Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

Die Linksfraktion, bitte. Frau Meiwald.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Staatsminister, ich habe eine Frage nach einem Plan B. Sie haben das ehrgeizige Ziel angesprochen, dass der Mehrjährige Finanzrahmen im Mai 2019 beschlussreif ist. Was passiert, wenn das nicht so kommt, wenn es zu Verzögerungen kommt? Welchen Plan hat die Staatsregierung, Verzögerungen in der Mittelvergabe im Freistaat Sachsen zu kompensieren? Oder wie kann man das ausgleichen? Wie ist der Plan B?

Oliver Schenk, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Vielen Dank. Ich glaube, wir müssen in dem Zusammenhang zwei Dinge im Blick behalten. Das eine ist: Sollte es tatsächlich im nächsten Jahr nicht zu der Verabschiedung kommen, spricht vieles dafür, dass es dann erst unter dem deutschen Vorsitz in der zweiten Jahreshälfte 2020 passieren wird. Wir haben nächstes Jahr im Mai die Europawahl. Wir werden danach die Bildung einer Kommission haben. Dann muss sich das erst einschwingen. Dann wird man sicherlich in Europa die Erwartung haben, dass die Bundesrepublik in ihrem Vorsitz in der zweiten Jahreshälfte 2020 zügig agiert. Das ist nicht mein Wunschszenario, aber man muss es im Blick behalten.

Deshalb werden wir argumentieren, dass man zum einen die bestehenden Regelungen fortführt, damit es keinen Abbruch in der Förderung gibt, also die bestehenden Regelungen aus der jetzigen Förderperiode weiter gelten. Das Zweite ist: Das werden wir hier innerhalb der Staatsregierung machen. Wir müssen schauen, dass die Strukturen für die Administration der gesamten europäischen Förderung, die wir bei uns im Land aufgebaut haben, so stabilisiert werden, dass wir sie nahtlos im Übergang zur nächsten Förderperiode nutzen können.

Dazu gibt es eine Arbeitsgruppe verschiedener Ministerien innerhalb der Staatsregierung, die schwerpunktmäßig mit den Fragen der Fördermittelverwaltung der Europäischen Union beschäftigt ist. Diese Arbeitsgruppe wird für die interne Arbeit entsprechende Vorschläge erarbeiten. Zum ersten Punkt werden wir dafür werben, sollte es dazu kommen, dass es eine Fortsetzung der bisherigen Programme in die neue Förderperiode hinein gibt.

Die SPD-Fraktion, bitte. Herr Mann.

Herr Staatsminister, die Staatsregierung hat schon bei der Vorlage der ersten Vorschläge gesagt, dass es noch nicht ganz klar ist, wie die konkreten Auswirkungen sind. Sie haben sich jetzt auch vorsichtig gezeigt. Können Sie uns nicht vielleicht doch einige konkretere Prognosen oder zumindest Schätzungen liefern, mit welchen Mitteln wir anhand der Dinge zu rechnen haben, die jetzt schon absehbar sind?

Oliver Schenk, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Herr Mann, ich bin da auch neugierig. So, wie Sie mir die Frage stellen, stelle ich sie auch immer in Brüssel, wann damit zu rechnen ist. Leider liegen die Zahlen noch nicht vor. Ich glaube, aufgrund der vielen Faktoren, die bei der neuen Finanzperiode zusammenfließen, ist es, ehrlich gesagt, unseriös, eigene Schätzungen vorzunehmen, weil dort viele verschiedene Kriterien einfließen und wir uns vor diesem Hintergrund nicht in der Lage sehen, seriöse Schätzungen vorzunehmen.

Man muss darüber reden, wie man mit bestimmten Mechanismen umgeht. Ich habe eben das Stichwort Sicherheitsnetz genannt. Wir sehen, welche Kürzungen

insgesamt für Deutschland vorgesehen sind. Daraus zu schließen, dass unsere Kürzungen identisch sind, oder zu sagen, sie sind vielleicht sogar höher, weil andere Kriterien hineinspielen, führt uns momentan, glaube ich, nicht weiter. Deshalb beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir insgesamt stärker an dem Kuchen partizipieren können.

Die AfD-Fraktion. Herr Beger, bitte.

