Protokoll der Sitzung vom 23.06.2000

Zu den Inhalten des Gesetzes selbst. Der Innenminister ist kurz darauf eingegangen; ich will es auch tun. Wenn man schon zur Kommunalreform übergeht, aus der Freiwilligkeitsphase in die Pflichtphase kommt, muß man - darin gebe ich dem Innenminister recht - natürlich

Regelungen dafür haben, wie man dies tut. Diesen Versuch macht das Vorschaltgesetz. Ob das aber so funktionieren kann, muß, denke ich, inhaltlich sehr exakt geprüft werden.

Ich bleibe bei dem einen Beispiel: Für kommunale Wahlbeamte, die im Jahr 2001 gewählt werden, und zwar durch Urwahl, sieht dieser Gesetzentwurf vor, daß im Jahr 2004, wenn sich die Gebietskörperschaften verändert haben werden, keine Urwahl zum kommunalen Hauptverwaltungsbeamten stattfindet, sondern daß der Kreistag entscheidet, wer es weitermachen darf. Das ist ein Bruch zu dem, was wir in unserem Kommunalwahlrecht festgeschrieben haben.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der DVU- FL)

Dann - das ist ein bißchen Zuckerbrot, Herr Innenminister - bieten wir den Kollegen, die dabei im Jahr 2004 eventuell unterliegen, Garantien in bezug auf eine Weiterbeschäftigung als Beigeordneter an oder aber, wenn er sich abwählen läßt, eine 75prozentige Versorgung. Diese erhält er möglicherweise nach einer dreijährigen Amtszeit, sofern er im Jahr 2001 erstmalig gewählt worden ist. Frage: Wer bezahlt das eigentlich?

(Minister Herr Dr. Püchel: Das ist erste Wahlperi- ode!)

Die Gebietskörperschaft? Der kommunale Versorgungsverband? Oder gibt das Land vielleicht ein bißchen Geld dazu?

(Minister Herr Dr. Püchel: Die Verwaltungsge- meinschaften!)

Es ist also vieles zu klären, was im Ausschuß zu beraten wäre. Ich will jetzt nicht weiter auf die Einzelheiten eingehen; denn die rote Lampe leuchtet schon. Ich will nur sagen, wo beraten werden soll, und das aus gutem Grund.

Es werden drei Gesetze in diesem Artikelgesetz angeführt: die Gemeindeordnung, die Landkreisordnung, das Kommunalwahlgesetz. Das sind drei Gesetze, die so, wie sie heute gelten, mit sehr viel Mühe und Aufwand im Innenausschuß entwickelt worden sind. Deshalb muß dieses Vorschaltgesetz im Innenausschuß federführend beraten werden, mitberatend im zeitweiligen Ausschuß und im Ausschuß für Recht und Verfassung. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke. - Bevor ich den nächsten Debattenredner aufrufe, darf ich die zweite Gruppe der Schülerinnen und Schüler aus dem Gymnasium Gardelegen unter uns begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die DVU-FL-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Montag. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung möchte vor allen Dingen die freiwillige Phase des Zusammenfindens von Kommunen und Landkreisen mit gesetzlichen Grundlagen begleiten. Dagegen ist eigentlich nichts ein

zuwenden. Aber hat das Reförmchen von 1994 nicht gezeigt, daß Freiwilligkeit zwar gut gemeint ist, sich aber in der Praxis schwer durchsetzen läßt?

Der Hauptfehler besteht unserer Meinung nach darin, daß die Reform nicht oben ansetzt. Für die Bürger und alle jetzigen Mandatsträger muß doch zunächst einmal feststehen, wie die Reform im Land aussieht: Gibt es in der Zukunft noch Regierungspräsidien oder nur Landesverwaltungsaußenstellen? Wie sehen die zukünftigen Kreisgrenzen aus? Welche Aufgaben haben dann die einzelnen Verwaltungsebenen?

