Protokoll der Sitzung vom 26.09.2018

Wenn Sie Brandenburg zitieren, dann müssen Sie einmal nachschauen, wann und wie Brandenburg sein Schulsystem nach der Wiedervereinigung reformiert hat und wer dort eine ganze Zeitlang – ich glaube, mindestens so lange wie die CDU in Sachsen – allein an der Regierung gewesen ist. Da hat es das längere gemeinsame Lernen, die sogenannten Gesamtschulen, in Brandenburg schon gegeben, nämlich von Anfang an seit der Wiedervereinigung.

(Zuruf von den LINKEN)

Ja, es ist so. Da ist nichts mit „Die führen das jetzt ein.“ Wenn Sie sich die Länder anschauen, die sich möglicherweise auf den Weg machen oder sich vor Jahren auf den Weg gemacht haben, und sich deren Bildungserfolge vor Ort anschauen, dann müssten doch selbst Sie zu dem Schluss kommen, dass zwischen Schulstruktur und Bildungserfolg ein direkter Zusammenhang besteht. Das ist erst recht der Fall, wenn man sich Baden-Württemberg oder Hamburg anschaut nach den chaotischen Zuständen, die es dort gegeben hat – ich gebe auch zu, unter Beteiligung der CDU; wir wissen alle von diesem Schulmodell –, was dort passiert ist und auch was passiert ist, seitdem die SPD wieder am Ruder ist und noch einmal an der Reformschraube gedreht hat.

Es führt überhaupt nicht dazu, dass Schüler besser qualifiziert, anders sozialisiert aus der Schule kommen, sondern es führt einzig und allein zu folgendem Fakt: Wer in der jetzigen Zeit in irgendeiner Art und Weise das Messer, das Schwert, das Beil oder sonst irgendetwas an die Schulstruktur legt, der spielt einerseits mit dem Feuer und stellt andererseits die Qualität infrage, die wir – Gott sei Dank! – im Freistaat Sachsen haben, bei allen Herausforderungen und Anstrengungen, die insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer unternehmen, um gute Schule zu machen, und der spielt mit der Zukunft unserer Kinder im Freistaat Sachsen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung – Petra Zais, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Ich glaube auch, Frau Falken, dass das vielleicht ein Grund ist, warum der eine oder andere in diesem Land, wenn man sich einmal intensiver über das Thema unterhält, sich fragt, ob das in der jetzigen Situation der richtige Schritt ist.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Zais, bitte.

Sie haben jetzt darauf verwiesen, dass es sozusagen um strukturelle Veränderungen geht. Die Kollegin Falken hat aber davon gesprochen – wie es richtigerweise ist –, dass es eine freiwillige Lösung ist, um den Schulfrieden zu wahren. Warum fürchten Sie sich so vor einer freiwilligen Lösung?

Frau Zais, ich fürchte mich vor überhaupt nichts, und ich sage Ihnen mal ganz ehrlich, bis gestern oder bis vorgestern gab es nichts anderes als eine Pressekonferenz mit einer Loseblattsammlung in einer hübsch gestalteten Mappe, und es war überhaupt nichts klar – bis auf die grobe Aussage, das soll alles freiwillig sein, der Schulträger muss sich gemeinsam mit der Schulkonferenz einig sein und so weiter und so fort.

Lassen Sie uns doch erst einmal das diskutieren, was Sie jetzt auf den Tisch gelegt haben. Was ich hier tue, ist, mich grundsätzlich gegen Feldversuche und gegen Schulversuche, die in der jetzigen Situation einzig und allein zulasten unseres Systems, zulasten von Qualität und zulasten der Zukunft unserer Kinder gehen, zu verwahren, und das werde ich auch weiterhin tun. Da fürchte ich mich im Übrigen vor überhaupt nichts, Frau Falken.

