Protokoll der Sitzung vom 27.06.2008

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Herrn Borg- wardt, CDU - Herr Wolpert, FDP: Ich möchte eine Kurzintervention machen!)

Herr Wolpert hat dann noch eine Frage. Wollen Sie diese beantworten? - Nein. - Herr Wolpert, Sie wollen aber intervenieren. Dann machen Sie das bitte.

Herr Kurze, es betrifft Ihre Aussage, dass die Behörden, wenn Gefahr im Verzug sei, nicht in der Lage seien, rechtzeitig einzugreifen, und Ihr Gesetzentwurf würde das nun ändern. Das ist völliger Unsinn. Das möchte ich hier festhalten. Wenn Gefahr im Verzug ist, dann kann die Polizei sogar eine Tür aufbrechen. Was Sie meinen, ist wohl, dass eine Gefährdungslage besteht, die nicht nachweisbar ist. Das ist etwas anderes.

Vielen Dank, Herr Rechtsanwalt, für die klassische Belehrung.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Sie müssen nicht antworten. Ich möchte Ihnen aber - -

Ich möchte doch noch etwas dazu sagen, Herr Präsident, eine Kurzintervention von mir noch hinterher.

Ich möchte Ihnen doch nur das Wort erteilen; mehr will ich doch gar nicht.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Vielen Dank. - Man weiß es ja nicht immer so genau. Sie haben am Ende ja auch immer die Befugnis zu sagen, die Debatte ist beendet.

Jetzt reden Sie. Bitte.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Vielen Dank, Herr Präsident.

(Zuruf von Herrn Höhn, DIE LINKE)

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass in den Fällen, die uns bekannt sind, oftmals Gefahr im Verzug war und dass man aus verschiedenen Gründen, die wir aus der Ferne sicherlich nicht zu 100 % analysieren können, nicht eingegriffen hat.

Oftmals wird in Gesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamtes deutlich, dass die Diskussion dahin gehend geführt wird: Ja, wir wollten eingreifen, hatten aber keine rechtliche Grundlage dafür. - Wir können nicht warten, bis der Richter entscheidet. Ich möchte deswegen nicht die Gerichte kritisieren, aber der Weg bis zu einer Entscheidung ist manchmal ziemlich lang. Diese Zeit können wir uns einfach nicht leisten.

(Herr Wolpert, FDP: Mit dem Gesetz wird doch nichts verkürzt, gar nichts! Man muss trotzdem noch zum Gericht! Es wird nichts verändert! - Zu- ruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Vielen Dank, für Ihre Intervention. - Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Ich erteile Frau von Angern von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Uns liegen heute zwei Beratungsgegenstände zur Diskussion vor, die sich mit schwierigen Fragen auseinandersetzen - die Diskussion hat es schon gezeigt -,

(Zuruf von Herrn Weigelt, CDU)

zu denen wir auch keine einfachen Antworten parat haben.

In dem uns vorliegenden Gesetzentwurf geht es um den Schutz von Kindern, vor allem um den Schutz von Kindern vor Gewalt oder Vernachlässigung in ihrer Familie, was eine besondere Brisanz hat.

In dem Antrag der FDP-Fraktion geht es um eine Positionierung der Landesregierung und meines Erachtens auch des Landtages hinsichtlich der Aufnahme von Kinderrechten in unsere Landesverfassung.

Eines haben beide Vorlagen gemeinsam: Es geht um Kinder, um ihre Probleme und um ihre Stellung in unserer Gesellschaft. Ich denke, schon deshalb lohnt sich die heutige Diskussion.

Zunächst einige Anmerkungen zu dem Entwurf eines Kinderschutzgesetzes. Es handelt sich zweifelsohne um ein sehr sensibles Thema. Im Vordergrund steht meines Erachtens die Frage: Wie können wir Kinder vor Misshandlung und vor Verwahrlosung schützen? Dabei stellen sich vor allem die Fragen: Wie finden wir diese Kinder, die von Misshandlung und Verwahrlosung bedroht sind? Was hilft diesen Kindern in Notsituationen tatsächlich?

