Protokoll der Sitzung vom 14.03.2002

Dazu wird es eben der Bereitstellung eines gerade auch für die kleinen und mittelständischen Unternehmen tauglichen, zum Beispiel steuerlichen, sozialrechtlichen und unbürokratischen Umfeldes bedürfen, und genau darauf zielt unsere Politik, unsere Wirtschafts- und unsere Arbeitsmarktpolitik, ab.

Uns ist nicht daran gelegen, weitere Arbeitsämter zu schaffen, uns ist nicht daran gelegen, die Arbeitsämter nur umzustrukturieren, sondern oberstes Ziel, meine Damen und Herren, muss es sein, dass wir künftig keine Arbeitsämter mehr benötigen. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Fischer. Bitte, Frau Fischer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ministerin hat den Sachstand zur Diskussion über die Veränderung der Bundesanstalt für Arbeit dargelegt. Dafür bin ich ihr dankbar.

Es besteht in der öffentlichen Diskussion derzeit die Gefahr, dass Ursachen und Wirkungen vertauscht werden, dass jeder schon immer das wusste und der eine schon einmal dieses sagen wollte und der andere jenes, und jeder lässt sich leider in der Presse aus.

Ich denke, wir sind uns in diesem Haus darin einig: Arbeitsämter können keine Arbeitsplätze schaffen. Das ist Sache der Wirtschaft und die Politik muss Rahmenbedingungen und Strukturen dafür schaffen. Die Ansiedlung ausländischer Unternehmen erfolgt vielleicht nicht so, wie wir das wollen, weil wir auch zwei rechte Parteien im Landtag haben.

(Beifall bei der SPD - Frau Wiechmann, FDVP: Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank!)

Darüber sollten Sie sich einmal klar werden.

Arbeitsämter können und müssen gemeldete Stellen neu besetzen.

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

- Genau. Nicht Rot-Rot ist das Problem, sondern rechts ist das Problem.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)

Arbeitsämter können und müssen gemeldete Stellen neu besetzen, und das fällt schwer genug. Ich ärgere mich beim Studium der monatlichen Statistik über die Rubrik

„Offene Stellen“. Ich ärgere mich auch, wenn Arbeitslose in meiner Sprechstunde über Vermittler und Vermittlerinnen klagen, die sich keine Zeit nähmen,

(Zuruf von Herrn Miksch, fraktionslos)

denen bei jedem Besuch von neuem alles zu erzählen sei bzw. die gar nicht zum Gespräch bereit seien.

(Zuruf von Herrn Miksch, fraktionslos)

Diese Dinge lassen sich aber auf kurzem Weg klären. Ich finde die derzeitige pauschale Beschimpfung aller im Arbeitsamt Beschäftigten ungerecht und sehr gefährlich.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU, und von Herrn Miksch, frak- tionslos)

An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei den Arbeitsämtern bedanken. Ich habe mich über die Statistik informiert, über den Umgang mit den aufgenommenen Daten, über die Leistungsfähigkeit der verwendeten EDV

(Herr Miksch, fraktionslos: Statistiken! SPD-Spen- den!)

und die komplizierte Dokumentation sowie über die Auswahlkriterien für infrage kommende Hilfe. Die wenigste Zeit bleibt leider für Vermittlungsgespräche bzw. für den Kontakt zu Unternehmen, in die vermittelt werden soll.

Damit bin ich bei einem Widerspruch: auf der einen Seite zu wenig Arbeitsplatzangebote und auf der anderen Seite der Ruf der Wirtschaft nach Fachkräften in ihren Unternehmen. Heute wird nicht mehr der Metallbauer oder die Chemikerin gebraucht. Die Anforderungen in den Unternehmen sind sehr differenziert und hoch spezialisiert.

Dieser Problematik ist mit der Veränderung der Vermittlungspraxis aufgrund des Job-Aqtiv-Gesetzes schon Rechnung getragen worden. Profiling und Assessment sollen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Leistungsfähigkeit darstellen.

(Zuruf von Herrn Miksch, fraktionslos)

Ein Eingliederungsvertrag soll die Mitarbeit des Arbeitsuchenden festlegen. Die Einstellung neuer Vermittler, die Arbeitsplatzakquisition sowie noch bessere Kontakte zu Unternehmen sollen die Vermittlungsbilanz verbessern.

Aber noch haben die Beschäftigten im Arbeitsamt jetzt Schwierigkeiten mit dem neuen Gesetz; es greift noch nicht richtig. Vieles wird wieder infrage gestellt. Alles darf nun neu gedacht werden - vom Abschaffen der Bundesanstalt über eine neue Struktur, Konzentration auf Kerngeschäfte - was immer das auch heißt -, Abschaffung des Landesarbeitsamtes, Verkürzung der Versicherungsleistung, mehr Druck auf Arbeitslose bis hin zum Zusammenlegen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als die neue Möglichkeit.

In ungeheurer Eile wurde, fast unbemerkt von den Abgeordneten, ein Gesetz vorgelegt, dass die neue Struktur der Leitung der Bundesanstalt festlegt sowie die freie Vermittlung regelt. Ich persönlich finde diesen Aktionismus aber auch gefährlich. Für mich bleiben viele Fragen offen.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Oh!)

Zum Beispiel: Sind die neuen Bundesländer angemessen in der Leitungsstruktur vertreten?

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Frau Fischer hat ja Recht!)

