Das Prüfergebnis sieht so aus, dass ich empfehle und zur Diskussion stelle, die Landesverfassung im Grundrechtekatalog und in den Einrichtungsgarantien um weitere Kinderrechte zu ergänzen.
Dazu ist ein Formulierungsvorschlag zu Artikel 11 im Grundrechtekatalog unserer Landesverfassung erarbeitet worden. Die beiden bisherigen Absätze lauten:
„Pflege und Erziehung der Kinder unter Achtung ihrer Persönlichkeit und ihrer wachsenden Einsichtsfähigkeit sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“
Diese beiden Absätze sollen um zwei weitere Absätze ergänzt werden, die die Rechte der Kinder beschreiben, also nicht die Rechte und Pflichten der Eltern und des Staates, sondern die der Kinder. Der Absatz 3 könnte dann lauten:
„Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft. Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie auf Inte
gration in die Gesellschaft und den Schutz vor Ausgrenzung. Staat und Gesellschaft achten und sichern seine Rechte, tragen für altersgerechte Lebensbedingungen Sorge und fördern es nach seinen Anlagen und Fähigkeiten.“
Bei den Einrichtungsgarantien sieht mein Vorschlag die Ergänzung der Artikel 24 und 25 vor. In Artikel 24 Abs. 3 heißt es:
„Kinder genießen den besonderen Schutz des Landes vor körperlicher und seelischer Misshandlung und Vernachlässigung.“
„Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine Herkunft und wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seine Begabung und seine Fähigkeiten fördernde Erziehung und Ausbildung.“
Diese Vorschrift soll um den Aspekt der Bildung ergänzt werden, dass jeder junge Mensch das Recht auf eine seine Begabung und seine Fähigkeiten fördernde Erziehung, Bildung und Ausbildung hat.
Zur Begründung: Kinder finden in der gesellschaftlichen Wertschätzung als eigenständige Persönlichkeiten noch keine ausreichende Anerkennung. Gewalt gegen Kinder oder Vernachlässigung sind leider gegenwärtig. Wir haben darüber gerade diskutiert. Auch die praktischen Entfaltungs- und Beteiligungsmöglichkeiten sind nach wie vor unzureichend.
Natürlich sind Kinder wie alle anderen Menschen - das ist das, was vonseiten der FDP vorhin eingebracht wurde - auch durch den vorhandenen Grundrechtekatalog geschützt. Sie können ihre Rechte aber nicht selbst, sondern nur über ihre Eltern geltend machen, die wiederum durch das Wächteramt des Staates in dieser Pflicht unterstützt werden.
In der Frage der Geltendmachung eigener Rechte unterscheiden sich Kinder von allen anderen Personengruppen, für die noch besondere Rechte diskutiert werden. Die Tatsache, dass sie bei der Umsetzung ihrer Menschenrechte auf Dritte angewiesen sind, rechtfertigt allein schon eine besondere Benennung ihrer Rechte in der Verfassung. Ich empfehle allen Interessierten die entsprechende Publikation von Professor Fritzsche als Lektüre, der die Menschenrechtsprofessur in Magdeburg innehat. Ich zitiere aus seinem Buch „Menschenrechte“:
„Kinderrechte sind spezifische Rechte, die die Kinder als eine Gruppe von Menschen anerkennen, die besonders anfällig für Menschenrechtsverletzungen sind und deshalb verstärkter Schutzmechanismen bedürfen. Die Aufnahme von Kinderrechten in den Kanon der Menschenrechte unterstützt, dass das Menschsein nicht erst beim Erwachsenen anfängt. Mit den Kinderrechten wird der schwächsten Gruppe der Gesellschaft der Menschenrechtsschutz zuerkannt. Ähnlich wie bei anderen besonders verletzlichen Gruppen
lässt sich bei der Entwicklung der Kinderrechte aber sehr deutlich erkennen, wie aus einer zunehmenden Empörung über Kindern zugefügtes Leid der Anstoß für die Anerkennung von eigenständigen Rechten entsprang.“
Er weist ferner auf Paulo David hin, der Wirkungen beschreibt, die von Kinderrechten ausgehen. Das sollten wir uns in den Ausschüssen, in denen wir über diese Fragen diskutieren werden, noch einmal zu Herzen nehmen. Er beschreibt nämlich den Wandel von einer Wohlfahrts- und Mitleidsperspektive hin zu einer Perspektive der Rechte der Kinder.
