Vielen Dank, Herr Grünert. - Bevor ich Frau Schindler das Wort erteile, um für die SPD-Fraktion zu sprechen, begrüßen wir Damen und Herren des CDU-Ortsverbandes Magdeburg-Olvenstedt und Neustädter Feld auf der Tribüne.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich beginne meine Rede wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen auch mit einem Zitat, einem aus der jüngsten Vergangenheit. Ich zitiere den Landrat des Landkreises Köthen, Herrn Schindler. Er ist mit mir nicht verwandt und nicht verschwägert; es kommt öfter zu Verwechse
lungen bezüglich des Namens. - Dieser sagte anlässlich der Anhörung zu dem Gesetzentwurf am 2. November 2006 im Innenausschuss - ich zitiere -:
„Die landsmannschaftliche Verbundenheit wird sicherlich sehr unterschiedlich bewertet. Während der eine sie als Quatsch bezeichnet, ist sie dem anderen viel wert. Sie ist viel wert, wie aus den Bürgerentscheiden in Zerbst und um Zerbst herum deutlich zu erkennen ist. Ich führe hier keine Diskussion darüber, wer wo wie viel Prozent für welche Frage eingefahren hat. Sie ist deutlich zu erkennen und ich denke, dem sollte man entsprechend Aufmerksamkeit schenken.“
Wir schenken mit diesem Gesetzentwurf diesem Umstand die entsprechende Aufmerksamkeit. Die in dem Gesetz zur Kreisneugliederung am 11. November 2005 vorgenommene Zuordnung von Zerbst und der umliegenden Gemeinden zum Landkreis Anhalt-Jerichow traf auf viel Widerstand - schon zum damaligen Zeitpunkt. Mit den nun vorgenommenen Änderungen wird die damalige Abwägung hier in diesem Haus korrigiert. Da das Gesetz noch nicht in Kraft getreten ist, ist dies nach unserer Auffassung vertretbar.
Neben den bereits im Juli und im August 2006 durchgeführten Bürgerentscheiden haben die Gemeinden Buhlendorf und Gehrden am 29. Oktober 2006 und die Gemeinden Gödnitz und Walternienburg am 12. November 2006 ebenfalls noch Bürgerentscheide durchgeführt mit dem Ergebnis, dass sich die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich für einen Wechsel in den zukünftigen Landkreis Anhalt-Bitterfeld entschieden haben.
Daher beantragen die Fraktionen der CDU und der SPD eine entsprechende Änderung des vorliegenden Gesetzentwurfs, die diesen Wechsel berücksichtigen soll. Dies geschieht erst zum jetzigen Zeitpunkt, da die Entscheidung erst am 12. November 2006, also am vorigen Wochenende, gefallen ist.
In der Gemeinde Moritz ist der Bürgerentscheid erst für den 26. November 2006 geplant. Die für den April 2007 anstehenden Kommunalwahlen und die dafür notwendigen Vorbereitungen, wie auch Herr Madl ausführte, gebieten jedoch eine Entscheidung in der heutigen Landtagssitzung. Somit soll die Gemeinde Moritz aufgrund der bereits im Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz vorgegebenen Grundsätze der Raumordnung, insbesondere der wirtschaftlichen und naturräumlichen Zusammenhänge sowie der historischen und landsmannschaftlichen Verbundenheit, zugeordnet werden.
Nun wird im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf ständig von Verfassungsbeschwerden geredet, von solchen, die bereits laufen, und von solchen, die angekündigt werden. Die laufende Beschwerde richtet sich unabhängig von der Änderung gegen das beschlossene Gesetz zur Kreisneugliederung. Die beabsichtigte Änderung hat darauf keinen Einfluss.
Wir haben uns bei dem Neuzuschnitt des Landkreises Anhalt-Bitterfeld natürlich auch Gedanken darüber gemacht, ob dieser Auswirkungen auf die Frage des Kreissitzes hat. Im Ergebnis bleibt es bei der Anwendung der Kriterien für den Kreissitz bei der Entscheidung für Köthen. Zu den Auswirkungen der Änderungen für die beteiligten Städte, Gemeinden und Kreise und die Abwägung im rechtlichen Verfahren ist bereits in der Begründung zu dem Gesetzentwurf ausführlich Stellung
Dem Änderungsantrag der Linkspartei.PDS wird ebenfalls zugestimmt, wobei ich an dieser Stelle erwähnen möchte, dass in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres bereits die terminliche Änderung vorgesehen war. Die Frist ist damit bereits aufgenommen worden. Ihr Antrag ergänzt lediglich, dass in die Auseinandersetzungsvereinbarungen auch der Kreis Wittenberg und die Stadt Dessau-Roßlau einbezogen werden.
