Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

Dagegen spricht allein die Tatsache, dass alle Sicherungsmaßnahmen gegen das eigene Volk gerichtet waren. Gnadenlos wurden Menschen, die das Land verlassen wollten, niedergeschossen oder durch Selbstschussanlagen oder Minenfelder getötet.

Der letzte Tote war der 19-jährige Chris Gueffroy, der noch Anfang 1989 ermordet wurde. Etwa tausend Menschen teilten am DDR-Todesstreifen das Schicksal mit ihm. Die genaue Zahl ist unbekannt, weil das DDRRegime die Verschleierung, zum Beispiel durch das Vortäuschen von Unfällen, betrieben hat. Die Erschießung eines Menschen wurde staatlich legitimiert und durch Sonderurlaub und Auszeichnungen belohnt.

Hötensleben steht als ein Mahnmal für Freiheitsberaubung, für politischen Mord, für familiäre Tragödien und für die Entmündigung eines ganzen Volkes.

(Zustimmung bei der SPD, von Ministerin Frau Dr. Kuppe und von Minister Herrn Dr. Püchel - Beifall bei der CDU, bei der DVU und bei der FDVP)

Hötensleben und Marienborn sind wichtig als Mahnmale gegen Vergessen und Verklärung, damit sich der Geist dieser unrühmlichen Zeit nicht wieder in der Gesellschaft etabliert und sich Geschichte nicht wiederholt, damit nicht die Täter moralisch geschützt und die Opfer dadurch ein zweites Mal gedemütigt werden, damit nicht die Täter, sondern die Opfer den Stellenwert in der Gesellschaft bekommen, der ihnen zukommt; denn ohne den Mut der Unbeugsamen mit dem ungebrochenen Freiheitswillen würden wir heute nicht in einer freiheitlichen Gesellschaft leben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der DVU und bei der FDVP - Zustim- mung von Minister Herrn Dr. Püchel)

Danke schön, Frau Leppinger. - Das Wort hat jetzt Herr Wiechmann für die FDVP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den antifaschistischen Schutzwall, von dem schon die Rede war, in seiner erhabenen Schönheit und seiner Funktion nie gesehen. Als ich ihn das erste Mal sah, war er in voller Auflösung begriffen und ich ahnte nur noch, welcher Schrecken von ihm ausging.

Im vergangenen Jahr war ich zum ersten Mal in meinem Leben in Hötensleben. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben an jener Grenze, die so viele Menschenleben gefordert hat. Mir wurde dort, in Hötensleben, die ausnahmslose Brutalität eines Systems deutlich vor Augen geführt.

Das Grenzdenkmal Hötensleben ist als einziges komplettes Grenzsystem erhalten geblieben. Wir haben das der Initiative - auch das wurde bereits erwähnt - von ein paar engagierten Bürgern aus der Grenzregion zu verdanken. Einen ganz besonderen Anteil daran hat der Bürgermeister von Hötensleben, Herr Buchwald, und der Vorsitzende des heutigen Vereins „Grenzdenkmal Hötensleben“, Herr Walter.

Die ehemalige Volksarmee baute die Grenzanlagen in einem atemberaubenden Tempo ab, als hätten einige hochrangige damalige Regierungsmitglieder sehr viel zu verbergen vor den Augen des deutschen Volkes und vor der Weltöffentlichkeit. Bis auf diese erhalten gebliebene Grenzanlage erinnert nichts mehr an die menschenverachtenden Grenzanlagen in der DDR.

Neben dieser reinen Grenzbefestigung, die sich gegen die eigenen Menschen richtete, gibt es wenige Kilometer entfernt in Marienborn die Gedenkstätte der deutschen Teilung. Diese zeigt aber lediglich einen Kontrollpunkt mit den üblichen zusätzlichen kleinen Schikanen, der mit einem Pass überwunden werden konnte.

