Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Vielen Dank, Herr Präsident! Auch ich möchte eine Erklärung zu meinem persönlichen Abstimmungsverhalten abgeben. Ich habe mit Nein gestimmt.

Wissen Sie, vor knapp einer Woche, als die neue Kriminalitätsstatistik vorgestellt wurde, haben Sie von der CDU und der SPD sich noch gefeiert, dass in keinem anderen Bundesland die Kriminalität so gesunken wäre – 13,7 % –, und vor diesem Hintergrund erscheint mir eine Verschärfung des Polizeirechts geradezu absurd.

Ein Gesetz, das so tief in die persönlichen Freiheitsrechte eines jeden Einzelnen eingreift, ist einfach abzulehnen. Wir brauchen keine repressivere Polizei, sondern wir brauchen mehr Vertrauen, und genau dieses unterhöhlt Ihr Gesetzentwurf. Es schafft mehr Verunsicherung in der Bevölkerung im Umgang untereinander und auch mit den Polizistinnen und Polizisten. Man kann es ganz herrlich beobachten im Umkreis meines Wahlkreiskulturbüros in Leipzig. Dort gibt es eine Waffenverbotszone, die nichts nützt. Dieses Gesetz ist abzulehnen.

Dieses Gesetz ist auch deswegen abzulehnen, weil Journalistenverbände in Deutschland, verschiedenste zivilgesellschaftliche Organisationen, über 21 000 Petentinnen

und Petenten, die Evangelische Akademie in Meißen, Juristen, Lehrer, die Sächsische Ärztekammer, ja, sogar der Datenschutzbeauftragte dieses Landes berechtigte Zweifel an diesem Gesetz haben.

Noch eines möchte ich Ihnen sagen: Es kommt auch Kritik aus Ihren eigenen Reihen, und zwar von Leuten, die es eigentlich wissen müssten. Ich rede von Ihrem Direktkandidaten des Wahlkreises 36, dem ehemaligen Polizeipräsidenten Herrn Bernd Merbitz. Der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ des letzten Wochenendes ist zu entnehmen, dass er bei seiner Verabschiedung als Polizeipräsident den Innenpolitikern der schwarz-roten Koalition vorwarf, an einem neuen Polizeigesetz ohne Sachverstand herumzufuhrwerken. Merbitz wörtlich: „Die Presse nennt sie Experten. Wenn das so ist, dann bin ich Herzchirurg.“

(Heiterkeit der Abg. Juliane Nagel und Marion Junge, DIE LINKE)

„Theoretisch weiß ich, wie es geht“ heißt: Praktisch brauche ich ihre Hilfe nicht.

Vielen Dank. Ich habe mit Nein gestimmt.

(Beifall bei den LINKEN)

Kollege Brünler, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Wie Sie sich sicher denken können, möchte ich gern nach § 94 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abgeben.

Im Jahr 1882 gab es ein Urteil des damaligen preußischen Oberverwaltungsgerichtes, das fortan der zentrale Maßstab polizeilichen Handelns sein sollte. Der Anlass war eher kurios: Es ging um die schöne Aussicht vom Berliner Kreuzberg und das Agieren der Polizei in diesem Kontext. Aber die Folgen des Urteils waren prägend. Zumindest in rechtsstaatlichen Zeiten war die Schwelle für polizeiliches Einschreiten seitdem das Vorliegen einer konkreten Gefahr. Die Eingriffsrechte der Polizei sollten strikt auf das Notwendigste begrenzt sein.

Die Menschen wünschen sich Sicherheit durch die Polizei – ich mir auch, aber eben auch Sicherheit vor willkürlichen Eingriffen vonseiten der Polizei. Mit diesem Polizeigesetz verlassen die Staatsregierung und die Koalition sehenden Auges und bewusst diese Tradition, und das nicht nur ohne Not, sondern auch ohne Sinn und Verstand.

Schauen Sie sich den Bereich der Wirtschaftskriminalität an. Während Sie pauschal jeden hier im Freistaat zum Verdächtigen und potenziellen Täter erklären und die Eingriffsschwelle so weit senken, dass bereits eine politisch missliebige Äußerung reicht, um eine potenzielle Gefahr zu konstruieren, wird keine einzige Neuerung im Polizeigesetz dazu führen, die Schäden durch Veruntreuungs-, Insolvenz- oder wirtschaftliche Betrugskriminalität besser bekämpfen zu können. Dabei entstehen hier im Freistaat jährlich Schäden im deutlich zweistelligen Millionenbereich. Es sind Schäden, auf denen die ehrli

chen Unternehmen, die Sozialkassen und letztlich jeder Einwohner hier sitzen bleiben.

