Protokoll der Sitzung vom 12.09.2008

„Ich verlange gerade von den Unternehmenslenkern das höchste Maß an Verantwortungsgefühl... Wer ein Unternehmen führt, muss sich auch in seinem Handeln als Privatperson immer seiner Vorbildfunktion bewusst sein.“

In weiten Teilen hat das die Familie Henkel über viele Jahre auch praktiziert. Die Art und Weise, wie die angestellten Manager in diesem Fall konkret gehandelt haben - Sie haben vorhin vom Minister auszugsweise hören können, wie die Kommunikationsstränge verlaufen sind - ist nicht vorbildhaft; das muss man ganz deutlich sagen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN und bei der SPD)

Ich will an dieser Stelle an die verantwortlichen Manager gerichtet Folgendes sagen - ohne dass ich damit Porzellan zerschlagen will -: Jeder, der in einem solchen Umfang Entscheidungen zu treffen hat, die auch das individuelle Schicksal vieler Menschen betreffen, muss sich dieser Verantwortung bewusst sein. Vor allem den Managern muss klar sein, dass jeder, der sich dieser Verantwortung nicht stellt und ihr nicht gerecht wird, das Fundament einer Gesellschaft zerstört, die unternehmerisches Handeln in Freiheit und Wohlstand erst ermöglicht. Ich denke, das muss auch in mancher Vorstandsetage vielleicht einmal in großen Buchstaben an die Tür genagelt werden.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Weil so vieles gesagt wurde und weil wir uns im Hause, was den Standort Genthin

und das Unternehmen in Genthin betrifft, eigentlich einig sind, sollten wir nicht zerreden, was vom Minister erläutert wurde, wie die Vorgehensweise in den nächsten Tagen sein wird.

Das Beste, was wir machen können, ist, uns nicht über irgendwelche abstrakten Dinge zu streiten, sondern ein klares Signal nach außen zu geben.

Erstens. Wir stehen an der Seite der Belegschaft und der Stadt Genthin.

Zweitens. Wir wollen vor allem durch Wahrhaftigkeit und durch erfolgreiches Handeln anstatt durch Fensterreden signalisieren, dass wir das Ministerium in dem Bemühen unterstützen, dass neben dem Erhalt der Jobs, wenn auch in anderen Unternehmen, vor allem, sofern dies möglich ist, das Henkel-Logo über den Werkstoren zu Recht Bestand hat. Wir möchten, dass Henkel weiterhin am Standort produziert.

(Zustimmung von Frau Rogée, DIE LINKE)

Abschließend: Meine Damen und Herren, es ist immer besser zu handeln als zu reden. Ich wünsche im Namen meiner Kollegen von der CDU-Fraktion von ganzem Herzen, dass Sie, Herr Minister, in den nächsten Tagen und Wochen erfolgreich Ergebnisse aushandeln, damit die Beschäftigten, die jetzt um ihr Einkommen und um ihre Zukunft zum Jahresende zittern, in absehbarer Zeit Gewissheit haben, dass sie in einem ordentlichen, sozialversicherungspflichtigen und sicheren Beschäftigungsverhältnis in den nächsten Jahren ihr Einkommen haben werden. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Gürth. - Vielen Dank auch an Sie im Saal, dass Sie so überaus gut diskutiert haben, dass Sie auch gemeinschaftlich gezeigt haben, dass wir diesen Standort stärken wollen. Ich glaube, es ist ein gutes Signal, das die Frauen und Männer aus Genthin, die auf der Tribüne sitzen, mitnehmen, dass wir geschlossen hinter ihnen stehen. Wir sollten alles versuchen, dem Minister herzlichen Dank sagen und ihm viel Erfolg wünschen. Alles Gute! - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wir sind damit am Ende der Aktuellen Debatte. Beschlüsse zur Sache werden entsprechend § 46 der Geschäftsordnung nicht gefasst. Die Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen.

Als Nächstes behandeln wir den Tagesordnungspunkt 13, dessen Beratung mein geschätzter Kollege Dr. Fikentscher leiten wird. - Vielen Dank.

Meine Damen und Herren! Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung

a) Möglichkeiten der ambulanten Eingliederungshilfe verbessern

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/1371

b) Paradigmenwechsel in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen verwirklichen

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/1462

Zunächst werden die beiden Anträge eingebracht. Danach folgt eine verbundene Debatte zu beiden Beratungsgegenständen. Ich bitte Frau Dr. Späthe, den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD einzubringen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Bei diesem Tagesordnungspunkt behandeln wir zwei Anträge in verbundener Debatte. Meine Aufgabe ist es, den Antrag der Koalitionsfraktionen unter der Überschrift „Möglichkeiten der ambulanten Eingliederungshilfe verbessern“ einzubringen.

Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ wird auf viele Belange des täglichen Lebens angewandt und in geradezu inflationärer Häufigkeit verwendet. Was wollen wir nun mit einem weiteren Antrag zu diesem Thema erreichen? - Unser Ziel ist im Endeffekt ein landesweiter Qualitätssprung in der Behindertenhilfe und insbesondere im verwaltungstechnischen Umgang damit. Diesem Ziel soll unser Antrag gelten, und ich möchte Ihnen den Zusammenhang der einzelnen Antragspunkte näher bringen.

Da sich alle an der Umsetzung der Behindertenhilfe Beteiligten offensichtlich darin einig sind, dass der Grundsatz „ambulant vor stationär“ in der Behindertenhilfe absolute Priorität haben sollte, erhebt sich berechtigterweise die Frage: Welche grundlegenden Voraussetzungen sind zu schaffen und welche Hemmnisse sind zu beseitigen, um dem Grundsatz gerecht werden zu können? Was in Gesetzen, in Verordnungen, in Richtlinien, sonstigen Festlegungen und lieb gewordenen Gepflogenheiten steht eigentlich der Verwirklichung dieses Anspruches entgegen?

Wenn dies analysiert ist, müssen wir Stück für Stück Veränderungen herbeiführen - ja, Veränderungen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Wer, wenn nicht wir, das Parlament, muss diesen Prozess in Gang setzen und in Gang halten?

(Zustimmung bei der SPD)

Gleichzeitig sind die zur Umsetzung der überörtlichen Sozialhilfe herangezogenen Gebietskörperschaften, sprich die Sozialämter vor Ort, in ihrer selbständigen Handlungsweise zu stärken und auf ein landesweit annähernd gleiches Antrags- und Bearbeitungsniveau zu bringen.

Dazu sind nach meiner festen Überzeugung innerhalb der Sozialagentur als Fachaufsicht Qualitätsprozesse, das heißt Umorientierungsprozesse, in Gang zu bringen. Die Zahl der Einzelfallentscheidungen, bei denen die Sozialagentur als so genannte darüber stehende Instanz von den Sozialämtern herangezogen und bemüht wird oder auch bemüht werden soll, ist auf wenige, der Kompliziertheit des Einzelfalles geschuldete Ausnahmen zu reduzieren. Denn auch hier sind wir uns darin einig, dass die konkreten und angemessenen Entscheidungen über den Hilfebedarf und die Hilfeform am besten vor Ort getroffen werden können.

Da damit aber die Einflussnahme des Landes als Kostenträger auf die Inanspruchnahme der finanziellen Mit

tel eingeschränkt scheint - nach dem Motto: die da unten bewilligen und wir müssen bezahlen -, ist wiederum zu prüfen, über welche Steuerungsinstrumente die Landesregierung die Entwicklung weiterhin in der Hand behält, ohne auf das mühsame Instrument der Einzelfallentscheidung zurückgreifen zu müssen.

Diese Steuerungsinstrumente betreffen aber nicht nur die monetäre Entwicklung der Dinge, sondern auch die qualitative Entwicklung, die wiederum die ambulante Versorgung präferieren muss. Das heißt wiederum, dass die zu entwickelnden Steuerungselemente auch die Grundlagen dafür bieten müssen, dass die Dienstleister - ob Wohlfahrtsverbände oder private Anbieter - überhaupt in der Lage und willens sind, ambulante Angebote zur Deckung des Hilfebedarfs zu entwickeln und auskömmlich anzubieten.

Diesen zugegebenermaßen komplexen Auftrag möchten wir mit dem Ihnen heute vorliegenden Antrag auf den Weg bringen. Wir halten dies aus einer Vielzahl von Gründen für außerordentlich dringend. Ich möchte mich darauf beschränken, einige wenige zu nennen.