Es ist durchaus vorstellbar, daß ein Ort lieber mit einem anderen Ort aus einem jetzigen Nachbarkreis zusammengehen würde als mit einem Ort aus dem jetzigen Heimatkreis, gegen den er alte Vorbehalte hat. Die geschichtlichen Hintergründe sollte man dabei nicht außer acht lassen. Erst wenn die neuen Kreisgrenzen feststehen, kann man sich mit der Bildung von Einheitsgemeinden beschäftigen.

Rechtlich sehr bedenklich erscheint es uns, daß die kommunalen Verwaltungsbeamten beim Zusammenschluß von Gemeinden oder Landkreisen während einer laufenden Legislaturperiode, in welcher beide Amtsträger, seien es nun Landräte oder Bürgermeister, in Direktwahl zu ihrem Amt gekommen sind, nun von einem anderen Gremium an die erste bzw. zweite Stelle berufen werden. Geschieht dies kurz vor einer Neuwahl, hat der neue Amtsinhaber gar keine Möglichkeit, sich erkennbar zu profilieren; für seinen Stellvertreter war die Wahlniederlage schon ein Vorentscheid. Wenn beide Personen auch noch verschiedenen politischen Parteien angehören, ist mit einer gedeihlichen Zusammenarbeit zum Wohle der Bevölkerung nicht zu rechnen.

Der Wähler wurde aufgerufen, seinen Landrat bzw. seinen Bürgermeister für sieben Jahre zu wählen, und hat nun ein Recht darauf, daß die Person seines Vertrauens ihr Amtsgeschäft über die volle Legislaturperiode hinweg wahrnimmt. Sollte ein Bürger von Sachsen-Anhalt auf juristischem Wege gegen eine nachträgliche Wahl seines Bürgermeisters zum Stellvertreter eines anderen vorgehen und recht bekommen, wird das eine große Flut von Prozessen nach sich ziehen und das ganze Reformwerk gefährden.

Daher sind wir der Meinung, daß von der Landesregierung ein komplettes Reformpapier zu erarbeiten ist, bestehend aus Verwaltungsreform, Kreisgebietsreform und Kommunalreform. Die Reform muß erstens auf Landesebene ansetzen und dann nach unten führen. Zweitens muß gesichert werden, daß alle gewählten Mandatsträger die Legislaturperiode in dem Gebiet, in dem sie angetreten sind, zu Ende führen können.

Darüber hinaus sollte man bei der Festlegung der Einwohnerzahlen etwas flexibler vorgehen. Es ist schwer nachzuvollziehen, daß ein Ort mit 1 210 Einwohnern seine Selbständigkeit behalten darf, ein Ort mit 1 190 Einwohnern jedoch nicht.

So nötig alle oben genannten Reformen auch sein mögen - Bürgernähe, vor allem im ländlichen Raum, wird trotz gegenteiliger Beteuerung verlorengehen. Danke.

(Zustimmung bei der DVU-FL)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Budde. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Jeziorsky, das ist ein Leitbild der Landesregierung und nicht bloß eines des Innenministers.

Selbstverständlich hat sich die SPD-Fraktion auch im Vorfeld der Einbringung schon mit vielen Regelungen beschäftigt. Uns ist klar, daß es dazu vielfältige Diskussionen geben wird. Uns ist auch klar, daß es vermutlich die meisten Diskussionen über das geben wird, was nicht enthalten sein wird. Deshalb werde ich die beiden Problematiken, die nicht geregelt sind, zumindest benennen und ansprechen: die Stadt-Umland-Problematik und die Richtgrößen.

In bezug auf die Richtgrößen ist selbstverständlich zu beachten, daß es unterschiedliche Bevölkerungsdichten in Sachsen-Anhalt gibt. Deshalb haben wir mit besonderem Interesse die Vorstellung des Städteund Gemeindebundes zur Zukunft der Verwaltungsgemeinschaften zur Kenntnis genommen. Der Innenminister hat in diesem Punkt schon Entgegenkommen signalisiert.

