Protokoll der Sitzung vom 27.06.2008

Schließlich wird im Zusammenhang mit den Regelungen zur Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung von manchen Kita-Trägern befürchtet, dass damit die im Bildungsprogramm des Landes verankerte Sprachförderung obsolet wäre.

Diese Sorge ist unbegründet. Die Sprachförderung ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil des Bildungsprogramms des Landes, und zwar von Beginn an. Sie ist zeitlich nicht begrenzt und soll kontinuierlich während der gesamten Betreuungszeit erfolgen.

Mit der hierin geregelten Sprachstandsfeststellung soll ermittelt werden, ob über die allgemeine Sprachförderung hinaus ein Bedarf an vertiefter pädagogischer Sprachförderung beim Kind besteht, und dieser mit einer spezieller und intensiven Sprachförderung auszugleichen ist.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auf die Ausschussberatungen. Ich bitte um Überweisung des Gesetzesentwurfes zur federführenden Beratung in den Sozialausschuss und zur Mitberatung in den Innenausschuss sowie in den Ausschuss für Recht und Verfassung.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. Es gibt eine Nachfrage von Frau von Angern. Die wollen Sie sich sicherlich beantworten.

Ja.

Bitte, Frau von Angern.

Danke, Herr Präsident. - Lassen Sie mich zunächst mit einer Bemerkung zu Ihrer Abwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechte und des Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Freiheit beginnen.

Ich halte Ihre Argumentation für unkorrekt. Sie können diesen Eingriff in das Recht aller Eltern nicht mit dem Schutz d e s Kindes begründen. Denn Sie greifen in das Recht aller Kinder ein, aber es sind nicht alle Kinder per se gefährdet. - Das als Vorbemerkung.

(Beifall bei der FDP)

Ich habe eine Nachfrage. Sie sagten, dass es Ihnen in Ihrem Gesetzentwurf darum geht, dass frühzeitig Hilfen angeboten werden sollen. Dabei haben Sie mich an Ihrer Seite. Aber, Frau Dr. Kuppe, Sie kennen die Situation in den Kommunen. Sie kennen die Situation sowohl personell als auch finanziell in den Jugendämtern vor Ort. Sie wissen, wie es da abläuft. Sie wissen, dass die Kommunen aufschreien, weil die Mittel für die Hilfe zur Erziehung inzwischen ins Unermessliche steigen. Sie wissen, dass das Geld fast nur noch für die ganz schlimmen Fälle aufgehoben wird, dass es kaum möglich ist, wirklich präventiv einzugreifen. Das ist doch das Problem. Wo gibt es denn in Ihrem Gesetzentwurf darauf eine Antwort?

Frau von Angern, zu Ihrer ersten Bemerkung: Es gibt doch das grundgesetzlich geschützte Recht eines jeden

Menschen, aber auch eines jeden einzelnen Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Dazu gilt es, angemessene Verfahren zu finden, wie dieses Grundrecht gesichert werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Wir halten die getroffenen Maßnahmen für angemessen, um jedem einzelnen Kind dieses Grundrecht zuteil werden zu lassen.

Die Frage der personellen und finanziellen Ausstattung von Jugendämtern ist in der Tat eine ernst zu nehmende Frage. Das hängt aber auch mit der Schwerpunktbildung vor Ort zusammen. Ich werde das nachher noch in der Debatte sagen, wenn es um die Verankerung von zusätzlichen Kinderrechten in der Landesverfassung geht. Es geht auch um die Normgebung, und es geht um die Konzentration auf das, was Kinder brauchen. Da muss eine Kommune, da muss ein Landkreis, da muss eine kreisfreie Stadt auch Schwerpunkte setzen. Da ist die Kinder- und Jugendhilfe ein zweifellos ganz wichtiger Schwerpunkt.

Darüber hinaus, Frau von Angern, habe ich eine Reihe von Maßnahmen genannt, mit denen das Land die Kommunen auch in dem Punkt unterstützt, präventiv tätig zu werden, von den Kind-Eltern-Zentren angefangen, die die Familien unterstützen, wo Familien, wo Eltern wirklich vom ersten Tag an Unterstützung gegeben werden kann, über die Familienhebammen, über die Beratungsleistungen, über das, was in Familienzentren angeboten wird, und vieles, vieles andere mehr.

