Protokoll der Sitzung vom 25.01.2008

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der LINKEN)

Den Opfern von Jugendkriminalität ist mit den plakativen Wahlkampfsprüchen nicht geholfen, schon gar nicht mit primitiver Angstmache, unterschwelliger Ausgrenzung und populistischen Sanktionsforderungen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der LINKEN)

Es werden die Gefahren heraufbeschworen, die den tatsächlichen Zielen widersprechen. Es werden Lösungsmöglichkeiten vorgegaukelt, die keine Sicherheit bieten. Den Opfern helfen Sie am besten durch die Erziehung von Tätern, die ihre Taten einsehen, ernsthaft bereuen und nicht wieder straffällig werden.

Meine Damen und Herren! Mit dem Beitrag der LINKEN wird man das Problem in dieser Form nicht lösen können. Der Umgang mit dem Thema Jugendkriminalität, der Titel dieser Debatte ist, ist Ihnen nicht sonderlich gut gelungen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Herrn Stahlknecht, CDU)

Zwar geht die CDU in Hessen plakativ und holzschnittartig vor und schürt unnötige Ängste - das darzustellen ist durchaus rechtens -, aber dann mit an den Haaren herbeigezogenen Beispielen zu versuchen, die ganze CDU in die Ecke der NPD zu stellen, das halte ich für schwierig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Herr Stahlknecht, CDU: Bravo!)

Ich will auch nicht verhehlen, wenn ein Gast zu mir nach Hause kommt, um bei mir zu wohnen, dann zündet der auf meinem Parkett kein Feuer an, selbst wenn er Indianer ist. Er muss gewahr werden, dass ich darüber nachdenke, ihm das Gastrecht zu entziehen. Das ist keine rechtsradikale Haltung.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Herr Stahlknecht, CDU: Bravo!)

Wenn Sie eine Debatte dazu missbrauchen, anderen einen solchen moralischen Vorwurf zu machen, dann begeben Sie sich in das Glashaus und beginnen, mit Steinen zu werfen. Das tut dem Thema nicht gut.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Wolpert. - Als letzter Debattenrednerin erteile ich Frau Reinecke für die SPDFraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits in den Beratungen zum Jugendstrafvollzugsgesetz habe ich darauf hingewiesen, dass Justizvollzugspolitik kein Randthema, sondern ein gesellschaftliches Thema ist. Gerade die Gewaltbereitschaft einzelner mit Delikten von unfassbarer Brutalität in Erscheinung tretender Jugendlicher veranlasst uns heute Morgen erneut, dieses Thema zu behandeln. Die Debatte muss auch geführt werden.

Besonnenheit, Sachlichkeit, ein analytischer Blick und eine Politik, die an den Ursachen ansetzt, tun beim Umgang mit Jugendkriminalität Not. Grundsätzlich stellt sich bei diesem Thema die Frage, wie man damit umgeht. Welche Antworten brauchen wir, die wir vielleicht nicht auch schon wüssten? Sicherlich tut das jeder aus seinem Blickwinkel heraus.

Die Stärke der Gewalttäter ist nachweislich die Angst der anderen. Gewalt ist ein Ausdruck von Schwäche, geistiger Verarmung und Ausdruck dafür, dass man mit den eigenen Problemen nicht klarkommt. Unabhängig von individueller Schuld und Verantwortung der Täter gibt es für Jugendkriminalität allgemeine und gesellschaftspolitische Ursachen und Rahmenbedingungen.

Als eine Hauptursache von Gewaltkriminalität sehe ich, dass in den Familien vieler Täter kriminalitätsverhindernde Werte wie Ehrlichkeit, Mitleid, Empathie, Hilfsbereitschaft oder auch Mitverantwortung für das Gemeinwesen nicht mehr gelebt oder nicht mehr erlebt wurden, dass eine Wertevermittlung nicht oder zu wenig stattfindet.

Mangelnde Werteorientierungen und persönliche Unzulänglichkeiten gibt es in solchen Familien schon bei den Eltern. Sie sind keine Vorbilder. Die emotionalen Bindungen zwischen Eltern und Kindern sind unterentwickelt. Viele Kinder, die kriminell werden, kommen aus zerrütteten Familien. Sie haben es zu Hause nicht gelernt, sich an Regeln zu halten. Kriminalität entsteht dort, wo sich keiner kümmert.

Jugendkriminalität und Gewalt entstehen aus der mangelnden Fähigkeit zur Kommunikation. In vielen Familien herrscht eine regelrechte Sprachlosigkeit. Wer die Fähigkeit zum Gedankenaustausch, zum Gespräch und zum verbalen Streit mit anschließender Einigung, dem Sich-wieder-Vertragen, nicht erlebt hat, ist auf Gewalt zur Konfliktbewältigung angewiesen. Der Mangel an gelebten intensiven sozialen Beziehungen wird zum Mangel an Einfühlungsvermögen, zum Mangel an Verständnis für Gefühle und Leiden anderer. Es entstehen Mitleidlosigkeit und Brutalität.

