Protokoll der Sitzung vom 29.06.2001

Der Frauenvollzug in Sachsen-Anhalt entspricht in keiner Weise dem normalen Frauenvollzug. Eine eigene

Frauenvollzugsanstalt fehlt gänzlich. Der geschlossene Frauenvollzug befindet sich als angegliederte Abteilung im Männervollzug und wird als Anhängsel betrieben.

Der bundesweit geforderte offene Vollzug kann in Sachsen-Anhalt nicht praktiziert werden; denn die baulichen Voraussetzungen sind dafür nicht vorhanden. Das Objekt Kirchtor 20 in Halle, in unmittelbarer Nachbarschaft zur JVA, wurde meines Wissens vor drei Jahren vom Land gekauft. Es sollte unter dem Aspekt saniert werden, den offenen Vollzug für Frauen zu installieren. Zehn Freigängerplätze könnten geschaffen werden; das heißt, das Haus wäre möglicherweise auch ausgelastet.

Die schlechte Haushaltslage ließ jedoch bislang eine Sanierung des Objektes Kirchtor 20 nicht zu. Die Kosten für die Instandsetzung, die nötig wären, sind inzwischen durch den stetigen Verfall des Hauses auf ein Mehrfaches gestiegen. Wären vor drei Jahren noch ca. 500 000 DM für die Sanierung notwendig gewesen, beläuft sich heute die Sanierungssumme auf geschätzte 2 Millionen DM - Tendenz steigend.

Den Widrigkeiten zum Trotz darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Angestellten der Justizvollzugsanstalten, in denen verurteilte Frauen untergebracht sind, sich bemühen, aus den Gegebenheiten des geschlossenen Vollzugs das Optimale für ihre Klientel im Sinne des Resozialisierungsanspruches herauszuholen. Eine Reformierung des Frauenvollzugs sollte dennoch schnellstens unter Ausreizen aller Möglichkeiten erfolgen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Anteil der weiblichen Gefangenen beläuft sich, gemessen an der Bevölkerungszahl, in Sachsen-Anhalt lediglich auf 0,02 %. Meines Wissens sind 56 Inhaftierte Mütter.

Wegen der relativ geringen Anzahl der weiblichen Gefangenen sind sämtliche Haftarten unter einem Dach zusammengefasst, von der Erzwingungshaft über die Ersatzfreiheitsstrafe bis hin zu einer lebenslangen Haftstrafe. Gefordert werden sollte die Trennung der einzelnen Haftbereiche, um bessere Vollzugsbedingungen schaffen zu können. Zum Beispiel müsste es ermöglicht werden, dass jene, die eine Ersatzfreiheitsstrafe oder Erzwingungshaft verbüßen, nicht unter den verschärften Sicherheitsvorkehrungen zu leiden haben, die den Langzeitinhaftierten auferlegt werden.

Einen weiteren Schwerpunkt stellt die schulische und berufliche Aus- und Fortbildung dar. Altersbedingt sollten besonders jugendliche Insassinnen davon profitieren.

Das Angebot an Aus- und Fortbildung für Mädchen und Frauen ist mit dem Angebot im männlichen Vollzug in der Regel nicht vergleichbar. Mir ist bekannt, dass es schwierig ist, koedukative Aus- und Fortbildungsmaßnahmen an die Frau bzw. an das Mädchen zu bringen. Auch wenn sich viele Insassinnen darüber im Klaren sind, dass eine Ausbildung unter dem Gesichtspunkt wichtig ist, nach der Haftzeit in der Gesellschaft besser Fuß fassen zu können, werden angebotene gemeinsame Maßnahmen mit männlichen Inhaftierten bis jetzt abgelehnt.

Sicher ist dies unter anderem der Tatsache geschuldet, dass viele weibliche Gefangene ein ausgesprochen schlechtes Männerbild haben, den Mann zum Beispiel als Schläger, Freier, Zuhälter oder Vergewaltiger erleben mussten und/oder bereits in der Kindheit Gewalt am eigenen Leib erlebt haben. Alte Ängste kommen in der Gesellschaft von Männern wieder auf. Andere Inhaftierte haben ein so unterentwickeltes Selbstwertgefühl, dass

sie sich scheuen, sich in der Männerwelt zu bewegen. Aufgrund ihrer deutlichen zahlenmäßigen Überlegenheit wird die Welt in der Anstalt zwangsläufig als Männerwelt wahrgenommen.

