Protokoll der Sitzung vom 15.12.2000

Ich denke, alles Schönreden hat nichts geholfen. Das Problem bleibt bestehen. Ich will nicht noch einmal alles wiederholen. Ich habe zwar noch etwas vorbereitet, aber das bringt hier nichts. Ich denke, Sie wissen alle, welches Problem die organisierte Kriminalität weltweit, aber auch in unserem kleinen, bescheidenen Sachsen-Anhalt darstellt. Deshalb bitte ich noch einmal um die Überweisung des Antrags.

Wir können gern im Ausschuss noch einmal über den Inhalt und die Form reden, obwohl es eigentlich um einen Bericht geht. Der zweite Teil unseres Antrags zielt auf etwas anderes ab. Ich denke, darüber können wir im Ausschuss reden. Ich bitte, das Ganze in den Innenausschuss zu überweisen. Ich bitte dafür um Ihre Zustimmung. - Danke schön.

(Zustimmung bei der FDVP)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Sie haben vernommen, dass der Antrag gestellt wurde, den Antrag der Fraktion der FDVP in den Innenausschuss zu überweisen. Wer sich diesem Antrag anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich lasse über den Antrag selbst abstimmen. Es geht um die Berichterstattung im Innenausschuss. Wer sich dem Antrag anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das gleiche Bild wie zuvor. Auch dieser Antrag ist abgelehnt.

Meine Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt 38 beendet.

Wir kommen zum letzten Tagesordnungspunkt dieser Sitzungsperiode, zum Tagesordnungspunkt 39:

Erste Beratung

Stopp des Verkaufs des ehemaligen KZ Schloss Lichtenburg in Prettin

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/3990

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/4005

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Gärtner. Nach ihm wird der Innenminister sprechen. Dann folgt eine Fünfminutendebatte in der Reihenfolge SPD, DVU-FL, CDU, FDVP und PDS. - Bitte, Herr Gärtner, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Ihnen vorliegenden Antrag beabsichtigt die PDS-Fraktion, in eine Diskussion über die künftige Nutzung eines ehemaligen Konzentrationslagers einzutreten, die mit dem Ziel geführt werden sollte, eine trägfähige Lösung zu finden.

Ich möchte einen kleinen Abriss über die Geschichte des Schlosses in Prettin geben: Das als Witwensitz sächsischer Kurfürstinnen erbaute Schloss wurde von 1812 bis 1829 als Zuchthaus genutzt. Von 1933 bis 1939 befand sich hier eines der - in Ausführungsstrichen - frühen Konzentrationslager der Nazis.

Im Jahr 1933 wurde hier ein so genanntes Sammellager für staatsfeindliche Elemente eingerichtet, in dem bis 1937 Männer und danach Frauen inhaftiert wurden. Es waren überwiegend politische Häftlinge, aber auch Juden, Homosexuelle, Bibelforscher und weitere rassistisch Verfolgte.

Es waren unter anderem Friedrich Ebert junior, Wilhelm Leuschner, Carlo Mierendorff, Max Abraham, Alfred Kantorowicz, Wolfgang Langhof, Hans Lorbeer, Lotti Huber, Olga Benario-Prestes und viele andere mehr in Prettin interniert. Umstritten ist unter Forschern auch,

ob der bekannteste Sozialdemokrat der Nachkriegszeit, Kurt Schuhmacher, kurzzeitig in Prettin interniert war.

Die männlichen Häftlinge wurden im Jahr 1937 in die Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen verlegt. Die weiblichen Häftlinge wurden im Jahr 1939 in das Konzentrationslager Ravensbrück überführt. Danach diente das Schloss bis 1945 als Zeugamt der SS.

Im Jahr 1965 wurde im Bunker des ehemaligen KZ eine Mahn- und Gedenkstätte eingerichtet, in der die Zellen im Originalzustand erhalten sind.

Des Weiteren sind große Teile die Schlosses zu DDRZeiten von der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft genutzt worden. Ich denke, dies geschah in unwürdiger Weise. Damit wurde mit einem ehemaligen Konzentrationslager nicht ordnungsgemäß und angemessen umgegangen. Das, denke ich, ist ganz kritisch zu beleuchten.

Im Jahr 1974 erfolgte eine Erweiterung um drei Ausstellungsräume.

Die Mahn- und Gedenkstätte befindet sich heute in Trägerschaft des Landkreises Wittenberg. Dieser hat es Anfang die 90er-Jahre versäumt, auf Landes- und Bundesebene deutlich zu machen, dass dies eine Gedenkstätte mit überregionalem Charakter ist, was meines Erachtens angesichts der langen Liste der dort inhaftierten prominenten Leute unumstritten ist.