Zugleich werden Jugendliche in den Medien und PCSpielen von Gewaltdarstellungen überflutet. Auch brutalste Gewalt ist Gegenstand ihrer persönlichen Wahrnehmung.

Ein Sonderfall der Ursachen für Gewaltkriminalität ist die Gewalt in der Familie. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder und Jugendliche, die Gewalt in ihrer unmittelbaren Wirklichkeit als ein normales Verhalten und als normales Mittel der Konfliktlösung erlebt haben, dazu neigen, selbst Gewalt auszuüben. Gewalt entsteht durch Gewalt. Der Kriminalitätsanstieg hat auch immer mit dem Zusammenbruch sozialer Strukturen zu tun - es wurde auch schon mehrmals angesprochen -, mit Arbeitslosigkeit und mangelnder Perspektive.

Die Beschreibung der Ursachen von jugendlicher Gewaltkriminalität kann und soll die Straftäter nicht entschuldigen. Vielmehr muss es von Interesse für die gesamte Gesellschaft sein, die Ursachen für solche Entwicklungen, vor allem die Zuname der Brutalität, zu beseitigen.

Das Jugendstrafrecht ist Täterstrafrecht und Erziehungsstrafrecht, bei dem der Erziehungs- und Resozialisierungsgedanke im Vordergrund steht, also Erziehung statt Strafe, nicht Erziehung durch Strafe.

(Beifall bei der SPD)

Anders als im Erwachsenenstrafrecht können unsere Jugendrichter auf der Grundlage des JGG auf ein differenziertes Sanktionssystem von Maßregeln zur Besserung und Sicherung, Erziehungsmaßregeln, Verwarnungen, Auflagen, Freizeitarrest, Kurz- und Dauerarrest bis hin zur Jugendstrafe zurückgreifen. Damit steht den Gerichten ein umfangreiches gesetzliches Instrumentarium zur Verfügung, um auf jegliche Art von Straftaten im Jugendbereich angemessen reagieren zu können.

Gerade weil die Erziehung vordergründiger Gedanke des Jugendstrafrechts ist, muss dieser Prozess auch begleitet werden. Sie erfolgt weder von selbst noch automatisch. Durch wen? - Einerseits haben wir als staatliche Aufgabe den sozialen Dienst der Justiz, der sich in Sachsen-Anhalt durch einen ganzheitlichen Hilfe- und Kontrollansatz auszeichnet. Ich meine die Bewährungshilfe, die Gerichtshilfe, die Führungsaufsicht, den TäterOpfer-Ausgleich und auch die Opferberatung. Sie erfüllen einen justizspezifischen Amtsauftrag im Bereich der Strafrechtspflege.

Auf der anderen Seite gibt es die freien Träger der Straffälligenhilfe mit einer Projektaufstellung in den Aufgabenbereichen der Wohnsozialisierung, Arbeits- und Ausbildungsförderung, der Sucht- und Gesundheitsberatung, Schuldnerberatung, Täter-Opfer-Ausgleich und systemisches Arbeiten mit Familien bzw. den PeerGroups.

Die Frage ist für mich also nicht die nach mehr oder weniger Bestrafung. Vielmehr ist doch zu hinterfragen und zu beurteilen, was genau in dieser Zeit mit dem Straftäter passiert. Welche Schlussfolgerungen wurden aus dieser Zeit tatsächlich gezogen? Deswegen ist es durchaus angebracht und legitim, die Angebote und die Qualität zu hinterfragen.

Wenn ein Jugendrichter eine Bewährungsstrafe ausspricht, welcher konkreter Maßnahmen bedarf es dabei, um den Jugendlichen zu befähigen, zukünftig Normen einzuhalten? - In erster Linie hat eine Kontrolle und eine pädagogische Begleitung zu erfolgen. Dafür brauche ich Personal, sowohl aus dem Bereich des sozialen Dienstes als auch der freien Träger. Die wiederum brauchen Planungssicherheit und ihre Sozialbudgets, um Kontinuität der Betreuungsangebote und der Konzeptfestschreibung sowie die Betreuungsqualität zu gewährleisten.

Wenn der Jugendrichter beispielsweise für einen jugendlichen Täter einen Platz im Trainingskurs anordnet und auf Nachfrage beim Träger, zum Beispiel beim IB, der Arbeiterwohlfahrt oder der Diakonie, erfahren muss, dass erst in vier Monaten ein Platz vorhanden ist, so braucht er solche Erziehungsmaßnahmen erst gar nicht anzuordnen. Es bedarf also entsprechender personeller Ressourcen und der Kenntnisse in der Jugendrichter

schaft bezüglich der Angebotspalette. Ich denke, hierbei ist auch eine Absprache und Abstimmung erforderlich.

Die Forderung nach einer generellen Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende, das heißt auf Straftäter zwischen 18 und 21 Jahren, stelle ich infrage, da nicht berücksichtigt wird, dass viele junge Menschen in diesem Alter noch altersverzögert entwickelt sind. Die Ausbildung sozialer Verhaltensweisen ist bei jungen Menschen bis weit in das dritte Lebensjahrzehnt hinein noch nicht abgeschlossen. Ich betone dabei aber, dass es immer um eine Einzelfallprüfung geht. Wenn ein Reifedefizit vorhanden ist, dann ist das Jugendstrafrecht anzuwenden.

