Protokoll der Sitzung vom 22.03.2007

Wir sind gefragt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf die Möglichkeit, dem Anliegen von Seniorinnen und von Senioren gerecht zu werden. Ich bitte Sie deshalb um eine faire, sachliche und intensive Diskussion in dem dafür zuständigen Fachausschuss. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit bei diesem Thema. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Frau Dirlich, für die Einbringung. - Bevor Innenminister Hövelmann das Wort in der Debatte ergreift, haben wir die Freude, Damen und Herren vom Europäischen Bildungswerk Magdeburg bei uns begrüßen zu können. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Minister, bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass es auch in diesem Hohen Hause ein grundsätzliches Verständnis für das durch die antragstellende Fraktion vorgetragene Anliegen gibt, dass es nämlich darum geht, die Vertretungsrechte der Seniorinnen und Senioren im Lande zu stärken und ihre aktive Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen zu fördern. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Interessen der Senioren und Seniorinnen - ich glaube, auch darin werden wir uns relativ schnell einig - kann man nur eindeutig bejahen.

Verehrte Frau Dirlich, Sie haben es bereits gesagt, es geht nicht um das Ob, es geht vielmehr entscheidend um das Wie. Wie können die Senioren und Seniorinnen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen partizipieren? Wie können sie sich verbindlicher einbringen als

bisher? Wie binden wir die Erfahrungen der älteren Generation und deren Belange in unsere Entscheidungsstrukturen ein? Und wie tun wir dies innerhalb - ich betone: innerhalb - des gesetzlich vorgegebenen Rahmens?

Ich darf zunächst grundsätzlich festhalten: Das Wesensmerkmal der Demokratie ist es, dass öffentliche Gewalt und öffentliche Kompetenzen stets einer Legitimation bedürfen. Das haben Sie auch angesprochen. Die Legitimationsbasis sind allein Wahlen, egal ob auf Landes- oder kommunaler Ebene.

Insoweit muss sowohl die Entscheidung über eine Einbindung von ratsexternem Sachverstand als auch die Entscheidung hinsichtlich einer ideellen und auch materiellen Unterstützung von Interessenvertretungen allein von einem entsprechenden Entschluss der jeweiligen gewählten kommunalen Vertretungen abhängen. Dieses Selbstgestaltungsrecht ist Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltung. Ich gehe davon aus, dass ein Konsens darüber besteht, dass dies nicht infrage gestellt wird.

Der Eingriff des Staates in diesen Rechtsbereich ist nur unter ganz besonderen Voraussetzungen möglich. Das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung darf dabei nicht ausgehöhlt werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf wird nach meiner Überzeugung diesen rechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Die in dem Gesetzentwurf beabsichtigten Vorgaben berühren den Bereich der eigenverantwortlichen Organisationsgestaltung der Kommunen als Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Den beabsichtigten Eingriff lehne ich als Innenminister und damit auch als Kommunalminister ab.

Insbesondere hinsichtlich der Kostenfolgen habe ich gravierende Bedenken. Mit dem Gesetzentwurf sollen die Kommunen unter anderem verpflichtet werden, Interessenvertretungen ideell und materiell zu unterstützen. Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, schaffen wir neue gesetzliche Standards in Bezug auf die Erfüllung kommunaler Aufgaben. Angesichts der zunehmend schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen, unter denen die Kommunen gezwungen sind, ihre umfangreichen Aufgaben zu erfüllen, wissen wir alle, wie sensibel in diesem Bereich reagiert wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Fraktion der Linkspartei.PDS, der Gesetzentwurf trägt dieser schwierigen finanziellen Situation leider nicht Rechnung. Er beantwortet nicht die entscheidende Frage, wie die Kommunen die Mittel für eine materielle Unterstützung jeglicher Interessenvertretungen, wozu eine Vielzahl gesellschaftlich bedeutsamer Gruppen wie Senioren, Kinder, Jugend, Ausländer und viele andere mehr zählen, aufbringen sollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf ist darüber hinaus festzustellen, dass Dinge wiederholt werden, die unsere geltenden Kommunalverfassungsgesetze bereits möglich machen. Unsere Kommunalverfassungsgesetze sehen bereits jetzt Regelungen vor, um nicht an ein Mandat gebundene Tätigkeiten zu ermöglichen und um Fachverstand und Lebenserfahrung in den politischen Entscheidungsprozess einbinden zu können.

Gemeinderäte und Kreistage können nach § 74a der Gemeindeordnung und nach § 64a der Landkreisordnung bereits jetzt besondere Interessenvertretungen,

Beiräte oder Beauftragte zur Beratung und Unterstützung bestellen. Darüber hinaus besteht nach § 48 der Gemeindeordnung bzw. nach § 37 der Landkreisordnung die Möglichkeit, sachkundige Einwohner als zusätzliche Mitglieder mit beratender Stimme in beratende Ausschüsse zu berufen.

Angesichts des Ziels der Deregulierung sehe ich keine Notwendigkeit für eine derartige zum großen Teil wiederholende gesetzliche Regelung. Warum sollen wir das, was bereits heute möglich ist, mittels verbindlicher Standards noch einmal regeln?

