Herr Gürth, Sie haben etwa sechs- bis siebenmal gesagt, man müsse die Tarifparteien dabei unterstützen, vernünftige und faire Lösungen auszuhandeln. Schuldig geblieben sind Sie aber die Antwort, wie Sie sich das vorstellen. Wie wollen Sie die denn unterstützen, um ein solches Resultat zu erreichen?
Da gibt es so viele Möglichkeiten, dass der heutige Tag nicht ausreicht, um sie aufzuzählen. Ich will Ihnen nur einige wenige Beispiele nennen. Das Erste ist die prinzipielle Bereitschaft, die Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien, wenn es von den Tarifvertragsparteien gefordert wird, für allgemeinverbindlich zu erklären.
Dazu sage ich ganz klar: Dies hat Wirtschaftsminister Dr. Haseloff eineindeutig getan. Das ist eine klare Aussage, die das unterstützt.
Das Zweite ist, dass wir alle gefordert sind - das sage auch ich; ich bin im Ehrenamt Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in der Union -, der Flucht aus Organisationen und Verbänden ein Stück weit entgegenzuwirken.
Das bedeutet, dass wir dafür werben, dass sich die Leute organisieren und gemeinschaftlich ihre Interessen aushandeln. Das ist eine ganz klare Ansage. Diesbezüglich unterscheiden wir uns als CDU auch von der FDP. Das ist eindeutig so. Dazu bekennen wir uns und dies wollen wir auch tun.
Dann stellt Herr Dr. Thiel eine Frage. Danach hat Frau Rogée noch um das Wort gebeten. Ich würde sagen, dann machen wir bei den Fragen einen Strich. Bitte schön, Herr Dr. Thiel.
Herr Präsident, ich wollte eigentlich eine Zwischenintervention zu den Aussagen machen, die Herr Gürth getroffen hat.
Herr Gürth, es hat keinen Zweck, wenn Sie sich hier hinstellen und im Namen der CDU-Fraktion dafür plädieren, dass jeder auskömmliche Löhne bekommen soll, um von seiner Hände Arbeit leben zu können, wenn die eigentlich logische Konsequenz fehlt, nämlich zu sagen, wo das Existenzminimum beginnt. Das ist nämlich der Punkt, den wir immer wieder angesprochen haben. Sie können 100- oder 200-mal behaupten, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Aber man muss einmal definieren, wo das Existenzminimum anfängt. Das sind die Forderungen, die wir beim gesetzlichen Mindestlohn haben. - Punkt 1.
Punkt 2. Vielleicht ist es doch sinnvoll, dass wir die Informationsmaterialien gegenseitig austauschen. Zu Ihrer Bemerkung, dass die Politiker die gesetzlichen Mindestlöhne festlegen sollen. Wir haben es oft genug erklärt. Ich erkläre es gern noch einmal: Wir fordern, dass eine unabhängige Kommission, bestehend aus den Tarifparteien, den Gewerkschaften und Arbeitgebern, sowie Wissenschaftlern, über die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns befindet. Den kann dann die Politik beschließen. Das ist der Weg, den wir bevorzugen, und nicht das, was Sie gesagt haben.
Das war der Beitrag von Herrn Thiel. Frau Rogée hat als letzte Fragestellerin noch eine Frage an Herrn Gürth. Bitte.
Herr Gürth, da Sie in der Mittelstandsvereinigung auch Verantwortung tragen, frage ich Sie, ob Sie wissen, dass den Arbeitnehmern bei Einstellungen von vornherein untersagt wird, sich in Gewerkschaften zu organisieren?
Die zweite Frage: Wie viel Unternehmen aus Ihrem Verband haben in den letzten zwei Jahren den Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit mit dem Tarifpartner Gewerkschaft gestellt?
Ich fange mit der letzten Frage an. Wir sind kein Tarifverband. Aber viele Mitglieder der Mittelstandsvereinigung sind einem Verband, der Tarifvertragspartner ist. Die zahlen auch. Ich kann Ihnen sofort ein Dutzend Beispiele für Unternehmen nennen, die mehr zahlen als das, was in den Tarifverträgen vereinbart ist. Darin ist mehr als nur eine Lohnsache geregelt.
Ich denke, ein ordentliches Unternehmen ist gehalten, die Mitarbeiter so am Gewinn des Unternehmens zu beteiligen, dass sie ordentlich motiviert frühmorgens zur Arbeit gehen. Wer das macht, wird eine viel höhere Produktivität haben und wird sich durch die höhere Produktivität und Qualität der Leistungen seiner Mitarbeiter im Wettbewerb durchsetzen. Genau diese Unternehmen unterstützen wir.
Zweitens zu den Unseriösen. Es ist mir auch zu Ohren gekommen, dass es Personalchefs, Geschäftsführer oder andere verantwortliche Mitarbeiter in Unternehmen gibt, die Bewerber um einen Arbeitsplatz nach Dingen fragen, obwohl sie dazu überhaupt kein Recht haben. Wir haben zum Beispiel im AGG einen Katalog, in dem steht, was man alles nicht darf und was wir damit noch einmal rechtlich festgestellt haben.
Diejenigen, die versuchen, gewerkschaftliches Engagement zu verhindern, handeln ungesetzlich. Sie sind nicht nur unseriös, sondern handeln ungesetzlich, genauso wie die Müllfritzen, die einfach illegal irgendwo etwas abkippen. Die müssen vom Markt verschwinden, die gehören öffentlich angeprangert. Das sind keine ordentlichen Unternehmen. Es ist ganz klar, dass die CDU das nicht unterstützt. Das müssen wir gemeinsam bekämpfen. Dabei haben Sie uns im Boot.
