Protokoll der Sitzung vom 26.09.2018

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Für die Linksfraktion spricht Frau Abg. Schaper.

Vielen Dank. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich bei der Regierungskoalition für das Thema „Organspende“, denn es ist absolut richtig und wichtig, dass wir darüber sprechen, und durchaus auch aktuell. Warum das aktuell ist, hat Herr Wehner gesagt.

Herr Spahn, der sich ja sonst mit sehr befremdlichen Äußerungen nicht gerade in die Herzen gesprochen hat, quasi Organe mitzunehmen, hat gesagt, dass wir diese Widerspruchsregelung brauchen. Als Erstes kam dann überall ein gewisser Beißreflex. In der Sache ist es aber absolut richtig – das ist meine persönliche Meinung –, dass wir das jetzt angehen. Ich äußere mich jetzt auch nicht weiter, obwohl ich viel aufgeschrieben habe, was die Zahlen betrifft.

Fakt ist, dass es nicht einmal einen Spender pro 100 000 Einwohner – das muss man sich einmal bis zum Ende überlegen – gibt. Das heißt, wir brauchen wirklich neue Wege. Man kann noch lange herumschwurbeln, das geht auch. Ich weiß auch, dass wir Vertrauen gewinnen müssen. Aber wenn wir jetzt nicht damit beginnen, wird es schwierig. Ich glaube, dass bei der Debatte trotzdem ein Fehler entstanden ist: Man hat nämlich die Widerspruchsregelung sofort ins Gespräch gebracht, ohne vorher Rahmenbedingungen zu ändern, und die fehlen.

Herr Wehner hat angesprochen, dass es höchst erfreulich ist. Allerdings frage ich mich, wenn Sie jetzt die Stärkung des Transplantationsbeauftragten bringen, warum haben Sie am 25. April bei der Anhörung der Sachverständigen zum Transplantationsausführungsgesetz nicht schon

gesagt, dass wir sie freistellen und stärken müssen? Wir haben die Debatte darüber geführt. Es muss finanziert werden. Wir hatten die Chance. Da frage ich mich – die Einsicht ist zwar schön –, warum das in Ihrem Entschließungsantrag im April durchaus nicht schon passieren konnte? Dort hat es leider nicht stattgefunden, aber Ihre Äußerungen lassen mich hoffen, dass das retrospektiv noch erfüllt wird. Das wäre etwas sehr Wichtiges.

(Beifall bei den LINKEN)

Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass die Krankenhäuser – – Frau Lang oder Herr Wehner haben es richtig gesagt: Es gibt noch zu wenig unentdeckte Spender. Das liegt aber auch daran, dass man diese Karte im Portemonnaie hat – ich als Schnäppchenjägerin habe gefühlte hunderttausend davon, wie das so ist, auch von den Kindern hat man Ausweise usw.

Wenn man in ein Krankenhaus kommt und einen Motorradunfall hat – mir wurde soeben erzählt, bei „In aller Freundschaft“ habe es gestern auch eine Rolle gespielt –, dann muss das Personal die gesamten Sachen durchforsten, um überhaupt das Ding zu finden. Das sind alles Barrieren, zu denen man, mit Verlaub, keine Zeit hat. Außerdem bleiben auch sehr viele Krankenhäuser auf den Entnahmekosten sitzen. Das kann auch nicht sein. Herr Spahn will es jetzt ändern. Ich hoffe, das wird auch so beschlossen, denn besprochen wird ja viel.

Diese wichtigen Rahmenbedingungen müssen erst geregelt werden, bevor man über die Widerspruchsregelung spricht, denn unter Umständen läuft man jetzt Gefahr, dass man ein Ding von vornherein beerdigt, bevor man die Bedingungen geschaffen hat. Mit dem einen Spender pro 100 000 Einwohner sehen wir dieses deutliche Missverhältnis, und es ist auch nicht der Fall, dass man von Enteignung der Organe und von einer Ausschlachtbank sprechen kann, als ob der Staat zähnefletschend dastehen und sagen würde: „Ich brauche deine Organe!“. Das ist eine völlig überzogene Debatte. Dass man diese ethisch führen muss und religiöse Gründe haben kann, ist doch völlig klar. Auf diesen Weg müssen wir uns auch begeben. Deshalb ist es toll, dass Sie neben den gesamten Schauplätzen, die wir im Freistaat Sachsen haben, heute dieses Thema setzen. Das erkenne ich Ihnen hoch an.

Letztendlich kostet es aber auch wieder Zeit, die unter Umständen verlorengeht. Ich hoffe, dass Sie sich als Staatsregierung im Bund dafür einsetzen, dass schnell etwas entschieden wird und man sich mit den Akteurinnen und Akteuren an einen Tisch setzt. Wir müssen aber auch mit dem Aberglauben aufräumen und mehr beraten. Diese Dinge müssen wir vorher klären. Die Spendenbereitschaft – Herr Wehner, es stimmt alles, was Sie gesagt haben –; aber eigentlich haben nur maximal 35 % der Bevölkerung überhaupt einen Spenderausweis. Wenn Sie dann die

35 % von 100 % nehmen und dann wiederum bedenken, dass von den 35 % nur die Hälfte –

Bitte kommen Sie zum Schluss.

