Protokoll der Sitzung vom 12.09.2008

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, alle in diesem Haus waren am 7. Juli 2008 betroffen und schockiert von der Nachricht, dass Henkel in

Genthin seinen Standort schließen möchte, in dem Bewusstsein, dass davon 240 Mitarbeiter direkt im Unternehmen und weitere 100 oder 200 Beschäftigte, die in der Peripherie des Werkes arbeiten, betroffen sind. Es hat niemanden kalt gelassen und ich denke, da können auch einmal verbale Entgleisungen, wie sie vorgekommen sind, entschuldigt werden.

55 000 Mitarbeiter beschäftigt Henkel weltweit, 10 000 in Deutschland. Seit 1921 ist das Unternehmen in Genthin angesiedelt. Ich glaube, das ist ein Verlust, den trägt man nicht so einfach.

Ich fand das Agieren unseres Wirtschaftsministers nach der Botschaft von Henkel einfach klasse. Er sagte: Ich setze mich in den Flieger, nehme die Verhandlungen auf und versuche, für die Region, für die Menschen vor Ort etwas zu erreichen. Er hat Gespräche mit Kasper Rorstedt, mit den Gewerkschaften und mit den Betroffenen geführt.

An der Entwicklung, die man sieht und von der man hört, und auch bei der heutigen Berichterstattung merkt man, dass es ernsthafte Bemühungen gibt, nicht zuletzt auch von dem Betriebsrat, der einen Wirtschaftsprüfer eingesetzt hat, um zu prüfen, inwieweit die Argumente des Henkel-Stammhauses korrekt sind und ob vielleicht Möglichkeiten zu finden sind, den Standort zu erhalten.

Herr Czeke, ich habe auch in die Homepage geschaut und habe mir die Zusammensetzung des Aufsichtsrates angesehen. An dieser Stelle sollte man auch die Frage stellen: Wenn unter den 16 Mitgliedern des Aufsichtsrates acht Vertreter der Arbeitnehmer sind, wie haben denn diese acht Arbeitnehmervertreter die Entscheidung im Aufsichtsrat mittragen können, eine Entscheidung, die sich gegen Genthin gerichtet hat und für Düsseldorf getroffen worden ist?

Im Endeffekt sage ich: Jawohl, die Unterstützung, die Ideen, die Initiativen, die von den Gewerkschaften zum Erhalt des Standorts gekommen sind, sind einmalig. Ich kenne ein ähnliches Beispiel nicht. Ich finde das in Ordnung.

Trotzdem sollten wir uns noch einmal die Ursachen anschauen. Herr Graner hat es vorhin gesagt: Als Begründung wurden die gestiegenen Transportkosten angeführt. Die Begründung war, dass die Transportkosten fast den Produktionspreisen entsprächen. Ich glaube, hierin liegt das generelle Problem. Wenn wir in einigen Fragen nicht umsteuern, werden wir noch ähnliche Entwicklungen in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen haben.

Ich hoffe, dass Henkel wirklich der Letzte war. Denn nach der Prognose - wenn wir nur die Energiekostenentwicklung anschauen -, die im Rahmen der DenaStudie erstellt wurde, werden die Energiepreise im Land Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren um 10 bis 15 % über denen anderer Bundesländer liegen. Das ist eine Entwicklung, die im Endeffekt weitere Schließungen nach sich ziehen kann.

Enercon produziert im Moment in Magdeburg Windkraftanlagen. Aber wie lange noch, wenn die Energiepreise steigen? Bei Henkel waren es die Treibstoffe. Es ist pervers, wenn auf die Steuer, die Ökosteuer und die Energiesteuer, noch 19 % Mehrwertsteuer aufgeschlagen werden. Damit steigen doch die Preise automatisch und die Wettbewerbsfähigkeit fällt hinten herunter.

(Beifall bei der FDP)

Die Gewinner der hohen Ölpreise sind doch nicht die Oligarchen in Russland oder die Scheichs im Nahen Osten. Der eigentliche Gewinner,

(Zuruf von Herrn Felke, SPD)

- nein - der größte Ölscheich in Deutschland ist Peer Steinbrück, der Finanzminister dieser Republik. An dieser Stelle müssen wir doch ansetzen.

(Herr Scharf, CDU: Sie haben aber eine komi- sche Weltsicht, Herr Kollege! - Frau Budde, SPD: Und Herr Schubert, mit dem wir verhandeln!)

Der Preistreiber bei den Energiepreisen ist der Staat. Wenn ich mir anschaue, dass die Unternehmer aufgrund dieser Entwicklung Arbeitsplätze abbauen, dass sie Standorte verlagern, dass nicht mehr die Lohnpolitik das Entscheidende für einen Standort ist,

(Zuruf von Herrn Felke, SPD)

sondern dass es in Zukunft die Energiepreise sein werden, dann müssen wir umschwenken.