In bezug auf die Vorstellungen, die sowohl die Abschaffung des Trägergemeindemodells betreffen als auch die Forderung nach der Fortentwicklung des Modells eines gemeinsamen Verwaltungsamtes, wenn es denn, wie es sich der Städte- und Gemeindebund vorstellen kann, mit der Übertragung von Zuständigkeiten funktioniert und dann im Regelfall von 1 000 Einwohnern für Mitgliedsgemeinden ausgegangen werden kann, ist ja schon ein Entgegenkommen in der Rede und in den sonstigen Beiträgen des Innenministeriums signalisiert worden.

Selbstverständlich können wir nicht davon ausgehen, daß wir bei allen Dingen schon den Stein der Weisen gefunden haben. Wir werden uns - wir sind es vom Innenministerium auch gar nicht anders gewöhnt - auf die Argumente der Verbände und Vereine nicht nur einlassen, sondern wir werden das mit ihnen konstruktiv diskutieren.

Zu den einzelnen Teilen des Vorschaltgesetzes. Ich möchte nur einige, die für uns von besonderer Wichtigkeit sind, noch einmal benennen.

Das betrifft einmal die Sicherung der lokalen Identität, die Regelungen zum Ausbau und zur Stärkung der Ortschaftsverfassung und zur Einführung von Wahlbereichen auch bei den Vertretungswahlen kreisangehöriger Gemeinden und das bundesweit einmalige Vetorecht, ebenso die Regelung über die Verwendung von hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamten bei Neugründungen. Hierbei ist hinsichtlich der Bestimmung der zukünftigen Amtsträger eine Wahl durch die neue Kommunalvertretung vorgesehen.

Ich will auch nicht verschweigen, daß es bei uns in der Fraktion Diskussionen darüber gab, ob dies nicht im Wege des Bürgerentscheides oder der Direktwahl passieren könnte, also eine Auswahl zwischen den bisherigen hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamten durchgeführt werden könnte. Das wäre eine interessante Idee, ist aber bei uns bisher aus verfassungsrechtlichen Gründen verworfen worden. Die Möglichkeit, so zu verfahren, ist bereits umfassend geprüft worden.

Als einen weiteren Punkt möchte ich den Wegfall der Pflicht zum Bürgerentscheid ansprechen. Dieser Punkt enthält nur das Wegfallen der Pflicht zum Bürgerentscheid. Der freiwillige Bürgerentscheid ist immer noch

möglich, so daß die Wahl in den Gemeinden und in den kommunalen Gebietskörperschaften dann selbst getroffen werden kann. Hier ist sicherlich darüber zu reden, wie dann die Mehrheiten im Gemeinderat beschaffen sein müssen, wenn sich eine Gemeinde für den Wegfall des Bürgerentscheides ausspricht.

Eine Bemerkung noch zur Regelung zum Personalübergang. Wir halten es für richtig, daß Angestellte und Arbeiter insoweit den Beamten einigermaßen gleichgestellt werden. Ich denke, daß ein solcher Umbau nur mit dem Personal vor Ort und mit den Mitarbeitern vor Ort überhaupt durchgesetzt werden kann.

Was Ihre Forderung angeht, daß das jetzige Vorschaltgesetz zur Kommunalreform erst dann im Ausschuß beraten werden soll, wenn ein Vorschaltgesetz zur Verwaltungsreform vorliegt, so kann ich mir zwar vorstellen, daß Sie auf diesem Gebiet selbst sehr bittere Erfahrungen gesammelt haben, weil Sie ja nicht mehr bis zum Gesetz über die Verwaltungsreform gekommen sind, sondern damals selbst bei der kommunalen Gebietsreform stehen geblieben sind, das andere also nicht mehr geschafft haben. Wir halten es trotzdem für sinnvoll, daß man mit der Beratung des Gesetzentwurfs zum Vorschaltgesetz zur Kommunalreform im Ausschuß durchaus schon beginnt - wir hatten uns darauf im Ausschuß bereits verständigt -, aber zumindest die Abstimmung trifft. In diesem Zusammenhang ist auch die Überweisung Ihres Entschließungsantrages zu sehen, daß das Vorschaltgesetz zur Kommunalreform diesen Landtag erst wieder erreicht, wenn das andere Gesetz, das Vorschaltgesetz zur Verwaltungs- und Funktionalreform, in den Ausschuß überwiesen worden ist. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister Herrn Dr. Püchel)

