des Ministerpräsidenten, dass der Rechtsradikalismus in diesem Land eine der größten, wenn nicht sogar die größte Herausforderung und Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist. Als ich dort war – im guten Glauben, dass es richtig war, den Aufruf unterzeichnet zu haben –, habe ich das aber nicht als Angebot an die bürgerliche Mitte empfunden. Da bin ich ganz ehrlich. Die Reden, die ich dort gehört habe, haben sich im Großen und Ganzen nicht gegen den Rechtsextremismus in diesem Land gerichtet – vielleicht in Teilen. Da ging es aber genauso gegen die Polizei, und es wurden Plakate gezeigt, auf denen zu lesen stand: „Bullen und Nazis üben fleißig für ein neues ‘33“. Ich weiß nicht, ob das die Mitte der Gesellschaft ist und ob das der zivilgesellschaftliche Protest ist, den wir brauchen, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Das ist eben genau die Borniertheit, die ich Ihnen vorwerfe. Wenn Sie wollen, dass die Mitte der Gesellschaft mit Ihnen demonstriert, dann müssen Sie Angebote machen, die es möglich machen, das zu tun!

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD – Zurufe von den LINKEN)

Lassen Sie mich doch einmal ausreden, Herr Gebhardt!

Es war auch richtig, dort gewesen zu sein, um auch mit Recht sagen zu können, dass ich weiß, wovon ich spreche. Ich glaube tatsächlich, dass wir dieses Bündnis brauchen, dass wir deutlich machen müssen, dass es in dieser Gesellschaft in Sachsen unheimlich viele Menschen gibt, die den Rechtsstaat, die Demokratie und den offenen Diskurs schätzen, die aber auch mit bestimmten politischen Entwicklungen unzufrieden sind, die vielleicht auch darüber sprechen wollen, wie wir damit umgehen, wenn Asylbewerber kriminell sind und dass wir sie zum Teil eben nicht abschieben können, wenn sie kriminell geworden sind. Darüber muss man offen sprechen dürfen in diesem Land.

Insofern glaube ich, dass wir Formate finden müssen, die genau das möglich machen. Aber das Format am Samstag war es nicht. Ich habe mich an vielen Stellen nicht vertreten gefühlt, und ich bin auch von einer ganzen Reihe von Leuten angesprochen worden, die gefragt haben: Teilst du denn das, was dort auf der Bühne gesagt wird? Hältst du das wirklich für ein Angebot an bürgerlich-konservative Wähler, die sich vielleicht weder dem einen noch dem anderen Extrem zuordnen wollen?

Wenn Sie wirklich wollen, dass wir gemeinsam gegen Rechtsextremismus in diesem Land vorgehen, dann würde ich mir von Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, vielleicht ein ganz kleines bisschen weniger Selbstmitleid und Borniertheit wünschen, sondern mal ein echtes Angebot, eine echte Distanzierung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, weil ich glaube, dann schaffen wir vielleicht tatsächlich diesen Grundkonsens. Nur darum geht es doch, es geht doch nicht darum,

(Zurufe von den LINKEN)

den Meinungsstreit innerhalb der Demokratie zu nivellieren und zu sagen: Wir sind hier nicht mehr unterschiedlicher Meinung. Aber wenn wir einen Grundkonsens formulieren wollen, dann müssen wir alle, denke ich, ein Stück über unseren Schatten springen. Das habe ich am Samstag – das kann ich nur für mich persönlich sagen – getan, habe es aber von anderer Seite nicht wahrgenommen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Eine Kurzintervention, bitte.

Eine Kurzintervention zum Beitrag von Herrn Dierks.

Ich gehörte gemeinsam mit Frau Schaper zu den Mitveranstaltern am Samstag in Chemnitz. Ich muss sagen: Ich bin sehr froh gewesen, dass Alexander Dierks diesen Aufruf mit unterschrieben hat, und ich stehe auch heute noch dazu.

