Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Der Antrag wird durch die Abgeordnete Frau Theil eingebracht. Bitte schön.

Verehrte Präsidentin! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Unseren Antrag zum Umgang mit dem Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 15. Januar 2002 zum § 6 Abs. 6 a haben wir nicht gestellt, um eine Schlammschlacht zu veranstalten. Vielmehr hat dies den ernsten Hintergrund, dass dringender Redebedarf angesagt ist und dass alle im Landtag vertretenen Fraktionen daran mitwirken müssen, ein zweites Debakel wie im Bereich des Abwassers zu verhindern.

Ich erinnere daran, dass unsere Fraktion am 28. Januar 1999 einen Gesetzentwurf in der Drs. 3/919 eingebracht hat, der auf die Klarstellung des Kommunalabgabengesetzes in Bezug auf die Satzungspflicht und das Beitragsrecht gerichtet gewesen ist und von allen Fraktionen mitgetragen wurde.

Der Vorschlag unserer Fraktion, darin eine Rückwirkung zu verankern, fand im Innenausschuss keine Mehrheit. Der Gesetzgeber hatte bereits im Jahr 1996 eingeräumt, dass eine rückwirkende Erhebung von Beiträgen für leitungsgebundene Einrichtungen ohne Satzung möglich sei, um die gesamte Abwasserproblematik besser händeln zu können.

Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg hat mit seinem Beschluss vom 19. Februar 1998 jedoch den Willen des Landesgesetzgebers anders interpretiert und hat eine Rückwirkung auch für Straßenausbaumaßnahmen zugelassen und sich damit gegen die Bürger des Landes Sachsen-Anhalt entschieden.

In Bezug auf einen weiteren Gesetzentwurf unserer Fraktion in der Drs. 3/1386 vom 7. April 1999, in dem § 6

Abs. 6 a ebenfalls eine Rolle spielte, wurde vonseiten der Landesregierung vorgeschlagen, eine authentische Gesetzesinterpretation festzuschreiben, um eindeutig klarzustellen, was der Gesetzgeber von Anfang an gemeint hat.

Nun kann ich es nicht so wie Herr Becker praktizieren und sagen: Herr Püchel, Sie sind doch mein Freund. Das wäre vermessen. Aber ich kann Ihnen bescheinigen, dass wir beide eine gute Zusammenarbeit pflegen. Daran möchte ich keinesfalls rütteln.

Ich bin zwar kein Volljurist, aber ich kann mir einen kleinen Anflug von Kritik nicht ersparen; denn genau auf das Urteil Ihrer Fachleute haben wir uns verlassen, als wir dieser Formulierung zustimmten.

Alle Fraktionen hat in diesen Tagen ein Brief des Landesverbandes Haus und Grund Sachsen-Anhalt erreicht. Ich denke, dass die Situation von den verantwortlichen Leuten sehr deutlich beschrieben wurde und wir allen sicherlich nur empfehlen können, alle gerichtlichen Instanzen auszureizen, um eine Rechtsprechung im Sinne unserer Landesgesetzgebung zu erreichen. Wir können nicht so tun, als ob dieses Problem nicht prekär wäre. Alle Kommunen sind nach dieser Rechtsprechung gehalten, ohne Satzung rückwirkend bis zum Jahr 1999 Beiträge zu erheben.

Meine Fraktion und ich gehören nicht zu den Verfechtern der Auffassung, dass keinem Grundstückseigentümer eine Beitragspflicht auferlegt werden solle. Selbst das Grundgesetz verpflichtet die Kommunen, für eigene Einnahmen im Zusammenhang mit Baumaßnahmen, die dem Allgemeinwohl und privaten Interessen dienen, zu sorgen.

Wenn wir schon den Griff in die Portmonees unserer Bürger wagen, sollten wir ihnen zumindest die Möglichkeit zur Mitsprache dahin gehend geben, wie, wo und auf welcher Grundlage ihr Geld verwendet werden soll; denn wir sind ihre gewählten Vertreter.

Bereits im Januar dieses Jahres erreichte mich als Bürgermeisterin über die Verwaltungsgemeinschaft und nicht nur mich - ein Schreiben einer Rechtsanwaltskanzlei aus Heilbronn ohne Datumsangabe mit Rückantwortformular mit der Überschrift „Landesverfassungsgericht erlaubt die rückwirkende Erhebung von Straßenausbaubeiträgen in satzungsloser Zeit“. Das Gerichtsurteil stammt vom 15. Januar dieses Jahres. Diese Kanzlei bietet die Erledigung sämtlicher mit dem Beitragsrecht verbundenen Aufgaben an.

Da ich ein gesundes Misstrauen besitze, stelle ich die Frage in den Raum: Welcher Zweck verbirgt sich hinter einer solchen Rechtsprechung?