Vielen Dank. - Für die FDVP-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Wolf. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vorhaben wird als Entwurf eines ersten Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform benannt. Dabei ist offen, was man unter einem Vorschaltgesetz zu verstehen hat. Abgestimmt mit unseren Rechtsexperten, beziehen wir deshalb wie folgt hierzu Stellung.

Als Vorschaltgesetz wird gelegentlich die Norm benannt, die diesem beabsichtigten Verwaltungsreformverfahren vorangehen muß. Davon kann keine Rede sein, denn es besteht keine Abhängigkeit zwischen den zu regelnden Normmechanismen und dem beabsichtigten Verfahren. Aus Gründen der Klarheit sowie der Verständlichkeit hätte man das Begehren der Landesregierung auch „Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt, des Gesetzes zur Förderung der kommunalen Mandatstätigkeit, der Landkreisordnung und des Kommunalwahlgesetzes“ nennen können.

Vorschaltgesetz erinnert an Ermächtigungsgesetz,

(Unruhe bei der SPD)

an ein Gesetz also, welches die Befugnis zu einem bislang nicht zulässigen Verhalten erteilt. Rechtsgeschichtlich muß man nicht weit zurückgehen, um diese Form von Gesetzen einordnen zu können.

Es spricht nicht für die Sensibilität der Landesregierung, die Inhalte eines sogenannten Vorschaltgesetzes in den Bereich eines Ermächtigungsgesetzes zu verbringen. Die Landesregierung würde dem Vorschaltgesetz die Krone aufsetzen, wenn dieses Gesetz auch noch zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigen würde, denn spätestens dann hätte sich dieser unheilvolle Kreis geschlossen. Die Instinktlosigkeit der Exekutive würde dann - auch im Verbund mit der Dienstwagenaffäre - der Krone die Spitze aufsetzen.

Was hat wohl die Landesregierung aus der Vergangenheit gelernt, wenn sie für die Gegenwart nicht sensibel genug sein kann, während sie sich inhaltlich der Termini einer Zeit bedient, die endgültig der Vergangenheit angehören sollte?

Vier Bereiche will die Landesregierung wohl geändert wissen. Der erste Bereich bezieht sich auf die teilweise bestehenden Gegebenheiten der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt. Bezogen auf die zu ändernden Inhalte der Gemeindeordnung, ergeht sich die Landesregierung in Ungenauigkeiten und nicht nachvollziehbaren Aussagen.

(Frau Budde, SPD: Weil Sie es nicht verstehen!)

Ein Beispiel dafür findet sich in § 78 Nr. 1. Was sind „nicht leitende Bedienstete“? Das ist überhaupt nicht definiert.

Von einer Reform kann ernsthaft nicht die Rede sein; denn wie ausgeprägt sind die Inhalte, die einer Umgestaltung überhaupt unterworfen werden sollen? Die Landesregierung gibt sich hier selbst die Antwort. Sie stellt die Durchführung einer Kommunalreform in Aussicht und wird im Vorfeld, wie gehabt, immer wieder experimentieren. Die Fragezeichen werden damit immer Fragezeichen bleiben.

Das, was die Landesregierung geregelt wissen will, hätte sie auch im Rahmen einer echten Reform gestalten können. Redaktionelle Änderungen bedürfen keines Vorschaltgesetzes, was immer man darunter verstehen mag. Inhaltliche Veränderungen sind aber in diesem sogenannten Vorschaltgesetz kaum enthalten. Soweit sie geregelt sind, könnten sie auch im Rahmen einer echten Reform gestaltet werden. Es bedarf dazu nicht einer unendlichen Salamitaktik.