Erstens. Die UN-Konvention, die mit großer Einmütigkeit auch hier im Hohen Haus begrüßt wurde, wird voraussichtlich im Jahr 2009 in Kraft treten. Aber - ich zitiere -:

„Die Umsetzung des SGB IX... wird uns auch weiterhin stark fordern. Der auch in der UN-Konvention enthaltene Grundgedanke ‚ambulant vor stationär’ findet sich zwar bereits im Sozialgesetzbuch wieder, er wird aber im konkreten Fall gelegentlich nur zögerlich, manchmal auch gar nicht umgesetzt.“

Dieser Satz stammt aus dem Redebeitrag, den Ministerin Gerlinde Kuppe im Rahmen einer Landtagsdebatte zur UN-Konvention gehalten hat. Er ist mittlerweile ein Jahr und vier Monate alt, beschreibt aber die Situation heute noch sehr treffend.

Die Gründe für den schleppenden Prozess sind vielfältig: Rechtliche Rahmenbedingungen, Angebotsstrukturen und auch mangelndes Bewusstsein sind bereits genannt worden, wobei - wie bereits erwähnt - die Einsicht scheinbar bei allen an dem Prozess Beteiligten vorhanden ist, bei den Leistungsträgern, den Leistungserbringern und bei den Betroffenen sowieso.

Der Verhandlungs- und Umsetzungsprozess ist zäh und geprägt von einem gegenseitigen Abwarten, wobei jeder der Beteiligten ängstlich innehält, nach dem Motto: Wer sich zuerst bewegt, verliert.

(Frau Bull, DIE LINKE: Zahlt!)

Angebote der einen Seite stoßen schnell auf ein „Ja, aber...“ auf der anderen Seite. Ideen sind durchaus gefragt, nur kosten dürfen sie nichts.

Sich hinter das Sozialgesetzbuch XII zurückzuziehen, welches die Entscheidungsfreiheit des Betroffenen durch die Höhe der Kosten einschränkt, bringt niemanden weiter, genauso wenig wie das Argument, dass dasselbe SGB XII ja gar keine Normen enthielte, die die Erprobung neuer Finanzierungsmodelle ermöglichten.

Wir, meine Damen und Herren, müssen diesen Zirkel aufbrechen und dürfen nicht noch länger zögern. Ich bin mir sicher, dass die Umsetzung dieser Ziele ein Prozess ist, der einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen wird, zumal sich viele der Gestaltungsmöglichkeiten dem direkten Einfluss des Gesetzgebers entziehen.

Wir müssen deshalb an den Stellen ansetzen, auf die wir Einfluss nehmen können. Das sind: die Handlungsspielräume und -bedingungen des Landes, die mit der Durchsetzung der Interessen beauftragte Sozialagentur und die Kommunen im Rahmen der Heranziehung der Realisierung der überörtlichen Sozialhilfe.

An dieser Stelle stimmt unser Antrag durchaus mit der UN-Konvention überein, die die Verpflichtung zur Umsetzung der Konvention, wie sie vor uns steht, zunächst klar dem Träger der staatlichen Gewalt auferlegt, das heißt den Parlamenten des Bundes und der Länder, also genau uns.

Wir halten den heutigen Beschluss aus einem weiteren Grund für außerordentlich dringend: Die Kosten der Sozialhilfe machen bereits heute den größten Posten im Haushalt des Sozialministeriums aus; mehr als drei Viertel davon entfallen auf die Eingliederungshilfe. Der finanzielle Umfang der Eingliederungshilfe nimmt auch in Sachsen-Anhalt weiter zu, und das, obwohl SachsenAnhalt, im Vergleich zum Bundesmaßstab, außerordentlich kostengünstige Tagessätze hat, Kostensätze, deren Steigerungsraten seit Jahren hinter der Teuerungsrate zurückbleiben.

Nein, die Ausgaben der Eingliederungshilfe steigen aufgrund der stetig steigenden Zahl von Menschen, die einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe haben - ich betone: einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe des Landes Sachsen-Anhalt. Das ist der Unterschied zum Straßenbau.

Diese Entwicklung bringt mehrere große Herausforderungen mit sich. Erstens wird die Absicherung der Betreuungs- und Hilfeleistung ein Problem in personeller Hinsicht, insbesondere im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung in unserem Land. Insoweit sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die personellen Ressourcen der Familien und Freundeskreise, die die Betroffenen haben, einbezogen werden, ohne diese jedoch auszunutzen. Das heißt: ambulant vor stationär.

Zweitens wird diese Entwicklung dazu führen, dass uns die Kosten in der Eingliederungshilfe und damit zusammenhängend in der Sozialhilfe um die Ohren fliegen werden, wenn wir nicht handeln. Die in der mittelfristigen Finanzplanung an dieser Stelle vorgesehene Absenkung von 40 Millionen € ist unter diesem Aspekt übrigens nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der LINKEN)