Momentan gibt es Gespräche und Initiativen zur Umgestaltung der Gedenkstätte, die auch mithilfe von Landesgeldern vorgenommen werden soll. Entsprechende Mittel sind in diesem, im nächsten und im Jahr 2002 in Form von Verpflichtungsermächtigungen in den Landeshaushalt eingestellt worden. Das wird von uns ausdrücklich unterstützt, und hier muss auch Druck gemacht werden, insbesondere in Richtung des Landkreises, damit das zügig vollzogen wird.

Es wurde jedoch auch bekannt, dass das Schloss auf der Versteigerungsliste des Bundes steht, da es sich in Bundesbesitz befindet. Ich will seitens meiner Fraktion ganz klar sagen: Ein ehemaliges KZ auf eine Versteigerungsliste zu setzen, ist in der Tat unsensibel und einfach der Geschichte des Schlosses nicht angemessen.

(Zustimmung bei der PDS und von Herrn Olei- kiewitz, SPD)

Wir haben für die Opferverbände volles Verständnis. Es wird zwar immer wieder betont, ein Verkauf fände nur dann statt, wenn die Gedenkstätte als ein Bestandteil erhalten bleiben würde, aber das bezweifeln nicht nur die Opferverbände, sondern auch Juristen; denn diese meinen, dass das rechtlich letztlich nicht zu halten ist. Die Gefahr, dass am Ende eine kleine Ecke am Rande des Schlossgeländes übrig bleibt, ist groß.

Deshalb haben wir heute diesen Antrag eingereicht. Wir plädieren dafür, den geplanten Verkauf des ehemaligen KZ Schloss Lichtenburg in Prettin unverzüglich zu stoppen. Es müssen zuallererst Alternativen auf den Tisch.

Aus diesem Grund sollte der Bund in Zusammenarbeit mit Land und Landkreis prüfen, inwiefern das Schloss zum Beispiel zu einer internationalen Jugendbegegnungsstätte unter Einbeziehung des Gedenkstättencharakters entwickelt werden kann, was im Übrigen von der Kommune ausdrücklich begrüßt und unterstützt wird. Es wird gefordert, solche Konzepte nochmals zu prüfen.

Das bedeutet letztlich auch, dass umfangreiche finanzielle Mittel vonseiten des Bundes zur Verfügung zu stellen sind. Allen hier in diesem Saal ist, denke ich, klar, dass dieser Komplex weder vom Landkreis noch vom Land finanziert werden kann. Dabei brauchen wir umfangreiche Hilfe vom Bund. Der Bund hat ja zusätzliche finanzielle Mittel besonders für solche Maßnahmen zur Verfügung gestellt.

Um den Gesamtkomplex als Mahn- und Gedenkstätte zu erhalten, muss der Bund anerkennen, dass dies eine Gedenkstätte ist, die überregionalen und unseres Erachtens auch internationalen Charakter besitzt. Schloss Lichtenburg war schließlich eines der ersten Konzentrationslager in Deutschland.

Ich denke, dass eine Überweisung beider Anträge an den Innenausschuss notwendig ist; dort sollte eine Anhörung zum Sachverhalt stattfinden. Im Übrigen wird an diesem Beispiel deutlich, dass wir dringend eine breite Diskussion auf Landesebene über die Gedenkstättenkonzeption Sachsen-Anhalts benötigen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Oleikiewitz, SPD)

Danke sehr. - Wie bereits angekündigt, hat jetzt Innenminister Dr. Püchel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Antrag will die PDS-Fraktion, wie wir es eben auch hörten, einen Stopp des vom Bund geplanten Verkaufs des Schlosses Lichtenburg in Prettin erreichen. Die Antragsteller scheinen zu befürchten, dass die Gedenkstätte im Schloss, die an die dortigen Opfer der NSDiktatur erinnert, durch diesen Verkauf in ihrer Existenz gefährdet ist.

Herr Gärtner hat einiges zur Geschichte gesagt, auch zur Nutzung nach dem Kriege. Er erwähnte auch, dass die Ausstellung dort im Jahre 1978 eingeweiht wurde.

Diese Ausstellung von 1978 ist, von wenigen Änderungen abgesehen, bis auf den heutigen Tag unverändert geblieben; sie ist ein authentisches Zeugnis der Darstellung der NS-Diktatur durch die SED an einem Ort furchtbaren Leidens. Historische Zusammenhänge, die zum Entstehen der Nazidiktatur führten, sind verzerrt dargestellt worden; die kommunistischen Opfer wurden in den Mittelpunkt der Ausstellung gerückt. Die SED gab sich als legitimer Erbe des antifaschistischen Widerstandskampfes aus.

