Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

Man muss aber auch sagen - das ist an dieser Stelle noch nicht zur Sprache gekommen, meine Damen und Herren -, auch der Wettbewerbsföderalismus hat bei der Einigung einen partiellen Sieg errungen. Die Geberländer sollen von ihren überdurchschnittlichen Steuereinnahmen mehr behalten können als bisher - ein sicher notwendiger Anreiz für diese Länder zur Erzielung von mehr Steuereinnahmen, ein notwendiger Anreiz - das werden Sie von der PDS nicht so oft hören - auch aus der Sicht der PDS; denn der Wettbewerb hat bei der Einigung keine Übermacht über die Solidarität zwischen den Ländern erreicht.

Meine Damen und Herren! Die Finanzkraft der Kommunen wird bei der Feststellung der Finanzkraft im horizontalen Finanzausgleich statt bisher mit 50 % nunmehr mit 64 % festgesetzt. Gefordert - daran will ich doch erinnern, Herr Ministerpräsident - war eine 100prozentige Berücksichtigung. Geringfügig wurde auch die Einwohnerbewertung der dünn besiedelten Gebiete wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg erhöht. Das sind zwei magere Kompromisse, aber immerhin, es sind Schritte nach vorn.

Die bis zuletzt schwierige Einigung ist - auch das werden Sie nicht so oft von der PDS hören - zweifellos auch eine beachtliche Leistung des Bundeskanzlers. Er sagt und ist so zitiert worden, dass der deutsche Föderalismus eine Bewährungsprobe bestanden hat. Zweifellos ist das so richtig.

Meine Damen und Herren! Doch einen sehr benachteiligten Akteur im Finanzausgleich hat man dabei vergessen. Die Chance, das System der Kommunalfinanzierung neu zu ordnen, wurde dabei verpasst. Zum Beispiel zählt auch die Neuregelung der Aufteilungsquoten von Gemeinschaftssteuern zum Finanzausgleich. Daran sind die Kommunen direkt beteiligt und vergessen worden.

Zum Schluss eine Anmahnung, ein Dämpfer und eine Feststellung.

Zwei Drittel der gesamten Fördersumme, also insgesamt 206 Milliarden DM - der Herr Ministerpräsident hat darauf hingewiesen, es sind die Bundesergänzungszuweisungen -, werden degressiv gestaffelt bereitgestellt. Das müssen wir schon zur Kenntnis nehmen. Die Höhe der Bundesergänzungszuweisungen sinkt von 20,6 Milliarden DM auf 9,9 Milliarden DM im Jahr 2015 und auf 4,1 Milliarden DM im Jahr 2019. Man muss festhalten: Dem muss man in der mittel- und langfristigen Finanzplanung entsprechen.

Der Dämpfer: Herr Ministerpräsident, Sie haben festgestellt, dass Sachsen-Anhalt aus dem Kompromiss zusätzliche Einnahmen in Höhe von 39 DM je Einwohner erhält. Ich will noch einige weitere Zahlen nennen. Berlin erhält 50 DM je Einwohner, Brandenburg 49 DM je Einwohner, Mecklenburg-Vorpommern 43 DM je Einwohner, Sachsen 40 DM je Einwohner, nur Thüringen erhält weniger als Sachsen-Anhalt. So gut schneiden wir also nicht ab.

Mit der Feststellung will ich zu meiner Einleitung zurückkommen. Ich habe gesagt, der Bund zahlt die Zeche des Einigungskonfliktes. Der Bund wird kein Geld drucken können. Der Bund wird auch von seinem Ziel der Konsolidierung des Bundeshaushaltes nicht zurücktreten. Das wird in keiner Weise infrage gestellt werden. Wer wird also letztlich die Zeche bezahlen? Das muss ich als Vertreter meiner Fraktion an dieser Stelle schon fragen.

(Zuruf von Herrn Kühn, SPD)

In Auswertung der Steuerpolitik der vergangenen drei Jahre lässt sich voraussagen: Die Großunternehmen, die Banken und die Versicherungskonzerne werden es auf jeden Fall nicht sein. - Ich danke Ihnen herzlich.

(Beifall bei der PDS)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Fraktion der DVU verzichtet auf einen Redebeitrag. Ich erteile

deshalb der Abgeordneten Frau Wiechmann für die FDVP-Fraktion das Wort. Bitte, Frau Wiechmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir, die FDVP-Fraktion, sind natürlich froh darüber, sogar sehr froh, dass es diese Solidarität unter den Deutschen so noch gibt. Aber ich denke, hierbei gilt es auch Hintergründe zu erfragen.

Zunächst, Herr Ministerpräsident, ist Ihre Regierungserklärung erneut ungeeignet, die Situation SachsenAnhalts wahrheitsgetreu aufzuzeigen. Verlässliche Zahlen, Herr Dr. Höppner, aus Gutachten von vor zwei Jahren - ich denke, damit haben Sie sicherlich die Bevölkerungszahlen gemeint. Diese Situation, meine Damen und Herren, ist in allen Bereichen mehr als negativ zu bewerten.

