Der Anlass dafür ist der seit Sonntag feststehende Beschluss der Bundesregierung, die dritte Stufe der Steuerreform auf das Jahr 2004 vorzuziehen. Die nachdenklichen Stimmen aus den beiden großen Volksparteien auf Bundesebene sind fast verstummt; aus den Ländern werden jedoch Bedenken angemeldet.
Hierbei wird ein Dilemma sichtbar, das von Beginn an mit den Steuerreformen der Bundesregierung verbunden ist. Die großen Erwartungen, dass die Steuersenkungen und der Verzicht des Staates auf Einnahmen zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand führen würden, haben sich nicht erfüllt. Das Gegenteil ist eingetreten. Je verzweifelter die Versuche einer Trendwende werden, umso stärker macht sich Verunsicherung in der Bevölkerung, in den Ländern und in den Kommunen ob der möglichen Auswirkungen breit. Genau das ist auch jetzt der Fall.
Mit dem Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform ist die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 15 % und des Spitzensteuersatzes auf 42 % bei gleichzeitiger Anhebung des Grundfreibetrages verbunden. Davon wird zuallererst der Steuerzahler profitieren, indem er ab 2004 durchschnittlich 10 % weniger an Steuern zahlen muss.
Ein nicht unwesentlicher Teil der Steuerersparnis entfällt auf die Personengesellschaften, die aufgrund der Anrechnung der Gewerbesteuer insgesamt etwa 10 Milliarden € weniger Steuern zahlen werden. Rechnet man beide Gruppen zusammen, ergibt sich ein Betrag von ca. 18 Milliarden €, der zu der bereits erwarteten Steuerersparnis aus der zweiten Stufe der Steuerreform in Höhe von 7 Milliarden € hinzukommt.
Zusätzliche Mittel in Höhe von 25 Milliarden € für Privathaushalte und Mittelstand bedeuten gleichzeitig 25 Milliarden € weniger für den Bund, die Länder und die Kommunen. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Die offiziellen Steuerschätzungen sind seit 2001 immer wieder in bisher nicht gekanntem Maße nach unten korrigiert worden. Die Einbrüche bei der Gewerbe- und der Körperschaftsteuer, aber auch bei der Einkommensteuer sind so rasant und kaum mehr zu kompensieren.
Die letzte Steuerschätzung liegt etwa einen Monat zurück. Wir wissen, dass die Erwartungen des Landes Sachsen-Anhalt weder in diesem Jahr noch in den nächsten Jahren eintreten werden. Im Jahr 2004 werden dem Land allein nach der korrigierten Steuerschätzung Mittel in Höhe von 470 Millionen € fehlen. Immerhin haben die Länder noch die Möglichkeit, einen Teil der Einbußen nach unten weiterzugeben, neue Kredite aufzunehmen oder Kürzungen durchzusetzen.
Zusätzliche Steuereinbußen in Höhe von 270 Millionen € kann das Land Sachsen-Anhalt ohne Kompensation beim besten Willen - hierin kann man dem Finanzminister nur Recht geben - nicht mehr ausgleichen.
Den Kommunen geht es noch schlechter. Ihnen fehlen nicht nur die eigenen Steuereinnahmen. Hinzu kommt, dass die Länder ihre Steuereinbußen über den kommunalen Finanzausgleich an die Kommunen weitergeben. Zwischen den Einnahmen und den Ausgaben klafft bei den Kommunen in der Bundesrepublik mittlerweile ein Loch von 10 Milliarden €. Diese fiskalische Austrocknung der Kommunen ist deshalb so fatal, weil die Kommunen mit knapp zwei Dritteln den Großteil der öffentlichen Investitionen tragen.
Und nun ist von 1992 bis 2002 das Volumen der kommunalen Investitionen um sage und schreibe 34 % gesunken. Diese Entwicklung hat schlimme negative Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum und vor allem für die Beschäftigung. Der Ausweg über eine höhere Verschuldung ist den Kommunen längst verwehrt. Das zeigen die vielen nicht ausgeglichenen Haushalte.
Kürzungen, egal in welchen Bereichen, können infolge gesetzlicher Verpflichtungen im Grunde auch nicht mehr durchgesetzt werden. Nun sollen die Kommunen zusätzliche Steuereinbußen in Höhe von 2,3 Milliarden € wegstecken. Wie, frage ich mich, soll das geschehen?
Der Bund hat gestern signalisiert, wie er mit seinem um ca. 7 Milliarden € geringeren Steueraufkommen umgehen wird: Die Nettoneuverschuldung steigt zusätzlich um 7 Milliarden €. Möglich ist das nur, weil Eichel zum zweiten Mal in Folge die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellt. Dass die MaastrichtKriterien zum dritten Mal in Folge unterlaufen werden, sei nur am Rande erwähnt.
Die von allen angemahnten Kompensationen für Länder und Kommunen fehlen. Ein Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen soll Entlastung bringen. Die Rede ist von einer Kürzung des Bundesrentenzuschusses um 2 Milliarden €, von der zusätzlichen Streichung bei den Subventionen für den Steinkohlebergbau in Höhe von 300 Millionen € und bei den Landwirten von 500 Millionen €.
