Protokoll der Sitzung vom 27.06.2008

Es tut mir leid, Herr Harms, ich war bei Ihren Ausführungen nicht ganz frisch. Nur noch einmal nachgefragt: Sie haben uns erklärt, in der DDR war es nicht möglich, ausländische Mitbürger zu integrieren. Dann hoben Sie darauf ab, dass in der Bundesrepublik Deutschland ein anderes Rechtssystem herrscht. Kann ich Ihre Aussagen so verstehen, dass Sie mit Ihren Ansichten zum DDRSystem zurück wollen?

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Ich komme aus diesem System. Ich brauche deshalb nicht zurück. Es ist ein Teil meiner Geschichte. Ich wollte auf das Problem hinweisen. Ich habe das nicht ganz so umfänglich ausgeführt, weil die Redezeit leider etwas knapp ist.

Nehmen wir einmal das Problem ungarischer Mitbürger, die ganz andere Rechte in der Persönlichkeitsentfaltung hatten, zum Beispiel das Reiserecht, was sonst sehr eingeschränkt war. Wenn ein ungarischer Staatsbürger zu DDR-Zeiten für das Amt des Bürgermeisters einer Gemeinde kandidiert hätte, dann wären das ganz unterschiedliche Welten gewesen, die bei der Entscheidungsfindung aufeinandergetroffen wären.

(Zuruf von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Mit ist bewusst, dass das unterschiedliche Rechtssysteme waren. Aber mit diesem Bruch leben wir alle.

Vielen Dank. - Weitere Fragen sehe ich nicht. Dann kommen wir zum Beitrag der FDP, vorgetragen vom Abgeordneten Herrn Wolpert. Aber bevor Herr Wolpert das Wort nimmt, begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Domgymnasiums Magdeburg auf der Südtribüne. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Sie haben das Wort, Herr Wolpert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Harms, der wesentliche Unterschied zwischen damals und heute besteht, glaube ich, in dem Verständnis, dass damals der Staat definiert hat, was für Staatbürger er braucht; heute definieren die Staatsbürger, welchen Staat sie brauchen. Das ist unter Umständen der Unterschied.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Frau Dirlich, DIE LINKE)

Die Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer aus Drittstaaten ist schon seit Jahren ein Thema. Schon die Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat hat sich im Jahr 1993 damit befasst, allerdings ohne eine Empfehlung abzugeben. Ich glaube, die letzten Gesetze und Anträge dazu gab es in Sachsen im März 2008 und in Baden-Württemberg im November 2007. Dieses Thema ist umstritten. Ja, es ist wirklich umstritten.

Für die FDP kann ich sagen: Völlig einig sind wir uns in diesem Punkt auch nicht. Ja, wir sind für eine offene Bürgergesellschaft. Die ist von der Mitwirkung aller abhängig, und zwar unabhängig von Herkunft und Abstammung. Wir sind auch dafür, dass sie ein kommunales Wahlrecht eingeräumt bekommen, wenn sie aus Drittstaaten kommen, aber eben nicht einfach so.

Wir sind eher der Auffassung, dass zuvor definiert werden muss, was die Voraussetzung dafür sein muss. Muss daran ein rechtmäßiger Aufenthalt geknüpft werden? Wie lange muss der rechtmäßige Aufenthalt gewesen sein? Ist er an die Zugehörigkeit zur jeweiligen Gemeinde geknüpft? Unsereins muss auch eine gewisse Zeit in der Gemeinde gelebt haben, um passiv gewählt werden zu können. Wir sind bereit, über all diese Dinge zu diskutieren.

Aber es stellt sich die Frage, ob wir das undiskutiert mit diesem Antrag in den Bundesrat geben und die Landesregierung losschicken und sagen: „Macht mal etwas!“ oder ob wir uns vorher erst einmal selbst darüber klar werden, wie wir das definiert haben wollen.

Dann gibt es noch einen zweiten Punkt. Der zweite Punkt - Sie haben das in der Begründung angesprochen - ist die angeblich integrative Wirkung des Wahlrechts. Auch darin sind wir uns in der Beurteilung nicht ganz sicher. Vielleicht ist es auch ausgrenzend. Wir haben damit keine Erfahrungen. Deshalb wäre es doch hilfreich, wenn wir uns darüber einmal von Leuten berichten lassen würden, die Erfahrung damit haben. Ich will nicht gerade sagen, dass wir die Finnen einladen sollen. Man muss ja nicht so weit gehen, aber man kann einmal fragen, welche Erfahrungen sie mit diesem Instrument gemacht haben, ob es eine integrative Wirkung hat.