(Ines Springer, CDU: Dreht doch eure Videos daheim!)

Um hier wirksam durchgreifen zu können, brauchen wir Fachleute, die die bestehenden Befugnisse umsetzen können. Wir brauchen Fachleute, die wirtschaftliche Zusammenhänge überblicken, die die lokalen Strukturen kennen, die sich im Unternehmens- und Wettbewerbsrecht auskennen und die sich in Buchhaltung auskennen. Wir brauchen Informatikfachleute, die sich im Online-Bereich souverän bewegen können.

Kurz gesagt: Wir brauchen vor allem genügend und entsprechend qualifiziertes Personal, das in der Lage ist, zunächst einmal die bestehenden Befugnisse umzusetzen. Was wir nicht brauchen, sind neue Befugnisse aufgrund von Stammtischstimmungen, die polizeiliche Kompetenzen von tatsächlichen Gefahren entkoppeln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen habe ich aus Verantwortung für unseren Freistaat mit Nein gestimmt.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Kollege Schultze.

Herr Präsident! Auch ich möchte eine Erklärung nach § 94 Abs. 1 der Geschäftsordnung abgeben. Ich habe gegen das Polizeigesetz gestimmt, und ich habe dafür zwei wichtige Gründe.

Der eine ist: Ich glaube, dass dieses Polizeigesetz eine Umkehr vollzieht, nämlich von der Idee der Unschuldsvermutung hin zu einem Generalverdacht, der erst einmal davon ausgeht, dass jeder, der aus irgendwelchen Gründen in die Nähe einer polizeilichen Handlung kommt, potenziell Teil der Maßnahme und potenziell ein Gefährder ist. Es reicht dann schon aus, regelmäßig am Wochenende in einem Stadion zu sein, sich auf einer Umweltdemonstration oder anderen politischen Kundgebungen zu befinden, um infolgedessen durch die Polizei und nicht durch Gerichte, nicht durch Ermittlungen, sondern allein durch das Entscheiden von Beamtinnen und Beamten im handelnden Vollzug in die Gefahr zu kommen, dass man als eine Gefährderin bzw. ein Gefährder eingestuft wird.

Das macht etwas mit der Gesellschaft. Ich glaube, dass eine Gesellschaft darauf achten sollte, dass ihre Polizei die Mittel verhältnismäßig einsetzt, so sparsam wie nötig und nicht so, wie sie kann, bzw. so existenziell wie möglich. Sie soll tatsächlich als Polizei eher zurückhaltend agieren und nur so eingreifen, dass eine Gefahr tatsächlich abgewehrt wird. Eine Gefahr wehrt man aber nicht ab, indem man potenziell allen Menschen erklärt: Du bist ein Gefährder oder du bist es nicht. Dann wäre in dieser Logik allen Ernstes eine Schwangerschaftsverhütung die größte Gewaltprävention. Denn dort, wo keine Menschen auf der Erde sind, werden sie keine Kriege mehr führen und keine Gewalttaten verüben. Das wäre

der radikalste Ansatz, wenn man davon ausgeht, dass von jedem Menschen, egal wo er handelt, zunächst potenziell eine Gefahr für den Staat ausgeht.

Zum Schluss sei gesagt: Ich bin in einem Land geboren, in dem eine Regierung Angst vor der Bevölkerung hatte. Ich war 16 Jahre alt, als die Wende kam. Werfen Sie mir jetzt keine DDR-Vergangenheit vor. Ich hatte ehrlicherweise nicht erwartet, dass ich 30 Jahre später wieder in einem Parlament stehen werde, wo eine Regierung auf der Regierungsbank sitzt, die ganz offensichtlich der Polizei Rechte einräumt, um ihre Angst vor der eigenen Bevölkerung wieder in polizeiliches Handeln zu verwandeln.

(Carsten Hütter, AfD: Uff!)

Vielleicht mag es heute noch nicht der endgültige Schritt in diese Richtung gewesen sein, aber ich verspreche Ihnen wie mit allem: Wenn man die Mittel nach und nach erhöht, werden sie nach und nach angewandt werden. Wir werden es erleben, dass wir vermutlich in wenigen Jahren hier wieder über eine neue Verschärfung reden, weil Sie zwar eine sinkende Kriminalstatistik haben, aber zu Ihrer Begründung einfach anführen: Wenn die Kriminalstatistik sinkt, interessiert uns das nicht. Erhöhen wir eben die Dunkelziffer, und dann ist alles wieder gerechtfertigt.

Deshalb habe ich mit Nein gestimmt.