Frau Ministerin, es gibt jetzt noch zwei Fragen, einmal von der Abgeordneten Frau Dirlich und dann von Herrn Gallert. Wenn Sie die noch beantworten möchten.

Frau Dr. Kuppe, ich höre Ihre Worte sehr gern. Werden Sie - ich spreche jetzt auch ein Stück als Kreistagsabgeordnete - den Salzlandkreis unterstützen, wenn das Landesverwaltungsamt von ihm ausdrücklich verlangt, die Leistungen für die Hilfe zur Erziehung infrage zu stellen? Wir haben drei Auflagen bekommen, und darunter ist die Forderung, bei den Mitteln für die Hilfe zur Erziehung wesentlich einzusparen. Das ist die Forderung des Landesverwaltungsamtes.

Die Aufgaben, die im Sozialgesetzbuch VIII verankert sind, die die Jugendämter binden - sie müssen diese Aufgaben erfüllen -, müssen auch durchgeführt werden.

Herr Gallert.

Frau Dr. Kuppe, das ist doch genau das Problem. Welche Position nehmen Sie bei der Diskussion um die FAG-Zuweisungen an die Kommunen ein, die zurzeit mittelfristig in der Landesregierung geführt wird?

(Beifall bei der LINKEN und bei der FDP)

Wir haben da einen ganz klaren Fahrplan. Jetzt werden die kreisfreien Städte unterstützt. Es gibt dort zusätzliche Zuweisungen aus dem Deckungskreis.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Die Absenkung der Ver- bundquote, welche Position haben Sie dazu?)

- Ich habe die Position, dass die finanzielle Ausstattung der Kommunen in Sachsen-Anhalt im Vergleich mit der finanziellen Ausstattung der Kommunen in anderen Bundesländern relativ gut ist.

(Zuruf von der LINKEN: Wo leben Sie denn?)

- Dann schauen Sie sich doch den Vergleich mit anderen Bundesländern mal im Detail an. Ich bleibe dabei, es kommt darauf an, dass auch auf der kommunalen Ebene die Schwerpunkte richtig gesetzt werden. Da muss manches gelöst werden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank für die Beantwortung. - Wir treten jetzt in die verbundene Debatte ein. Die FDP hat jetzt das Wort. Frau Dr. Hüskens, Sie bringen gleich den Antrag mit ein, ja? Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Mann fährt mit seinem Auto. Er merkt, dass der Wagen keinen Sprit mehr hat. Er erreicht gerade noch die Tankstelle, sieht, dass er nur noch ein paar Euro in der Tasche hat, und weiß, wenn er jetzt tanken würde, würde er das Ziel nicht erreichen, und er entscheidet sich, das Auto waschen zu lassen. Das Auto ist nun schön, aber es fährt immer noch nicht. Genau daran erinnert mich das, was wir heute als Gesetzentwurf vor uns liegen haben.

(Beifall bei der FDP)

Der Motor unseres Kinderschutzes sind die Jugendämter, denen aufgrund der Finanznöte der Landkreise die Luft, oder, um im Bild zu bleiben, der Treibstoff ausgeht.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Dort müssten wir für Abhilfe sorgen. Aber anstatt das zu tun, sorgen Sie für Kosmetik.

Die vorgesehenen Beratungsangebote, die Vorbereitungsstunden, Fortbildung, bessere Vernetzung - das halten auch wir alles nicht für falsch. Auch die Sprachstandsfeststellung nicht, auch wenn sie mit dem Kinderschutz nur mittelbar etwas zu tun hat. Aber wir müssen sagen, es fehlt die eine oder andere Regelung zu Bildungsangeboten oder zu einem veränderten Schlüssel in Kindereinrichtungen entsprechend dem Bedarf. Da waren wir meiner Meinung nach in den Haushaltsberatungen schon weiter.

Meine Damen und Herren! Bei den Regelungen in Ihrem Gesetz, die originär dem Kinderschutz dienen sollen, setzen Sie auf eine stärkere Überwachung der Eltern durch Ärzte, Hebammen und Erzieher. Und Sie setzen auf einen Zwang zur Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen. Nun habe ich einmal - ich schätze, auch alle Kollegen im Sozialministerium - gelernt, dass ein gutes

Gesetz dadurch gekennzeichnet ist, dass es tatsächlich einen Regelungsbedarf gibt, dass die Regelungen geeignet sind, das Problem zu lösen, und dass die Regelungen angemessen sind.

