In diesem Sinne sind wir alle aufgefordert, nun die tatsächliche Integration der neuen Mitgliedstaaten in die Europäische Union voranzutreiben und das Motto der Europawoche Wirklichkeit werden zu lassen: Europa wächst zusammen und Sachsen-Anhalt wächst mit. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Herr Kosmehl, der leider auf meine Frage nicht antworten will, hat am Anfang indirekt kritisiert, dass wir, die SPD, als Wahlkampflosung „Friedensmacht Europa“ verwenden. Ich weiß nicht, ob Herr Kosmehl zu jung ist, um zu begreifen, was das bedeutet.
Ich bin ein Nachkriegskind. Mein Vater war im Krieg, mein Großvater war im Krieg. Von Deutschland sind zwei Weltkriege ausgegangen, die fast die ganze Welt zerstört haben. Ich bin froh, dass gerade diese Idee einer Europäischen Union dazu führen wird, dass von Mitteleuropa, von Europa Frieden ausgeht und dass das ein Signal für die ganze Welt ist. Es ist für mich auch eine der wichtigsten Errungenschaften der EU, dass Europa zu einer Friedensmacht geworden ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erweiterung der Europäischen Union um zehn Staaten mit 75 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ist vollzogen. Es gab viele Feiern und schöne Reden. Die Erweiterung der EU ist ein historischer Moment in der Geschichte der europäischen Integration und eine große historische Chance für die Sicherung von Frieden und Stabilität in Europa. Sie ist aber zugleich eine außerordentliche politische, ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Herausforderung.
Der Herr Staatsminister hat in seiner Regierungserklärung die breite Palette europapolitischer Aktivitäten des Landes vorgestellt. Es klang beeindruckend und sicherlich ist in den vergangenen Jahren manches getan worden, um Sachsen-Anhalt auf die Erweiterung vorzubereiten. Der Herr Staatsminister stellte dann auch resümierend fest, dass Sachsen-Anhalt in der Europapolitik gut aufgestellt sei.
Wenn man dann noch Umfrageergebnisse der TU Chemnitz und der Internationalen Universität in Bremen nimmt, wonach vier von fünf Befragten aus SachsenAnhalt und Thüringen die Erweiterung der EU befürworten, kann uns eigentlich fast nichts mehr passieren - aber eben nur fast nichts. Denn aus unserer Sicht - darin stimme ich mit meinem Vorredner Herrn Kosmehl überein - ist Sachsen-Anhalt auf die Erweiterung nach wie vor nicht gut vorbereitet. Sachsen-Anhalt wie auch die Bundesrepublik und Europäische Union selbst gehen generell mit erheblichen Defiziten in diese neue Phase.
Aber - in dieser Hinsicht unterscheidet sich unsere Auffassung wieder von der von Herrn Kosmehl - wir sehen andere Ursachen für diese Defizite. Bisher wurde in der Europäischen Union immer versucht, das Gleichgewicht
gewissermaßen durch ein Dreieck von Demokratie, Marktwirtschaft und sozialem Zusammenhalt aufrechtzuerhalten. Dieses Gleichgewicht ist aus unserer Sicht aus drei Gründen ernsthaft gefährdet.
Erstens. Der Problematik der Angleichung der sozialen Verhältnisse und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wurde bei der Vorbereitung der Erweiterung viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Niemals zuvor waren die Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung und das Wohlstandsgefälle zwischen den EU-Mitgliedstaaten so groß wie heute. Die anfängliche Euphorie über die Überwindung der politischen Teilung Europas ist schon jetzt bei vielen Menschen in den neuen Mitgliedstaaten und insbesondere auch im Osten Deutschlands zunehmend der Sorge um den Arbeitsplatz und der Angst vor weiterem Sozialabbau gewichen.
Der zweite Grund für die Gefährdung ist das offene Einschwenken der EU auf den Kurs der neoliberalen Globalisierung. Die PDS bekennt sich zur europäischen Integration. Aber die Frage ist doch: Für wen soll diese Integration etwas bringen und wie soll sie aussehen?