Herausgegriffen sei an dieser Stelle aber nur Ihre Wirtschaftspolitik, Herr Dr. Höppner; denn sie hat uns zu dem gemacht, was Sachsen-Anhalt jetzt ist, nämlich zum Nehmerland. Sie haben es in nur sieben Jahren verfehlter Politik geschafft,

(Oh! bei der SPD)

Sachsen-Anhalt zum Träger aller roten Laternen in Deutschland zu machen. Die Wiederholung bekannter Tatsachen gehört deshalb einfach hierher. Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit, das geringste Wirtschaftswachstum, die wenigsten Unternehmen gemessen am Bundesdurchschnitt, die höchste Pro-Kopf-Verschuldung, die meisten Abwanderungen, ja selbst bei der Zahl der Internet-Anschlüsse sind wir trotz Ihrer Regierungserklärung zur Informationsgesellschaft die Schwanzspitze.

(Zuruf von Herrn Rahmig, SPD)

Nun gibt es aber eine weitere zukunftsweisende Regierungserklärung, die wir heute gehört haben, deren Vorauswertung wir so nicht vornehmen konnten. Das wird aber auch nicht nötig sein; denn das berufsbedingte Jubeln hat seine Tücken, so wie der Solidarpakt II.

Es werden uns darin Anteile in Aussicht gestellt, die überhaupt nicht in Sack und Tüten sind, wenn sie es denn jemals sein werden. Wenn die Regierung jetzt meint, die Feier vor dem Sieg abzuhalten, dann hat sie gewaltige Unwägbarkeiten wissentlich - allerdings tendiere ich dazu zu sagen, unwissentlich - einfach negiert.

Meint man denn ernsthaft - die Fragen müssen doch hier gestellt werden -, die Osterweiterung wird den Solidarpakt nicht beschädigen? Meint man denn ernsthaft, die Euro-Einführung bringt keine Erschütterungen in das Gefüge? Meint man denn ernsthaft, meine Damen und Herren, die Steuereinnahmen des Staates werden relativ stabil bleiben angesichts der „tollen“ wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und der ständigen Korrektur der Prognosen nach unten? Wissen wir denn, in welche Kriege Deutschland in Zukunft noch hineinbefohlen wird?

In Wahrheit musste das Thema erst einmal vom Tisch, egal wie. Wenn ich dann lese, wir alle sind nicht daran interessiert, dass diese sehr komplizierte Materie in den Bundestagswahlkampf gerät, dann haben Sie es auf den Punkt gebracht: Raus ist raus.

Meine Damen und Herren! Wenn dann in einer nahe gelegenen Zukunft die Neugliederung des Bundes erfolgt, wird das gepriesene Modell augenblicklich verdampfen.

Es wagen sich doch erstaunlich viele Kritiker ganz weit nach vorn. So lesen wir in der „Frankfurter Allgemeinen“ - ich darf bitte zitieren -:

„Was die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler daraus gemacht haben und am Wochenende als großartigen Erfolg feierten, läuft doch auf das Gegenteil hinaus, auf die Fortschreibung eines Föderalismus, der zu einem System organisierter Verantwortungslosigkeit degeneriert ist. Man entnimmt ferner, dass fast alles beim Alten bleibt.“

(Zurufe von der SPD)

„Die armen Länder erhalten dieselben Zuschüsse wie vorher. Die reichen Länder dürfen ein paar Steuermark mehr behalten. Den Rest zahlt Herr Eichel stillschweigend aus der Bundeskasse.“

Das ist es also, meine Damen und Herren und Herr Dr. Höppner, was es heute zu feiern gilt. Künftig soll Sachsen-Anhalt 39 DM pro Einwohner über den so genannten horizontalen Finanzausgleich erhalten. In diesem Zusammenhang wurde allerdings die Pro-KopfVerschuldung, Herr Dr. Höppner, von 13 500 DM in Sachsen-Anhalt nicht genannt.

Und so ist die Regierung rundum zufrieden. Die innerdeutsche Solidarität habe funktioniert. Herr Thierse hat auch funktioniert, vielleicht zu gut, als er wörtlich sagte: „Der Osten steht auf der Kippe.“

Er wurde offiziell zurückgenommen, aber nicht so schlimm wie Gabriel. Der wurde ganz zurückgenommen, weil er zu viel hinausgelassen hat.

Auch wir sind natürlich froh - das betone ich hier noch einmal -, dass es den Solidarpakt nun weiter gibt; denn ohne diese finanziellen Hilfen bleibt SachsenAnhalt auf der Kippe. Aber an den Menschen, meine Damen und Herren, liegt das nicht. Die sind motiviert und die wollen etwas leisten. Wenn das hier nicht geht, dann eben woanders. Diese Schuldfrage, Herr Ministerpräsident, haben Sie in die Regierungserklärung heute nicht eingebaut.

