Vielen Dank. Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Es liegt ein Antrag aus dem Herbst 2015 auf dem Tisch. Heute, fast dreieinhalb Jahre später, hat die Realität den Antrag nicht nur eingeholt, sondern sogar noch überholt – allerdings nicht in dem Sinne, dass sich damit der Antrag erledigt hätte, sondern in jenem Sinne, dass er aktueller denn je geworden ist. Die im Antrag enthaltenen Befürchtungen sind nämlich nicht nur punktuell eingetroffen, sondern mittlerweile an den sächsischen Schulen Alltag und sollen ab dem künftigen Schuljahr in den Lehrplänen manifestiert werden.
Gehört bis dato der Unterrichtsausfall in den künstlerischen Fächern wie generell in allen Fächern meist zu dem sogenannten außerplanmäßigen Unterrichtsausfall, werden ab dem kommenden Schuljahr planmäßig in diesem Bereich Kürzungen erfolgen. Auch wenn diese, für die einzelne Schulwoche betrachtet, zunächst moderat ausfallen, sieht es, bezogen auf ein Schuljahr, schon ganz anders aus.
Über die Wichtigkeit der künstlerisch-kreativen Fächer, vor allem aber des Sports, haben wir bereits gestern Abend gesprochen. Dennoch möchte ich noch einige Sätze ergänzen. Mit künftigen Bildungsinhalten und -schwerpunkten müssen wir uns dringend befassen. Allein schon die Digitalisierung zwingt uns dieses Thema auf. Einerseits geht es um die Vermittlung von Basiswissen, welches bei jedem Schüler anwendungsbereit sitzen muss. Dazu gehört zum Beispiel, dass man die Muttersprache exzellent beherrschen sollte, aber eben auch eine zweite Sprache. Andererseits geht es um die Schlagworte der
Wirtschaft – um Kreativität, Flexibilität, Analysefähigkeit, Fleiß, Zuverlässigkeit, Team- und Kommunikationsfähigkeit, soziale Empathie oder auch unternehmerisches Denken und Handeln. Unser Bildungssystem muss diesen Anforderungen gerecht werden. Dafür braucht es Fächer wie Kunst und Musik.
Zum Schluss noch ein zum wiederholten Male von mir angeführter Verweis auf den 5. Kulturbericht des Sächsischen Kultursenats: Es darf keine Kürzungen bei den musischen Unterrichtsfächern an den Schulen geben.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Danke schön. Frau Kersten, entschuldigen Sie bitte noch einmal, dass ich Sie übersehen hatte. Herr Sodann, auch Sie hatte ich übersehen, bitte entschuldigen Sie. – Bitte, Herr Sodann, ich erteile Ihnen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mir war schon klar, dass Sie sich als Reaktion auf den ersten Redebeitrag zu unserem Antrag von meiner Kollegin Cornelia Falken unter anderem hinstellen, sich auf die Schulter klopfen und darstellen, wie viel Sie in dieser Legislatur schon geleistet haben, wie stark Sie sich des Themas der kulturellen Bildung angenommen haben, sei es, Herr Markert, durch die Erhöhung des Grundbudgets im Ganztagsbereich bis hin zum landesweiten Konzept kultureller Kinder- und Jugendbildung.
Letzteres haben wir vor nicht allzu langer Zeit hier schon diskutiert. Es bleibt bei unserer berechtigten Kritik, dass es weder finanziell noch strukturell tragfähig untersetzt ist. Das Positive daran ist, dass die Ideen, Wünsche und Gedanken dieses Konzeptes in der Welt sind und nicht so einfach zurückgenommen werden können. Fakt ist aber auch: Sie haben es in dieser Regierungsperiode beschlossen oder zugelassen, die Stundentafel mit Fächern Musik und Kunst zu schleifen und damit den Weg bereitet, die kulturelle Bildung weiter in den Ganztagsbereich zu verschieben.
(Sabine Friedel, SPD: Eine Stunde! – Staatsminister Christian Piwarz: Nennen Sie mir die Wochenstundenkürzung!)
2019 bis 2020 in der Klasse 5 sollen eine – – Ja, aber immerhin. Sie haben damit den Weg bereitet, weiterhin kulturelle Bildung in den Ganztagsbereich zu verschieben, in dem sie nicht alle Schülerinnen und Schüler erreicht. Sie denken gar nicht daran und darüber nach, wie wichtig elementarkulturelle Bildung für unsere Kinder, für unsere Gesellschaft, unsere Zeit ist.
Sie stellen sie zwar wörtlich immer wieder heraus, jedoch eingedrungen in Ihr Denken und Handeln ist diese Bedeutsamkeit nicht. Das zeigt auch der Umgang mit den Lehrkräften, den Lehrerinnen und Lehrern an den Musikschulen. Ich sage das immer: Seit 15 Jahren fast gleich
gefördert bei Verdoppelung der Schülerinnen- und Schülerzahlen. Dabei kann man auch in eine andere Richtung gehen, wie ein Beispiel aus Großbritannien zeigt, Herr Piwarz.
