Protokoll der Sitzung vom 08.11.2018

weil – das muss man so sagen – das ein zusätzliches Argument gegen Zuwanderung ist, und in diesem Kontext äußern Sie sich entsprechend.

(Carsten Hütter, AfD: Fakten und keine Geschichte, Frau Zais!)

Ich möchte noch einmal etwas zum Thema rechtsextrem motivierter Antisemitismus und den Problemen sagen, die wir mit den Straftaten haben. Kollegin Köditz ist darauf eingegangen. Natürlich ist das ein Problem. Aber nach meiner Auffassung ist das die Spitze des Eisberges. Das größere Problem, das unsere Gesellschaft hat, ist, dass es über Jahrzehnte hinweg einen latenten Antisemitismus gibt, der in die Mitte der Bevölkerung hineinreicht. Wenn wir, gerade was rassistische Parolen betrifft, heute feststellen müssen, dass sich die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschieben, dann müssen wir beachten – da ist dringendes Handeln geboten –, dass das beim Antisemitismus noch nicht ganz so ist. Insofern sind die Straftaten die Spitze des Eisberges. Das muss man so sagen. Aber was darunter köchelt, ist nach unserer Auffassung viel gefährlicher.

Der Bundestag hat sich in einer gemeinsamen Erklärung Anfang des Jahres in einem fraktionsübergreifenden Antrag zu dem Thema positioniert. Unsere Fraktion möchte für diesen Landtag anregen, dass wir das auch machen, und wir laden Sie herzlich zur Mitarbeit ein.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Zais sprach erneut für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gibt es den Bedarf, eine dritte Rederunde zu eröffnen? – Ich sehe, das ist der Fall durch die einbringende CDU-Fraktion. Herr Kollege Hartmann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute an den 80. Jahrestag der Reichspogromnacht erinnert und uns bewusst gemacht, wie jüdisches Leben in Deutschland sicher stattfinden kann. Jüdisches Leben ist ein integraler Bestandteil unseres Landes, unserer christlich-abendländisch-jüdischen Kultur, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Meine Fraktion hat sehr deutlich gemacht, dass genau diese Verankerung in der Mitte und als Teil unserer Gesellschaft alle anderen Fragestellungen prägt. Wir werden es nicht hinnehmen, egal aus welcher Richtung, von links, rechts oder aus arabischen Positionen heraus: Wenn jüdisches Leben in unserem Land bedroht und angegriffen wird, müssen wir es schützen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Diese Debatte ist mit Würde, Anstand und Respekt gestartet. Sie ist jetzt in einen Bereich entglitten, bei dem ich sage, das ist dem Thema unangemessen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der AfD und der Staatsregierung)

Ich möchte an der Stelle eines deutlich sagen, dazu hat sich auch die AfD zu verhalten, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich zitiere an der Stelle: „Wir Deut

schen“ – und ich rede jetzt nicht von euch Patrioten, die sich hier heute versammelt haben – „also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Es handelt sich um Herrn Höcke.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das können wir nicht durchgehen lassen. An der Stelle steht es klar, und ich zitiere den gleichen Redner: Als letzte evolutionäre Chance unseres Vaterlandes verstehe ich die AfD. Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch das ist nicht richtig, und es geht auch nicht um „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Es geht darum, das Bewusstsein für unsere eigene Geschichte, für unsere Verantwortung, auch für das jüdische Leben und das insbesondere in Europa und der Welt mitzutragen. Das lassen wir uns weder kaputt- noch kleinreden. Dieser 9. November ist der Tag, an dem uns sehr bewusst sein sollte, worum es geht, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich mahne uns zur Ehrenhaftigkeit in dieser Debatte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Das war Herr Kollege Hartmann von der CDU-Fraktion. Gibt es in dieser dritten Rederunde weitere Wortmeldungen aus den Fraktionen heraus?

(Marco Böhme, DIE LINKE: Die trauen sich nicht mehr!)

Das kann ich nicht sehen. Jetzt kommt die Staatsregierung zu Wort. Das Wort hat Staatsminister Schenk.

Oliver Schenk, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 9. November in Deutschland ist untrennbar mit dem Gedenken an einen der dunkelsten Abschnitte unserer Geschichte verbunden. Es ist der Tag, der das Bild von brennenden Synagogen, von Brandschatzungen jüdischer Geschäfte und vom Beginn der Deportationen jüdischer Mitbürger in unsere Erinnerung schreibt. Die Reichspogromnacht vor 80 Jahren war ein Fanal. Sie war der Beginn dessen, was der deutsche Staat unter nationalsozialistischer Herrschaft seinen Mitbürgern systematisch anzutun in der Lage sein würde.