Es geht nicht mehr um ein vom guten Willen abhängiges Berücksichtigen von Bedürftigkeit, sondern um ein Einfordern und Respektieren von Rechten. Die Anerkennung als Menschenrechtssubjekte und die Berücksichtigung der unteilbaren Menschenrechte beinhaltet auch, dass Kinder eben nicht nur geschützt und versorgt werden sollen, sondern dass sie auch Partizipationsrechte haben und dass es noch aussteht, ihnen die entsprechenden Beteiligungsmöglichkeiten zuzuweisen.
Das nimmt den Eltern nicht die Erziehungsverantwortung - auch das betone ich an dieser Stelle -, sondern unterstreicht diese Erziehungsverantwortung der Eltern noch einmal ausdrücklich, verpflichtet aber Staat und Gesellschaft, die Familien angemessen zu unterstützen, damit sie dieser Aufgabe auch nachkommen können. Deswegen halte ich es für sinnvoll, dass wir die Landesverfassung in ihrem Grundrechtsteil um eine klare Wertentscheidung zugunsten eines verbesserten Kinderschutzes und eines Fördergebotes ergänzen.
Ich denke, dass wir damit auch die Jugendhilfestrukturen in den Kommunen stärken. Wenn Kinderrechte in der eben dargestellten Art und Weise Verfassungsrang erlangen, dann wird das Ziel, das Sie, Frau Hüskens, beschreiben, in den Kommunen auch stärker umgesetzt. Ich glaube, dass diese Wertschätzung der Kinder und die Formulierung ihrer Rechte auch eine Grundlage für einen Umdenkprozess ist.
Denn wenn Staat und Gesellschaft dazu verpflichtet sind, die Belange der Kinder in allen Lebensbereichen zu berücksichtigen, dann beeinflusst das sämtliches Verwaltungshandeln. Das beeinflusst alle Entscheidungsträgerinnen und -träger auf allen Ebenen. Das bindet pädagogische Arbeit und normiert letztlich das gesamte Verhalten der Gesellschaft. Deswegen ist mir dieses Thema so wichtig.
Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen bei Zustimmung zum Antrag der FDP-Fraktion. Ich denke, wir sollten diese Diskussion bei allen unterschiedlichen Einstellungen auch sehr ernsthaft und ohne Polemik führen und dann vielleicht auch für zukünftige Jahre zu einer guten Regelung für Sachsen-Anhalt kommen.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir kommen jetzt zu den Beiträgen der Fraktionsvorsitzenden. Herr Gallert und Frau Budde haben um das Wort gebeten. Ich würde angesichts der fortgeschrittenen Zeit vorschlagen, sich das, wenn es noch weitere Wünsche gibt, jetzt zu überlegen.
- Natürlich. Ich frage doch nur. Es ist Ihr gutes Recht. - Jetzt hat erst einmal Herr Gallert das Wort. Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. - Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich die Diskussion über die Verfassungsänderung übrigens seit Beginn der Legislaturperiode inzwischen mit wachsender Unruhe verfolge, und zwar ganz einfach deswegen, weil wir tatsächlich intervallmäßig - die Zeitabstände werden mal kürzer, mal länger - zumindest in der Presse damit konfrontiert werden, dass es Wünsche zur Änderung der Verfassung gibt. Interessanterweise sind es immer Regierungsvertreter, die das sagen. Frau von Angern hat das schon einmal kurz erläutert. Es ist nicht nur Frau Kuppe. Es sind auch Herr Hövelmann und Herr Bullerjahn.
Inhaltlich können wir uns mit den Anliegen von Frau Kuppe und von Herrn Hövelmann gut anfreunden, weniger mit dem von Herrn Bullerjahn. Aber dem liegen jetzt wirklich inhaltliche Themenstellungen zugrunde.
Wir werden durch diese Äußerungen in der Öffentlichkeit aber immer wieder vor die Frage gestellt: Wie ernst ist das denn nun gemeint? Wenn es richtig ernst gemeint wäre, dann - das ist meine Bitte an die Vertreter der Landesregierung - wenden Sie sich doch bitte an das Gremium, das darüber entscheiden soll. Das ist der Landtag, aber das sind nicht die Öffentlichkeit und die Journalisten.