Fakt ist eines – und das ist hier schon mehrfach genannt worden –: Wir haben Herausforderungen nicht nur beim Thema Lehrermangel, aber wenn Sie bei Google allein das Wort Lehrermangel eingeben – ich habe es vorhin gerade noch einmal getan –, dann finden Sie so gut wie kein Bundesland – Hessen ist so eine leichte Ausnahme –, wo Sie nicht das zugeordnete Wort Lehrermangel finden. Schauen Sie sich doch einmal an: Niedersachsen, NRW. NRW überlegt jetzt, in irgendeiner Art und Weise Modelle von Berlin aufzugreifen. Es ist alles so noch schizophren. Und woran liegt das? Ich meine, es ist ja nun auch festgestellt worden, dass insbesondere im Grundschulbereich aufgrund von vermeintlichen Nichtnotwendigkeiten und bei Förderschulen wegen meistens Nichtinteresses seitens der Studierenden einfach zu wenig Lehrer ausgebildet worden sind, und jetzt hat die ganze Bundesrepublik das Problem.

Es ist doch schizophren, jetzt anzukommen und zu sagen – als das Bundesland, was in den Strukturen, was in der Bildungsqualität seit Jahren gute Ergebnisse attestiert bekommt –, ich lege jetzt einmal das Messer oder sonst irgendwas an die Struktur in unserem System. Das ist doch völlig schizophren!

Gehen wir doch lieber erst einmal den Weg in unserem System und klären die Probleme, die hier zu klären sind, und da sind einige genannt worden. Ich möchte nur einmal ein paar Dinge nennen, wie zum Beispiel die stärkere Fokussierung auf den einzelnen Schüler, damit er ordentlich vorbereitet ins Leben starten kann – das lösen Sie nicht mit einer Einheitsschule –, oder das Thema – Frau Friedel hat es angesprochen –, Lehrpläne auf den neusten Stand unserer gesellschaftlichen Entwicklung zu bringen. Dazu gehört das Thema Digitalisierung im Unterricht, dazu gehört das Thema Inklusion, dazu gehört das Thema Umgang mit Migration in und außerhalb der

Schule, dazu gehört zum Beispiel auch das Thema: Wie wirkt unser Maßnahmenpaket zum Beispiel dann tatsächlich auf die freie Schullandschaft? Was müssen wir möglicherweise dort nachsteuern, weil wir auch in diesem Bereich laut unserer Sächsischen Verfassung wesentlich weiter sind als die anderen Bundesländer? Wir kennen die ganzen Diskussionen und Urteile.

Es darf auch nicht passieren, dass die freien Schulen unter unserem Maßnahmenpaket leiden. Aber lassen Sie uns diese Herausforderungen anpacken, anstatt in irgendeiner Weise an die Grundfesten des Systems zu gehen.

Damit bin ich bei einem weiteren Punkt, dem Thema Teilzeit. Ich bin selten mit Uschi Kruse einer Meinung, aber am letzten Freitag in der Anhörung waren wir es. Ich vertrete mittlerweile die Auffassung, dass wir künftig zwei Personen für ein VZÄ Lehramt ausbilden werden. Wir haben momentan knapp 40 % Teilzeitquote in unseren Schulen. Jetzt kann man sich darüber unterhalten, woran das liegt. Es mag auch berechtigte Gründe dafür geben – die Welt ist eine andere geworden; die Welt ist aber auch deshalb eine andere geworden, weil es heute leider den gesellschaftlichen Drang danach gibt, weniger arbeiten zu wollen und am besten dabei das gleiche Geld zu verdienen und nicht in Altersarmut zu fallen oder Sonstiges –, aber die Leistungsbereitschaft nimmt ab. Deshalb sollten wir darüber reden, wie wir künftig mit diesem Fakt umgehen, dass der Lehrer nach dem Studium sagt: Ich fange mit 15 oder 18 Unterrichtsstunden an anstatt mit 26.

Das sind Herausforderungen, die künftig die Qualität bestimmen werden, die wir in der Schule brauchen.