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich dazu bekennen, dass ich für die Einbeziehung der Interessen der Seniorinnen und Senioren in die Politik auf allen Ebenen und insbesondere im Bereich der Kommunen bin. In den Kommunen findet das menschliche Zusammenleben in der Gemeinschaft am intensivsten statt und hier sind die Belange der Menschen am intensivsten abzuwägen. Ich kann Ihnen an dieser Stelle zusagen, dass ich mich darüber hinaus in Gesprächen mit den Verantwortlichen in den Landkreisen sowie auch in Städten und Gemeinden werbend für die Einrichtung von Seniorenbeiräten in den Landkreisen und Gemeinden unseres Landes einsetzen werde.

Ich möchte an dieser Stelle einen Vorschlag wiederholen, den ich vor dem Seniorenforum am 2. März 2007 an dieser Stelle gemacht habe und der von Vertretern der Senioren auf der Landesebene und Vertretern des Innenministeriums gemeinsam entwickelt wurde.

Wir werden zum 1. Juli 2007 auf der Ebene der Landkreise in eine neue Struktur eintreten. Aus den 21 Landkreisen werden elf Landkreise. Darüber hinaus werden wir auf der Ebene der Gemeinden noch in dieser Wahlperiode neue Strukturen schaffen. Wir alle wissen aus der Vergangenheit und auch durch einen Blick über die Landesgrenzen hinaus, dass neue kommunale Strukturen stets das Problem des Zusammenwachsens der bisher selbständigen Teile mit sich bringen. Von daher hat jede neue Kommune ein großes Interesse an den Kräften, die das Zusammenwachsen und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in ihrem Gebiet ausmachen.

Kommunale Fusionen sind vor Ort häufig von widerstreitenden Interessen hinsichtlich der Gestaltung von Einflussmöglichkeiten geprägt. Alle Beteiligten wollen ihre Machtbefugnisse weitestgehend auch in dem vergrößerten Gebiet ausüben. Das ist auch menschlich. Dies führt tendenziell zumindest in der Anfangsphase zu einer zunehmenden Entfernung der Akteure voneinander.

Gefragt sind in einer derartigen Phase daher solche Elemente, die das Zusammenwachsen und die Identitätsstiftung für ein neues Gebilde fördern können. Gerade an dieser Stelle sehe ich eine große Chance für die Seniorenräte, die überparteilich tätig sind und in allen bisher existenten Landkreisen vorhanden sind. Gelingt es den Seniorenverbänden, sich an dieser Stelle in einer neuen Struktur zusammenzufinden, so werden sie die positiv gestaltenden Kräfte sein können, die zur Identitätsstiftung beitragen können.

Von daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss jeder verantwortungsbewusste Kommunalpolitiker und jede Kommunalpolitikerin ein hohes Interesse daran haben, Seniorinnen und Senioren in den Findungspro

zess einzubinden. Die Interessen der neuen Landkreise und der Seniorenverbände kommen an dieser Stelle zu einer Deckung. Es verbleibt lediglich, die Organisation dieses Findungsprozesses hinzubekommen.

Lassen Sie mich auch in diese Diskussion den Vorschlag geben, den ich auf dem Seniorenforum gemacht habe. Auf der Ebene der bisherigen Landkreise sollten sich die Seniorenverbände in den neuen Kreisgebilden organisatorisch finden, um somit gegenüber dem am 22. April 2007 neu zu wählenden Kreistag als neue Senioreneinheit aufzutreten. Diese neue Einheit könnte dann in einem Gespräch mit dem neuen Landkreis über festzulegende Größenordnungen personelle Vorschläge zur Besetzung eines Beirates für Seniorenfragen beim Kreistag unterbreiten. Im Gegenzug könnte in der Hauptsatzung bestimmt werden, dass ein Seniorenbeirat gegründet wird, der ausschließlich mit Personen besetzt wird, die von den Seniorinnen und Senioren im Landkreis benannt werden. Somit würden wir uns im kommunalverfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen bewegen.

Der neu gebildete Landkreis hätte ein maßgebliches Element zur Identitätsstiftung zur Unterstützung und dem wohlgemeinten sowie inhaltlich berechtigten und gerechtfertigten Anliegen der Seniorinnen und Senioren könnte organisatorisch zum Durchbruch verholfen werden.

Lassen Sie uns die derzeitige Rechtslage effektiv ausschöpfen. Es gibt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass es auch in den neuen Landkreisen gelingen wird, die Interessen von Seniorinnen und Senioren auf der Basis der heutigen Gesetze mit einzubeziehen und zu vertreten. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kurze.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich wäre es sinnvoller, diesen Gesetzentwurf nach dem 22. April 2007 zu behandeln. Aber da er schon heute auf dem Tisch liegt, sollten wir uns an dieser Stelle der Problematik stellen.