Sie können sich erinnern, wir haben das Wahlrecht mal auf alle 16-Jährigen ausgedehnt, weil wir geglaubt haben, die 16-Jährigen würden dann mehr an die Demokratie herangeführt werden. Evaluiert hat das Gesetz noch niemand, aber aus meinen gefühlten Erfahrungen ist uns das damit nicht gelungen. Auch das sollten wir vielleicht einmal nachprüfen.

Es stellt sich also die Frage: Ist das, was als Begründung herangezogen worden ist, auch tatsächlich richtig? Ich will hoffen, dass es richtig ist.

Zuletzt: Wir haben damit auch keine Eile. Der Innenminister hat es beschrieben: Im Bundesrat haben sowohl der Rechtsausschuss als auch der Innenausschuss dem Bundesrat empfohlen, diese Änderung des Artikels 28 des Grundgesetzes nicht in den Bundestag einzubringen. Folgerichtig wurde am 12. Oktober 2007 diese Initiative von der Tagesordnung genommen. Das heißt, es drängt uns nichts.

Deswegen schlage ich Ihnen vor, diesen Antrag in den Innenausschuss und in den Rechtsausschuss zu überweisen, um dort die Erfahrungen zu sammeln, die wir zur Beurteilung der Frage brauchen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP und von Herrn Dr. Fi- kentscher, SPD)

Vielen Dank, Herr Wolpert. - Wir kommen dann zum Beitrag der SPD. Jetzt hat die Abgeordnete Frau Fischer das Wort. Bitte schön.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Innenminister Holger Hövelmann hat schon ausführlich dargestellt, wie lange die Einführung des kommunalen Wahlrechts für ausländische Mitbürger in Deutschland schon diskutiert wird. Das macht die ganze Sache natürlich nicht viel einfacher.

Vor einem Jahr stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel den nationalen Integrationsplan vor. Dabei stellte sie fest:

„Integration heißt nicht, dass wir alle gleich werden, sondern vielmehr, gleiche Chancen auf Bildung, Entwicklung und Wohlstand für alle hier lebenden Menschen zu schaffen.“

Ich möchte noch ergänzen: Integration heißt für mich gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben.

Breiten Raum im nationalen Integrationsplan nimmt der Bereich Integration durch bürgerschaftliches Engagement ein. Mit der Einführung des Wahlrechts für 16-Jährige bei der Kommunalwahl haben wir uns sicherlich etwas vorgenommen, das vielleicht nicht umfänglich gegriffen hat. Aber es ist auch vor langer, langer Zeit die Einführung des Wahlrechts für Frauen erfolgt. Insgesamt, muss man sagen, hat sich die Wahlbeteiligung in all den Jahren nach unten entwickelt; sie liegt bei 30 %. Dazu kann man nicht sagen: Es liegt an den Frauen, es liegt an den Kindern oder an den Jugendlichen von 16 bis 18 Jahren. Es liegt mit Sicherheit auch nicht an den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus den Drittstaaten.

Integration ist ohne die vielfältigen Aktivitäten der Zivilgesellschaft nicht möglich. Bürgerschaftliches Engagement schafft sozialen Zusammenhalt und wirkt zugleich als erfolgreicher Katalysator für die Integration. Dies braucht aber auch Anerkennung und natürlich gezielte Förderung. Bei der Diskussion im Land Sachsen-Anhalt über einen Integrationsplan war daher die Forderung von Verbänden und Betroffenen vor allem: Integration durch demokratische Teilhabe.

Meine Damen und Herren! Wer Integration ernsthaft will, der darf sich vor der Entscheidung, das kommunale Wahlrecht für Menschen aus Drittstaaten auch hier anzuwenden, nicht drücken.