Bitte zum Ende kommen.

– Ich komme zum Ende.

Ich bin verdammt stolz darauf, dass wir nach wie vor die Qualität halten. Frau Falken, dass Ihre Debatte heute völlig fehl am Platz ist, sehen Sie einfach daran, dass es zum neuen Schuljahr noch überhaupt keine Unterrichtsausfallzahlen gibt, sondern die Zahlen, die der Kultusminister am Freitag im Schulausschuss genannt hat, sind Zahlen des letzten Schulmonats des alten Schuljahres. So viel zu Ihrem Thema und Ihrer Debatte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD – Zuruf der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE)

Frau Friedel, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich mache das mit der zweiten Runde selten, aber heute doch einmal, weil es zum Teil eine Gemeinschaftsschuldebatte geworden ist.

Der Ministerpräsident hat gestern Abend von genau dieser Stelle aus den Volksantrag angesprochen und natürlich keinen Zweifel daran gelassen, dass er das momentan für

keine gute Idee hält. Er sagt aber auch, für alle, die das Projekt nicht unterstützen, sei es eine gute Gelegenheit, die eigenen Argumente zu schärfen und zu schauen, ob man wirklich überall richtigliegt. Das finde ich einen sehr schönen und pragmatischen Zugang und insofern danke ich auch den Kollegen aus der Koalitionsfraktion, dass sie genau das unternehmen und prüfen, ob die Argumente geschärft werden können und wirklich standhalten.

Man kann über die Gemeinschaftsschule viel reden – es geht hier nicht nur um eine Strukturfrage. Es geht nicht einmal vordergründig um eine Strukturfrage. Kollege Bienst hat recht. Alle wissenschaftlichen Untersuchungen, die wir kennen, sagen: Die Schulstruktur hat einen sehr nachgeordneten Einfluss und viel wichtiger als das ist die Art und Weise des Unterrichts, die Persönlichkeit des Lehrers, das Klima, das in der Schule herrscht, und wie Lernfreude gefördert werden kann.

Worum es geht – und dafür ist die Möglichkeit der Gemeinschaftsschule ein Vehikel –, ist, dafür zu sorgen, dass der Unterricht so werden kann, dass die Lehrkräfte so werden können wie benötigt.

Ich greife das Beispiel vom ländlichen Raum auf: Wir leisten uns einen sehr ineffizienten und teuren Einsatz von Ressourcen, indem wir parallel das Oberschulsystem und das Gymnasialsystem im ländlichen Raum in voller Kapazität von Klasse 5 bis 12 überall aufrechterhalten. Das führt dazu, dass die Schulwege zu jeder einzelnen der beiden Schularten doppelt so lang werden, weil wir die Schulen nicht zusammen haben.

(Widerspruch bei und Zurufe von der CDU)

Das ist ein ganz pragmatischer Zugang, um sich zu überlegen: Wie kann ich Kindern mehr Zeit für Bildung geben? Indem ich ihnen beispielsweise den Schulweg reduziere und ihnen diese enorme psychische Belastung erspare, nach der 4. Klasse in ein völlig neues Kollektiv zu kommen, sich wieder die eigene Stellung erobern zu müssen, wieder neue Lehrer kennenlernen zu müssen, wieder eine neue Beziehung aufzubauen. Wie kann ich das Kindern ersparen oder zumindest abmildern? Da sind Gemeinschaftsschulen eine Möglichkeit, genauso wie sie eine Möglichkeit dafür sind, Vielfalt und Heterogenität zum Motor im Unterricht zu machen.