– infrage kommt, dann sehen Sie, wie gering der Ansatz ist. Ich als Krankenschwester aus dem OP-Saal bin eine glühende Verfechterin der Widerspruchslösung,

Frau Schaper, bitte!

– denn wenn man tot ist, ist man tot. Dann braucht man seine Organe nicht mehr. Und nebenbei bemerkt, auch später nicht noch mal.

Frau Schaper!

Es war noch Luft in der Lunge.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN – Allgemeine Heiterkeit)

Die AfD-Fraktion; Herr Abg. Wendt, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Das heutige Debattenthema ist ohne Zweifel ein wichtiges Thema. Das ist schon herausgestellt worden. Es ist nicht nur wichtig, weil seit dem letzten Skandal die Zahl der Organspenden massiv zurückgegangen ist, sondern weil die meisten von uns in der Not ein gespendetes Organ nicht ausschlagen würden.

In Deutschland gab es im letzten Jahr weniger als 800 Organspenden bei mehr als 10 000 schwer kranken Menschen, die händeringend auf ein passendes Organ warten. Obwohl, wie bereits angesprochen, über 80 % unserer Bevölkerung einer Organspende positiv gegenüberstehen, gibt es nur etwa ein Drittel, die einen Organspendeausweis besitzen. Das sind nun einmal die Fakten, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.

Deshalb ist es auf den ersten Blick nicht verwunderlich, wenn Bundesgesundheitsminister Spahn, Frau Merkel und Sie, Frau Staatsministerin Klepsch, neidvoll zum Transplantationsweltmeister Spanien blicken. Spanien hat eine fast fünfmal höhere Organspendenrate als Deutschland. Ob dies jedoch alleinig an der Widerspruchslösung liegt, für die Sie sich gerade starkmachen, wagen wir zu bezweifeln, denn in den ersten zehn Jahren nach der Widerspruchsregelung in Spanien war keine Zunahme bei gespendeten Organen zu verzeichnen. Erst in einer breiten Aufklärungskampagne, der Einführung unabhängiger Transplantationsbeauftragter und der perfekten Organisation in den Krankenhäusern sind die Zahlen angestiegen.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass in Spanien die Organe von Herztoten entnommen werden dürfen. Diese Tatsache erhöht die Anzahl der potenziellen Spender um

ein Vielfaches. In Deutschland hingegen kommen nur Patienten in Betracht, bei denen ein Hirntod nachgewiesen werden kann. Der Hirntod ist aber sehr selten. Deshalb werden – auch wenn die Spendenbereitschaft wieder steigt – nie ausreichend Organe zur Verfügung stehen, um den Bedarf decken zu können. Selbst in Spanien konnte zwar die Wartezeit verringert, aber nicht die Nachfrage gedeckt werden.

Liest man im Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation nach, ist festzustellen, dass es im Jahr 2017 gerade einmal 2 232 organspendenbezogene Kontakte gab. Daraus resultierten 797 Organspender; die anderen 1 435 Kontakte führten aus verschiedenen Gründen nicht zur Spende. Gründe hierfür waren medizinische Kontraindikationen, keine Todesfeststellung oder die fehlende Zustimmung der Angehörigen, die bei circa 50 % lag.

Grundsätzlich ist jedoch zu sagen, dass die Zahl der potenziellen Organspender höher liegt. Schätzungen gehen von 3 000 bis 5 000, ja sogar 8 000 aus, die aber aufgrund personeller, struktureller und organisatorischer Probleme in den Krankenhäusern nicht in Gänze identifiziert und gemeldet werden können. Genau hier gilt es anzusetzen.

Die Krankenhäuser müssen zwingend dazu befähigt werden, nach potenziellen Spendern Ausschau zu halten und Kontakt mit den Angehörigen aufzunehmen, um nötigenfalls das Einverständnis einzuholen. Das macht aber eine Aufwertung und Stärkung des jeweiligen Transplantationsbeauftragten zwingend notwendig.

Zudem müssen Organentnahmen, die für die Krankenhäuser derzeit noch ein Minusgeschäft sind, besser vergütet werden, damit es nicht zu einem weiteren Rückgang kommt.

Zusätzlich benötigen wir eine viel bessere Aufklärung, da sich circa 50 % der Bundesbürger schlecht informiert fühlen. Des Weiteren muss verlorengegangenes Vertrauen wiederhergestellt werden.