Die Finanzierung der privaten Vermittlung erfolgt zulasten welcher Leistung? Wird es nicht Arbeitslose erster und zweiter Klasse geben?

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Nee!)

Die Langzeitarbeitslosen sind sicher uninteressant für die privaten Vermittler.

Ich habe Sorge, dass die Erfahrungen der neuen Bundesländer sowie die Unterschiedlichkeit des Arbeitsmarktes in Ost und West eine ungenügende Berücksichtigung finden.

An dieser Stelle möchte ich auf die Entwicklung in der aktiven Arbeitsmarktpolitik verweisen, die wir dringend brauchen und von der auch ältere Arbeitslose durchaus profitieren. Von der klassenweisen Umschulung vom Chemiefacharbeiter zur Floristin und vom Gärtner zum Maurer sind wir eigentlich weg. Noch im Jahr 1994 war es an der Tagesordnung, wenn ein Unternehmen speziell ausgebildete Arbeitskräfte brauchte, von einer Wettbewerbsverzerrung zu reden. Heute ist die Nachfrage über das Arbeitsamt selbstverständlich. Die Philosophie hat sich völlig geändert. Es wird genau nach den Bedarfen der Unternehmen gefragt und das ist gut so.

Ich möchte zum Beispiel auf einen Bildungsträger in Leuna hinweisen, bei dem Unternehmen ganz speziell ihre Wünsche vortragen bzw. der Bildungsträger in die Unternehmen geht und nachfragt. Entsprechend den Bedarfen lassen sie sich vom Arbeitsamt Arbeitsuchende zuweisen. Nach einer zweimonatigen Feststellungsmaßnahme erfolgt eine Zielvereinbarung, die vom Unternehmen und von dem Arbeitsuchenden unterschrieben wird. Es erfolgen Praktika und entsprechende Qualifizierungen und Fortbildungen.

Und siehe da: In 70 % der Fälle erfolgt eine Vermittlung in die Betriebe, die dadurch neue Fachkräfte finden. Es sind sehr viele ältere Arbeitsuchende dabei, weil die Betriebe durchaus auch auf deren Erfahrungsschatz zurückgreifen. Gleich gute Vermittlungsergebnisse sind von dem Programm Personal- und Organisationsentwicklung in Verbindung mit Jobrotation zu erwarten.

Ich denke, solche Erfahrungen dürfen nicht unter den Tisch fallen. Hierbei findet eine echte Zusammenarbeit mit den Unternehmen und dem Arbeitsamt statt. Das kann man wahrscheinlich von den derzeitigen Vermittlern im Arbeitsamt in der Form nicht erwarten; denn sie kommen sehr selten in die Unternehmen hinein, kennen viele neue Berufe und deren Anforderungen nicht und verfügen nicht über die entsprechende Qualifikation dafür. Von den vielen neuen Vermittlern, die jetzt eingestellt werden, kann man das dann aber erwarten.

Wir als SPD-Fraktion stehen weiterhin zur aktiven Arbeitsmarktpolitik, zur geförderten Arbeit für Langzeitarbeitslose und ältere Arbeitsuchende. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister- präsident Herrn Dr. Höppner und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Wir begrüßen Bundeswehrangehörige als Gäste der Landeszentrale für politische Bildung. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Die Aktuelle Debatte wird abgeschlossen mit dem Beitrag des Vorsitzenden der CDU-Fraktion. Bitte, Herr Professor Böhmer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie, Herr Präsident, haben zu Beginn der heutigen Sitzung zu Recht daran erinnert, dass viele von uns schon in der dritten Legislaturperiode, das heißt seit fast zwölf Jahren, hier zusammensitzen. Ich glaube, es gibt kein Thema, über das wir so häufig und so intensiv diskutiert haben wie über das Problem der Arbeitslosigkeit. Dabei handelt es sich in der Tat um das schwierigste Problem in Sachsen-Anhalt.

Ich will Ihnen eines sagen: Wenn ich nicht als Abgeordneter dabei gewesen wäre, sondern die Sache mit Abstand, als Zuschauer beobachtet hätte, dann käme ich auf den Gedanken: Entweder wissen sie nicht, wovon sie sprechen, oder sie sind tatsächlich alle so klug, wie sie sich hier darstellen, aber unfähig, das Problem zu lösen. Denn geschafft haben wir nichts.

(Beifall bei der CDU)

Trotz aller Debatten, trotz aller klugen Diskussionen sind wir immer noch das Land mit der höchsten Arbeitslosenquote. Die Arbeitslosenquote von 20 %, von der die Rede ist, erfasst doch lediglich die Nettoarbeitslosigkeit. Ich habe das mehrfach gesagt. Die eigentliche, die Bruttoarbeitslosenquote, die die Gesamtzahl der Arbeitsuchenden erfasst, ist deutlich höher. Sie liegt - das ist regional unterschiedlich - zwischen 25 und 30 %.

(Herr Tögel, SPD: Sie zählen jetzt die Frauen hinzu, die keinen Kinderbetreuungsplatz haben! - Weitere Zurufe)

Das Thema hat sich nicht verändert. Wenn Sie über aktive Arbeitsmarktpolitik sprechen, dann sagen wir dazu seit Jahren das Gleiche: Aktive Arbeitsmarktpolitik heißt Arbeitsplätze schaffen. Und das ist Wirtschaftspolitik.