Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der Abg. Iris Raether-Lordieck, SPD)

Nein, das ist unglaublich. Sie haben vorhin selbst irgendwelche Zahlen genannt. Es gibt im Übrigen nur wildeste Schätzungen. Die Zahlen reichen bis zu 60 000; es sind italienische Behörden, die diese Zahlen schätzen. 60 000 Menschen, die in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken sind – das sind einfach unglaublich viele Menschenleben.

Sie haben selbst dargelegt, wie viele Prozent denn ankommen und wie viele losfahren. Wenn Boote losfahren, kommen die meisten rüber, so seeuntüchtig sie sind. Nur ist es ein erschreckend hoher Anteil, der untergeht. Sie widersprechen sich selbst, wenn Sie erzählen, kein Boot komme irgendwo anders an.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Günther?

Herr Wippel, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege Günther! Ich frage jetzt einfach einmal ganz klipp und klar: Ist es weniger schlecht, wenn 500 Menschen im Mittelmeer ertrinken und keine Seenotrettung stattfindet, oder ist es weniger schlecht, wenn 3 500 Menschen oder 5 000 Menschen im Mittelmeer ertrinken und Seenotrettung stattfindet?

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Genau! Das zeigt Ihre menschenverachtende Haltung! – Starke Unruhe)

Das kann man Ihnen ganz klar beantworten. Für einen zivilisierten Menschen ist jeder einzelne Tod eines Menschen einer zu viel. Aber es gibt Ihre Kausalität nicht, dass Menschen ertrinken, weil sie gerettet werden würden. Das ist eine absurde Überlegung, die Sie da aufstellen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN, der SPD und vereinzelt bei der CDU – André Barth, AfD: Nein, weil die Erwartung auf Rettung da ist!)

Im Übrigen, weil Sie immer vom „verlängerten Arm der Schlepper“ sprechen: Genau die Seenotretter sind es, die Boote zerstören. Das Absurde ist, dass sie am Zerstören der Boote teilweise noch von den Küstenwachen, etwa Libyens, gehindert werden, weil diese teilweise ein Bestandteil dieser Schleppernetzwerke sind. Die Seenotrettung will also nicht, dass das weitergeht, deswegen diese Bootszerstörungen. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

Die Schätzungen reichen bis 60 000. Wir müssen sehen, dass das nicht so weitergeht. Jedes tragisch beendete Menschenleben ist ein Tod zu viel. Wir brauchen endlich ein System, das an der Wurzel ansetzt, weshalb dort Menschen überhaupt aufs Meer gehen.

(André Barth, AfD: Da haben Sie recht!)

Wir müssen die Fluchtursachen angehen. Wenn Menschen auf dem Meer sind, müssen wir als EU so weit kommen, dass wir es in den Griff bekommen, die Seenotrettung zu organisieren. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Menschen das unter Einsatz ihres privaten Vermögens tun.

Ich danke erst einmal allen Debattenteilnehmern aus den anderen Fraktionen – bis auf Sie auf der rechten Seite – für ihre wirklich sachdienlichen Beiträge. Es war auch unser Ansatz, einmal ein gemeinsames Zeichen aus dem Landtag heraus zu setzen, wie wir hier im Sächsischen Landtag solche Initiativen zur Rettung von Menschenleben betrachten.

(Zuruf des Abg. André Barth, AfD)

Wirklich enttäuscht bin ich, wenn ich hier herüberschaue und sehe, dass die linke Regierungsbank einfach komplett leer ist. Der Ministerpräsident hat sich dazu weder im Sommer geäußert, noch gedenkt er jetzt, hier dabei zu sein.

Ich glaube, von uns aus dem Landtag sollte ein klares Zeichen ausgehen: Für uns, für alle zivilisierten Menschen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass alles getan werden muss, um jedes Menschenleben zu retten – wo auch immer das passiert –, und dass wir jenen gemeinsam unsere Unterstützung und Anerkennung aussprechen, die Seenotrettung betreiben.

Das dürfen wir nicht mit Schlagworten wie „verlängerter Arm der Schlepper“ belegen. Das ist einfach eine Diffamierung. Wir müssen das hier in ein positives Bild bringen. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir das wirklich gemeinsam hinbekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Uwe Wurlitzer, fraktionslos, steht am Mikrofon.)

Eine Kurzintervention? – Herr Wurlitzer, bitte.

Sehr geehrter Herr Günther, ich habe totales Verständnis für Ihr Anliegen. Aber ich glaube, dass die Debatte immer noch in die falsche Richtung geht. Wir bräuchten die Seenotrettung nicht, wenn wir über die Ursachen sprechen würden. Das haben Sie jetzt mit einem winzigen Satz getan. Ansonsten reden wir die ganze Zeit über die Seenotrettung. Wenn wir die Politik – –

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Weil sie aktuell ist!)

Jetzt lassen Sie mich ausreden! Sie haben mir vorhin schon Redezeit geklaut! Das ist unmöglich, ich habe anderthalb Minuten!

(André Barth, AfD: Seien Sie ruhig, Frau Köditz!)

Wenn wir über die Fluchtursachen sprechen, wenn wir die Leute also nicht die ganze Zeit nach Deutschland oder Europa einladen würden, dann wäre dieses ganze Problem nicht vorhanden!

(Unruhe bei den LINKEN)

Darüber reden wir an der Stelle viel zu wenig. Natürlich ist das persönliche Engagement der Seenotretter zu unterstützen und auch zu schätzen – das sage ich ganz klar und deutlich –, aber wir bräuchten die Seenotretter überhaupt nicht, wenn sich die Leute erst gar nicht auf den Weg hierher machen würden, wenn wir die Leute vor Ort unterstützen würden.