Ich habe zu Anfang die Wahrheit angemahnt. Nun kommen Sie erneut daher und haben uns das Verhandlungsergebnis zum Solidarpakt II als großen Erfolg verkauft. Sie wollen wiederum den Menschen weismachen, welch großartiger Ministerpräsident Sie sind. - Nämlich der Beste, weil Sie zwar das Land fast ruiniert haben, aber schlussendlich doch noch Geld für uns herausgeschlagen haben. Das alles wird natürlich mit großem Getöse inszeniert. Wir haben ja im nächsten Jahr Wahlen in Deutschland.

Ob die Inszenierung allerdings aufgeht, meine Damen und Herren, ob das Paket tragfähig ist, das Sie uns heute verkauft haben, das muss sich noch zeigen. Zweifel sind auf jeden Fall angebracht; denn die düsteren Konjunkturaussichten bedeuten nichts Gutes. Sachsen-Anhalt hat ja auch bedeutenden negativen Anteil daran.

Meine Damen und Herren! Es gibt aus dem hier Gesagten nur eine Schlussfolgerung: Wir sind froh über die Chance, die Sachsen-Anhalt noch einmal bekommt. Ja, wir sind froh über diese Chance und sie muss genutzt werden. Aber wenn die finanzielle Lage unseres Landes langfristig gesichert werden soll - so wie Sie es gesagt haben, Herr Ministerpräsident -, dann müssen wir uns auf die eigene Kraft besinnen. Sie sollten als SPD dabei

nie wieder an das Ruder kommen, unserer Auffassung nach auch nicht als Sanierer. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren, die Debatte ist damit abgeschlossen. Beschlüsse werden nicht gefasst. Damit ist der Tagesordnungspunkt 0 beendet.

Vereinbarungsgemäß setzen wir fort mit dem Tagesordnungspunkt 11:

Erste Beratung

Entwurf eines Dritten Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform (Verbandsgemeindeeinführungsgesetz - VGEG)

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 3/4670

Einbringer ist der Innenminister Herr Dr. Püchel. Es folgt dann eine Fünfminutendebatte in der Reihenfolge PDS, FDVP, CDU, SPD und DVU. Bitte, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem heute einzubringenden Entwurf eines Dritten Vorschaltgesetzes machen wir auf dem Weg unserer Kommunalreform einen weiteren Schritt nach vorn. Die politische Grundsatzdiskussion über den wesentlichen Inhalt des Gesetzes, nämlich über die Weiterentwicklung des Verwaltungsgemeinschaftsmodells, haben wir bereits im Rahmen der Verabschiedung des Zweiten Vorschaltgesetzes geführt. Das, was im Entwurf des Dritten Vorschaltgesetzes ausgefüllt wird, ist in Form von Eckpunkten bereits im Zweiten Vorschaltgesetz fixiert worden.

Das Dritte Vorschaltgesetz wird zwar erst am 1. Juli 2004 in Kraft treten. Gleichwohl soll es aber schon jetzt verabschiedet werden, um unseren Kommunen Planungssicherheit zu geben.

Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entwurf entwickelt die Verwaltungsgemeinschaften nachhaltig weiter. Die Verwaltungsgemeinschaft, die von eigenständigen Gemeinden getragen wird, soll auch im Interesse der Mitgliedsgemeinden fortentwickelt werden.

Bereits in den mündlichen Erörterungen im Rahmen der Erstellung des Leitbildes für eine Kommunalreform im Land Sachsen-Anhalt im Jahre 1999 war die Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften ein Thema gewesen.

So wurde aus dem kommunalen Bereich die Forderung erhoben, Zuständigkeiten im eigenen Wirkungskreis originär auf die Ebene der Verwaltungsgemeinschaften zu übertragen, sie dort anzusiedeln. Die in den Erörterungen vorgetragenen Überlegungen machte sich auch der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalts zu Eigen. Auch der Verband sah in seiner Stellungnahme vom Mai 2000 in einer Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften Möglichkeiten, die Verwaltungsqualität zu steigern.

Ich habe im Juni des letzten Jahres diese Forderung aus der Praxis aufgegriffen und auf vielen Veranstaltungen

im Lande diskutiert. Mit der Vorlage eines ersten Referentenentwurfes am 1. März 2001 setzte eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit zum Thema qualifizierte Verwaltungsgemeinschaft bzw. Verbandsgemeinde ein. Der Entwurf wurde von uns namentlich im Bereich der Aufgabenübertragung so weit wie möglich ausgestaltet. Damit wollten wir den möglichen Gestaltungsspielraum aufzeigen. Wir wollten zeigen, wie weit man gehen könnte, aber keinesfalls gehen muss.

Der Entwurf stellte ein Angebot an die Kommunen dar. Er sollte eine breit angelegte Diskussion über die Aufgabenverteilung zwischen der Verbandsgemeinde und den Mitgliedsgemeinden eröffnen. Diese Diskussion hat stattgefunden und hat geholfen, das Reformvorhaben an den Bedürfnissen der Praxis zu orientieren.