Aber zurück zu Henkel. Dieser einmalige Vorgang, dass der Gesamtbetriebsrat einen Wirtschaftsprüfer eingesetzt hat, ein Gutachten beantragt hat, damit Lösungen gefunden werden - hoffentlich in die richtige Richtung, sodass die Arbeitsplätze erhalten bleiben -, ist klasse. Der Wirtschaftsminister - er hat es gesagt - wird Alternativen fördern und unterstützen. Ich wünsche den Mitarbeitern in Genthin viel Erfolg, dass das gelingt. - Danke.

Vielen Dank, Herr Franke. Es gibt zwei Nachfragen, zum einen von Frau Rogée und zum anderen von Herrn Graner. Wollen Sie diese beantworten?

Ja, klar.

Dann Frau Rogée, bitte. Aber ich würde Sie wirklich bitten, kurze Fragen zu stellen.

Herr Franke, ich will das nicht dramatisieren; denn ich denke, wir sollten uns darin einig sein, dass das, worüber wir reden, für die Region schlimm ist. Aber bezüglich des Aufsichtsrates habe ich eine Nachfrage. Ich hätte gern gewusst, ob Sie wissen, wie der Aufsichtsrat gestimmt hat.

Denn ich lasse es mir nicht bieten, dass die Gewerkschaften bzw. die Arbeitnehmervertreter in solchen Situationen immer die Bösewichte sind; denn sie sind nicht diejenigen, die diese Entscheidung getroffen haben. Ich möchte nur von Ihnen wissen, ob Sie wissen, wie die Arbeitnehmervertreter abgestimmt haben.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Bitte, Herr Franke.

Frau Rogée, das war ja die Frage, die ich gestellt habe. Wir haben 16 Aufsichtsräte bei Henkel, davon sind acht Arbeitnehmervertreter. Wie die Entscheidung im Endeffekt gefallen ist, weiß ich nicht. Mich würde auch interessieren: Haben denn die acht Arbeitnehmervertreter gegen Genthin gestimmt? Oder waren es nur die aus dem Henkel-Vorstand, von der Arbeitgeberseite?

(Frau Budde, SPD: Die Antwort auf Suggestivfra- gen kennen Sie! - Zurufe von der LINKEN)

Herr Graner wird jetzt seine Frage stellen. Das andere müssen Sie wohl noch klären.

Herr Kollege Franke, das Interview mit Herrn Brüderle zu den Ölscheichs habe ich auch gehört. Ich finde, dass Herr Steinbrück nicht einmal von der Physiognomie her einem Scheich ähnelt.

Meine Frage: Ich habe versucht zu erläutern, dass die Menschen in Genthin das Argument bezüglich der Transportkosten nicht recht glauben können, heute, wo die Preise wieder gesunken sind. Jetzt bringen Sie das Argument wieder vor. Was denn nun? Sind Sie wirklich dieser Meinung? Wenn die Transportkosten das entscheidende Argument für die Schließung dieses Werkes sind, sind Sie dann wirklich der Meinung, dass ein Sinken der Rohölpreise um ein Drittel keine Auswirkungen auf die Entscheidung hat?

Herr Graner, ich kann nicht nachvollziehen, wo die Gründe liegen, die Henkel zur Schließung bewogen haben. Ich kenne die Zahlen und die Fakten nicht, ich kenne nur die Begründung. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass wir, wenn wir der Dena-Studie folgen, was die Energiepreise in Sachsen-Anhalt betrifft, und wenn wir sehen, wie sich der Benzinpreis entwickelt, mit diesem Problem in Zukunft noch zu kämpfen haben werden. Ich hoffe, dass Henkel der Letzte sein wird.

Aber bei dem Standortwettbewerb zwischen den Bundesländern um den wirtschaftlichsten Standort werden andere Bundesländer an uns vorbeiziehen, wenn hier 15 bis 20 % mehr für Energie gezahlt werden muss als zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, in Bayern oder in BadenWürttemberg. Das ist das Problem. Darauf wollte ich aufmerksam machen. Wir müssen an dieser Stelle umsteuern.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank. - Weitere Fragen gibt es nicht. Jetzt ist Herr Gürth von der CDU mit seinem Beitrag an der Reihe. Das ist der letzte Beitrag. Bitte schön, Herr Gürth.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einen Einstieg, der nicht geplant

war. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass wir über Energiepolitik jederzeit streiten können, aber heute geht es um Genthin. Fakt ist, dass es Werksschließungen und Werksverlagerungen schon gegeben hat, als die Energiepreise 35 % des heutigen Niveaus betrugen. Deswegen ist es gut, dass wir wieder zurückfinden zu dem eigentlichen Thema, nämlich zu dem Standort Genthin und zu den Mitarbeitern, die dort um ihre Zukunft bangen.

Als die Nachricht öffentlich wurde, ging es wahrscheinlich allen in diesem Hause gleich. Die erste Frage war die Frage nach dem Schicksal der Beschäftigten vor Ort. Es ist keine strukturstarke Region und es wird vor allem dort besonders schwierig sein, Beschäftigung zu sichern, wenn ein so großer Arbeitgeber wirklich ersatzlos wegbrechen sollte.