Sehr geehrte Damen und Herren! In der Berichterstattung sind aufgeworfene Fragen nach der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Mutter- und Kindstationen aufgelistet. Erfahrungen aus praktizierenden Anstalten - das generell nur im offenen Vollzug - stellen diese trotzdem wieder infrage. Für Kinder, die dem Säuglingsalter entwachsen sind, stellt die gemeinsame Inhaftierung eine seelische Belastung dar. Helga Einsiedel spricht in ihrem Buch „Mütter und Kinder im Gefängnis“ davon, dass eine Inhaftierung ein in seiner Bedeutung kaum zu unterschätzendes Erlebnis der Verunsicherung ist und oft für ein ganzes Leben anhält. Das dürfte übrigens nicht nur für die Kinder, sondern für die Mütter gleichermaßen zutreffen.

Es stellt sich die Frage, ob die Entfremdung und Entwurzelung durch die Trennung von ihren Müttern bei den Kindern weniger Spuren hinterlässt als die Inhaftierung. Zum Teil werden Kinder im Vollzug als Druckmittel von anderen Gefangenen missbraucht. Sollte schlussfolgernd eine Einzelfallprüfung nicht stärker darauf ausgerichtet sein, dass von Haftvermeidungsformen Gebrauch gemacht wird? Handlungsspielräume dazu sind in Sachsen-Anhalt vorhanden und werden zum Teil auch genutzt.

Wenn die PDS-Fraktion im vorliegenden Antrag auf Besonderheiten einzugehen wünscht, dann sollten das nicht nur die äußeren Bedingungen sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch körperliche Auffälligkeiten, wie Migräne, Magenbeschwerden und dergleichen, bei weiblichen Inhaftierten stärker ausgeprägt sein könnten als bei Männern. Des Weiteren denke ich, dass diese Beschwerden vorrangig psychosomatischer Natur sind und mittels psychologischer und sozialtherapeutischer Maßnahmen wirkungsvoller zu beheben sind als medikamentös. Um Auskunft zu diesen Fassetten bitten wir ebenfalls.

Öffentlich wird das Problemfeld „Frauenstrafvollzug“ nur bedingt bis gar nicht wahrgenommen. Lassen wir nicht zu, dass Frauen im politischen Alltag weiterhin als eine von vielen Randgruppen behandelt werden. Tragen wir als Parlamentarier dazu bei, dass inhaftierte Frauen aus der Tabuzone, in der sie sowohl in der Gesellschaft als auch in der politischen Wahrnehmung leben, herausgeholt werden.

Ich darf mich bei der CDU-Fraktion für den Änderungsantrag bedanken. Ich würde ihn gerne übernehmen und ihn nahtlos an den PDS-Antrag anschließen lassen. Ich bitte um Zustimmung zum Antrag der PDS-Fraktion.

Des Weiteren möchte ich, dass die Berichterstattung lediglich im Ausschuss für Recht und Verfassung vorgenommen wird. Ich halte es für ausreichend, wenn die genannten anderen Ausschüsse hierzu eingeladen würden. Bei einer Berichterstattung in vielen Ausschüssen wären, glaube ich, das Justizministerium und auch die Damen und Herren Abgeordneten in gewisser Weise überfordert. Wenn die entsprechenden Ausschüsse zu der Berichterstattung im Ausschuss für Recht und Verfassungsfragen eingeladen werden, steht es jedem Abgeordneten frei, hieran teilzunehmen.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Frau Kollegin, für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion in folgender Reihenfolge vereinbart worden: CDU, DVU, SPD, FDVP, PDS. Es beginnt für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Herr Kuntze.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Einführung von Frau Knöfler bringt mich auf den Gedanken ich muss auch irgendwie auf das Tucholsky-Zitat eingehen -, an die Adresse der PDS zu sagen: Vielleicht hätte Frau Hein genau dieses tun sollen, bevor sie sich dazu äußert, ob die DDR ein Unrechtsstaat ist oder nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDVP - Zustim- mung von Herrn Kannegießer, DVU)

Doch nun zu dem vorliegenden Antrag. Dem Antrag ist eine ganze Reihe von Kleinen Anfragen, die Frau Knöfler und Frau Ferchland gestellt haben und die etwa in die gleiche Richtung gingen, vorausgegangen. An sich ist der Antrag kein Antrag, sondern eher eine Art Große Anfrage. Aber das Anliegen, das Sie damit verknüpfen, wird von uns unterstützt; das sage ich gleich vorab. Deshalb haben wir dazu einen Änderungsantrag vorgelegt.