Wenn ich nun die beiden Regelungen daraufhin prüfe, ergibt sich für mich folgendes Bild: Auch die FDPFraktion sieht einen Veränderungsbedarf im Bereich des Kinderschutzes. Und natürlich begrüßen auch wir es, wenn die Beteiligung an Vorsorgeuntersuchungen hoch ist.

Sie bringen aber die Vorsorgeuntersuchungen und die Kindeswohlgefährdung in einen Zusammenhang. Dabei gehen Sie davon aus, dass Eltern, die ihr Kind nicht zu einer Vorsorgeuntersuchung bringen, zu einer Risikogruppe gehören. Sie gehen davon aus, dass das Fernbleiben ein zwingender Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung ist.

Meine Damen und Herren, können Sie das eigentlich belegen? Bei den geringen Fallzahlen, die wir hier in Sachsen-Anhalt haben, auch wenn natürlich jeder Fall einer zu viel ist, wird sich ein derartiger Zusammenhang kaum nachweisen lassen.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Das sehr dünne Faktenwissen, das das Sozialministerium bei der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage gezeigt hat, hat mich ziemlich erschrocken. Wenn ich ein Gesetz mache, sammele ich normalerweise als Ministerium entsprechende Daten und weiß, wie sich die Fälle in unserem Bundesland und in jedem Landkreis entwickeln, wo ich Probleme habe. Wenn dann eine Kleine Anfrage mit lauter Konjunktiven beantwortet wird und man tatsächlich nur auf Daten des Statistischen Landesamtes zurückgreifen kann, macht mich das außerordentlich betroffen.

Warum machen Sie also das, was Sie hier im Gesetz vorschlagen? Einfach, weil alle es machen?

Meine Damen und Herren! Es gibt eine ganze Reihe von Fachleuten, die den Ansatz über die Vorsorgeuntersuchungen für ungeeignet erachten, Fachleute, die davon ausgehen, dass gerade Kinder, bei denen eine Gefährdung vorliegt, zu entsprechenden Vorsorgeterminen kommen würden und dass sie bei diesen Terminen keine oder nur außerordentlich schwer erkennbare Zeichen für Vernachlässigung oder gar von Misshandlungen haben würden.

Darüber hinaus ist in Sachsen-Anhalt die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen ohnehin sehr hoch. In Magdeburg zum Beispiel liegt sie sogar bei der U7 noch bei 95 %. Brauchen wir also ein Gesetz, das derart weit in die Rechte von Eltern eingreift, um die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen um weitere 5 % zu erhöhen, ohne dass Sie belegen können, dass es wirklich helfen würde?

Sie behaupten, Ihre Regelung sei alternativlos und die Grundrechtseinschränkung sei deshalb gerechtfertigt. Ich halte diese Regelung weder für verhältnismäßig noch für geeignet, den Schutz der Kinder zu stärken.

(Beifall bei der FDP)

Die Aktionen der Krankenkassen, ihre Kunden über Bonussysteme zu motivieren, aber auch die Aktion der Stadt Magdeburg zeigen: Es gibt Alternativen. Es gibt eine Reihe von Kassen, die 100 % ihrer Patienten bei den Vorsorgeuntersuchungen erreichen - und das ohne jeden Eingriff in die Grundrechte der Eltern.

Meine Damen und Herren! Gleiches gilt für die Regelungen, dass Ärzte, Erzieher und Hebammen alle Verdachtsfälle gleich melden sollen, dass Sie die Ärzte sogar von der Schweigepflicht entbinden wollen.

Die Landesregierung hat im Rahmen der öffentlichen Anhörung von vielen Seiten den Hinweis bekommen, dass das Gesetz an der falschen Stelle ansetzt. Bereits heute berichten Ihnen die Ärzte und die Erzieher, bei denen Sie jetzt den Eindruck erwecken, als müssten sie motiviert werden, zu melden, dass sie dem Jugendamt alle Verdachtsfälle, die sie haben, melden und dass sie dann merken, dass das Jugendamt, bei dem sie anrufen und um Hilfe bitten, gar nicht in der Lage ist, auf diesen Anruf zu reagieren.