Abgesehen davon, dass allein beim Rentenzuschuss bereits jetzt Milliarden fehlen und viele nicht zu Unrecht befürchten, dass die Spareffekte durch die insgesamt vorgesehenen Streichungen wieder aufgehoben werden, sind die Vorschläge so vage und vom Umfang her so gering, dass Folgendes eintreten wird:
Länder und Kommunen bleiben auf ihren Lasten sitzen; diese Lasten werden eingetauscht gegen das Prinzip Hoffnung. Die Hoffnung besteht darin, dass die eingesparten 18 Milliarden € konjunkturelle Effekte auslösen werden.
Durch die Steuerersparnis bei Privathaushalten könnte deren Kaufverhalten positiv beeinflusst und durch eine erhöhte Nachfrage die Wirtschaft wenigstens angekurbelt werden. Auch die Steuerersparnis beim Mittelstand könnte zu umfangreichen Investitionen und damit zur Ausweitung der Produktion führen.
Neben einem von Eichel erhofften zusätzlichen Wirtschaftswachstum von 1 % im nächsten Jahr werden Impulse zur Entlastung des Arbeitsmarktes erwartet. Ein Wachstum von 1 % bedeutet die Schaffung von 600 000 Arbeitsplätzen.
Allerdings hängen all diese Hoffnungen an der Erwartung, dass die ersparten Steuermilliarden auch ausgegeben werden. Die Euphorie wird gebremst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Der DIW-Experte Gustav Horn hat berechnet, dass das Vorziehen der dritten Stufe eine Wachstumssteigerung von 0,3 % mit sich bringen würde. Das wäre nicht der erhoffte große Wurf; denn - so seine Begründung - die niedrigeren Einkommen werden - anders als die höheren Einkommen - nur geringfügig entlastet.
Ein Beispiel: Bei einem Einkommen von 15 000 € im Jahr verbleiben monatlich 22 € mehr im Portemonnaie. Anders sieht das bei den Einkommensmillionären aus, deren Zahl Ende 2002 immerhin auf über 700 000 Privatpersonen angestiegen ist. Denen bleiben am Ende eines Monats 13 000 € mehr für den Konsum. Es ist anzunehmen, dass sie zumindest einen Teil dieses Geldes sparen, in Aktien anlegen oder im Ausland investieren werden.
Auch der erhoffte Effekt beim Mittelstand könnte sich als trügerisch erweisen. Ein großer Teil der betroffenen Personengesellschaften, insbesondere die Personengesellschaften im Osten, wird das zusätzliche Geld zum Abzahlen von Krediten oder zur Erhöhung der Eigenkapitalquote einsetzen, es aber nicht in eine Ausweitung der Produktion investieren.
Die These, dass ein Mehr an direkten Steuern langfristig gesehen das Wirtschaftswachstum bremst und deshalb verhindert werden muss, die seit Jahr und Tag unisono von der CDU und der FDP und mittlerweile auch von der SPD vertreten wird, ist nicht zu halten, wie ein Blick in andere Länder zeigt. Betrachtet man den Zeitraum von 1990 bis 2001, passen zum Beispiel Frankreich und die Niederlande in dieses Bild. Anders ist es in Japan und den USA. Die USA haben den Anteil der direkten Steuern an den Gesamteinnahmen erhöht und dadurch ein hohes Wirtschaftswachstum von fast 3,5 % erreicht. Japan dagegen hat den Anteil der direkten Steuern stark gesenkt und hatte das niedrigste Wachstum.
Die Hoffnung, dass sich mithilfe der Steuersenkung infolge der Umsetzung der dritten Stufe der Steuerreform eine positive Wachstumsprognose für Deutschland erfüllt, basiert also allenfalls auf optimistischen Annahmen, etwa hinsichtlich der Erhöhung der Nachfrage und der Ausweitung der Investitionstätigkeit, einer starken Exportnachfrage, eines stabilen Euros und weiteren Leitzinssenkungen.
Das Problem in Deutschland sind längst nicht mehr die Steuern. Der Anteil des durchschnittlichen Steueraufkommens am Bruttoinlandsprodukt beträgt in Deutschland etwa 23 %. Damit liegen wir im europäischen Vergleich am unteren Ende.
Eines der Probleme ist aber sehr wohl das Verhältnis von Steuern und Sozialabgaben bei den Gesamteinnah
men in Deutschland. Ein Anteil von 45 % der Einnahmen stammt aus den Sozialabgaben und geht damit über den Faktor Arbeit zulasten unterer und mittlerer Einkommensschichten. Diese werden bei Steuern und Abgaben doppelt zur Kasse gebeten und sind immer als Erste betroffen, wenn irgendwo Kürzungen anstehen. Hierbei müssen dringend Änderungen erfolgen.