Herr Staatsminister, die EUKommission benennt in ihrem Konzeptpapier vom 29. Mai dieses Jahres zur regionalen Entwicklung und Zusammenarbeit nach 2020 fünf Ziele, die die EUInvestitionen im Jahr 2021 leiten werden. Als erstes Ziel nennt sie ein intelligentes Europa durch Innovation, Digitalisierung, wirtschaftlichen Wandel sowie die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen.

Als zweites Ziel nennt sie ein grüneres, CO2-freies Europa, das das Übereinkommen von Paris umsetzt und in die Energiewende, in erneuerbare Energien und in den Kampf gegen den Klimawandel investiert. Je nach relativem Wohlstand der Mitgliedsstaaten sollen 65 bis 85 % der EFRE- und der Kohäsionsfondsmittel diesen beiden Prioritäten zugewiesen werden.

Meine Frage: Befürwortet die Staatsregierung diese Gewichtung und Förderung und wenn ja, sind Energiewende, erneuerbare Energien und Kampf gegen Klimawandel Ihrer Auffassung nach das, was die weniger entwickelten Regionen neben Innovation und Digitalisierung vor allem benötigen?

Die Förderung von Innovationen habe ich schon angesprochen. Das ist, glaube ich, etwas, wofür wir uns weiter in erheblichem Maße engagieren sollten. Wir haben hier im Freistaat, gerade auch mit europäischer Unterstützung, eine Forschungslandschaft aufgebaut, die ihresgleichen sucht. Viele wissen es nicht: Die Dichte an Forschungseinrichtungen ist bei uns größer als in der Region Stuttgart, als in der Region München. Das bringt viel Dynamik ins Land, bringt viel Wissen ins Land, bringt viele kluge Köpfe hier ins Land.

Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass die Kommission im Bereich Forschung, Innovation einen besonderen Schwerpunkt setzt. Das ist übrigens ein Bereich, der weiter ausgebaut werden soll. Ich glaube, dass wir dadurch, dass wir in den letzten 30 Jahren hier eine hervorragende Infrastruktur im Forschungsbereich aufgebaut haben, an der Stelle besonders von diesen Chancen partizipieren können.

Der zweite Punkt: Natürlich ist die Frage der Dekarbonisierung, der veränderten Energieversorgung auch für uns ein zentrales Thema. Die Debatte heute Morgen hat gezeigt, dass wir an der Stelle auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Ich möchte daran erinnern,

dass der Freistaat Mitglied in einer sogenannten Kohleplattform ist, in der sich 42 Reviere europaweit miteinander zusammengeschlossen haben, um die Fragen des Strukturwandels zu diskutieren, um zu schauen, wo man voneinander lernen kann, wo Chancen sind, auch weil man sieht, wie jemand anders dieses Thema angeht. Hierfür dann auch finanzielle Mittel bereitzustellen, um den Strukturwandel in diesen Regionen zu begleiten, halten wir für ausgesprochen sinnvoll.

Frau Dr. Maicher, bitte.

Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie den Vorschlag der Kommission, die Auszahlung der Kohäsionsmittel an die Mitgliedsstaaten zukünftig an die Kriterien der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen?

Das ist ein Punkt, den wir intensiv diskutieren, weil das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zentral für Europa und alle Mitgliedsstaaten ist. Wir müssen die Diskussion führen, weil wir sehen, dass es Länder gibt, die beim Thema Rechtsstaatlichkeit nicht immer den Prinzipien entsprechen. Insofern ist das ein Punkt, den wir weiter diskutieren müssen, der aber in erster Linie von der Europäischen Kommission diskutiert werden muss, die dazu die Entscheidungen trifft.

In den weiteren Runden können Fragen zu beiden Themenkomplexen gestellt werden. Es beginnt die AfD-Fraktion. Bitte.

Herr Staatsminister, ausweislich des Beschlusses der Sächsischen Staatsregierung über die Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Staatsministerien vom 17. Dezember 2014, zuletzt geändert durch Beschluss vom 31. Juli 2018, ist die Sächsische Staatskanzlei für Grundsatzfragen der demografischen Entwicklung und der Migrationspolitik zuständig.