In Bretford galt die Farewell-Seven-Grundschule lange als Brennpunktschule, welche bei Leistungstests in den sogenannten MINT-Fächern immer weit unter dem Durchschnitt lag. Der Direktor dieser Schule hatte vor sieben Jahren eine Idee: Er krempelte den Stundenplan um und weitete den musischen Unterricht aus, statt ihn – wie bei uns – zu beschneiden. Bis zu sechs Wochenstunden Musik haben die Schülerinnen und Schüler. Sie singen und üben sich an Instrumenten mit einem beeindruckenden Ergebnis, dass die Farewell-Seven-Grundschule heute, also nur sieben Jahre später, zu den besten des Landes gehört.
Die Schülerinnen und Schüler machten unglaubliche Fortschritte beim Lesen, Schreiben und Rechnen, sodass 74 % von ihnen den erwarteten Leistungsstand erreichen. Im landesweiten Durchschnitt sind es nur 53 %. Und dieses Beispiel zeigt doch auf bemerkenswerte Art und Weise, dass Musik, also kulturelle Bildung, auf Leistungen in anderen Fächern wie Dünger auf einem Gemüsefeld wirken kann.
Kulturelle Bildung ist wichtig für die Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten für die Allgemeinbildung, das heißt, mit allen Sinnen lernen, ergo mit Kopf, Herz und Hand. Es ist heute wissenschaftlich fundierte Gewissheit, dass unsere Sinne und unser Denken eine Einheit sind und nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen. Deshalb ist es auch wichtig, darüber nachzudenken, Frau Friedel, dass kulturelle Bildung in der Schule nicht in den Fächern Musik, Kunst, Darstellendes Spiel und eventuell Deutsch endet, sondern sich auch in anderen Fächern, wie Biologie, Geschichte, Geografie, Chemie etc., wiederfindet. Das erlebbare und erlebte Lernen führt zur Gewissheit, wird nicht vergessen und dient damit der Allgemeinbildung.
Das bloße Hineintrichtern von wirtschaftlich verwertbaren Wissen, wie es PISA gefällt, reicht heute nicht mehr aus, um auf die sich rasant verändernde Welt, auf die Globalisierung, den immer schnelleren Takt von technischen Erneuerungen, den Wandel in der Arbeitswelt vorzubereiten. Es braucht ein Mehr an Fähigkeiten, es braucht Kreativität, Fantasie, Empathiefähigkeit, Toleranz, eine der Zeit angepasste andere Denkweise und damit auch eine Diskussion über Bildungsqualität. Wäre das vielleicht, Frau Friedel, dieses moralische Angebot, was Sie von uns hören wollten? Howard Gardner, Professor an der Harvard-Universität, sagt: Die Fokussierung auf den MINT-Bereich ist hier eine Engführung menschlicher Möglichkeiten.
Er geht noch weiter, indem er schreibt: „Die zukünftigen Herausforderungen … brauchen keine weitere Speziali
sierung auf wenige Kompetenzen und keine weitere Konzentration auf eine Auswahl der Fächer. Stattdessen braucht die nachwachsende Generation nicht nur Fachwissen …, nicht nur die Tiefe in einem Fach, sondern auch die Verknüpfung der Fächer, nicht nur Expertentum, sondern auch Kreativität, nicht nur egozentrisches Leistungsstreben, sondern auch eine respektvolle und ethische Haltung gegenüber der Mit- und Umwelt.“
Im Zuge der Industrie 4.0 werden sich die Arbeitsfelder verändern. Berufe, die es heute noch gibt, wird es künftig nicht mehr geben. Andere gibt es noch gar nicht, und viele der jungen Menschen werden ihren Arbeitsbereich selbst definieren, ja, gar erfinden müssen. Dafür braucht es die nötige Gelenkigkeit des Geistes. Das kann jedoch die reine Wissensvermittlung nicht leisten. Es braucht Kunst und Kultur, es bedarf der kulturellen Bildung, eines ganzheitlichen Lernansatzes – ästhetisch, körperlich, sprachlich, emotional, zensorisch, medial.
Kulturelle Bildung schafft Freiräume zum Experimentieren, Ausprobieren, Reflektieren, Fehlermachen. Sie nimmt positiven Einfluss auf Konzentration, Sozialkompetenz, das Durchhaltevermögen, die Intelligenz, und sie ist ein wichtiges Mittel zur Integration von Menschen verschiedener Herkunft, ja zur Inklusion. Durch sie wird es möglich, sich in Relation zu seiner Umwelt zu setzen und neue Wege zu beschreiten. Wer das durch die falsche Marke in der Bildungspolitik aufs Spiel setzt, indem er zulässt, dass musische Fächer gestrichen und Angebote kultureller Bildung mehr und mehr in den Ganztagsbereich geschoben werden, handelt grob fahrlässig mit der Zukunft unserer Kinder, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, der friedlichen und wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes, in Europa und in der Welt. Korrigieren Sie ihr Handeln und stimmen Sie unserem Antrag zu!
