Protokoll der Sitzung vom 03.07.2003

Danke sehr, Herr Abgeordneter Gärtner. - Meine Damen und Herren! Zum Abschluss der Debatte haben die Vorsitzenden der Fraktionen der CDU und der SPD noch einmal um das Wort gebeten. Ich erteile zunächst dem Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Herrn Jürgen Scharf das Wort. Bitte sehr, Herr Scharf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gärtner, man kann in der Debatte zu der Frage, wie wir in Deutschland mit der Zuwanderung, mit dem Asylrecht umgehen sollen, durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Aber wenn Sie jetzt ganz bewusst ein Vokabular benutzen, das demokratische Parteien in diesem Landtag und auch im Bundestag zutiefst verletzen soll, dann habe ich den Eindruck, dass Sie diese Debatte instrumentalisieren wollen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Ich denke, wir alle stehen auf dem Boden des Grundgesetzes. Danach ist die Würde jedes Menschen - nicht die Würde jedes Deutschen, sondern jedes Menschen - unantastbar. Danach richtet sich der Rechtsstaat in Deutschland.

Wenn Sie davon sprechen, dass wir - ich nehme an, Sie meinen damit CDU und CSU - die Menschen in nütz

liche, unnütze und schädliche einteilen, und wenn Sie unserem Kollegen El-Khalil sagen, dass seine Auffassung, seine Äußerungen, die auch von seiner Biographie geprägt sind, zynisch und verachtend seien, dann bringen Sie hier eine Verschärfung hinein, die mich darauf schließen lässt, dass Sie eine vernünftige politische Lösung dieses Problems gar nicht wollen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir unsere wirtschaftlichen Probleme - deshalb hat auch der Wirtschaftsminister heute gesprochen - eben nicht durch die Zuwanderung in den nächsten fünf, zehn, 20 Jahren lösen werden. Das ist eine Illusion, die man nicht verbreiten darf. Diese Wahrheit müssen wir den Menschen sagen.

Alle diejenigen, die davon sprechen, man müsste sehr selektiv die - in Anführungsstrichen - nützlichen Ausländer nach Deutschland holen, sollten eine Debatte dazu eröffnen, ob es nicht so etwas wie einen demografischen Kolonialismus gibt. Aber das Zeitalter des Kolonialismus, in dem man sich früher die besten Güter holte und heute vielleicht die besten Leute holen würde, sollte hinter uns liegen.

(Zustimmung von Herrn Hacke, CDU)

Uns als Volk in Deutschland bleibt nichts anderes übrig, als anzuerkennen, dass wir unsere demografischen Probleme zu Hause lösen müssen. Wir werden dies nur in Jahrzehntschritten tun können. Im Moment haben viele Menschen in Deutschland noch nicht begriffen, wohin die Reise geht.

(Unruhe bei der SPD)

Natürlich brauchen wir ein modernes Ausländerrecht, aber die Diskussion, die heute in diese Debatte hineingekommen ist, kann uns eher in die Irre führen. Diese Debatte wird uns nicht weiterführen; vielmehr werden uns die Menschen in diesem Lande nicht mehr verstehen. Damit haben wir durch unser eigenes Reden alle Chancen, über Integration vernünftig zu sprechen, verspielt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Scharf. - Nun hat der Vorsitzende der Fraktion der SPD Herr Dr. Püchel das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Püchel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Klarstellung. Herr Kolze, Sie sagten vorhin, das Bundesverfassungsgericht hätte sich mit dem Zuwanderungsgesetz beschäftigt. Das stimmt nicht. Es hat keine Aussage zu diesem Gesetz getroffen; es hat vielmehr das Verfahren für nichtig erklärt. Das ist das eine: Das Zuwanderungsgesetz selbst wurde nicht verfassungsrechtlich geprüft.

Zu einem anderen Punkt. Nachdem Herr Scharf gesprochen hat, verstehe ich die Welt erst recht nicht mehr. Er hat es im Grunde genommen noch verschlimmert, indem er sinngemäß sagte - ich sage es mit meinen Worten -: Vermehrt euch ganz schnell, damit keine Ausländer kom

men müssen. Das war das, was Sie im Zusammenhang mit der Demografie in diesem Lande sagten.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS - Herr Scharf, CDU: Wann habe ich das gesagt? - Herr Gürth, CDU: Wir können unsere Probleme nicht auf dem Rücken anderer Nationen austra- gen!)

Ein weiterer Punkt. Als die Debatte von der FDP angekündigt wurde, nahm ich an - damit lag ich nicht schief -, die FDP wolle ihr liberales Profil etwas schärfen - das geht in diesem Hause sonst leicht unter - oder vielleicht ihr liberales Gewissen zeigen.

(Oh! bei der FDP)

Das, was Herr Kosmehl sagte, war nicht schlecht.

Dann sprach der Wirtschaftsminister. Dabei habe ich überlegt, ob er als FDP-Mitglied oder als Vertreter der Landesregierung spricht. Mir war das nicht ganz klar, auch nicht beim Beifall. Ich habe nach links und rechts geschaut, um zu sehen, welche Minister klopften und welche nicht. Ich dachte: Aha, es ist doch mehr für die FDP.

Nachdem ich jetzt noch Herrn Kolze gehört habe, ist mir völlig klar: In dieser Frage trägt die Koalition die Regierung nicht;

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

denn das, was Sie gesagt haben, unterscheidet sich total von dem, was Herr Dr. Rehberger gesagt hat: Nehmen wir die Ärzte, nehmen wir die Ingenieure. Das war genau das Gegenteil davon.

(Herr Gürth, CDU: Nein, das stimmt doch gar nicht!)