Erstens. Der erhoffte Wachstumsschub wird nach jetzigem Kenntnisstand weit geringer ausfallen und nicht zu einer konjunkturellen Wende führen. Notwendig wäre eine wirklich gerechte, zukunftsorientierte Steuerpolitik, die Einkommensstarke und Vermögende stärker belastet und Einkommensschwächere stärker entlastet.
Zweitens. Bevölkerungsschichten mit geringerem Einkommen werden nur geringfügig von Steuern entlastet. Das wird zwar zur Stabilisierung der Kaufkraft beitragen, aber nur dann, wenn das Ersparte nicht durch erneute Kürzungen im Sozialbereich oder durch den Abbau von Steuervergünstigungen sofort wieder einkassiert wird.
Drittens. Bevölkerungsschichten mit hohem Einkommen erhalten erneut Steuergeschenke in Höhe von 6 Milliarden €. Das ist in der jetzigen Situation durch nichts zu rechtfertigen und komplett - auch für die nächsten Jahre - abzulehnen.
Viertens. Eine wirkliche Stärkung des Mittelstandes, insbesondere im Osten, kann nur durch eine Politik erreicht werden, die die Investitionstätigkeit unterstützt. Durch ein kommunales Investitionsprogramm, wie von uns gefordert, würden tatsächlich wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Effekte erreicht.
Fünftens. Die Bundesregierung hat bisher keinen soliden und akzeptablen Ausgleich für die Einnahmeverluste bei den Ländern und den Kommunen aufgezeigt, sondern nur nebulös von Subventions- und Steuervergünstigungsabbau gesprochen.
Die PDS fordert seit Jahren, die ungerechtfertigten Vergünstigungen für Kapitalgesellschaften, etwa die Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen, abzuschaffen und Vermögende entsprechend ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern. Das würde genügend Einnahmen für Bund, Länder und Kommunen bringen.
Wir fordern den Ministerpräsidenten auf, einem Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform in dieser Form im Bundesrat nicht zuzustimmen, sondern eine Korrektur hin zu einer gerechten Besteuerung zu verlangen. - Danke schön.
Vielen Dank, Frau Dr. Weiher. - Zunächst hat für die Landesregierung der Minister der Finanzen Herr Professor Dr. Paqué um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Deutschland befindet sich in der tiefsten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Jahrzehnten. Seit mittlerweile drei Jahren verzeichnet unsere Volkswirtschaft kein spürbares Wirtschaftswachstum mehr. Arbeitslosenzahlen und Konkurse haben in dieser Zeit drastisch zugenommen. Wir werden in die
sem Winter, wenn sich nichts Entscheidendes ändert, die höchsten Arbeitslosenzahlen seit der Gründung dieser Republik zu verzeichnen haben.
Gleichzeitig läuft Deutschland im nächsten Jahr Gefahr, zum dritten Mal hintereinander gegen die Verschuldungsgrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf europäischer Ebene zu verstoßen.
Meine Damen und Herren! Wir erleben einen wirtschaftlichen Negativrekord nach dem anderen. Das darf so nicht weitergehen. Die Menschen in unserem Land warten auf Lösungen. Sie wollen Ergebnisse und sie wollen Erfolge sehen. Die Politik der Bundesregierung darf nicht Verhinderer von Beschäftigung und Wachstum sein. Sie muss Förderer von Beschäftigung und Wachstum werden; denn bisher war sie das nicht.
Um dies zu erreichen, kann die vorzeitige Senkung der Einkommensteuer einen wichtigen materiellen und auch psychologischen Beitrag leisten. Wir in Deutschland können damit den Menschen zeigen, dass wir handlungsfähig sind.
Die Landesregierung begrüßt deshalb grundsätzlich das Umschwenken der Bundesregierung vom Aufschieben von Steuersenkungen, wie wir es noch im letzten Jahr bei der Finanzierung der Flutkatastrophe erlebt haben, hin zum Vorziehen von Steuersenkungen. Erlauben Sie mir allerdings doch die Bemerkung: Die ordnungspolitische Erkenntnis der Bundesregierung kommt spät; sie kommt sehr spät; sie kommt sechs Jahre nach den Petersberger Steuerbeschlüssen der damaligen CDUFDP-Bundesregierung.
Die Umsetzung der Petersberger Beschlüsse wurde damals von der SPD und von den Grünen aus ideologischen und wahltaktischen Motiven verhindert.
Sechs Jahre lang haben SPD und Grüne geschlafen auf Kosten der Leistungskraft der deutschen Volkswirtschaft, auf Kosten von Wachstum und Beschäftigung.
Wir als Landesregierung Sachsen-Anhalts begrüßen es ausdrücklich, wenn Sozialdemokraten und Grüne aufwachen und dazulernen, meine Damen und Herren.
Allerdings erlauben wir uns schon, darauf hinzuweisen, dass es mit der Glaubwürdigkeit der Konvertiten nicht so gut bestellt sein kann,
wenn von den gleichen Personen noch vor wenigen Monaten schamlos die Wiedereinführung der Vermögensteuer gefordert wurde.