Der Gesetzentwurf, aber auch die Pressemitteilung der Kollegin Dirlich hierzu suggerieren, dass älteren Menschen Beteiligungsrechte eingeräumt werden müssten, die sie bisher nicht hätten. Dies ist vor dem Hintergrund, dass wir eine funktionierende Landesseniorenvertretung und nahezu flächendeckend Seniorenvertretungen auf der Kreisebene haben, schon etwas kurios. Ich vermag nicht zu erkennen, wo in Sachsen-Anhalt die berechtigten Interessen von Seniorinnen und Senioren missachtet werden oder ihnen Beteiligungsmöglichkeiten verwehrt bleiben.

Richtig ist allerdings, dass die finanzielle Unterstützung der Arbeit der kreislichen Seniorenvertretungen im Lande unterschiedlich gehandhabt wird. Während wir auf Landesebene die Arbeit der Landesseniorenvertretung finanziell unterstützen, gibt es eine flächendeckende finanzielle Unterstützung der Arbeit der Kreisseniorenräte

nicht. In manchen Landkreisen wird die Arbeit der Kreisseniorenräte unterstützt, während dies in anderen Landkreisen nicht erfolgt bzw. nicht möglich ist.

Generell wirft der Gesetzentwurf mehr Fragen auf, als dass er Antworten gibt. Die Frage, warum wir ein rechtlich verbrieftes spezielles Gremium für die Vertretung der Interessen von älteren Menschen brauchen, wird nicht beantwortet.

Mir ist nicht bekannt, dass es irgendwo in Sachsen-Anhalt älteren Menschen verwehrt wäre, sich zu engagieren. Dies gilt sowohl für Parteien als auch für Vereine oder Gewerkschaften, wie zum Beispiel die GEW, deren Vertreter oben auf der Tribüne sitzen. In der CDU jedenfalls darf man sich sehr wohl auch nach Vollendung des 60. Lebensjahres um Ämter und Mandate bewerben.

Ich frage mich also: Ist dies erst der Auftakt zu entsprechenden weiteren Gesetzentwürfen der Linkspartei.PDS? Wenn Senioren dieses Recht bekommen oder gar benötigen, könnten mit dem gleichen Recht - ohne hier eine Reihenfolge festlegen zu wollen - Menschen mit Behinderungen, Familien, Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer und gleichgeschlechtliche Partner entsprechende Vertretungsrechte für sich einfordern.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich persönlich glaube nicht, dass es dieser speziellen Beteiligungsrechte für die genannten Personengruppen bedarf. Für alle gibt es entsprechende Institutionen, Verbände und Vereine, über die sie ihre Interessen einbringen und vertreten können.

Nur am Rande sei angemerkt, dass die Seniorenvertretung als einzige Interessenvertretung im Lande das Recht hat, im Landtag zu tagen und den Plenarsaal zu nutzen. Das ist auch richtig so.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch einige Anmerkungen zu den vorgeschlagenen Regelungen zur Landesseniorenvertretung. So stellt sich für mich die Frage, warum gemäß § 5 Abs. 1 des Gesetzentwurfes der Volkssolidarität ein eigenes Vorschlagsrecht eingeräumt werden soll. Soweit mir bekannt ist, ist die Volkssolidarität Mitglied im DPWV und damit Mitglied der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, sodass aus meiner Sicht kein Grund für eine Privilegierung der Volkssolidarität an dieser Stelle besteht.

Des Weiteren halte ich auch die Rolle des Sozialministeriums gegenüber der Landesseniorenvertretung für diskussionsbedürftig. Möglicherweise missverstehe ich auch die Formulierung in § 6 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzentwurfes. Ich verstehe sie so, dass zukünftig im Sozialministerium eine eigene Stelle zur Unterstützung dieser Arbeit geschaffen werden soll. In Zeiten des von uns geforderten Personalabbaus im öffentlichen Dienst halte ich dies für nicht angemessen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir halten es für wichtig, Gesetzesvorhaben zukünftig einer Generationenverträglichkeitsprüfung zu unterziehen, bevor diese beschlossen werden. In dieser Prüfung würden sich alle Menschen Sachsen-Anhalts und nicht nur ausgesuchte Gruppen wiederfinden. Wir halten nämlich nichts davon, die Interessen einzelner Gruppen gegeneinander auszuspielen. Vielleicht kann die heutige Debatte hierzu ein Einstieg sein.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU)

Wir sitzen letztlich alle in einem Boot: Heute ist man Kind, morgen ist man Erwachsener und übermorgen ist man Senior.

In diesem Sinne werden wir der Ausschussüberweisung nicht im Wege stehen, werden uns aber bei der Abstimmung darüber im Plenum der Stimme enthalten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kurze, es gibt eine Nachfrage von der Abgeordneten Frau Dr. Klein.

Herr Kurze, zunächst eine Bemerkung zu dem Ausschluss einzelner Gruppen bei der politischen Vertretung. Wir haben erst jüngst erfahren, wie es ist mit der gleichberechtigten Behandlung von Frauen und mit der Quote in Ihrer Partei ist. Aber das ist nicht meine Frage.

(Zuruf von der CDU: Das ist ein Käse!)