Eines möchten wir alle immer noch gern wissen: Wie verhält sich die Landesregierung im Bundesrat? Das ist mir überhaupt nicht mehr klar; denn wenn sich die Landesregierung so verhält, wie es Herr Rehberger gesagt hat, könnte die CDU-Fraktion dies nicht mittragen und müsste einen Misstrauensantrag stellen mit dem Ziel, die Regierung abzulösen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Das hätten Sie wohl gern!)

Meine Damen und Herren! Als weitere Rednerin hat die Vorsitzende der PDS-Fraktion Frau Dr. Sitte um das Wort gebeten. Bitte sehr, Frau Dr. Sitte.

Ich möchte auf einige Dinge eingehen, die Herr Scharf erwähnt hat. Herr Scharf, nicht das Wollen ist entscheidend. Entscheidend ist, wie sich CDU und CSU in diesem Punkt in den letzten Jahren verhalten haben. Das heißt, wir bewerten das Ergebnis politischen Handelns. Dieses Ergebnis findet unsere Kritik in genau der von Herrn Gärtner beschriebenen Weise. Das Motto „Kinder statt Inder“ kommt aus Ihren Reihen; das hat Herr Rüttgers im Wahlkampf geprägt.

(Lebhafter Beifall bei der PDS - Zustimmung bei SPD)

Das Zweite ist: Die Argumentation der CDU zur Frage der Einwanderer, zur Frage der Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland ist vor allem im Zusammenhang mit der Greencard vorgebracht worden. Dort sind solche Worte wie „nützlich“ im Sinne von nützlich für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gebraucht worden. Insofern geht es auf eine Bewertung Ihrerseits zurück, wenn wir diese Begriffe in dieser Debatte kritisch bewerten und sie aufnehmen; denn man muss sich kritisch mit ihnen auseinander setzen.

Das Dritte ist: Der so genannte blutbezogene, der völkische Bewertungspunkt erwächst sozusagen aus einer Betrachtungsweise, die in das Grundgesetz ursprünglich Eingang gefunden hat. Diese Argumentationslinie ist in den letzten Jahren verlassen bzw. in vielerlei Hinsicht verändert worden, aber bei der Frage des Einwanderungsrechts eben nicht.

Die gesamte Betrachtung, die CDU und CSU in diesen Punkten anstellen, steht in völligem Widerspruch zu den Globalisierungsentwicklungen und zu den Bewertungen, die Sie treffen, soweit sie das internationale Finanzkapital und die Wirtschaft betreffen. Ihre Betrachtung widerspricht selbst der Argumentationslinie, die Sie bezogen auf die EU-Entwicklung und die Bewertung des neuen EU-Vertragsentwurfes vertreten.

Deshalb müssen Sie Ihre Position zu diesem Punkt - genau darum geht es in der Nachfrage, die Herr Püchel gestellt hat, und in der Nachfrage, die Herr Gärtner gestellt hat - deutlich machen. Wo will die CDU/CSU an dieser Stelle hin? In diesem Hohen Hause ist die CDU vertreten. Beantworten Sie uns die Frage, wie Sie sich nunmehr im Bundesrat verhalten werden.

(Lebhafter Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Frau Budde, SPD: Herr Minister, wie ist es denn? - Weitere Zurufe von der SPD - Herr Gürth, CDU: Hat sie doch! Ist doch nachlesbar! - Minister Herr Dr. Daehre: Keine Sorge! - Unruhe)

Vielen Dank, Frau Dr. Sitte. - Meine Damen und Herren! Beschlüsse zur Sache werden gemäß der Geschäftsordnung nicht gefasst. Damit ist das erste Thema der Aktuellen Debatte abgeschlossen.

Ich rufe das zweite Thema der Aktuellen Debatte auf:

Vorziehen der dritten Steuerreformstufe nicht auf Kosten der Länder und Gemeinden

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/874

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: PDS-Fraktion, CDU-Fraktion, SPD-Fraktion und FDP-Fraktion. Zunächst erteile ich für die Antragsteller der Abgeordneten Frau Dr. Weiher das Wort. Bitte sehr, Frau Dr. Weiher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU Deutschlands will, dass die Bürger weniger Steuern zahlen. Sie erwartet, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt, der die dritte Stufe der Steuerreform vorzieht. - So lauten die ersten Sätze des Be

schlusses des Bundesvorstandes der CDU Deutschlands vom 21. Juni dieses Jahres.

(Herr Tullner, CDU: Lesen Sie doch mal weiter! Weiterlesen!)

Eine Pressemeldung vom Montag, dem 29. Juni 2003 lautet:

„Die unionsgeführten Länder wollen nach Aussage des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber den Plan des Kabinetts zum Vorziehen der Steuerreform im Bundesrat in jedem Fall stoppen.“

Diesen Beschluss brauche ich damit nicht einmal weiterzulesen.

Nur zwei Tage später, am Mittwoch, dem 2. Juli 2003, signalisierten Angela Merkel und Edmund Stoiber bereits Kompromissbereitschaft und boten ihre Mitarbeit an. Die CDU hat es also geschafft, innerhalb von 14 Tagen ein doppelte Kehrtwende durchzuführen.

(Herr Tullner, CDU: Das stimmt nicht! - Zuruf von Frau Weiß, CDU)

Der Anlass dafür ist der seit Sonntag feststehende Beschluss der Bundesregierung, die dritte Stufe der Steuerreform auf das Jahr 2004 vorzuziehen. Die nachdenklichen Stimmen aus den beiden großen Volksparteien auf Bundesebene sind fast verstummt; aus den Ländern werden jedoch Bedenken angemeldet.