Fragt man die Kinder selbst, werden Sie antworten, dass sie vor allem bei ihren Eltern leben wollen. Ich denke, das ist auch ein ganz natürlicher Wunsch, den es als Politiker zu beachten gilt. Das bedeutet für uns, wir müssen

ihre Eltern mitnehmen. Wir müssen sie stark machen und darin unterstützen, ihrer Erziehungsverantwortung gerecht zu werden.

Die Frage ist nun: Wodurch wollen wir all das erreichen? Ich stelle schon jetzt die These auf, dass es auf all die Fragen keine abschließenden Antworten gibt und nicht geben wird, weil leider keine Gesellschaft und auch kein Gesetz jeden Fall von Kindesmisshandlung oder Schlimmerem verhindern kann. Das müssen wir ehrlich so feststellen.

Sehr geehrte Kollegen der Koalition! Meine Fraktion hält den vorliegenden Gesetzentwurf in seinen Möglichkeiten für begrenzt. Auch das müssen wir so ehrlich sagen, um nicht Gefahr zu laufen, dass sich die Gesellschaft und auch wir in diesem Hohen Hause uns auf diesem Gesetz ausruhen.

Trotz dieses Gesetzes müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, warum es mehr und mehr Probleme in den Familien gibt; denn nur dann, wenn wir die Ursachen hierfür erkennen und möglichst beseitigen, können wir Kindern nachhaltig helfen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nun zu einigen ausgewählten Punkten des Gesetzentwurfes. Unser Grundproblem ist - hierbei beziehe ich mich unter anderem auf die Quasipflicht zur Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen -, dass zunächst alle Eltern, also auch der große Teil, der sich genau so verhält, wie es Kinder verlangen können, unter einen Generalverdacht gestellt werden.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich halte eine Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen für sehr sinnvoll, ebenso wie die Einladungen hierzu. Eltern sollte deutlich gemacht werden, dass in diesen Untersuchungen vor allem eine Chance für sie liegt, zu erkennen und zu erfahren, ob ihr Kind gesund und altersgemäß entwickelt ist, ob ein entsprechender Förderbedarf vorliegt und wie sie ihr Kind fördern können. Ich halte es auch für sehr wichtig, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Kinderärzten und Eltern eben nicht durch fragwürdige Datenweiterleitungen belastet wird.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition! Die Wahrscheinlichkeit, dass wir durch eine Pflichtteilnahme verwahrloste oder misshandelte Kinder entdecken, halte ich für sehr gering. Meine Fraktion hatte sich hierüber mit Gesundheitsamtsleitern aus Sachsen-Anhalt verständigt, die deutlich machten, dass eine Vorsorgeuntersuchung einen viel zu kleinen Fokus eröffne, um tatsächlich Schlüsse über die Situation hinsichtlich einer Verwahrlosung oder einer Misshandlung ziehen zu können. Sie stellten außerdem ganz nüchtern fest - das klingt fast zynisch -, dass sich Eltern auf den Zeitpunkt der Vorsorgeuntersuchung vorbereiten könnten, indem sie ihr Kind einen Monat lang eben nicht schlügen. Dieser eine Monat ist für das Kind sicherlich ein Gewinn, aber der ist nicht nachhaltig.

Ich denke, Sie haben mit Ihrem Gesetzentwurf den falschen Ansatz gewählt. Schauen wir doch dorthin, wo sich Kinder tagtäglich befinden, auf die Kita und auf die Schule, und schauen wir auch auf die Jugendämter.

Ich kann Ihnen allen nur empfehlen: Gehen Sie in ein Jugendamt. Fragen Sie die Mitarbeiterinnen, wie sie die Situation der Kinder einschätzen. Dort können Sie erfahren, dass der Großteil der problematischen Fälle be

kannt ist. Dann fragen Sie einmal: Welche Maßnahmen werden empfohlen? Dann werden Sie immer wieder erfahren, dass die Handlungsmöglichkeiten eben sehr begrenzt sind. Das liegt nicht an den mangelnden rechtlichen Möglichkeiten.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der FDP)

Es liegt an den fehlenden Ressourcen, an dem fehlenden Personal und zuweilen auch an der mangelhaften Ausbildung der Mitarbeiterinnen.