Unsere Fraktion stellt den Antrag, dieses Problem am nächsten Mittwoch auf die Tagesordnung des Innenausschusses zu setzen, um über Erstmaßnahmen und Wege im Umgang mit diesem unser ganzes Land betreffenden Problem zu verhandeln. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Kollegin Theil, für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge FDVP, SPD, DVU, CDU,

PDS. Als Erstem erteile ich für die Landesregierung Herrn Dr. Püchel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Theil, herzlichen Dank für Ihren beeindruckenden Freundschaftsbeweis.

(Heiterkeit)

Ich muss Sie allerdings in einem Punkt korrigieren. Sie sagten, dass es jetzt möglich wäre, ohne Satzung Beiträge zu erheben. Das stimmt nicht. Das haben Sie falsch gelesen. Man muss auch jetzt Satzungen erlassen, um rückwirkend Beiträge erheben zu können. Einen satzungsfreien Raum gibt es nicht. Das ist klar.

Sie haben aber die Genese dieser ganzen Problematik sehr gut dargestellt. Wenn man sich über Jahre hinweg mit diesem Thema beschäftigt, dann weiß man, dass Kommunen auch dann rückwirkend Beiträge erheben können, wenn sie vorher keine Satzung erlassen hatten.

Ich habe die vorläufige Tagesordnung für die Sitzung des Innenausschusses gelesen. Ihr Antrag ist, glaube ich, unter Punkt 4 eingeordnet. Demnach gehen alle davon aus, dass das Innenministerium im Ausschuss darüber berichten wird. Das werden wir sehr gern tun.

Es ist eine sehr schwierige Materie. Ich bin mir nicht sicher, ob wir am Mittwoch im Ausschuss zu einem Ergebnis kommen werden. Aber über das Problem muss diskutiert werden. Ich habe sofort nach dem Bekanntwerden des Urteils veranlasst, dass sich die Staatssekretäre des Innenministeriums und des Justizministeriums mit Vertretern der Verwaltungsgerichte und der kommunalen Spitzenverbände zusammensetzen, um über die Problematik zu diskutieren. Sie ist ungeheuer kompliziert und eignet sich nicht für eine Erörterung am heutigen Abend in dieser Runde.

Wie gesagt, wir sind gern bereit, mit Ihnen darüber im Ausschuss zu sprechen. Ich gehe nicht davon aus, dass das die letzte Runde im Ausschuss sein wird. Im Landtag werden wir über dieses Thema kaum noch einmal diskutieren können. Ich glaube, durch das Urteil des Landesverfassungsgerichts ist ein Punkt gesetzt worden, mit dem wir jetzt umgehen müssen, egal wie es kommt. - Danke.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke, Herr Minister. - Herr Weich hat für die FDVPFraktion das Wort.

(Herr Oleikiewitz, SPD: Uns bleibt heute auch nichts erspart!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Antrag kehrt die kommunistische PDS zu den Wurzeln ihres Daseins zurück. Als schizophrene Partei stellt sie Anträge, um den Bürger finanziell auszubluten, und will sich dann zum Anwalt der kleinen Leute machen,

(Lachen bei der PDS - Herr Dr. Süß, PDS: Das ist ja wohl das Letzte!)

wenn ihr durch die Rechtsprechung die Rechtswidrigkeiten ihres Tuns aufgezeigt werden. Sie verfährt also nach dem Motto: Haltet den Dieb! - Frau Sitte, Sie

werden es bestätigen - und vergisst dabei, dass sie Freispruch für den Dieb begehrt.

Das Landesverfassungsgericht hat sein Urteil am 15. Januar 2002 gefällt und den § 6 Abs. 6 a Satz 1 und Satz 3 des Kommunalabgabengesetzes des Landes SachsenAnhalt in der Fassung des Gesetzes vom 15. August 2000 für verfassungswidrig erklärt. Die Norm verstößt materiell gegen das grundsätzliche Verbot rückwirkender Gesetze. Das heißt konkret: Der Landtag hat kraft seiner Mehrheit das Kommunalabgabengesetz rückwirkend verändert und damit die obergerichtliche Rechtsprechung der Vergangenheit ins Unrecht gesetzt und zu korrigieren versucht.

Nach der Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes ist demgemäß der Rechtszustand eingekehrt, der vor der Verabschiedung der rechtswidrigen Norm des § 6 Abs. 6 a des Kommunalabgabengesetzes bestand. Das ist aber in allen juristischen Leitfäden für Studenten des ersten Semesters der Jurisprudenz nachzulesen.

Berichterstattungsbedarf besteht nicht. Daher wird vorgeschlagen, anstelle der Berichterstattung die kommunistische Internationale zu singen.