Auch in den Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Wörlitzer Winkel sind zuletzt am 12. November 2006 Bürgerentscheide durchgeführt worden. Auch diese sollen Beachtung finden, jedoch in einer gesonderten Regelung und nicht mit diesem Gesetz. Ich bitte daher um Zustimmung zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD und zum Gesetzentwurf.
Ich habe zwei Fragen. Vielleicht fange ich mit dem an, was Sie zuletzt gesagt haben. Könnten Sie ausführen, inwieweit Sie den Wörlitzer Winkel demnächst einer gesetzlichen Regelung unterwerfen wollen - wir haben das von Herrn Madl gehört - hinsichtlich der Möglichkeit, an den Kreistags- bzw. an Stadtratswahlen teilzunehmen? Wie sieht hierfür der Zeitplan aus?
Die zweite Frage. Sie haben die landsmannschaftliche Verbundenheit betont, die dem Gesetz zugrunde liegt. Ist ihnen bekannt, dass der Kreis Anhalt-Bitterfeld auch aus einer Landsmannschaft kursächsischer Bürger besteht und dass der gemeinsame Kreis aus zwei Landsmannschaften besteht und nicht nur aus Anhaltern?
Zu der ersten Frage möchte ich sagen, dass die genaue Ausgestaltung einer möglichen gesetzlichen Regelung noch nicht vorliegt. Wir warten dazu auf einen entsprechenden Entwurf aus dem Innenministerium. Dann werden wir auch sehen, inwieweit eine Möglichkeit besteht, diese Regelung noch für die zukünftigen Wahlen in Kraft treten zu lassen. Das wird schwierig sein. Aber bekannt ist auch, dass es die Gemeinden selbst in der Hand gehabt haben, in die eine oder die andere Richtung zu entscheiden. Wie die Entscheidung und die gesetzliche Regelung ausfallen wird, möchte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorwegnehmen.
Zu der zweiten Frage. Diese Frage haben Sie auch in der Anhörung gestellt. Es ist darauf hingewiesen worden, dass im Bereich Bittelfeld preußische Landsmann
schaften, aber in dem Kreis auch anhaltische Landsmannschaften bestehen. Ich weiß nicht mehr, welcher Redner in der Anhörung gesagt hat,
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist schon erstaunlich, was Sie hier zutage bringen.
Landsmannschaftliche Verbundenheit - für die Anhalter ja, für die Kursachsen nicht, denn Anhalt ist viel größer. Das ist eine Argumentation, die man sich einmal eingehen lassen muss.
Sie haben aus den Anhörungen und aus der Diskussion im Ausschuss für Inneres nichts gelernt. Das Gesetz ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Es ist inhaltlich falsch und dazu geeignet, eine ganze Region zu destabilisieren. Mit diesem Gesetz weichen Sie von den Entscheidungsgrundsätzen ab, welche für die anderen Teile des Landes im Zuge der Kreisneugliederung gegolten haben, ohne einen ausreichenden Grund dafür zu haben.
Statt raumordnerische und andere Belange zu berücksichtigen, stellen Sie nunmehr allein auf den Bürgerwillen ab. Diesen Paradigmenwechsel begründen Sie damit, dass ein Landesverfassungsgericht die Änderung einer Strukturänderung für zulässig erklärt habe.
Allein die Feststellung der Zulässigkeit ersetzt nicht die Begründung für ein Gesetz. Darüber hinaus bleibt festzustellen, dass der Entscheidung in dem von Ihnen zitierten Urteil ein anderer Sachverhalt zugrunde lag, also schon bei der Vergleichbarkeit Zweifel bestehen.
Meine Damen und Herren! Wer nun glaubt, der Bürgerwille als entscheidendes Kriterium kommt landesweit zur Geltung, der irrt. Wer glaubt, wenigstens die Region Dessau kommt in den Genuss der Sonderbehandlung, der irrt. Wer glaubt, der Landkreis Anhalt-Zerbst sei betroffen und käme in den Genuss der Sonderbehandlung, der irrt auch. Wörlitzer Winkel - hanebüchen, was Sie da machen. Warum der Wörlitzer Winkel in seinem angeblichen Bürgerwillen, den Sie nun gesetzlich berücksichtigen wollen, gesondert behandelt wird und nicht in diesem Gesetz, ist mir völlig schleierhaft. Es soll nur für den Bereich Zerbst und Umland gelten. - Nein, das stimmt auch nicht. Die Gemeinde Moritz nicht. Die kommt aus raumordnerischen Gründen dazu. Deren Bürgerwille ist unbeachtlich.