Das sind die wichtigen Punkte, die auf die Tagesordnung gehören. Packen wir es an, es gibt viel zu tun! Zur Widerspruchslösung werde ich mich in der zweiten Runde äußern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Abg. Zschocke. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde den Titel der Aktuellen Debatte schon recht provokant. Die Entscheidung zur Organspende wird von der Koalition also zugespitzt auf den Gegensatz von Verweigerung versus Vertrauen. Die Provokation ist vielleicht gewollt, aber ich finde diese Zuspitzung schon gewagt, denn die Entscheidung, seine Organe nach dem Tod zu spenden, ist und bleibt eine

höchst persönliche Entscheidung. Ähnlich wie bei dem sensiblen Thema Sterbehilfe gibt es hier eben kein „richtig“ oder „falsch“. Auch die Frage, ob man nun für oder gegen die Einführung einer Widerspruchslösung ist, ist am Ende, wenn man es genau betrachtet, eine Gewissensfrage.

Dass die Aktuelle Debatte notwendig ist, liegt auf der Hand. Der Vorstoß des Bundesgesundheitsministers hat diese Debatte in der Gesellschaft bereits breit ausgelöst. Die Zahlen der Transplantationen sind bundesweit auf einem Tiefstand angelangt; das nehme ich natürlich zur Kenntnis.

Aber die Ursachen für die geringe Zahl an Organspenden sind nach wie vor diffus. Möglich sind nachhaltig wirkende Vertrauensverluste durch Spendenskandale, möglich ist auch, dass das Organisationsverfahren für Organspenden in der Praxis eben noch nicht wirklich gut funktioniert. Möglicherweise ist auch das Pflege- und Arztpersonal hier und da von dem Prozedere der Organspende noch überfordert. Das beginnt ja bei der Pflege eines Hirntoten und reicht bis hin zum operativen Eingriff in einen Körper, dessen Muskeln und Reflexe noch ansprechen. Möglicherweise gibt es auch noch Informationsdefizite hinsichtlich der Frage des Hirntods.

Es kann also eine ganze Reihe von Gründen für die geringe Anzahl von Organspenden geben – Gründe, die überhaupt nichts mit der Frage „Einwilligung oder Widerspruch?“ zu tun haben. Ich finde es nicht hilfreich, wenn der Eindruck entsteht, die Einführung einer Widerspruchslösung sei jetzt die einzige Möglichkeit, endlich die Spendenbereitschaft zu erhöhen.

Eine Widerspruchslösung – das möchte ich so deutlich sagen – stellt einen sehr tiefen Eingriff in das Selbstverfügungsrecht über den eigenen Körper dar. Wir werden dadurch alle potenzielle Organspender, es sei denn, wir widersprechen zu Lebzeiten – oder unsere Angehörigen nach unserem Tod. Die Widerspruchslösung macht aus einem Akt der Solidarität und der Freiwilligkeit einen Pflichtakt, weil ich widersprechen muss.

Ich möchte deutlich unterstreichen, dass ich für Organtransplantationen und für eine Erhöhung der Spendenzahl bin. Ich werbe auch für das Mitführen von Spenderausweisen und habe solche in meinen Büros liegen; wir verteilen auch Spenderausweise. Aber ich muss respektieren, wenn sich Menschen mit der Frage der Organspende nicht beschäftigen wollen.

Nun haben die Vorredner ja deutlich gemacht, dass durch die Widerspruchslösung niemand gezwungen werde, seine Organe zu spenden. Ja, das ist richtig. Ich kenne auch die Meinung, dass es ja keine große Zumutung sei, eine Erklärung abzugeben. Aber die Vorstellung, dass all diejenigen, die sich zu dieser Entscheidung eben nicht nötigen lassen wollen, jetzt automatisch in eine gesetzliche Organabgabepflicht geraten, kann das Vertrauen in Organspenden oder die Akzeptanz sogar noch mehr erschüttern. Deshalb sind wir alle aufgefordert, diese

Debatte sehr verantwortungsvoll zu führen. Darauf hat Frau Schaper hingewiesen.

Der Erfolg der Organspende hängt nicht allein von Einwilligung oder Widerspruch ab, sondern auch von den Bedingungen in den Kliniken. In der Debatte zum Transplantationsgesetz habe ich hier gefordert, dass beispielsweise die Freistellung der damit Beauftragten auch in unserem sächsischen Ausführungsgesetz verbindlicher geregelt wird, weil deren wichtige Aufgabe sich nicht einfach so nebenbei miterledigt. In der Anhörung ist deutlich geworden, welche zeitlichen Aufwendungen das bedeutet. Die Transplantationsbeauftragten brauchen diese Zeit, um das Vertrauen der Angehörigen aufzubauen.

Auch die finanzielle Entschädigung für die Krankenhäuser – die Vorredner haben darauf hingewiesen –, die eine Organspende melden und Transplantationen durchführen, muss unbedingt erst einmal verbessert werden, auch das gesamte dahinterliegende Organisationsmanagement.

Meine Damen und Herren! All dies muss doch erst einmal ernsthaft umgesetzt werden, bevor eine Gesetzesänderung mit sehr weitreichenden Eingriffen in die individuellen Rechte vorangetrieben wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)