Es gibt Jugendämter, die grundsätzlich keinen begleiteten Umgang als Maßnahme empfehlen, weil das Personal dafür fehlt. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie wollen wir dann Kinder vor dem schlagenden Elternteil schützen, mit dem der Umgang sicherlich gefördert werden muss?

Hilfen zur Erziehung werden für ganz dramatische Fälle aufgespart - ich sagte es vorhin - und die Situation in den Beratungsstellen wird Ihnen allen sicherlich aus Ihren Wahlkreisen bekannt sein.

Es besteht eine Lücke, die wir dringend schließen müssen. Noch einmal: Es ist keine Gesetzeslücke. Hierfür benötigen die Kommunen ausreichend Finanzen, um sich ausreichend Personal mit einer guten Ausbildung leisten zu können. Ich denke, wir müssen uns das auch leisten.

Mit Blick darauf begrüßen wir den in dem Gesetzentwurf enthaltenen Ansatz der Netzwerkbildung. Allerdings zeigt die Realität: Netzwerke bilden sich bereits jetzt und bilden sich vor allem freiwillig. Das halte ich für eine viel bessere Geschäftsgrundlage.

(Frau Fischer, SPD: Das gibt es aber nicht für al- le! Deshalb habe ich Sorge!)

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang den Hinweis: Wenn wir schon Früherkennungsstellen einrichten, wenn Sie sich darauf verständigen, dann sollten sie unseres Erachtens vor Ort angesiedelt sein und nicht irgendwo in irgendeinem Amt.

Hinsichtlich der Sprachstandserhebungen ist der Standpunkt meiner Fraktion, dass darin durchaus eine Chance besteht. Wir setzen aber auch hierbei auf mehr Freiwilligkeit. Wenn wir uns schon für eine Pflicht zur Sprachstandserhebung entscheiden, dann sollte zumindest die Form der gegebenenfalls erforderlichen Förderung durch die Eltern entschieden werden können.

Gegenstand einer Anhörung muss in diesem Zusammenhang auch dringend sein, wie die tatsächliche Umsetzung in Kitas und Grundschulen gewährleistet werden kann. Dazu ergibt sich für mich noch eine Menge offener Fragen.

Die Anhörung muss meines Erachtens dringend zusammen mit dem Ausschuss für Recht und Verfassung durchgeführt werden. Bei der Abwägung von Grundrechten schließe ich mich den Ausführungen von Frau Dr. Hüskens an. Ich halte einiges für fragwürdig und ich denke, wir brauchen einen vernünftigen Umgang mit verfassungsrechtlichen Problemen und keine analoge Anwendung wie beim Nichtraucherschutzgesetz.

Zum Kinderschutzgesetz werde ich jetzt keine Anträge auf Überweisung mehr stellen; die sind bereits gestellt worden. Ich kann Ihnen aber signalisieren, dass meine Fraktion der Überweisung zustimmen wird. Wie wir uns allerdings in der zweiten Lesung verhalten werden, kann

ich Ihnen momentan noch nicht sagen; denn das wird auch maßgeblich von der Anhörung abhängen.

Nun möchte ich noch etwas zum Thema Kinderrechte sagen. Ich denke, dass es bei der Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz und auch in die Landesverfassung im weitesten Sinne auch um Kinderschutz geht. Daher passt diese verbundene Debatte heute. Mir ging es am Kindertag aber nicht anders als der FDP-Fraktion: Pünktlich im Jahresrhythmus fordert die Sozialministerin, nun schon zum dritten Mal, die Aufnahme von Kinderrechten in die Landesverfassung. Ich kann Sie verstehen: Steter Tropfen höhlt den Stein - zuweilen.