Abschließend zu der Frage nach dem Existenzminimum. Ich will Ihnen ganz klar sagen: Wenn es wirklich so einfach wäre, warum sollte sich nicht die CDU, die FDP, die SPD oder wer auch immer in diesem Land für einen Mindestlohn von 7,50 €, von 9 €, von 10 € oder von 12 € pro Arbeitsstunde aussprechen? Warum nicht sogar noch mehr?
Warum machen das manche nicht? Weil es schlechte, dumme, habgierige oder gehässige Menschen sind? - Nein, das hat eine ganz einfache Begründung. Was passiert denn, wenn ein Bäckermeister, ein Handwerksmeister oder ein kleiner mittelständischer Unternehmer sich mit der Frage konfrontiert sieht, stellst du noch jemanden ein für eine Tätigkeit, die gemacht werden sollte, die aber vielleicht nicht zwingend erforderlich ist? Er stellt sich als Unternehmer dann die Frage: Nimmst du ihn noch in deine Firma, um meinetwegen eine bestimmte Aufgabe zu erledigen? Wenn jemand kommt, der nur eine mindere Qualifikation und ganz schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat,
stelle ich mir als Unternehmer die Frage, ob ich in der Lage bin, diesen Lohn, wie hoch er auch immer sein mag, ob 7,50 € oder 6,50 €, zu zahlen. Keine Frage.
Wenn der Unternehmer die Frage mit Ja beantwortet, also dass er zahlen könnte, muss er als Nächstes die Frage beantworten: Willst du es zahlen, kommst du im Wettbewerb noch hin oder hat dein Nachbar, deine Konkurrenz dadurch bessere Wettbewerbschancen?
Wenn wir jetzt einen Lohn festlegen, der oberhalb der Grenze dessen liegt, was überhaupt zu erwirtschaften ist - das heißt, dass der Mehrwert geringer ist als der Lohn, der gesetzlich gefordert ist -, dann führt dies dazu, dass es diesen Job nicht mehr gibt. Dann ist er weg. Wenn er weg ist, dann bedeutet das auch - so bedauerlich niedrig der Lohn im Einzelfall ist -, dass damit für Menschen mit einer geringen Qualifikation oder mit einer aus anderen Gründen vorhandenen schweren Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt die Chance weg ist, mit eigener Hände Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen, selbst wenn der Staat noch etwas draufpacken muss.
Dabei wird neben der materiellen Frage noch eine andere Frage berührt, die auch wichtig ist. Es ist die Frage, ob ich im Einzelfall gebraucht werde und in der Lage bin, etwas zu schaffen, wofür mir andere ein Gehalt zahlen.
Wenn man die per Gesetz ausgrenzt, ist das nicht eine Sozialpolitik, die ich gutheiße, und deswegen kann ich auch nicht vorbehaltlos einem gesetzlichen Mindestlohn zustimmen, der von Politikern festgelegt wird und für alle Branchen gleich ist.
Vielen Dank. - Als letztem Debattenredner erteile ich Herrn Franke von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Frau Budde, wir Liberalen begrüßen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach der Staat Auftraggeber nicht beliebig an Tariflöhne binden darf. Es handelt sich hierbei um eine grundsätzliche ordnungspolitische Fragestellung: Inwieweit darf der Staat sachfremde Kriterien missbrauchen, um den Wettbewerb einzuschränken und unliebsame Mitanbieter vom Markt fernzuhalten?
Das Urteil stellt klar, dass der Staat eben nicht seine Macht, die er als großer Nachfrager zum Beispiel bei Bauleistungen hat, in dieser Hinsicht missbrauchen darf. Das bedeutet ganz einfach: Das öffentliche Vergaberecht darf nicht durch vergabefremde Kriterien für andere Zwecke instrumentalisiert werden.
Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Urteil hat der EuGH eine Lanze für den Wettbewerb gebrochen. Kleine und mittlere Unternehmen aus den neuen Bundesländern haben nun wieder eine realistische Chance, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt zu werden. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern sind die mittelständischen Firmen lange Zeit bei der Auftragsvergabe praktisch ausgeschlossen gewesen, da sie sich nur in geringer Zahl an Tarifverträge gebunden haben. Somit stärkt das Urteil die Interessen der Menschen in den neuen Ländern und insbesondere in SachsenAnhalt direkt an der Grenze nach Niedersachsen.
Schließlich arbeiten unsere Bürger bei mittelständischen Unternehmen in unserem Land und profitieren direkt da
Gleichzeitig wahrt dieses Urteil auch die Interessen der Steuerzahler, da der Vergabeprozess, wie wir heute schon mehrfach gehört haben, nun weniger Steuergelder verschlingt. Das haben wir bei der Abschaffung des Vergabegesetzes im Jahr 2003 auch erlebt.
Zum einen sind keine aufwendigen Prüfverfahren zur Überprüfung der Tariftreue mehr nötig, zum anderen können nunmehr Entscheidungen zugunsten des wirtschaftlich besten Angebotes getroffen werden. Ich betone: zugunsten des wirtschaftlich besten Angebotes, nicht des billigsten, Frau Budde. Das wirtschaftlich beste, das effizienteste Angebot ist jenes mit dem besten PreisLeistungs-Verhältnis. Dies muss jedoch nicht gleichbedeutend mit dem billigsten sein.
Dass in der Verwaltung trotzdem oft plump nur nach dem billigsten Angebot Ausschau gehalten wird, ist natürlich zu kritisieren. Ändern lässt sich das auch nicht durch weitere Gesetze und Vorschriften. Es müssen nur die bestehenden Vergabevorschriften eingehalten werden, die jetzt schon verlangen, dass das wirtschaftlichste und nicht das billigste Angebot den Zuschlag erhalten soll.