Vielen Dank.

(Juliane Nagel, DIE LINKE: Das ist doch alles Quatsch! – Wolfram Günther, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Herr Günther, bitte.

Erstens gibt es niemanden, der Menschen aus der Welt hierher einlädt, und zweitens

bin ich gegen diese ganzen Märchen, wir hätten die Grenzen aufgemacht. Wir leben Gott sei Dank in einem Land mit offenen Grenzen, die erst danach geschlossen wurden. Das sind immer diese ganzen Märchen, die Sie erzählen.

Wir haben diese Aktuelle Debatte aus einem ganz wichtigen Grund gemacht. Wir erinnern uns nämlich ganz genau daran, wie im Sommer die Schlagzeilen durch diese Ereignisse auf Malta bestimmt wurden. Es gab auch andere Dinge, die mir wirklich einen Schauer über den Rücken gejagt haben: Hier in Dresden, bei PegidaDemonstrationen, als es darum ging, dass Menschen auf dem Meer ertrinken, wurde „Absaufen! Absaufen!“ gerufen.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: So ist es!)

Das geschah im Umfeld von Pegida und von denen, die Sie unterstützen! Deshalb ist es mehr als notwendig, dass wir ein Gegenzeichen setzen!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Heute geht es um die Seenotrettung und um Fluchtursachen. Das ist ein sehr weites Thema. Wir können bei jeder Aktuellen Debatte sagen, wir müssen noch darüber und darüber reden, aber heute reden wir über die Seenotrettung und vor allen Dingen über diese infamen Vorwürfe, die den Rettern gemacht werden, und diese Kriminalisierung. Das ist als Debattenthema mehr als ausreichend, das mal hinzubekommen, und ich merke auch an Ihren Reaktionen, dass noch einiges an Aufklärungsarbeit nötig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, den LINKEN und der SPD)

Die CDUFraktion; Herr Schiemann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal deutlich machen, wir haben als CDU-Fraktion Respekt vor jedem Menschen, der einem anderen Menschen das Leben rettet, ob zu Land, zur See, vielleicht gibt es auch noch andere Orte – unter der Erde oder in der Luft. Das wollte ich noch einmal ganz deutlich machen. Es macht uns zu Menschen, anderen Menschen Hilfe zu leisten.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Die Debatte zeigt aber auch, dass wir einen stärkeren Diskurs über Migration brauchen. Bei diesem Diskurs wird es nicht nur Gute und Schlechte geben, sondern es wird Menschen geben müssen, die Verantwortung für diese Fragen der Migration übernehmen, denn so eine Migration aus Afrika hat Europa bisher in dieser Dimension noch nie erlebt. Ich glaube, dass es dazugehört, darüber zu sprechen. Ich muss sagen, Frau Kollegin, das Ergebnis in der Gesellschaft steht noch nicht fest. Ich würde davor warnen, wenn sich jemand einbildet, nur

seine eigene Meinung wird das Prägende in einer Diskussion zum Thema Migration sein. Wenn sich nämlich innerhalb der Gesellschaft die Diskutanten nicht aufeinander zubewegen wollen, dann werden wir alle beim Thema Migration verlieren, damit das auch mal klar ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fluchtursachen zu bekämpfen ist etwas ganz Wichtiges, aber bei der Frage Seenotrettung darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass die Schiffe mit Transpondern ausgestattet sind. Die Schlepper sind in den letzten fünf Jahren so reich geworden und haben so viel Geld, dass sie ganz genau orten können, an welcher Stelle sie ihre Schlauchboote losschicken. Das gehört auch zum Problem, welches man nicht außer Acht lassen darf. Dann besteht die Möglichkeit, die Gummiboote mit 110 Menschen loszuschicken, wo jeder weiß, dass die nicht weiter als fünf oder zehn Kilometer kommen. Dann besteht die Gefahr, dass man sich in die Zwölf-Kilometer-Zone begeben muss, um den Menschen zu helfen. Das gehört auch zur Ehrlichkeit der Debatte dazu. Das ist etwas Praktisches, wo wir überlegen müssen.

Wir brauchen eine neue Herangehensweise an das Thema Seenotrettung. Die klassische Seenotrettung ist aus der Geschichte entstanden, dass Menschen im Mittelalter anderen geholfen haben. Jetzt haben wir nicht mehr 20 oder 30 Personen zu retten, sondern jetzt sind Tausende zu retten. Dazu brauche ich neue Rahmenbedingungen, über die wir eine Diskussion führen müssen. Die Europäische Union führt diese Diskussion. Es gibt auch ein Signal aus Salzburg, wo man sich zunächst über die Möglichkeiten unterhalten hat. Wir unterstützen alle Bemühungen der EU, Gespräche mit den Staaten Nordafrikas zu führen, die dieses gefährliche Treiben der Schlepper beenden müssen. Ziel wäre ein ähnliches Abkommen mit Ägypten wie das mit der Türkei. In einigen Monaten wird die Arabische Liga darüber sprechen, ob eine Möglichkeit dazu besteht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seenotrettung ist das eine, Bekämpfung des Schlepperunwesens, der schlimmsten Kriminalitätsform der Organisierten Kriminalität, das andere. Dort müssen genauso Zeichen gesetzt werden. Nur so werden wir verhindern können, dass weiter Menschen im Mittelmeer ertrinken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Die Linksfraktion, bitte. Frau Abg. Nagel.