Die Geschichte soll hautnah erlebt werden auch von späteren Generationen. Nur so kann verhindert werden, dass sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit wiederholen.

Etwas makaber ist es schon - Frau Leppinger sagte es bereits -, dass die Nachfolgepartei jenes Regimes am 13. August 2001 einen Kranz für die Grenzopfer niederlegen wollte. Nach einer Kontroverse mit dem Vorsitzenden des Vereins „Opfer von Stalinismus und SED-Herrschaft“ verschwand Herr Gärtner mit Anhang blitzartig.

Herr Innenminister, ich kaufe Ihnen - aber nur Ihnen - jeden einzelnen Satz Ihrer Rede, die Sie hier gehalten haben, ab. Ich weiß, dass Sie sicherlich alles versuchen wollen, um die Schwierigkeiten bei der Erhaltung des Grenzdenkmals zu überwinden. Mich stört aber ein wenig, dass kein Vertreter der Landesregierung bei jener Feierstunde am 13. August anwesend war, weil Sie beide, der Ministerpräsident und Sie, sich bei den Gedenkfeiern in Marienborn aufhielten. Das ist sicher gut, das ist sicher richtig; aber Hötensleben hätte es verdient gehabt.

Diese Gedenkstätte - ich wiederhole mich - hat eine nationale Bedeutung. Sie muss professionell geführt werden, am besten mit der Gedenkstätte Marienborn zusammen. Es kann doch nicht sein, dass der Verein den schwarzen Peter zugeschoben bekommt. Hier sind das Land oder der Bund in der Pflicht.

Wir unterstützen den Antrag der CDU-Fraktion. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP - Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Ludewig das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Leppinger, Sie haben eine Superrede gehalten. Meine Rede ist inhaltlich genauso. Ich möchte das zu dieser Stunde nicht alles wiederholen. Vielen Dank, dass Sie alles schon gesagt haben. Ich gebe meine Rede zu Protokoll. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der DVU)

(Zu Protokoll:)

Ich muss es Ihnen ehrlich gestehen, ich freue mich, heute vor Ihnen stehen zu können und zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum Erhalt des Grenzdenkmals Hötensleben zu reden.

Der Erhalt des Grenzdenkmals Hötensleben hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Gleich nach der Wende haben Bürger des kleinen Ortes Hötensleben sich dafür entschieden, die Mauer, unter der sie 40 Jahre gelitten haben, in einigen Bereichen stehen zu lassen, um daraus ein Denkmal zu errichten. Anstatt einen freien Blick hinüber nach Schöningen zu haben, sollten diese Bürger weiterhin auf die Betonmauer hinter ihrem Haus starren. Der Protest dieser Anwohner war und ist verständlich. Und doch haben sie heute erkannt, wie wichtig auch für sie und ihre Identifikation dieses Stück Mauer hinter ihrem Haus ist.

Von daher ist das Bemühen und die Weitsicht einiger weniger gar nicht hoch genug zu loben, die schon 1990 die Bedeutung der Mauer in ihrem Ort als ein historisches Denkmal erkannt haben und sich dafür eingesetzt haben.

Der Landeskonservator des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt Herr Voß hat schon 1996 in einem Vermerk an die Landesregierung geschrieben,

dass dieses Grenzdenkmal das weitaus am besten und am umfassendsten erhaltene Zeugnis der innerdeutschen Grenzbefestigung darstelle. Somit komme ihm eine überregionale, ja sogar nationale Bedeutung zu.

Der Grenzdenkmalverein Hötensleben hat verschiedene Aktivitäten entfaltet, um immer wieder auf das Denkmal und seine Bedeutung hinzuweisen. So hat er es durch eine einmalige Baumpflanzaktion an der ehemaligen Grenze geschafft, überregionale Beachtung zu gewinnen. Es haben der Landtagspräsident von Niedersachsen und der von Sachsen-Anhalt einen Baum an der ehemaligen Demarkationslinie gepflanzt. Der Höhepunkt war sicherlich, dass auch der Bundespräsident Roman Herzog dort eine Pyramideneiche pflanzte. Zusammen mit der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn und dem Zonengrenzmuseum in Helmstedt war das Grenzdenkmal Hötensleben auch im Programm der Expo enthalten.