Meine Frage: Ist es politisches Ziel der Staatsregierung, in Sachsen und Deutschland wieder zu einer selbsterhaltenden Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau zu gelangen? Wenn ja: Welche Maßnahmen müssen nach Auffassung der Staatsregierung hierfür in Land und Bund ergriffen werden? Wenn nein: Warum betrachten Sie dieses nicht als Ziel?

Die Geburtenrate liegt derzeit bei etwa 1,6. Sie haben gerade die Zahl genannt, die zu einer stabilen Bevölkerung führt. Davon sind – wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe – alle Länder in Europa derzeit weit entfernt. Die höchste Geburtenrate hat Frankreich mit 1,9 bzw. 2,0.

Allerdings verzeichnen wir in den letzten Jahren eine steigende Geburtenrate in Sachsen. Wir haben beispielsweise seit einigen Jahren mit Dresden die geburtenreichs

te Stadt in Deutschland. Das stellt uns als Gesellschaft und in der Politik vor neue Herausforderungen beim KitaAusbau und im Bereich der Schulen.

Wir sehen diesen Anstieg als etwas sehr Positives, etwas sehr Gewolltes; denn wir kommen von Zahlen, die unter 1,0 lagen, zum Beispiel 0,8 in den Nachwendejahren.

Gleichzeitig sehen wir, wie sich die Bevölkerung im Freistaat Sachsen seit 1989 von etwa fünf Millionen auf heute 4,08 Millionen reduziert hat. Wir werden auch in den nächsten Jahren einen weiteren Rückgang der Bevölkerung sehen. Die Prognosen des Statistischen Landesamtes zeigen in Richtung 3,8 oder 3,9 Millionen, was natürlich mit erheblichen Herausforderungen beim Umbau von Strukturen verbunden ist.

Hinzu kommt, dass wir nicht nur weniger werden, sondern auch zu den ältesten Regionen Deutschlands gehören. Das wird natürlich mit Veränderungen verbunden sein. Wir kennen alle das Thema Fachkräfte, das uns mittlerweile in vielen Bereichen erreicht hat. Aber es ist auch klar, dass wir bei einer älter werdenden Bevölkerung perspektivisch mehr Geld für die Gesundheitsfürsorge ausgeben müssen.

Die CDUFraktion, bitte. – Jetzt kommen zwei. Herr Otto, bitte.

Die EU-Kommission hat eine Art Sicherheitsnetz angekündigt, das zu starke Mittelverluste einzelner Regionen verhindern soll. Sie hatten das vorhin kurz angedeutet.

Würde ein solches Sicherheitsnetz für Sachsen von Nutzen sein? Setzt man sich bereits dafür ein?

Vielen Dank! Herr Otto, wir haben in der laufenden Förderperiode so eine Art Auffanglösung für die Region Leipzig. Die EU selbst hat ein entsprechendes Sicherheitsnetz für Regionen aufgespannt, die über eine Kürzung von 24 % hinaus gehen.

Aus unserer Sicht kann das ein Instrument sein, wenn die Einschnitte zu groß werden. Das müssen wir aber im weiteren Verlauf einschätzen, wenn wir die konkreten Zahlen vorliegen haben, die Herr Mann eben angefordert hat und die mich auch interessieren würden. Dann werden wir über diese Frage abschließend entscheiden können.

Für die Linksfraktion Frau Maiwald, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Staatsminister, Sie sprachen vorhin die Berlin-Formel an, die es seit 1999 gibt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, und die sich auf das BIP begründet. Planen Sie in Ihren Gesprächen mit Brüssel oder vielleicht auch dann, wenn es um die innerstaatliche Verteilung geht, dort eine Modifikation? Wenn ja: Wie könnte diese aussehen?

Vielen Dank! Das passt zu dem Thema Demografie, das wir gerade hatten. Schwerpunkt der Berlin-Formel ist nach wie vor das BIP. Ich glaube, das BIP ist immer noch ein sehr guter und geeigneter Indikator für die Verteilung der Mittel, auch wenn es im aktuellen Vorschlag der Kommission nicht mehr zu 84 % wie bisher, sondern nur noch mit 81 % einfließen soll.