Ja, der inszenierte, kollektiv tolerierte und unterstützte Wutausbruch jener Pogromnacht nahm vorweg, was Staatsdiener Staatsbürgern, Bürger ihren Mitbürgern, Städter ihren Nachbarn, Dorfgemeinschaften ihrem Buchhändler, der Mann seiner Ehefrau antun würden. Im 9. November 1938 waren die Demütigungen, die Denunziationen und Ausgrenzungen, die Verfolgung und schließlich die systematische Tötung von Millionen Juden in den Folgejahren angelegt. Der Weg zum Holocaust, zur Schoah war beschritten. Der Gedanke war zum Wort und

zur Tat geworden. Die Grenze von der Hetze zur Gewalt war überschritten.

Meine Damen und Herren, warum ist die Reichspogromnacht nicht nur Geschichte? Uns Deutschen erwächst mit Blick auf dieses Datum die fortwährende Verantwortung, der Entfesselung von judenfeindlicher Ideologie und Willkür in diesem Land ein für allemal das Stoppschild zu zeigen. Nie wieder dürfen religiöse Verbrämung, Rassenfanatismus und die Missachtung elementarster Menschenrechte ohne Widerspruch, ohne Gegenwehr, ohne Bekämpfung bleiben.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Das sind wir nicht nur unseren Mitbürgern jüdischen Glaubens schuldig. Das sind wir uns gegenseitig schuldig; denn jüdisches Leben gehört zu Sachsen. Die Geschichte des Freistaates Sachsen ist auch die Geschichte jüdischen Lebens. Das ist unser Bekenntnis.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Dieser Verantwortung werden wir nur gerecht, wenn wir das Erinnern und das Gedenken nicht verlernen. Deshalb hat uns so manche Äußerung der vergangenen Wochen und Monate mehr als fassungslos gemacht. Wer einer erinnerungspolitischen Wende das Wort redet, der hat nicht nur nichts verstanden, er verschließt absichtlich die Augen vor seiner individuellen Verantwortung. Es tut not, dass wir alle unser Wort erheben, an jeder Stelle und zu jedem Moment, damit rassistisches, judenfeindliches, antisemitisches und religionsdiskriminierendes Gedankengut gar nicht erst wieder in ein allgemeines Verständnis einsickert und alltagstauglich wird – nicht in einer aufgeklärten und freien Gesellschaft, die für jeden Menschen Raum zum Leben hat. Wir werden es nicht dulden, auch nicht hinter vorgehaltener Hand, wenn eine ausgrenzende Haltung gezeigt wird – mit der Spraydose in der Hand oder in sozialen Medien und tabulosen Schriften.

Der Bundespräsident sagte bei seinem Besuch in Dresden in der letzten Woche, „dass man Rassismus nicht historisch verorten kann. Es hat nicht erst 1933 begonnen und auch noch kein Ende gefunden.“ Ich meine, das ist eine Aufforderung an uns alle. Rassismus und Antisemitismus in Sachsen müssen ein Ende finden; denn jüdisches Leben gehört zu Sachsen.

Dieses Bekenntnis wurde im Jahr 1996 mit dem Abschluss des Vertrages des Freistaates mit dem Landesverband Sachsen der jüdischen Gemeinden gesetzlich verankert. In der Präambel, die an Aktualität nichts verloren hat, haben wir festgeschrieben, dass der Vertrag auf Augenhöhe geschlossen wird, in dem Bewusstsein, für das jüdische Leben in diesem Lande eine besondere Verantwortung zu tragen, die aus der Geschichte Deutschlands gewachsen ist; in dem Bestreben, das kulturelle Erbe des Judentums im Freistaat zu wahren und zu

pflegen; in dem Wunsch, das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Freistaat und der jüdischen Glaubensgemeinschaft zu fördern und zu festigen. Dazu standen wir damals, und dazu stehen wir heute, und dazu werden wir in Zukunft stehen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Heute wächst jüdisches Leben wieder in der Mitte unserer Städte. Die Gemeinden in Chemnitz, Dresden und Leipzig sind seit den 1990erJahren um ein Mehrfaches, auf etwa 2 500 Mitglieder, gewachsen. Es ist daher wichtig, dass wir auch mit dieser Debatte helfen, das Erinnern und das Gedenken wachzuhalten; denn es geht darum, dass wir das Gedenken fruchtbar machen für eine Haltung der Mitmenschlichkeit. Und ja, es steht uns auch gut an, wenn wir Erinnerungshelfer an unsere Seite nehmen; denn das Gedenken tut mitunter weh.

