Protokoll der Sitzung vom 23.06.2000

Ähnliche Bestimmungen gab es auch für die 5 km tiefe Sperrzone.

Eine rechtliche Handhabe für die Zwangsaussiedlungen hätte aus der Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und der westlichen Besatzungszone vom 2. Mai 1952 gar nicht hergeleitet werden dürfen. Die Verordnung bestand aus der Präambel und zwei Paragraphen, die zwar weit auslegbar formuliert waren, aber nur Maßnahmen gegen fremde, außerhalb der DDR lebende Personen betrafen, falls diese versuchen sollten, in die DDR einzudringen. Bereits damit fing dann das weitergehende Unrecht an, indem alle weiteren Handlungen auf Anordnungen und Direktiven beruhten.

Niemand von unserer Fraktion wird diese Tatsachen beschönigen oder gar leugnen wollen. Private Grundstücke und Gebäude wurden in das Eigentum des Volkes überführt. Es war vorrangig Naturalersatz zu gewähren. War das nicht möglich oder wurde dieser abgelehnt, war der Kaufpreis nach den Prinzipien des Entschädigungsgesetzes zu entrichten, wobei die Zahlung auf ein Sperrkonto mit begrenzter Zugriffsmöglichkeit erfolgte.

Nach dem Beitritt verpflichtet Artikel 17 des Einigungsvertrages die Bundesregierung zur Rehabilitierung von Opfern einer politisch motivierten Strafverfolgung oder einer sonstigen rechtsstaatswidrigen gerichtlichen Entscheidung. Zwangsausgesiedelte fielen nicht darunter, da bei ihnen in der Regel kein Gerichtsbeschluß vorlag. Erst im Jahre 1994 wurde mit dem zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz die Zwangsaussiedlung als mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar anerkannt, und es erfolgte die Rehabilitierung, wenn die Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken.

Das bedeutet aber auch, daß die gesamte von der DDR gezahlte Entschädigung bei Restitution zurückgezahlt werden muß, es sei denn, eine Rückgabe ist nicht möglich. Nicht zurückgezahlt werden muß die Entschädigungszahlung für Inventar, für Tiere und für entgangene Ernte. Ernten, die sich noch auf dem Halm oder auf dem Acker befanden, sind nach BGB untrennbarer Bestandteil des Grundstücks. Die dafür gezahlte Entschädigungssumme muß und müßte zurückgezahlt werden.

Bei allem Verständnis für die Forderung nach pauschalierter Zuwendung fängt aber genau an diesem Punkt unser Problem an. Wenn alle Zwangsausgesiedelten den geforderten Pauschalbetrag erhalten würden, würde neben dem alten Unrecht neues Unrecht entstehen, indem dann Anspruchsberechtigte doppelt entschädigt würden.

Es soll in den Ausschüssen für Inneres, für Recht und Verfassung sowie für Finanzen darüber nachgedacht werden, inwieweit auf Landesebene eine für alle gerechte Lösung gefunden werden kann. Wir befürworten die Überweisung des CDU-Antrages in die genannten Ausschüsse.

Parallel dazu sollte schnellstmöglich auf Bundesebene denn es betrifft ausschließlich Bundesrecht - eine rechtliche Regelung gefunden werden. Dabei muß man natürlich bedenken, daß es sich um Menschen in hohem Lebensalter handelt. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Frau Tiedge, würden Sie den gleichen federführenden Ausschuß vorschlagen wie die CDU-Fraktion?

Danke. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Herr Schomburg. - Herr Schomburg verzichtet. Für die FDVP-Fraktion spricht Frau Wiechmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Püchel, ich habe Ihre Ausführungen sehr ernsthaft verfolgt. Ich habe mich gewundert, wie sehr Sie sich verrenken mußten, um Gründe aufzuzeigen, warum man diesen Anträgen nicht zustimmen könne oder warum man sie gegebenenfalls im Ausschuß beraten müsse. Ich hoffe, daß sie dort nicht zerredet werden.

Ich finde es unglaublich, was ich von Ihnen gehört habe. Sie versuchen, Opfer gegen Opfer auszuspielen. Sie wissen genau, daß es gängige Praxis ist, für einzelne Opfergruppen politische Lösungen zu finden. Es geht eigentlich auch nur so. Ich denke, Thüringen hat es uns vorgemacht.

Über die Hilfe für weitere Opfergruppen sollte unabhängig davon in diesem Landtag weiter nachgedacht werden, so wie es die FDVP-Fraktion immer wieder und immer wieder mit Anträgen gefordert hat.