Die CDU-Fraktion hat von Anfang an die Aktivitäten des Vereins unter der Führung von Herrn Walter, des Bürgermeisters Buchwald und des Gemeinderates von Hötensleben unterstützt. Der Verein und die Gemeinde haben nur sehr schnell erkennen müssen, dass dieses nationale Denkmal ihre Kompetenzen und ihre Fähigkeiten sehr stark strapaziert. Die CDU-Fraktion hatte immer die Idee, dass das Grenzdenkmal Hötensleben mit zur Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn gehören und mit dieser zusammen verwaltet werden sollte.

Es war auch die CDU-Fraktion, die einen Vor-Ort-Termin mit dem Innenausschuss initiiert hat, bei dem alle Vertreter der Fraktionen ihren Willen bekundet haben, sich wegen der überregionalen Bedeutung dieses Grenzdenkmals für eine dauerhafte Erhaltung einzusetzen. Das Land hat auch immer Mittel in den Haushalt eingestellt, die den Ausbau und den Erhalt der Anlagen abdecken sollten. Aber der eigentliche Ansatz muss sein, dass die Trägerschaft geregelt ist.

Mittlerweile sind die Eigentumsverhältnisse auf dem Gelände des Grenzdenkmals Hötensleben geklärt und das Land hat jetzt die Aufgabe, diese Flächen, die sich zum Teil in privaten Händen befinden, zum Teil Landesflächen sind bzw. sich im Besitz des Bundes befinden, zu kaufen und die Landesträgerschaft zu übernehmen.

Marienborn und Hötensleben sind zwei Denkmale, die die beiden Seiten der deutschen Teilung aufzeigen: Marienborn als Nadelöhr an der Transitstrecke nach Berlin und Hötensleben als bewegendes Beispiel für das, was die Mauer und die Trennung unserer Nation für einen Ort bedeutet haben und wie die Menschen damit 40 Jahre lang gelebt haben.

Leider haben wir es nicht geschafft, dieses in dieser Legislaturperiode zu erreichen. Aber ein steter Tropfen höhlt den Stein, und wenn im nächsten Jahr das Land die Landesträgerschaft über dieses Grenzdenkmal übernimmt, so wissen wir, dass wir etwas Sinnvolles bewegt haben, das unseren Kindern zeigt, wie die Realität der deutschen Teilung einmal war.

Danke schön, Frau Ludewig. - Herr Büchner von der DVU-Fraktion hat ebenfalls angekündigt, dass er seine Rede zu Protokoll geben möchte.

(Zu Protokoll:)

Am 9. November 1989, nach wochenlangen friedlichen Demonstrationen, wurde für viele Menschen ein Traum Wirklichkeit, an den man gar nicht mehr so richtig glauben konnte.

Der von der Regierung der DDR als „Antifaschistischer Schutzwall“ deklarierte Grenzbau war nur zu dem Zweck errichtet worden, die eigenen Bürger einzusperren, Familien und Verwandtschaften auf unmenschlichste Weise zu trennen, letztendlich mit dem Ziel, eine Nation zu zerstören. Die Bürger der damaligen DDR wussten dies zu verhindern.

Wie die meisten Bürger aus der ehemaligen DDR haben wir uns damals gefreut, dass es mit dem Abbau der uns so verhassten Grenzanlagen so zügig voranging. Desto mehr müssen wir heute dankbar sein für das Engagement von Privatpersonen aus der Gemeinde Hötensleben, welche früh erkannten, dass wenigstens ein kleiner Teil dieser unmenschlichsten aller Grenzanlagen, deren Konstruktion nur kranken Hirnen entsprungen sein konnte, erhalten bleiben sollte - allen künftigen Generationen zur Mahnung, als Mahnmal für alle, als Schandmal für deren Errichter.