Ich glaube - das muss ich mit aller Deutlichkeit sagen -, das Vorgehen, das Sie bisher in diesen einzelnen Fragen realisiert haben, war nicht sonderlich hilfreich. Bei uns ist ein bisschen folgender Eindruck entstanden: Jedes Mal, wenn es sozusagen gerade politisch en vogue war, wenn man möglicherweise woanders unter Druck stand, bringt man diesen Vorschlag in die Öffentlichkeit, ohne dass man dann die Landtagsfraktionen ernsthaft kontaktiert. Dabei schleicht sich ein wenig das Gefühl ein, dass diese Sache nicht ernst gemeinst ist.
Deswegen sage ich ausdrücklich: Wenn das der Hintergrund dieser Diskussion ist, dann wäre es schade, weil sich gerade über die Themen, die Herr Hövelmann und Frau Kuppe eingebracht haben, eine inhaltliche Debatte lohnt. In diesem Hause würde sich wirklich eine detaillierte Diskussion lohnen, um vielleicht zu einem Konsens zu kommen. Aber ich muss noch einmal ausdrücklich betonen, dass unsere Fraktion in der letzten Zeit nicht den Eindruck hatte, dass es wirklich darum ging. Das ist schade, weil es diese Dinge verdienen, mit Ernsthaftigkeit behandelt zu werden. - Danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum die FDP eben geklatscht hat, weiß ich nicht wirklich, weil in ihrem Antrag in Richtung Regierung steht und nicht, dass die Diskussion in den Fraktionen geführt werden
Es ist der Landtag, der die Verfassung mit einer Zweidrittelmehrheit ändern kann. Herr Gallert, Sie haben gesagt, dass es immer mal wieder Regierungsvertreter sind. Das sind in erster Linie auch SPD-Vertreter. Die Verfassungsdiskussion kommt aus der SPD und nicht aus der Regierung.
Zumindest die Antifaschismusklausel und die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung sind Themen, die in der SPD sehr stark und sehr ehrlich diskutiert werden und die über diesen Weg, nämlich über Regierungsmitglieder, die auch Sozialdemokraten sind und auch dort Funktionen haben, transportiert werden. Diese Themen werden auch durch die Fraktionsvorsitzende transportiert.
Dazu gibt es in der Koalition unterschiedliche Auffassungen. Das ist aber auch nicht irgendetwas, das man ideologisch bewerten muss, sondern das ist einfach so.
Deshalb will ich sagen: Ja, wir als SPD-Fraktion sind für einen fraktionsübergreifenden Dialog offen. Wir wissen, dass das schwierig ist. Das hat in erster Linie auch nicht nur etwas mit Regierung zu tun. Es ist eine originäre Aufgabe des Parlaments, darüber zu reden, ob es eine Zweidrittelmehrheit dafür gibt, im Parlament das Thema Verfassungsänderung grundsätzlich anzufassen.
Wenn es diese grundsätzliche Haltung nicht gibt, wenn sich die Fraktionen nicht einigen können, dass man die Verfassung überhaupt anfasst, dann braucht man über die Einzelpunkte in dieser Legislaturperiode nicht zu diskutieren, sondern dann wird es unterschiedliche Auffassungen in den Fraktionen und den Parteien zu einzelnen Themen geben. Die werden auch so bleiben.
Ich will nur sagen: In unserer Fraktion steht das Signal für diese grundsätzliche Diskussion auf Grün. Man sollte tatsächlich darüber reden, ob es nach 16 Jahren an der Zeit ist, das zu tun. Aber ich will auch genauso sagen, dass die Verfassungsdiskussion für mich eine Diskussion ist, die zwischen den Fraktionen nur dann aufgemacht, nur dann angefangen werden darf, wenn die Konsenssuche das Ziel ist. Wenn in irgendeiner Art und Weise irgendeiner der Beteiligten mit ideologischem Hintergrund diskutieren will, dann halte ich es für falsch, diese Diskussion anzufassen, weil sich das wirklich nicht für Parteienpolitik eignet.