Zur Legitimation der SED-Herrschaft durch die Darstellung der Ereignisse im KZ-Lichtenburg gehört aber auch, dass ganze Opfergruppen ausgeblendet wurden. Sie sind zwar eben von Herrn Gärtner genannt worden; aber in der Ausstellung sind sie ausgeblendet worden: Zeugen Jehovas, Homosexuelle und jüdische Opfer passten nicht in das Bild vom propagierten antifaschistischen Widerstandskampf und schon gar nicht zu den politischen Vorgaben der SED-Führung in den 60er- und den 70er-Jahren.

Während sich die SED-Führung als einziger Nachfol- ger des antifaschistischen Widerstandskampfes ausgab, wurde der authentische Ort des Leidens der Häftlinge - Herr Gärtner hat es erwähnt - entweiht. Im ehemaligen Zellenbau richtete die ansässige LPG eine Werkstatt und ein Lager für Reifen, Kartoffeln und andere Dinge

ein. Die kunsthistorisch wertvolle Schlosskirche diente als Kornspeicher.

Nach dem Untergang der DDR übernahm der Bund die Liegenschaft. Der Landkreis Wittenberg betreibt die Gedenkstätte im Rahmen des dort ebenfalls ansässigen Kreismuseums. Seit der Auflösung der LPG und der Berufsschule wird das Schloss lediglich aufgrund der musealen Einrichtungen genutzt.

Die schwierige und gegenwärtig unbefriedigende Situation der Gedenkstätte Lichtenburg ist dem Land natürlich bekannt. Deshalb hat sich der Gedenkstättenbeirat des Landes in den letzten Jahren bereits mehrfach mit dem Problem der Gedenkstätte Lichtenburg befasst. Im Jahre 1998 führte er zu diesem Zweck vor Ort eine Beratung durch.

Ich persönlich habe vor einigen Monaten die Gedenkstätte besucht und mich über die historischen Ereignisse und die gegenwärtige Situation informiert. Die erwähnte Nutzung authentischer Orte durch die LPG hat mich dabei regelrecht schockiert.

Aufgrund der Gespräche mit den Beteiligten bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass das Land die Kommune bei der Umgestaltung der Gedenkstätte konzeptionell und finanziell unterstützen muss. Zur Verbesserung der Situation der Gedenkstätte Lichtenburg hat das Land mit dem Landkreis Wittenberg seit längerem Gespräche geführt, die zu folgenden Ergebnissen geführt haben:

Erstens. Ziel der Umgestaltung soll es ein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die heutige Generation historisch korrekt über die Ereignisse im KZ Lichtenburg informiert wird. Die Gedenkstätte muss in jeder Hinsicht in die Lage versetzt werden, ihre Funktion als Ort der Trauer, des Lernens und der Begegnung voll zu erfüllen.

Zweitens. Vor Beginn der Umgestaltung ist eine Konzeption für die Gedenkstätte innerhalb des Schlossensembles zu erarbeiten.

Drittens. Vor Erarbeitung einer neuen Ausstellung sind gründliche historische Forschungen und Recherchen durchzuführen.

Viertens. Auf der Grundlage dieser zu erarbeitenden Konzepte werden ab dem Jahr 2002 sowohl die Umgestaltung der Ausstellung als auch der Umbau des Hauses vorgenommen.

In den von der Landesregierung vorgelegten Haushaltsplan des Jahres 2001, den wir am gestrigen Tage beschlossen haben, ist eine Verpflichtungsermächtigung in sechsstelliger Höhe für das Jahr 2002 eingestellt worden.

Fünftens. Nach Vorliegen eines detaillierten Konzeptes für die zukünftige Gestaltung der Gedenkstätte wird ein entsprechender Förderantrag an den Bund gestellt.

Sechstens. Das zuständige Dezernat des RP Magdeburg wird den Landkreis Wittenberg in allen Fragen der Umgestaltung der Gedenkstätte unterstützen.

Meine Damen und Herren! Von entscheidender Bedeutung für den weiteren Erhalt des gesamten Gebäudeensembles ist die Herbeiführung einer möglichst vollständigen Nutzung dieses Komplexes. Der gegenwärtige Leerstand wird auf Dauer zu einer weiteren Verschlechterung der Gebäudesubstanz führen und letztlich auch nicht im Sinne der Gedenkstätte und der Opfer des NSRegimes sein.