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)

Es ist schon mehrfach angesprochen worden: Es ist irgendwo auch nicht mehr zu verstehen, dass einer Bevölkerungsgruppe, die Steuern, Sozialabgaben und Gebühren entrichtet - wenn sie ein sozialversicherungspflichtiges Einkommen hat, selbstverständlich, Herr Gürth -, verwehrt wird, auf kommunaler Ebene das politische Leben mitzugestalten. Um es deutlich zu sagen: Es geht um ausländische Mitbürger, die schon längere Zeit hier leben,

(Herr Gürth, CDU: Wie lange?)

also nicht um Asylbewerber, und deren Aufenthaltstatus geklärt und gesichert ist.

(Herr Gürth, CDU: Wie lange?)

Seit mehreren Jahren, also seit 1992, gibt es das kommunale Wahlrecht für EU-Staatsbürger. Dessen Einführung führte nicht zum Untergang Deutschlands. Vielmehr zeigen Erfahrungsberichte, dass dies wesentlich zur Integration beigetragen hat. Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, dass das auch bei einer Ausweitung auf Nicht-EU-Bürger zu erwarten sein wird.

Da aber die rechtlichen Rahmenbedingungen nur über eine Grundrechtsänderung geschaffen werden können, sollte dieser Schritt ausführlich diskutiert werden. Man muss bei einer solchen Änderung - wir haben vorhin über die Änderung unserer Landesverfassung geredet - auch sehr genau und wohl überlegen, was man ändert und wie man es tut; vor allem geht es darum, dass man auch die breite Masse der Bevölkerung bei diesem Schritt mitnimmt.

Aus diesem Grund möchte die SPD-Fraktion diesen Antrag ebenfalls in den Innenausschuss sowie in den Ausschuss für Recht und Verfassung überwiesen haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Fischer. Es gibt zwei Nachfragen, zum einen von Herrn Harms und zum anderen von Frau Dr. Hüskens. Wollen Sie diese beantworten?

Ja.

Dann darf Herr Harms, der sich zu erst gemeldet hat, eine Frage stellen. Dann Frau Dr. Hüskens.

Frau Kollegin, wie bewerten Sie denn die Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe mithilfe von Ausländerbeiräten oder nach § 74a unserer Gemeindeordnung über besondere Interessenvertreter?

In den Verbänden und Vereinen sind natürlich auch Ausländer vertreten. Dort haben sie schon die Möglichkeit. Aber sie haben noch nicht die Möglichkeit, an der Kommunalwahl teilzunehmen.

Stimmen Sie mir darin zu, dass diese Möglichkeiten für ausländische Mitbürger, die jetzt schon vorhanden sind, eben in Ausländerbeiräten oder nach der Gemeindeordnung als besondere Interessenvertreter mitzuarbeiten, in etwa denen entsprechen, die Ortschaftsräte in einer Einheitsgemeinde haben? Sie dürfen auch beratend mitwirken, haben aber keine Möglichkeit, Haushalt und Satzung mitzubeschließen.

Ja, Sie dürfen beratend mitarbeiten.

Vielen Dank. - Jetzt hat Frau Dr. Hüskens das Wort für Ihre Frage. Bitte schön.

Frau Fischer, ich vermute, dass ich Sie nur falsch verstanden habe. Aber Sie hatten in Ihrer Rede einen Schlenker, als ob Sie das Wahlrecht für Ausländer daran koppeln wollen, dass sie Steuern zahlen. Ist das richtig?

Nein. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall. Es soll jedem ausländischen Mitbürger gestattet sein.

Die Steuerfrage ist klargestellt worden. - Weitere Wortmeldungen zu Fragen sehe ich jetzt nicht. Dann kommen wir zum letzten Beitrag. Das Wort hat noch einmal die Fraktion DIE LINKE. Frau Rente, Sie haben, wenn Sie wollen, die Möglichkeit, noch einmal zu sprechen. Bitte.

Herr Harms, ich war über Ihren Beitrag schon etwas verwundert. Offensichtlich sind Sie nach Abschluss Ihrer Schulausbildung irgendwo stehen geblieben. Ich bin eigentlich dafür dankbar, dass sich die Mitglieder meiner Partei, insbesondere auch die Mitglieder meiner Fraktion, zumindest in den letzten 18 Jahren, was ihre Sicht auf Demokratie betrifft, weiterentwickelt haben.

(Zustimmung bei der LINKEN - Oh! bei der CDU - Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)