Was ich allerdings zurückweisen möchte, ist, dass diese Veranstaltung tatsächlich kein Angebot für die Mitte gewesen sei. Natürlich gab es diese Plakate, die gab es aber auch auf anderen Veranstaltungen. Es gab dort Leute, die aus der Chemnitzer Mitte gesprochen haben. Es gab dort das Deutschlandturnier der Finanzämter. Wir haben tolle Reden gehört von Menschen, die sich zu unserer Stadt und zu unserer Demokratie, zu dem, was uns trägt, positioniert haben. Aber es sind natürlich auch junge Menschen hingekommen, die genauso wie die sogenannte bürgerliche Mitte vermissen, dass es Plätze gibt, wo sie ihren Protest zum Ausdruck bringen können. Wer das einmal gemacht hat – ich habe im Leben noch nie eine so große Verantwortung gespürt wie an diesem Tag gemein

sam mit Susanne Schaper –, der weiß, dass man nicht hinrennen und den jungen Leuten das Plakat wegnehmen kann, genauso wie es keiner am Montag bei dem groß gefeierten Konzert gemacht hat, politische Plakate, die einem nicht gepasst haben, aus der Menge herauszuholen.

Ich stehe dazu und bin nach wie vor froh, Alexander Dierks, dass auch CDU-Leute dagewesen sind. Der Finanzminister ist da gewesen. Ich finde, es war eine gute Gelegenheit, dort auch seine Meinung zu sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Herr Dierks, bitte.

Sehr verehrte Frau Kollegin Zais. Ich habe ja auch deutlich gemacht, dass ich es grundsätzlich für richtig halte, dass wir einen demokratischen Grundkonsens formulieren. Aber wenn ich solche Plakate sehe und nicht wahrnehme, dass zumindest der Versuch unternommen wird, wenigstens verbal darauf hinzuweisen, dass solche Plakate auf Demonstrationen nichts verloren haben, mit denen man diese Menschen verunglimpft, die uns gleichzeitig beschützen, ist das aus meiner Sicht schon etwas paradox. Der eine oder andere mag den Spagat hinbekommen, mir fällt es schwer. Wenn dort Bands auftreten, die zum Teil antideutsche Texte singen, dann empfinde ich das nicht als Angebot an die Mitte der Gesellschaft.

Wenn Sie in Zukunft wollen, dass ich diesen Versuch noch einmal unternehme, dann erwarte ich, dass wir uns einmal gemeinsam hinsetzen, vielleicht gemeinsam an einem solchen Aufruf arbeiten, und dass wir ganz deutlich machen, dass bestimmte Dinge dort genauso wenig wie andere für uns als Mitte der Gesellschaft, als die, die Verantwortung tragen und den Anspruch haben, Politik für die Gesellschaft zu gestalten, einen Platz haben.

(Beifall bei der CDU)

Frau Wilke, bitte.

Auch ich beziehe mich auf den Beitrag von Herrn Dierks und möchte zur Mitte der Gesellschaft etwas sagen. Denn ich war auf der anderen Seite – –

(Allgemeines Lachen und Zurufe)

Ich war in Chemnitz selbstverständlich auf der AfDDemonstration und möchte bemerken, dass sich auch alle diese Menschen dort auch als Mitte der Gesellschaft empfunden haben. Ich habe dort niemanden gesehen, der in irgendeiner Form gepöbelt hätte. Ich habe auch ausländische Bürger gesehen. Aber durchgehend – –

(Dirk Panter, SPD: Ich war vor Ort, ich stand direkt daneben …!)

Ja, Herr Panter, das mag ja sein. Die Tagesschau hat auch in ihre Berichterstattung irgendwelche Szenen hineingeschnitten, die sich gar nicht – –

(Lachen und Zurufe von der SPD und den LINKEN)

Ich habe niemanden gesehen und möchte bemerken, dass alle diese Leute, die an dieser AfD-Demonstration teilgenommen haben, von welcher Seite auch immer sie dahingekommen sind, mit Grund dort waren, und zwar nicht mit dem Grund, dass sie pöbeln wollten oder irgendetwas in dieser Art, sondern sie waren tatsächlich sehr erregt, weil das Sicherheitsgefühl der Menschen in Chemnitz einfach sehr gelitten hat, und zwar nicht durch irgendwelche Demonstranten, sondern es hat gelitten durch die zunehmende Gewalt derjenigen, die neu zu uns gekommen sind, nämlich der Migranten.

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Hetze von Ihnen, daher kommt das!)

Nein, wir haben gar nicht gehetzt.

(Zurufe von den LINKEN: Doch, doch!)

Wir tun das normalerweise nicht.

(Alexander Dierks, CDU: So eine falsche Aussage!)

Das war eine Kurzintervention.

(Weitere Zurufe von der CDU und der SPD)

Das Wort hat jetzt Alexander Dierks.

(Fortgesetzte Zurufe zwischen den Fraktionen)

Meine Damen und Herren, bitte!

(Fortgesetzte Dialoge zwischen den Fraktionen)