Über die Höhe des Entschädigungsbeitrages kann man streiten, doch sollte sie in einem Bereich angesiedelt sein, in dem die Entschädigung nicht mehr als Spottgeld

einzuordnen ist. In Anlehnung an die Praxis zum Beispiel in Thüringen sollte man einen Betrag von etwa 4 000 DM ins Auge fassen. Wir denken, aus Gründen der Fürsorge und Verantwortung vor den Opfern ist tatsächlich der Landesgesetzgeber gefragt. Genau hier, Herr Püchel, ist das Forum dafür, eine Lösung zu finden, um die entsprechenden Mittel bereitstellen zu können.

Obwohl ich es eigentlich nicht als angeraten erachte, über unseren Antrag im Ausschuß zu diskutieren, würde ich trotzdem aus der jetzigen Debatte heraus die Überweisung des Antrages in den Innenausschuß beantragen. Herr Schomburg hat ja von „den Anträgen“ gesprochen. So habe ich es jedenfalls verstanden. Unser Antrag sollte also mit dem Antrag der CDU-Fraktion im Ausschuß beraten werden.

Ich hatte es vorhin schon angedeutet, daß der CDUAntrag dahin gehend geändert werden müßte, daß das Wort „Entschädigung“ durch das Wort „Hilfen“ ersetzt wird; denn genau so wäre der Antrag rechtlich einwandfrei umschrieben.

Ganz kurz zum Änderungsantrag der SPD-Fraktion. Frau Leppinger, so leid es mir tut, aber ich halte diesen Antrag nur für einen Alibiantrag. Lediglich eine Berichterstattung zu fordern hilft den Betroffenen wenig. Falls man aber im Ausschuß eine Lösung findet, indem man sich darauf einigt, daß zwar ein Bericht erstattet werden soll, daß aber gleichzeitig nach einer schnellen Lösung gesucht werden soll, kann dieser Änderungsantrag sicherlich auch im Ausschuß beraten werden. - Danke sehr.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Debatte und kommen zum Abstimmungsverfahren. Es ist zunächst über den Antrag in Drs. 3/3255 abzustimmen. Es wurde beantragt, diesen Antrag in die Ausschüsse für Recht und Verfassung, für Finanzen und für Inneres zu überweisen. Die Federführung soll der Ausschuß für Recht und Verfassung übernehmen. Frau Wiechmann, das würde auch Ihre Intentionen erfüllen?

Wer dem Antrag auf Überweisung folgen möchte, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag auf Überweisung ist bei einer Reihe von Befürwortern mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich lasse über den Antrag direkt abstimmen. Wer dem Antrag in Drs. 3/3255 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen und einer Reihe von Befürwortern ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich lasse über den Antrag in Drs. 3/3291 und den Änderungsantrag in Drs. 3/3324 abstimmen. Es ist beantragt worden, den Antrag und den Änderungsantrag in die Ausschüsse für Recht und Verfassung, für Finanzen und

für Inneres zu überweisen. Der federführende Ausschuß soll der Ausschuß für Recht und Verfassung sein.

(Herr Bischoff, SPD: Halt! - Frau Leppinger, SPD: Der Innenausschuß soll der federführende Aus- schuß sein!)

- Den Innenausschuß hatten Sie als federführenden genannt.

(Herr Schomburg, CDU: Nein! Die Federführung ist strittig!)

- Also muß ich darüber gesondert abstimmen lassen.

Ich lasse zunächst über die Überweisung in die genannten Ausschüsse abstimmen. Wer stimmt zu? - Gegenstimmen? - Keine. Stimmenthaltungen? - Ebenfalls keine. Dann sind der Antrag und der Änderungsantrag in die drei Ausschüsse überwiesen worden.

Ich lasse über die Federführung abstimmen. Wenn der Ausschuß für Recht und Verfassung keine Mehrheit bekommt, dann erhält der Ausschuß für Inneres die Federführung. Wer für die Federführung durch den Ausschuß für Recht und Verfassung ist, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Ausschuß für Recht und Verfassung hat nicht die Mehrheit bekommen. Damit ist der Innenausschuß federführend.

Wir haben damit die Tagesordnungspunkte 27 und 28 beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung

Effekte der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/3261

Der Antrag wird durch die Abgeordnete Frau Budde eingebracht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Recht wird die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ immer wieder als d a s Wirtschaftsförderungsinstrument des Landes benannt, aber gleichzeitig wird auch immer kritisch hinterfragt: Ihr Wirtschaftler, was mach ihr denn mit dem Geld? Wo sind die geschaffenen Arbeitsplätze? Wo finden sich die Strukturen wieder? Warum sind die Arbeitslosenquoten trotzdem noch so hoch? Was habt ihr mit den vielen Millionen Mark gemacht? Und: Ihr könnt doch das Geld gar nicht alles ausgeben!

Zumindest das letzte Argument gilt schon etwas länger nicht mehr; denn inzwischen sind wir an einem Punkt angekommen, an dem uns eher die Ausgaben einholen. Aber auch die anderen Bemerkungen sind erklärbar.