Wir hören so oft, dass die heterogenen Klassen ein Hindernis seien. Nur, genauso wie man anerkennen muss, dass die Teilzeitquote bei Lehrkräften steigt und wir künftig zwei Ausbildungsplätze für eine Lehrerstelle brauchen, muss man auch anerkennen, dass Vielfalt und Heterogenität in unserer Welt zu- und eben nicht abnehmen. Wir müssen uns langfristig die Frage stellen, was die geeignete Antwort darauf ist. Versuchen wir künftig noch mehr zu sortieren und machen drei, vier oder fünf Schularten, damit wir die einzelnen möglichst homogen behandeln und fünf Schubladen von Menschen statt bisher zwei kreieren, oder gestalten wir Schule und Unterricht so, dass Vielfalt und Heterogenität zum Motor von Wissen werden?

Wir wissen, wie es geht, wir haben es beim jahrgangsübergreifenden Unterricht gehört. Dort haben wir mehr Heterogenität als in einer altersstufenkonformen Klasse, und alle Lehrkräfte haben uns erzählt, mit den richtigen Methoden lernen die Schüler voneinander, wir bekommen viel mehr zurück, wir haben viel mehr Sozialkompetenz, wir haben aber auch viel mehr Bildungserfolg.

Es geht bei dieser Gemeinschaftsschuldebatte gar nicht so sehr um Schulstruktur. Man kann so eine Art neuen Unterricht, von dem ich spreche, auch ohne Gemeinschaftsschule machen – es wird nur schwerer. Man kann ein dichtes Schulnetz im ländlichen Raum auch ohne Gemeinschaftsschulen zu bauen versuchen – es wird nur teurer.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Das stimmt doch gar nicht! – Weitere Zurufe von der CDU)

Das ist der Punkt. Gemeinschaftsschulen bieten eine Möglichkeit, eigentliche Ziele, die wir gern erreichen wollen – und die wollen wir doch alle zusammen erreichen: ein dichtes Schulnetz im ländlichen Raum, einen guten Umgang mit Heterogenität und Vielfalt –, tatsächlich zu erreichen. Ich finde, das kann man doch ruhig einmal ausprobieren, wenn es woanders funktioniert.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Für die AfD-Fraktion Frau Abg. Wilke; bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch noch einmal auf meine Vorredner eingehen – Stichwort Gemeinschaftsschule. Es ist tatsächlich so, Frau Zais, dass eine große Mehrheit der AfD die Gemeinschaftsschule befürwortet. Es gibt viele Parteimitglieder, die in ihrer Schulzeit gute Erfahrungen mit dem Klassenkollektiv gemacht haben – ich allerdings habe diese Erfahrungen nicht gemacht.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Auch unser Kultusminister wollte Vorschläge. Wir denken, dass wir im Augenblick in Sachsen mit dem Unterrichtsausfall und Lehrermangel an eine Grenze gekommen sind, wo man über neue Wege nachdenken muss. So hat sich die AfD-Fraktion dazu durchgerungen, sich diesem Projekt Gemeinschaftsschule anzunähern und das zu befürworten.

(Steve Ittershagen, CDU: Das hat der AfD- Vertreter gestern Abend aber anders erzählt!)

Ich komme zurück auf Staatsregierung und Regierungskoalition, die sich als letztem Strohhalm an die Verbeamtung geklammert und auf eine wundersame Vermehrung der Lehrer gehofft haben. Dieses wird noch einige Zeit auf sich warten lassen. In jedem Fall war es eine Hunderte

Millionen Euro teure Entscheidung für jetzt und bis in alle Ewigkeit, eine unüberbrückbare Spaltung des Lehrkörpers inklusive. Ich möchte nicht hoffen, dass sich die Lehrerverbeamtung als Pyrrhus-Sieg entpuppt, wenn alle Ü-42Lehrer jetzt noch demotivierter am Limit arbeiten. Obwohl es offensichtlich ist, in welch schlechte Lage die CDU Sachsens –

Bitte zum Schluss kommen!

– die Schulen manövriert hat – drei Kulturminister innerhalb einer Legislatur –, versuchen Sie immer noch, uns Sand in die Augen zu streuen und eine heile Schulwelt – –

Frau Wilke, bitte!

Wir werden das ändern.