Ich möchte nicht auf alle Einzelheiten eingehen, sondern möchte das, da hier nicht nur Fachleute aus dem Justizbereich sitzen, einmal von einer anderen Seite beleuchten und mich dabei auf den Punkt „Frauen mit Kindern“ beschränken.

Auch der Freiheitsentzug bei Männern ist ein gravierender Einschnitt. Wenn man sich überlegt, dass damit auch Väter ihren Kinder entzogen werden, wird die Problematik deutlich. Aber sicherlich werden mir alle zustimmen, wenn ich sage, dass es ein ungleich schwererer Eingriff ist, wenn Kindern - vielleicht sogar sehr kleinen Kindern - die Mutter für längere Zeit entzogen wird.

Dem hat der Gesetzgeber Rechnung zu tragen versucht. Das Strafvollzugsgesetz regelt unter dem Stichwort „Besondere Vorschriften für den Frauenstrafvollzug“ in den §§ 76 bis 80 einige der damit verbundenen Fragen. Aber wenn man sich die gesetzestypisch dürren Worte des § 80 einmal anschaut, dann wird einem eigentlich klar: Die Probleme liegen nicht im juristischen Bereich, sondern im menschlichen Bereich. Die Gesetzgebung stößt automatisch auf Grenzen, wenn sie zu regeln versucht, unter welchen Umständen Kinder mit im Gefängnis untergebracht werden können oder warum das nicht geht, was das Jugendamt und dergleichen alles macht. Dieses eine Beispiel zeigt die Sensibilität des gesamten Themas.

Ich war etwas verwundert darüber, Frau Knöfler, dass Sie die Vielzahl der zu beteiligenden Ausschüsse in gewisser Weise wieder eingeschränkt haben. Aber Ihre Begründung ist nachvollziehbar. Deswegen werden wir dem nicht widersprechen. Allerdings bin ich davon ausgegangen, dass allein aufgrund der Vielzahl von Ausschüssen, die damit konfrontiert würden, eine etwas größere Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt würde; denn es ist in der Tat wert, sich diesen Fragen zu stellen bzw. sie zu untersuchen. Deshalb machen wir mit. Ich gehe davon aus, dass die von uns vorgeschlagene zehnte Frage bei den anderen Fraktionen nicht auf

Widerspruch stoßen wird. In dem Sinne tragen wir den Antrag mit.

(Beifall bei der CDU)

Die DVU-Fraktion hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Bleibt es dabei? - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Jüngling.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Intention und dem Inhalt des Antrages der PDS sowie dem Änderungsantrag der CDU sind wir in vollem Umfang einverstanden. Auch wir sind der Auffassung, dass das Thema im Ausschuss behandelt werden sollte. Eine Kleine Anfrage würde der Problematik und der Bedeutung dieses Themas sicherlich nicht gerecht.

Wenn auch die Zahl der weiblichen Inhaftierten in den Justizvollzugsanstalten und in der Jugendanstalt in Sachsen-Anhalt relativ gering erscheint, warne ich doch davor, die Zahl zu verharmlosen oder sogar zu negieren. Wir alle haben die gesellschaftliche Verpflichtung, uns um jedes einzelne, oft schwere Schicksal intensiv zu kümmern und den resozialisierungsfähigen weiblichen Inhaftierten jede machbare Chance einzuräumen, ihr Leben wieder in Freiheit führen zu können. Insofern begrüßen wir die Anträge und stimmen der Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung zu.

Weitere Diskussionspunkte über die in den Anträgen genannten hinaus mögen sich aus dem Fachvortrag der Landesregierung im Ausschuss ergeben. Ich bin auch der Meinung, dass wir es so halten können, Herr Kollege Kuntze, wie es vorgetragen worden ist. Die Mitglieder der Ausschüsse für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport, für Arbeit und Soziales sowie für Finanzen werden eingeladen. Das Interesse, an der Berichterstattung teilzunehmen, wird sicherlich groß sein.

Zur Klarstellung vielleicht noch Folgendes: Unter dem in dem Antrag verwendeten Begriff „zeitnah“ verstehen wir - das bitte ich als freundlichen Hinweis an die Landesregierung aufzunehmen - eine Berichterstattung in der Ausschusssitzung am 18. Oktober oder, wenn es nicht möglich ist, spätestens in der Ausschusssitzung am 22. November.