(Lachen bei der PDS)

Da die Sozialisten mitsingen werden, wird als Liedüberschrift „Kommunistische und sozialistische Internationale“ auszuweisen sein.

Die Fraktion der FDVP lehnt den vorliegenden Antrag der PDS-Fraktion ab. Sinnvoller wäre es, wenn sich diese rote NPD um ihre Opfer kümmern würde. - Danke schön.

(Zustimmung von Herrn Mertens, FDVP, und von Herrn Wolf, FDVP)

Also, ich weiß nicht, ob man in diesem Landtag einfach eine Partei umbenennen kann. - Meine Damen und Herren! Für die SPD-Fraktion hätte jetzt der Abgeordnete Herr Koehn das Wort. Herr Koehn möchte seine Rede zu Protokoll geben. Dagegen wird sich sicherlich kein Widerspruch erheben.

(Zu Protokoll:)

Mit Respekt hat die SPD-Fraktion die Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes zum § 6 Abs. 6 a des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt zur Kenntnis genommen. Mit noch größerem Respekt habe ich die Rede des Ministers Püchel vernommen, der als „Minister der Bürger“ diese Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes verarbeiten muss.

Ein vom Parlament mehrheitlich verabschiedetes Gesetz muss es sich gefallen lassen, von Gerichten überprüft und gegebenenfalls verworfen zu werden. Ein Gesetz, erst recht ein Landesgesetz, sollte die spezifischen Bedingungen des Landes berücksichtigen; deshalb auch die SPD-Initiative zur Novellierung des § 6 Abs. 6 des Kommunalabgabengesetzes.

Viele Bürger unseres Landes haben mit dem Mittel der Rückübertragung von Grundstücken oder dem Bau von zum großen Teil selbst genutzten Häusern die Initiative ergriffen, unsere Städte und Kommunen in einen ansehnlichen Zustand zu bringen. Der finanzielle Rahmen

war oft sehr eng, jetzt mögliche ungeplante zusätzliche Kosten bedeuten für viele Grundstückseigentümer eine nicht zu verkraftende Belastung.

Das Landesverfassungsgericht hat nun in seiner Entscheidung vom 15. Januar 2002 zum Ausdruck gebracht, dass es das Rechtsinstitut der „authentischen Gesetzesinterpretation“ für zulässig erachtet, aber in dem konkreten Fall eine rückwirkende Gesetzesänderung sieht, für die die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Somit sind wir leider mit unserem Anliegen gescheitert, etwas für die Betroffenen zu tun. Wir werden uns aber auch weiterhin für diese Belange einsetzen und erwarten im Innenausschuss auf der Grundlage der durch den Minister angekündigten Untersuchung über die Folgen der Landesverfassungsgerichtsentscheidung eine produktive, dem Bürger dienliche Diskussion. Es liegt somit momentan nicht mehr in der Hand des Gesetzgebers, hier tätig zu werden.

Als Alternative für die vor Ort Entscheidenden ist auch das Instrument der wiederkehrenden Beiträge zu berücksichtigen, wie dies auch bereits der Minister ausführte. Auch wir halten dies für eine mögliche Lösung. Nach den Rechtsgrundsätzen der Aufsicht gemäß § 133 der Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt ist es nach unserer Auffassung nicht Pflicht, die Beiträge zu erheben. „Die Kommunalaufsicht ist nicht verpflichtet, sondern lediglich berechtigt, förmlich tätig zu werden.“ So heißt es in dem Kommentar von Lübking/Beck zur Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt. Es wird also deutlich, dass es im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht, ob sie tätig wird oder nicht.

Nur noch so viel zu dem Antrag der PDS: Im Antrag der PDS heißt es „Nach diesem Urteil können und müssen Kommunen im Sinne des § 91 Abs. 1 und 2 der Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt ihre erforderlichen Einnahmen beschaffen.“ Dies ist natürlich nicht erst nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichtes so, sondern die Rechtsnorm hatte immer ihre Gültigkeit.

Die DVU-Fraktion hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Wer spricht für die CDU-Fraktion? - Frau Wernicke, bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte eigentlich dem Anliegen des Ministers Rechnung tragen und auf meinen Redebeitrag verzichten, weil es tatsächlich eine schwierige Materie ist. Aber nach der Einbringungsrede von Frau Theil möchte ich als Bürgermeister hierzu ein paar Sätze sagen. Die Betroffenheit der Bürger, was Abgabenlasten anbelangt, wurde unter dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt schon ausreichend diskutiert.

Als Bürgermeister, dem es letztlich zukommt, die verfehlte Landespolitik in der Kommunalpolitik - das sage ich extra so - vor den Bürgern zu erklären und zu begründen, steht es mir schon zu, ein paar kritische Worte auch in Richtung der PDS-Fraktion zu verlieren.