Eine Europäische Union, die 25 Staaten umfasst und in der 450 Millionen Menschen leben, braucht doch mehr als neoliberale Strategien zur immer besseren Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben. Sie braucht eine Sozialunion, die auf dem europäischen Sozialmodell beruht, die sich an den politischen und kulturellen Wurzeln der europäischen Länder orientiert und nicht am Marktwert.
Die europäische Integration kann nur gelingen, wenn die europäische Politik auf die Angleichung der Lebensverhältnisse und auf Kohäsion setzt.
Die PDS möchte eine europäische Wirtschaftspolitik, die auf die Stärkung des europäischen Binnenmarktes gerichtet ist. Wenn der Präsident der DIHK Herr Braun zur Verlagerung der Produktion in die Beitrittsstaaten aufruft, so ist das auch für den europäischen Binnenmarkt kontraproduktiv.
Der Herr Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung in der vergangenen Woche etwas vorsichtiger ausgedrückt. Er spricht von der internationalen Arbeitsteilung, die dazu führen kann, dass deutsche Unternehmen Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.
Die Unternehmen mögen durch das Lohngefälle zwar kurzfristig Profit machen, letztlich gehen aber Absatzmärkte verloren, wenn die Binnennachfrage sinkt. Auf Investitionen des scheuen Rehs Kapital warten wir hier seit Jahren vergeblich.
Der dritte Grund ist der Ruf nach einer Militarisierung der Europäischen Union. Solche Töne, wie sie am 29. April 2004 in der „Financial Times“ zu vernehmen waren, dass die alte Zivilmacht Europa, die sich außenpolitisch als Riesen-Schweiz geriert, keine Zukunft mehr hat und dass die neue EU deshalb Sicherheit im Inneren
und Gestaltungsmacht auf internationalem Parkett erlangen muss und dass die Mitgliedstaaten deshalb sowohl Souveränität einbüßen als auch Haushaltsmittel bereitstellen müssen, sind immer häufiger zu hören.
Wir sollten aber nicht vergessen - das ist das, was Herr Püchel soeben nachdrücklich betonte -: Nicht die Bereitschaft zur militärischen Konfliktlösung war der Grund dafür, dass die EU nach dem Ende des Kalten Krieges für viele Länder interessant wurde; vielmehr waren es die Strategien zur Vorbeugung bzw. zur Zivilisierung gefährlicher Konflikte, wie es auch die Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien sowie der Stabilitätspakt auf dem Balkan verdeutlichen.
Die Bereitschaft, die acht Staaten Mittel- und Osteuropas in die EU aufzunehmen - ich nehme Zypern und Malta einmal aus, weil dort andere Probleme bestehen und dem eine andere Geschichte zugrunde liegt -, wurde in der EU selbst - es ist so, auch wenn das nie deutlich artikuliert wurde - fast ausschließlich mit sicherheitspolitischen Interessen begründet.
Diese nun gewonnene Stabilität in Europa - dazu muss gesagt werden, dass Europa mehr ist als nur die EU;
denn nach wie vor reicht Europa, geografisch betrachtet, bis an den Ural - sollte nicht durch eine vordergründige Militarisierung, die nur auf Kosten der öffentlichen Haushalte und durch einen weiteren Sozialabbau finanziert würde, aufs Spiel gesetzt werden. Das Ergebnis könnte für die Wirtschaft, die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt verheerend sein.
In diesem großen Konzert der Europäischen Union der 25 wird Sachsen-Anhalt zunächst mehr als bisher Transitland sein. Der Zug für Sachsen-Anhalt, alte Märkte in bedeutenden Größenordnungen zu revitalisieren, ist abgefahren. Auf diesen Märkten wirtschaften inzwischen andere, und das, obwohl es unserer Wirtschaft gelungen ist, den Export zu steigern oder zumindest zu stabilisieren.