(Zustimmung bei der SPD und von Frau Fischer, Merseburg, CDU)

Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Weich.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wahrscheinlich sollte der Antrag der PDS ursprünglich in Form einer Kleinen Anfrage eingebracht werden. Genau so ist Ihr Antrag formuliert. Entweder handelt es sich hierbei um einen Irrtum Ihrerseits oder Ihnen war der Umfang der Tagesordnung nicht umfangreich genug. Wer keine Arbeit hat, der macht sich welche.

Der FDVP-Fraktion wird immer wieder vorgeworfen, sie würde beispielsweise durch Kleine Anfragen die Arbeit der Landesregierung lahm legen. Meine Damen und Herren! Eine so umfangreiche Berichterstattung, wie Sie sie hier fordern, hat genau denselben Effekt. Einem

jüngsten Zeitungsbericht zufolge hat die Landesregierung ihr Berichterstattungsvolumen aus finanziellen und inhaltlichen Erwägungen gekürzt, aber sicherlich nicht, um sich mit neuen Berichterstattungen wieder zuschütten zu lassen.

Nun kann man über den Sinn und den Zweck von Berichterstattungen durchaus geteilter Meinung sein. Man braucht aber dem Frauenvollzug nicht mehr Beachtung zukommen zu lassen, als es bis jetzt der Fall gewesen ist, zumal die Anzahl der Häftlinge im Frauenvollzug in Sachsen-Anhalt nicht so groß ist wie im Männervollzug.

Das Ganze hat wieder diesen fadenscheinigen Beigeschmack der übertriebenen Gleichberechtigung und Frauenförderung. Vor dem Gesetz sind alle gleich, so heißt es. Somit sind sowohl männliche als auch weibliche Inhaftierte so zu behandeln. Alles andere widerspricht dem Gleichheitsprinzip. Privilegien sollten hier nicht verteilt werden.

Sie ziehen in der Begründung Ihres Antrages nur voreilige Schlüsse. Es bleibt erst einmal der Bericht - er wird Ihnen gegeben, dessen sind wir uns sicher - abzuwarten. Erst wenn die Ergebnisse vorliegen, ist eine Entscheidung darüber zu treffen, ob überhaupt Handlungsbedarf in Form von Anträgen besteht.

Um es Ihnen noch einmal zu verdeutlichen, die richtige Reihenfolge wäre, derartige Fragen in Form einer Kleinen Anfrage einzureichen und in deren Ergebnis den einen oder anderen Antrag zu stellen. Das Thema ist sicherlich interessant, aber eine Debatte zu einer als Antrag formulierten Kleinen Anfrage zu führen, geht unseres Erachtens ein wenig zu weit. In dieser Landtagssitzung gibt es eine Vielzahl von PDS-Anträgen, die eigentlich nur Kleine Anfragen sind.

Man kann nicht nur die Landesregierung mit zusätzlichen Berichterstattungen arbeitsunfähig machen. Aufgrund dieses Antrages wird das Plenum mit in die Diskussion einbezogen, obwohl es wichtigere Themen gibt. Hiergegen sollte etwas unternommen werden.

(Herr Prof. Dr. Trepte, PDS, lacht)

Sicher wäre es interessanter, über die von Ihnen gebauten Frauengefängnisse einen Bericht zu bekommen; denn die Frauen in DDR-Gefängnissen waren jeder Art von Folter ausgeliefert. Die FDVP-Fraktion lehnt den Antrag der blutbesudelten PDS-Fraktion ab.

(Beifall bei der FDVP - Oh! bei der CDU - Zurufe von der PDS)

Herr Kollege Weich, ich werde nicht zulassen, dass eine solche Wortwahl bezogen auf irgendeine Fraktion in diesem Landtag geäußert wird.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Deswegen bitte ich Sie darum, etwas sorgfältiger mit Ihrer Wortwahl umzugehen. - Für die PDS-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Frau Knöfler das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich fasse es kurz zusammen. Die Herren Abgeordneten der demokratischen Parteien nehmen sich dieses Themas an. Ich gehe davon aus, dass das Hohe Haus das auch tut.

Herr Weich, die Lehrstunde über Kleine Anfragen war ein Stück weit daneben. Es geht um ein spezifisches Problem von Menschen, die hinter Gittern sitzen. Ein Blick in die Kriminalstatistik hätte Ihnen gezeigt, dass wir keine Haftanstalten für Frauen in größerer Anzahl brauchen, sondern dass es weniger Kriminalität bei Frauen gibt. Das hätte sicherlich etwas zur Bereicherung der Debatte beigetragen.