Amt. Präsident Thomas Colditz: Meine Damen und Herren, gibt es weitere Wortmeldungen? – Ja, die gibt es. Frau Friedel, eine Kurzintervention.
Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Sodann, für das Angebot. Ich habe auch während Ihres Redebeitrages geklatscht, weil ich die grundlegende Umgestaltung von Schule im Angesicht der Digitalisierung der Welt für sehr wichtig halte. Wir werden einsehen müssen, dass das alles wiederhol- und berechenbare – über kurz oder lang – Maschinen machen und dass wir Menschen darin ausbilden müssen, das Einzigartige zu tun.
Was ich aber bedauerlich finde, ist, dass Sie den Musikunterricht, den benoteten Unterricht, als geeignetes Instrument ansehen, um auf diese Art und Weise Wissen und Kompetenzen zu vermitteln. Das widerspricht allen pädagogischen Erkenntnissen. Wenn Sie einmal mit Schülern sprechen – sie haben viel Freude an Bewegung,
aber manche haben keine Freude an benoteter Bewegung im Sportunterricht. Es gibt aber auch Schüler, die viel Freude an künstlerischem und musischem Ausdruck haben, aber sie haben keine Freude an einem benoteten Lied vor der Klasse. Diese Engführung, die Sie machen, benoteter Unterricht ist Kompetenzausbildung, halte ich für problematisch.
Ja, vielen Dank. Herr Präsident! Liebe Frau Friedel, das ist im Übrigen eine Forderung von uns, dass wir Musik notenfrei stellen wollen.
Ja, das ist eine wirklich lange Förderung. Das ist das eine, und ich habe aber auch gesagt, dass die kulturelle Bildung fächerübergreifend sein soll, auch in Geschichte, Chemie, Biologie. Das heißt, ich habe mich nicht explizit nur auf Kunst und Musik gerichtet. Dass Kinder Bewegung brauchen und dass wir auch gegen den großen Ausfall von Sportunterricht in der Schule sind, das ist selbstredend und das hatten wir heute und auch gestern in den Debatten bereits deutlich zum Ausdruck gebracht.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Meine Damen und Herren, gibt es weiteren Redebedarf? – Frau Falken, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss jetzt noch einmal in die dritte Rederunde hineinsteigen. Ich glaube, was hier gesprochen wird, kann nicht alles so stehen bleiben. Ja, Herr Staatsminister, ich korrigiere mich auch zum Teil. Es war nicht ganz korrekt, was ich vorhin gesagt habe.
Ja, ich erkläre es Ihnen gleich. Bitte bleiben Sie einmal ganz ruhig, es ist alles gut. Die jetzt vorgesehene Streichung wird kein ganzes Fach betreffen, sondern eine Stunde. Aber Sie machen aus einem Zweistundenfach ein Einstundenfach.
(Zuruf der Abg. Sabine Friedel, SPD – Staatsminister Christian Piwarz: In einem Schuljahr, Frau Kollegin! )
Sie haben aber in der 10. Klasse für einige Schüler ein komplettes Fach gestrichen und das bereits seit Jahren.
Ganz so verkehrt ist es auch nicht, was ich soeben dargestellt habe. Herr Markert, wenn Sie der Auffassung sind, dass der Lehrplan Musik von 2004 ein sehr guter Lehrplan ist, den man eigentlich weiterführen kann, aber im gleichen Atemzug erklären, dass er überarbeitet werde, dann macht das doch auch keinen Sinn, oder? Also, für mich zumindest macht das keinen Sinn.
Frau Friedel, welche Anträge wir als LINKE in der Opposition stellen oder nicht stellen, das entscheiden wir.
Wann wir sie stellen, das entscheiden wir auch. Welche Inhalte diese Anträge bekommen, das entscheiden wir auch. Die Opposition hat sehr deutlich den Auftrag, den Finger in die Wunde zu legen. Dieser Antrag ist von 2015, Sie haben das alle gesehen. Es ist bereits ein paar Jahre her, aber er ist nach wie vor sehr aktuell.
Wir haben Anträge zur politischen Bildung gestellt. Sie sagen, wir stellen keine Forderungen, und sie würden es gern umsetzen, wenn wir Forderungen stellten. Schauen Sie sich unsere Anträge an. Sie können ganz viel umsetzen, was Sie noch nicht gemacht haben.