(Beifall bei den LINKEN)

Frau Kollegin Kagelmann, bitte.

Herr Präsident! Auch ich möchte von meinem Recht nach § 94 Abs. 1 der Geschäftsordnung Gebrauch machen.

Warum habe ich das Gesetz abgelehnt? Zunächst sei gesagt: Ich verwende dieses Instrument nach der Geschäftsordnung sehr gewissenhaft. In 14 Jahren habe ich es heute erst zum zweiten Mal angewandt. Deshalb lasse ich mir an dieser Stelle ungern Klamauk vorwerfen. Mir ist diese Abstimmung heute zu wichtig, als dass ich mir von Ihnen Theater vorwerfen lassen möchte.

(Beifall bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)

Warum habe ich das Gesetz abgelehnt? Ich erkenne in diesem Gesetz eine Schieflage. Es ist eine deutliche Schieflage zwischen den Rechten der Bürgerinnen und Bürger einerseits und den Eingriffsrechten des Staates andererseits. Jeder Bürger muss sich nach diesem Gesetz – gegebenenfalls verdachtsunabhängig, anlasslos – ausweisen. Ich wohne zudem im Grenzgebiet, und dort ist das natürlich noch eklatanter.

Aber die schwarzen Schafe, die es überall in der Bevölkerung gibt, demzufolge auch in der Polizei, müssen sich bei Rechtsverstößen nicht einmal ausweisen. Sie sind nicht ermittelbar, weil sie nicht gekennzeichnet werden. Diesen Widerspruch können Sie niemandem draußen erklären, mir auch nicht.

In der Diskussion wurde mehrfach von der Motivation für dieses Gesetz gesprochen. Herr Pallas, um die Motivation für ein Gesetz geht es mir – zumindest an dieser Stelle – nicht. Gut gewollt ist noch längst nicht gut gemacht. Das ist eben die Schwierigkeit. Es hat mich in der Diskussion wirklich betroffen gemacht, mit welcher Nonchalance Sie solche gravierenden Eingriffe in die Bürgerrechte der Menschen vornehmen. Damit lassen Sie auch erkennen, wie wenig Sie aus der Vergangenheit gelernt haben.

Diese Koalition, die meiner Fraktion gern und häufig an allen möglichen und unmöglichen Stellen immer wieder gern 40 Jahre DDR anlastet, geht aufgrund einer fiktiven Bedrohungslage hierbei über Grundrechte hinweg. Dabei kann es einem nur kalt den Rücken herunterlaufen. Ich denke, jeder Weg – auch der falsche, Herr Pallas – beginnt mit einem ersten Schritt, und dies ist der erste Schritt hin zu einem Polizeistaat.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Wurlitzer, bitte.

Auch ich möchte nach § 94 Abs. 1 eine persönliche Erklärung abgeben. Ich habe für dieses Gesetz gestimmt, weil ich der festen Überzeugung bin, dass unsere Polizei in die Lage versetzt werden muss, ihre aktuellen Aufgaben zu bewältigen. Ich habe weiterhin dafür gestimmt, weil ich unsere Polizei stärken wollte, auch in ihrem Ansehen, und weil ich gegen die Dämonisierung eines starken Staates bin.

Da alle Abgeordneten noch einen Satz drangehängt haben, mache ich das genauso. Die eben abgegebene Erklärung der LINKEN – nicht böse sein! – schürt die Ängste vor diesem Gesetz und sorgt für Missverständnisse. Am Ende schaden Sie damit unserer Polizei, und Sie schaden der Demokratie in diesem Land.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Ich muss Ihnen ganz ehrlich eines sagen: Es ist ein Stück weit eine Schande, was Sie gerade damit gemacht haben.

(Zurufe der Abg. Susanne Schaper und Antje Feiks, DIE LINKE: Die Erklärung zum Abstimmungsverhalten! – Weitere Zurufe der Abg. Enrico Stange und Sarah Buddeberg, DIE LINKE – Valentin Lippmann, GRÜNE: Die Erklärung!)

Nein! Hören Sie auf! Sie alle haben gerade dazu noch geredet, und zwar in aller Ruhe und Gemütlichkeit, und haben das schön ausgenutzt. Ich nutze das jetzt genauso aus.

Kollege Wurlitzer, Ihre Erklärung zum Abstimmungsverhalten!

Ich bin gerade dabei, mein Abstimmungsverhalten zu erklären.

(Zurufe der Abg. Susanne Schaper und Antje Feiks, DIE LINKE)

Natürlich! Und alle haben hinterher einen letzten Satz gehabt. Damit müssen Sie jetzt einfach mal leben.