Warum die anderen Betroffenen in ihrem Willen nicht berücksichtigt werden, bleibt das Geheimnis der Koalition. Sie handeln nach dem Grundsatz: Alle Menschen sind
gleich, nur manche sind gleicher. Das habe ich bei der ersten Rede gesagt und ich muss es heute wieder sagen. Im Klartext bedeutet dies einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.
Interessant ist auch, was in den Augen der Koalition Bürgerwille ist. Nämlich nur der Wille, der in einem Bürgerentscheid zum Ausdruck kam, im Wörlitzer Winkel witzigerweise auch das, was im Rahmen einer Bürgeranhörung zustande kam. Aber - das ist auch interessant und das finde ich in einer repräsentativen Demokratie einen ganz seltsamen Gedanken - nicht das, was in einem Kreistagsbeschluss dargestellt ist. Wer gibt Ihnen eigentlich die Gewissheit oder die Erkenntnis, dass ein Bürgerentscheid höher zu bewerten ist als ein Kreistagsbeschluss? - Keine Antwort. Ich habe den Verdacht, es ist nur der klägliche Versuch, widerstreitende Interessen zu ignorieren.
Meine Damen und Herren! Eine Abwägung widerstreitender Interessen findet bei Ihnen nicht statt. Die Feststellung des Gemeinwohls, das die Aufhebung der kommunalen Selbstverwaltung rechtfertigen würde, entfällt. Eine Abwägung von Für und Wider innerhalb der Gesetzesbegründung ist trotz Warnung des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes nicht erkennbar.
Es steht zwar geschrieben und es ist noch einmal vorgetragen worden, dass es gut sei, Zerbst und Umgebung in den neuen Kreis Anhalt-Bitterfeld zu integrieren. Zur Begründung werden die Grenzen feudalistischer Systeme aus dem 19. Jahrhundert herangezogen, wobei Herr Kosmehl darauf hingewiesen hat, dass Kursachsen völlig außer Acht gelassen wird; also ist auch die Heranziehung falsch. Aber welche Nachteile entstehen, wird nicht erwähnt und eine Abwägung fehlt demzufolge gänzlich.
Meine Damen und Herren! Abgesehen von den genannten verfassungsrechtlichen Bedenken ergab die Anhörung und insbesondere der Hinweis des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes, dass es erhebliche Bedenken dahin gehend gibt, dass eine Neuregelung zum Kreissitz für den neuen Kreis Anhalt-Bitterfeld aufgrund der Hinzuziehung der Stadt Zerbst als ehemalige Kreisstadt erforderlich ist. Insbesondere sei hier eine neue Abwägung und damit verbunden eine Anhörung notwendig. - Dazu fehlt jeglicher Ansatz.
Unberücksichtigt blieb auch der Hinweis des Landrates des Jerichower Landes, dass dieser erst unter dem Datum vom 9. Oktober 2006 zur Anhörung aufgefordert wurde und dass er keine Zeit zur Stellungnahme hatte bzw. keine inhaltliche Stellungnahme vortragen konnte. Die Folge ist klar: Die Befindlichkeiten des Landkreises Jerichower Land konnten innerhalb der Anhörungsfrist nicht vorgetragen werden und wurden im Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigt. Das eröffnet einer Verfassungsbeschwerde jede Aussicht auf Erfolg.
Die raumordnerische Isolierung von Zerbst wird zur Schwächung des Mittelzentrums führen. Eine weitere Folge ist, dass die Gemeinden um Gommern herum nun erst einmal ohne Verwaltung sind. Dort hört man, dass den Gemeinden zugesagt wurde, sie könnten selbständig bleiben und Gommern würde zu einer Trägergemeinde gezwungen werden, während der Stadt Gommern eine Eingemeindung in Aussicht gestellt worden ist.
Der Wörlitzer Winkel wird nach der Wahl in Wittenberg einen Abgeordneten im Kreistag haben. Dann wird er nach Dessau herübergezogen. Er hat keinen eigenen Gemeinderat mehr, aber auch keine Vertretung im
Stadtrat in Dessau und ist somit in der nächsten Wahlperiode völlig ohne Vertretung. - Was machen Sie eigentlich mit den Interessen der Bürger?
Dieses Gesetz ist dazu geeignet, die gesamte Region Dessau zu destabilisieren. Wenn eine der Verfassungsbeschwerden, die jetzt bereits absehbar sind, durchkommt, werden die Kreistage und Stadträte in der Umgebung des ehemaligen Regierungsbezirkes Dessau nicht auf einer demokratischen Grundlage gewählt worden sein. Ihr Motto „Augen zu und durch!“ ist vor diesem Hintergrund völlig inakzeptabel. Sie schaden dem Land, und das nur, um einem ehemaligen Landrat einen Gefallen zu tun.