Uns fehlt nach wie vor die entsprechende industrielle Basis. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen haben zumeist nur eine geringe Wertschöpfungsbasis und geringes Eigenkapital. Mit den industriellen Leuchttürmen ist es wie mit den Schwalben - eine macht noch keinen Sommer. Das heißt, ein industrieller Leuchtturm bringt noch keinen sich selbst tragenden Aufschwung.
Wir hoffen, dass die von der Landesregierung angedachten und vorgestellten Maßnahmen greifen. Gerade deshalb müssen wir auch über Geld sprechen und darüber, wie die Fördergelder wirklich nachhaltig angelegt werden können. Die Förderkriterien müssen einer grundlegenden Evaluierung unterzogen werden. Sie sind in einer Zeit entstanden, in der quantitative Wachstumsparameter im Mittelpunkt standen - von der Bürokratie ganz zu schweigen.
Der Europäische Rat hat im Jahr 2000 in Lissabon beschlossen, Europa zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen. Hier sollten wir bei den Kriterien unserer Förderpolitik ansetzen. Dies muss in einer breiten und öffentlichen Diskussion geschehen.
Ich wiederhole an dieser Stelle unsere Kritik an der Landesregierung, dass das Parlament in die Evaluierung der operationellen Programme de facto erst einbezogen
Es darf nicht mehr hingenommen werden, dass Fördermittel für die gewerbliche Wirtschaft in dreistelliger Millionenhöhe ohne nennenswerte Effekte versickern, dass Gelder für Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft, weil sie nicht abgerufen worden sind, sang- und klanglos in andere Bereiche gesteckt werden
und dass gleichzeitig die Hochschulen und Universitäten Sachsen-Anhalts Einsparungen in Höhe von 30 Millionen € erbringen müssen. Diese Einspareffekte können zu echten Höhepunkten anlässlich der EU-Erweiterung werden. So streicht die Martin-Luther-Universität zur Feier des Tages am 1. Mai 2004 das Angebot des Sprachenzentrums für Polnisch, Tschechisch und Slowakisch.
Natürlich müssen die eingesetzten Ressourcen auch in einem angemessenen Verhältnis zu den erzielten Ergebnissen stehen. Doch wenn ich von einer wissensbasierten Gesellschaft spreche, dann muss ich auch in diese investieren. Ich muss eben solche Kriterien wie die Nachhaltigkeit der Entwicklung, die Höhe der Arbeitslosenzahl, die Entwicklung der Gleichstellung der Geschlechter, die Zahl der Ausbildungsplätze und die Entwicklung von Bildung, Wissenschaft und Forschung grundsätzlich berücksichtigen.
Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung und der jetzt wieder einsetzenden Debatte um den Aufschwung Ost halten wir es deshalb für wichtig, den ostdeutschen Gegebenheiten entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die Vorsitzenden der PDS-Fraktionen in den Landtagen der neuen Länder haben hierzu vor einigen Wochen Vorschläge unterbreitet. Ich möchte nur auf einige verweisen: erstens Innovation statt Billiglohn, Vorziehen von Transfermitteln aus dem Solidarpakt II zur Stärkung der Forschungslandschaft Ost und zielgerichtete Standortpolitik bei der Forschungsförderung, zweitens Halbierung des Mehrwertsteuersatzes für arbeitsintensive Dienstleistungen einschließlich des Tourismus, neue Förderinstrumente für alle Betriebe, die sich an regionalen Wertschöpfungsketten beteiligen, die Einführung einer kommunalen Investitionspauschale und eine gemeinsame Marketingstrategie Ost.
In diesem Zusammenhang ist auch noch einmal über den Begriff der europäischen Region zu diskutieren. Herr Staatsminister, klar definiert ist dieser Begriff eigentlich nur als Planungsregion bei den europäischen Strukturfonds. Ansonsten debattieren wir nach wie vor noch über die Frage: Was ist eine europäische Region?
Auch im Ausschuss der Regionen sind sehr verschiedene Regionen vertreten. Es reicht von föderalen Ländern bis zu kleinen Gebietskörperschaften. Das kann eine spannende Debatte auch im Zusammenhang mit dem Thema Föderalismus werden.