Die zweite Frage, die bei uns eine große Rolle spielte, war die Frage der Symbolik dieser Entscheidung der Unternehmensführung. Henkel aus Genthin ersatzlos zu streichen ist ein bisschen so, als ob man in Zuffenhausen Porsche dicht macht oder in Ludwigshafen sagt, wir wollen BASF zurückziehen.

Bei einer Stadt mit 13 800 Einwohnern hat das ungefähr die gleiche Dimension. Damit sind wir schon fast bei einer wirtschaftsethischen Frage, für die die Beschäftigten, die Mitarbeiter und die Einwohner im Moment vielleicht gar keinen Sinn haben, weil sie heute ganz andere Probleme haben.

Im Zusammenhang mit diesem Vorgang stehen für uns drei Fragen im Mittelpunkt. Die erste ist, ob dieser Beschluss der Unternehmensleitung abzuwenden ist. Gott sei Dank kann man heutzutage viele Wirtschaftsdaten nachlesen und man kann sich auch - es handelt sich um eine börsennotierte Kommanditgesellschaft auf Aktien - die Betriebsergebnisse anschauen. Ich weiß, dass der Betriebsrat, die Gewerkschaft seit Jahren und auch das Ministerium das getan haben.

Die Antwort auf diese Frage heißt: Der Beschluss, so wie er in Gänze gefasst wurde, ist nicht einfach wegzudiskutieren. Wir kriegen ihn nicht einfach weg. Warum? - Weil Henkel, wie jedes andere Unternehmen auch, jederzeit aufgerufen war, sich im Wettbewerb fit zu halten. Aber die Frage ist, ob man vielleicht vorher bereits Entscheidungen hätte treffen müssen. Können wir die Unternehmensleitung dazu bewegen, zumindest den Standort aufrechtzuerhalten, damit mit begleitenden Maßnahmen wenigstens die jetzige Anzahl der Arbeitsplätze gesichert werden kann?

Man muss klar sagen: Zur Wahrheit gehört auch, dass die Entscheidung der Eignerfamilie Henkel, zu Beginn der 90er-Jahre in Genthin wieder die Henkel-Flagge hochzuziehen und dort zu produzieren, eine gute Entscheidung war, weil zeitweise bis zu 280 Mitarbeiter in dem Unternehmen, sozialversicherungspflichtig beschäftigt und tariflich ordentlich bezahlt, für 16 Jahre unter dieser Flagge ein ordentliches Einkommen hatten. Es war auf jeden Fall eine ordentliche Entscheidung.

Alle Beteiligten, auch der Betriebsrat und die Beschäftigten, wissen, dass auch der Einfluss der Eignerfamilie mit dazu beigetragen hat, dass, vielleicht anders als an anderen Standorten in anderen Unternehmen und in größerem Umfang, als es vielleicht betriebswirtschaftlich notwendig war, Beschäftigtenzahlen vor Ort gehalten worden sind. Diese Entscheidung in der Vergangenheit ist bis jetzt eine gute Entscheidung gewesen.

Die zweite Frage ist: Wie kann in Genthin mit unserer Hilfe dafür Sorge getragen werden, dass diejenigen, deren Job jetzt bedroht scheint, in absehbarer Zeit wieder eine ordentliche Zukunft in einem anderen sicheren Job haben, und zwar in einem vernünftigen, ordentlich bezahlten und sozialversicherungspflichtigen Job.

Ich bin dem Minister und der Landesregierung für das Handeln sehr dankbar. Wir alle, und nicht nur die Opposition, haben als Landtag, als Gesetzgebungs- und Verfassungsgeber, die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Wir kritisieren die Regierung, wenn sie Fehler macht, die Opposition naturgemäß immer ein bisschen stärker, aber auch die Koalitionsfraktionen, sofern Bedarf besteht.

Ich denke, es ist auch richtig, dass man, wenn man, wie an diesem Beispiel, erleben kann, dass sehr sorgfältig und erfolgreich sowie bedacht und besonnen gehandelt wurde, dem Wirtschaftsministerium und der Landesregierung im Namen des gesamten Hauses seinen Dank ausspricht für die Zusammenarbeit mit der Belegschaft und mit dem Unternehmen sowie für die Bemühungen, Beschäftigung zu sichern.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Die dritte Frage muss ebenfalls angesprochen werden. Für mich ist es nicht der Punkt, dass diese Entscheidung getroffen worden ist, die zu Recht kritisiert worden ist. Vielmehr geht es darum, wie die Geschäftsleitung operiert hat. Sie wissen, ich werbe immer für Ludwig Erhard und für die soziale Marktwirtschaft. Ich habe ein großes Problem damit, dass Unternehmer so agieren, wie sie hier agieren. In diesem Fall sind es nicht die Unternehmer selbst, sondern angestellte Manager. Ich möchte Ludwig Erhard zitieren:

„Ich verlange gerade von den Unternehmenslenkern das höchste Maß an Verantwortungsgefühl... Wer ein Unternehmen führt, muss sich auch in seinem Handeln als Privatperson immer seiner Vorbildfunktion bewusst sein.“