Es gibt jetzt andere Kriterien, die diskutiert werden und im Vorschlag der Kommission verankert worden sind. Das ist beispielsweise das Thema Integration, das für Deutschland erst einmal zu einem Mittelaufwuchs führen würde. Das ist das Thema Bildung. Das ist das Thema Arbeitslosigkeit.

Wir selbst haben angeregt, auch über das Thema Demografie zu sprechen. Eine älter werdende Bevölkerung ist nicht unbedingt die Bevölkerung, welche die innovativste ist. Wir sagen, dass man da gegensteuern muss, vielleicht mit finanziellen Anreizen, die in entsprechende Strukturen investiert werden. Deshalb setzen wir uns für das Demografiekriterium ein, weil es sachlich begründet ist und weil es uns aus Sicht des Freistaates helfen würde.

Die SPD-Fraktion; Frau Pfeil-Zabel, bitte.

Ich habe eine Frage zum Thema Demografie und Migration. Das ist ja der zweite Punkt, den wir noch einmal ansprechen wollten. Sie sind gerade schon ein bisschen darauf eingegangen.

Was glauben Sie, welchen Einfluss das Thema Migration insgesamt auf unseren demografischen Wandel hat? Ich würde mich freuen – wenn ich das noch mit anknüpfen könnte –, wenn Sie noch ein paar Projekte aus der Förderrichtlinie Demografie der Staatskanzlei nennen könnten, um dem Parlament darzulegen, was Sie in den letzten Jahren schon getan haben.

Gern.

Der demografische Wandel hat verschiedene Ursachen. Damit gibt es verschiedene Möglichkeiten, ihn zu begrenzen und abzufedern. Wir haben den Alterungsprozess. Wir haben das Thema Wanderung. Wir haben den Überschuss der Todesfälle über Geburten.

Bei der Beantwortung der Frage, wie man das Land trotzdem attraktiv erhält und wie man trotzdem dazu kommt, dass wir eine Bevölkerung haben, die möglichst stabil ist, ist natürlich das Thema Zuwanderung ganz zentral. Da müssen wir unterscheiden zwischen den Themen Asylsuchende und Fachkräfte.

Ich glaube, dass wir gerade beim Thema Fachkräftegewinnung insgesamt besser werden müssen. Das zeigen alle Überlegungen, die jetzt in Bezug auf entsprechende Gesetzgebungen angestellt werden. Die Anforderungen müssen gebündelt und konkretisiert werden. Das ist ganz

wichtig und vor allem eine Aufgabe der Bundespolitik. Aber ich glaube, wir müssen auch hier im Land schauen, wie wir mit dem Thema Zuwanderung, mit der Anerkennung von Berufsabschlüssen umgehen und wie wir uns mit den Behörden aufstellen.

Mein Eindruck ist, dass viele Regelungen, die wir heute haben, und viele Verhaltensweisen bei diesem Thema aus einer Zeit kommen, in der wir mit einer Arbeitslosigkeit von 20 bis 30 % groß geworden sind und gar nicht so sehr dieses Thema im Fokus hatten.

Heute sind wir zentral darauf angewiesen, dass Menschen zu uns kommen, die bei uns arbeiten und sich in die Gesellschaft einbringen wollen. Behördlicherseits müssen wir ganz praktisch im Umgang eine Offenheit und Flexibilität an den Tag legen, um entsprechende Dinge auf den Weg zu bringen.

Kürzlich war ich zu Besuch in einer Kindertagesstätte in Glauchau. Das will ich kurz erzählen, weil mich das sehr beeindruckt hat. Kollegin Springer hatte mich eingeladen. Es war ein bilingualer Kindergarten – deutsch, englisch. Ich habe dort an einem Morgenkreis teilgenommen. Er wurde von einer Polin betreut, die in Großbritannien ausgebildet worden war. Sie hatte fünf, sechs Jahre dort studiert und spricht perfekt englisch. Sie war mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Kindern nach Glauchau gezogen, um in diesem Kindergarten zu arbeiten. Das Problem war, dass sie noch nicht ausreichend deutsch sprach und es deshalb schwer zu sagen war, ob sie dort bleiben kann. Aber ihre Aufgabe war ja nicht, in dem Kindergarten in Deutsch zu betreuen und zu unterrichten, sondern sie sollte ja die Zweisprachigkeit in dem englischen Bereich absichern.