Zunächst möchte ich das Argument überhaupt nennen: Wirtschaftsförderung schafft Dauerarbeitsplätze in überregional tätigen Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Damit hegen wir natürlich auch die Hoffnung, zumal dies auch hochproduktive Arbeitsplätze sind, daß sich die Lohnsituation, die Einkommenssituation gerade bei diesen Arbeitsplätzen dramatisch verbessert und daß sich damit auch die finanzielle Situation von Familien positiv entwickeln wird. Das ist schlichtweg auch, wenn man jetzt von der Arbeitsplatzsituation ausgeht,

das Argument, warum wir sagen: Diese Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt sind uns das wichtigste.

Zum anderen ist es auch so: Wirtschaftsförderung hat geholfen und hilft weiter, die Wirtschaftsstruktur selbst zu entwickeln und zu verbessern. Erst kürzlich war Herr Professor Pohl vom IWH wieder einmal in unserer Fraktion. Er hat noch einmal unterstrichen, daß man nicht unterschätzen sollte, was für eine wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur sich entwickelt hat, daß es durchaus sehr viele wettbewerbsfähige Unternehmen gibt, daß aber, wenn man insgesamt die Wirtschaftsstruktur betrachtet, die Decke noch zu dünn ist, daß es eigentlich noch zu wenige sind und daß das eigentliche Problem für Sachsen-Anhalt darstellt.

Deshalb wird auch in Zukunft Förderung notwendig sein. Da aber auch Geldnot herrscht - wir brauchen nur an die Aufstellung der letzten Haushalte zu denken, und ich will jetzt noch gar nicht an die Aufstellung des Haushalts für das Jahr 2001 denken -, sind die Mittel der öffentlichen Hand immer sehr knapp. Das heißt, daß zweite, was Professor Pohl und auch andere gefordert haben, nämlich eine Differenzierung der Förderung, eine stärkere strukturfördernde Ausrichtung der Förderung, wird ein Thema sein.

Deshalb möchten wir gern im Vorfeld der Haushaltsverhandlungen - dem soll auch unser Antrag dienen - in einer Fachdiskussion in den Ausschüssen, die sich das Thema Arbeitsplätze und Wirtschaftsstruktur auf die Fahne geschrieben haben, ganz ruhig über dieses Thema reden. Sie sehen das vielleicht auch schon an den Fragen, die wir in dem Antrag aufgeworfen haben.

Die meisten Zahlen wird mein Minister, denke ich, hinterher aufführen; aber lassen Sie mich als Einbringerin wenigstens auch einige Zahlen nennen. Wenn man den Zeitraum 1991 bis 1999 ansieht, sind mit der Gemeinschaftsaufgabe 5 799 Projekte der gewerblichen Wirtschaft mit einem Investvolumen von 46 066 Millionen DM gefördert worden und dadurch 127 249 Arbeitsplätze geschaffen und 126 728 Arbeitsplätze gesichert worden. Das ist, meine ich, eine ganz beachtliche Leistung, die in diesen Jahren vollbracht worden ist.

Es wird weiter kritisch hinterfragt: Wofür ist das Geld ausgegeben worden, für welche Arbeitsplätze? Es kommt auch oft das Argument: Da wird ein Betrieb das erste, das zweite, das dritte Mal gefördert, und am Ende sind es noch weniger Arbeitsplätze. Das ist in einigen Fällen natürlich richtig, aber die Gemeinschaftsaufgabe ist auch dafür eingesetzt worden, die Produktivitätslücke zu schließen, den Rückstand, den wir hatten, aufzuholen. Nachdem dieser Produktivitätsrückstand nun überwunden ist, gehen auch die Wissenschaftler davon aus, daß wir mit den jetzt eingesetzten Geldern einen höheren Beschäftigungseffekt erzielen, weil wir nämlich auf einen niedrigen, aber relativ gefestigten Sockel aufsetzen können.

Man darf sich gar nicht vorstellen, wie wenig Arbeitsplätze wir hätten, wenn dies in den letzten Jahren nicht gemacht worden wäre. Die von mir erwähnten Arbeitsplätze gäbe es dann nicht. Es ist auch klar: Nur durch diesen Einsatz der Wirtschaftsförderungsmittel konnte der Rest einer industriellen Basis erhalten werden.

Wenn man sich über die Arbeitsmarktförderung unterhält, ist klar - das bestätigen im Grunde alle Fraktionen und ebenso die Institute und die Arbeitsämter -, daß die Arbeitsmarktförderung, der zweite Arbeitsmarkt noch auf längere Zeit notwendig sein wird, weil sich die Differenz

zwischen Arbeitslosenquote, die sehr negativ für das Land aussieht, und der Erwerbstätigenquote, die wiederum, wenn man den Bundesdurchschnitt betrachtet, sehr normal für das Land aussieht, nicht so einfach beseitigen lassen wird.