Strafe muss sein; denn jedes Opfer ist eines zu viel, keine Frage. Deswegen muss man sich auch die Verfahrensdauer anschauen. Es sollte die pädagogische Grundregel gelten, wonach bei Kindern und Jugendlichen die Strafe auf dem Fuße folgen muss, um Einsicht zu wecken. Das soll heißen, in Bagatellfällen muss es sehr schnelle Verfahren geben.

Generell muss gewährleistet werden, dass in jedem Fall eine gründliche und rechtsstaatlich einwandfreie Verfahrensführung erfolgt. Ich meine, Sachsen-Anhalt liegt bezüglich der Verfahrensdauer im guten Durchschnitt. Es muss aber auch selbstkritisch angemerkt werden - das erfahren wir in vielen Arbeitsgesprächen -, dass sich die Richterschaft schon mehr Kollegen wünschen würde.

Aus meiner Sicht ist dagegen eine gute Ausstattung in Schule, Polizei, Justiz und Jugendhilfe sinnvoll, was heute auch schon angesprochen wurde. Aus dieser Logik heraus plädiere ich seit Langem für einen Dreiklang aus Bildung, Jugendhilfe, Prävention und Nachsorge.

(Zustimmung bei der SPD)

Angebote der Prävention sollten wirklich prophylaktisch sein, ohne ständigen Legitimationsdruck und Bedarfsnachweisführung.

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Dialog mit allen Beteiligten und dazu gilt es auch behördenübergreifend zu arbeiten.

Die Jugendhilfe ist gefordert, sich auf ihre vordringlichste Zielgruppe der Mehrfachauffälligen und Hochbelasteten zu konzentrieren und für sie spezialisierte Angebote zu entwickeln. Gerade bei den Mehrfachauffälligen zeigt sich, dass sie in überdurchschnittlichem Maße unter problematischen und belastenden Lebensbedingungen leiden. Bei ihnen sind sozialpädagogisch ausgerichtete Interventionen oftmals langfristig wirksamer als die klassisch gegen sie verhängten freiheitsentziehenden Maßnahmen. Mir geht es dabei um ein gutes Fallmanagement, das die lückenlose Betreuung und Kontrolle der Straffälligen garantiert.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal die aus meiner Sicht wichtigsten Ansatzpunkte zur Vermeidung von Kriminalität in jeglichem Alter zusammenfassen:

Ich meine erstens, dass Frühwarnsysteme und frühkindliche Bildung und damit staatliche Interventionen bei gefährdeten Kindern früh ansetzen und greifen müssen.

Zweitens ist über die Verbesserung sozialpädagogischer Angebote im schulnahen Raum nachzudenken. Wir haben gute Ansätze in dem Streitschlichter- und Mediationsprogramm, und auch künftig sollte es um die Stärkung demokratischer Elemente an Schulen gehen.

Drittens geht es mir um die Stärkung der Jugendhilfe und der Präventionsarbeit. Kommt es dennoch zu einer Straftat, sollte sich der im Jugendstrafrecht immanente Gedanke der Erziehung des Jugendlichen begleitend fortsetzen. Im Sinne eines richtig verstandenen Opferschutzes müssen wir alles daransetzen, dass der Täter künftig keine Straftaten mehr begeht. Lassen Sie uns in diesem Sinne an diesem Thema weiterarbeiten.

Es wurde eingangs bereits gesagt: Man kann eine Aktuelle Debatte nicht für grundsätzliche Klärungen benutzen. Ich denke, so ist es heute auch nicht angedacht. Wir haben hier sehr viel zu tun. Einige Hausaufgaben wurden aber bereits erledigt. Das muss man hier noch einmal betonen. Die Frau Ministerin hat angedeutet, dass wir an der Fortschreibung des Konzepts des Projekts Zebra arbeiten. Wir müssen alle Kräfte gemeinsam bündeln, um dem Problem entgegenzuwirken.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Reinecke, für Ihren Beitrag. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Kosmehl. Möchten Sie diese beantworten? - Bitte schön, Herr Kosmehl.

Herr Präsident, keine Nachfrage, sondern eine Kurzintervention. Frau Kollegin Reinecke, zu dem ersten Teil Ihrer Rede möchte ich Ihnen ganz klar sagen, dass aus meiner persönlichen Sicht keine Kindheit, die durch Gewalt geprägt ist, keine fehlgeschlagene Integration von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern jugendlichen Alters eine Entschuldigung dafür sein kann, dass diese Jugendlichen kriminell werden. Das, was Sie hier dargestellt haben, sind Begleiterscheinungen. Sie sind keine Entschuldigung dafür, dass jemand straffällig wird.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Debatte. Beschlüsse in der Sache werden nicht gefasst. Wir können das erste Thema der Aktuellen Debatte verlassen.

Ich rufe das zweite Thema der Aktuellen Debatte auf:

Erhöhung der Rundfunkgebühren