Solche Hilfen finden wir etwa in den „Wegen der Erinnerung“, den „Stolpersteinen“, die in vielen Städten verlegt werden oder in dem vom Freistaat geförderten Projekt „Bruchstücke“. Ich bin dankbar für dieses große Engagement. Es öffnet uns die Augen dafür, dass Antisemitismus und Rassismus etwas Erfundenes, Erworbenes, Angeeignetes sind, etwas, dem wir aus innerer Haltung heraus immer entgegentreten müssen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Auch in den sächsischen Schulen findet sich dieser Ansatz. Hier soll ein breites Wissen über das jüdische Leben in all seinen Facetten vermittelt werden. Das ist wichtig; denn unsere Nachkommen werden in naher Zukunft nicht mehr von Zeitzeugen hören können, was in deutschem Namen für unfassbare Verbrechen begangen wurden.

Es ist uns als Staatsregierung deshalb ein zentrales Anliegen, einen Beauftragten für jüdisches Leben zu berufen, der ressortübergreifend die Präventions- und Interventionsarbeit der Staatsregierung koordinieren soll. In Gegenwart und Zukunft gerichtet muss uns das Entsetzen, das die Erinnerung an den 9. November 1938 wachhält, antreiben, jeglichem Aufkeimen von Antisemitismus sofort und zielgerichtet entgegenzutreten. Es muss uns antreiben, freiheitlich, weltoffen und tolerant zu denken und zu handeln; denn jüdisches Leben gehört zu Sachsen.

Vielen Dank.

(Beifall des gesamten Hauses)

Herr Staatsminister Oliver Schenk sprach für die Staatsregierung. Ich sehe keinen weiteren Redebedarf mehr in dieser Ersten Aktuellen Debatte. Sie ist abgeschlossen.

Ich rufe auf

Zweite Aktuelle Debatte

Willkommenskultur für Kinder – unsoziale Regierungspolitik beenden!

Antrag der Fraktion AfD

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion AfD das Wort. Das Wort ergreift Herr Kollege Weigand.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor wenigen Wochen habe ich ein großes Geschenk empfangen, als ich zum dritten Mal Vater werden durfte. Ich denke, es ist ein großes Geschenk, wenn heute Frauen schwanger werden. Ich kenne viele im Freundes- und Familienkreis, die manchmal Monate oder Jahre probieren, schwanger zu werden. Deshalb kann nicht oft genug betont werden, wie toll das ist, dass Kinder auf die Welt kommen.

Ich war etwas schockiert, als ich aktuelle Zahlen gelesen habe, dass die Geburtenzahl in Sachsen um 1 000 zurückgegangen ist. Ja, es sind auch weniger Frauen im gebärfähigen Alter. Aber auch die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist um 200 gestiegen, und das zerreißt mir ein wenig das Herz, da wir hier viel mehr machen müssen. Schwanger zu werden und Kinder zu bekommen, dürfen kein Armutsrisiko mehr sein. Wenn man sich die Zahlen von 1991 bis jetzt anschaut, dann wurden in Sachsen 192 000 Schwangerschaften abgebrochen. Das ist eine Einwohnerzahl vergleichbar mit Nordsachsen. Das zerreißt mir als Vater das Herz.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Vor allem als Mann!)

Deshalb fordern wir hier ein stärkeres Förderprogramm für werdende Mütter,

(Beifall bei der AfD)

auch, dass die Adoption als Alternative für Frauen oder Mütter, die Angst haben, ein Kind aufzuziehen, weiter ausgebaut wird, um Kindern ein vernünftiges Zuhause zu geben und endlich Mindeststandards bei den Beratungsangeboten. Wir brauchen in Sachsen eine Kindermutmachprämie, meine Damen und Herren; denn in den nächsten Jahren kommen erst Jahrgänge der Neunzigerjahre, unter denen die geburtenschwachen Jahrgänge waren.