Da das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt diesem Grenzdenkmal überregionale, ja sogar nationale Bedeutung zumisst, sollte auch die Landesregierung zu dieser Einrichtung stehen und alles für deren Erhalt tun.

Unsere Fraktion fordert deshalb die Landesregierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, was dem Erhalt des Grenzdenkmals dient. Insbesondere sollte sie die Klärung der eigentumsrechtlichen Fragen unterstützen und dafür gegebenenfalls auch landeseigene Austauschflächen zur Verfügung stellen.

Wegen der fast gleichen Thematik des Grenzdenkmals Hötensleben mit der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn wäre, auch schon aus verwaltungstechnischer Sicht, eine Angliederung des Hötenslebener Museums an Marienborn begrüßenswert. Die Fraktion der DVU kann den uns hier vorliegenden Antrag also voll und ganz mittragen.

Die PDS-Fraktion, die ursprünglich keinen Redebeitrag angemeldet hatte, möchte jetzt das Wort nehmen. Bitte, Herr Gärtner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten uns in der Fraktion eigentlich darauf verständigt, dass wir zu diesem Antrag auf einen Redebeitrag verzichten werden. Das geschah nicht deshalb, weil wir uns nicht inhaltlich äußern wollten, sondern weil wir festgestellt haben, dass es im Innenausschuss nach langen Debatten, an denen wir uns auch aktiv beteiligt haben, einen parteiübergreifenden Konsens gab, der in sehr sachlichen Beratungen gemeinsam gefunden worden ist. Das war ein außerordentlich angenehmer Vorgang. In den

Beratungen hat sich das widergespiegelt, was wir auch bei der Anhörung vor Ort erlebt haben.

Allerdings muss ich nach dieser Debatte trotzdem das Wort nehmen. Ich möchte darum bitten, auf eine Instrumentalisierung meiner Person an dieser Stelle zu verzichten, weil es ein gemeinsamer Auftrag für diese Partei, die Partei des Demokratischen Sozialismus, ist, aktiv Vergangenheitsaufarbeitung zu tätigen.

Dieses haben wir damit zum Ausdruck gebracht, dass wir am 13. August - - Sie können sich vorstellen, dass das ein unheimlich schwerer Gang war. Sie wissen auch, dass es in den Verbänden im Nachhinein darüber sehr viele Debatten gab, die sowohl pro als auch kontra waren. Es war ein unglaublich schwerer Gang, am 13. August dies zu tun.

Ich bitte darum, den Personen, die an dieser Veranstaltung teilgenommen haben - das waren nicht nur Frau Bull und Herr Gärtner, sondern das war auch Frau Stolfa -, das zumindest ein wenig abzunehmen, was dort versucht wurde zu tätigen. Ich weiß ganz genau, dass es, wenn wir die Einladung des Vereins damals nicht wahrgenommen hätten - es war eine Einladung, die wir bekommen haben -, genau die gleichen Diskussionen gegeben hätte, warum wir als PDS-Fraktion diesen Akt nicht getan haben.

Ich will auch sagen, dass nicht die Person Matthias Gärtner im Innenausschuss das Thema Hötensleben bearbeitet hat, sondern dass wir als PDS-Fraktion im Innenausschuss wie abgesprochen gemeinsam agiert und dieser Beschlussempfehlung gemeinsam zugestimmt haben. Meine Fraktion hat dieses Thema auch deshalb ernst genommen, weil es ein Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung ist. Ich bitte das zu respektieren und entgegenzunehmen.

Wir werden der Beschlussempfehlung zustimmen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der PDS)

Wir sind am Ende der Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres. Wer der Beschlussempfehlung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung einstimmig so beschlossen worden.