Sehr geehrte Frau Ministerin, eine andere Frage - der Gesundheitsfonds ist sicherlich erschöpfend diskutiert worden - zum Ärztenotstand. Das ist ein Problem, das
unsere Menschen draußen doch emotional sehr bewegt. Es ist kein akademisches Problem mehr, wie es bisher der Fall war. Meine Frage dazu: Wie schätzen Sie die derzeitige und die zukünftige medizinische Versorgung mit Hausärzten in unserem Land ein?
Vielleicht Folgendes zur Erläuterung: Wir wissen, die Situation in unserem Land ist sehr kritisch. Die Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte lässt erkennen, dass der Anteil an Ärzten im Land im Alter von 60 Jahren und mehr bei 30 % liegt. Es ist auch zu verzeichnen, dass die Ärzte in unserem Land mit rund 63 Jahren in den Ruhestand eintreten. Somit können wir uns ohne Weiteres ausmalen, wie die Situation in drei Jahren sein wird.
Welche flankierenden Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen und welche flankierenden Maßnahmen sind auch seitens der Bundespolitik erforderlich, um diesem, ich sage einmal, Phänomen zu begegnen?
Vielleicht noch die folgende Zusatzfrage - Sie sind ja schon seit Längerem ein Akteur -: Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen?
Herr Brumme, ich fange einmal mit Letzterem an. Ich erinnere mich noch gut an eine Veranstaltung, die die Kassenärztliche Vereinigung, damals noch unter dem Vorsitzenden Dr. Penndorf, vor ungefähr zehn, elf Jahren, veranstaltet hat. Da waren rund 800 niedergelassene Ärzte im Raum, und Herr Dr. Penndorf hat mich sehr eindringlich gefragt: Frau Kuppe, was machen Sie in fünf Jahren mit 1 000 arbeitslosen Ärzten in Sachsen-Anhalt? Damals war die Kassenärztliche Vereinigung der Meinung, es werden viel zu viele Ärztinnen und Ärzte ausgebildet, die am Ende alle arbeitslos sein und am Hungertuch nagen werden.
Fünf Jahre später hat auch von der Kassenärztliche Vereinigung keiner mehr diese Frage gestellt, sondern die Frage baute sich anders herum auf. Sie lautete dann: Wie kriegen wir die ambulante medizinische Versorgung in Sachsen-Anhalt sichergestellt?
Das ist in der Tat unter anderem auch ein Problem, das aus der Änderung der Approbationsordnung und der Kapazitätsverordnung bei der Zulassung zum Medizinstudium von Anfang der 90er-Jahre herrührt. Damals gab es in der Tat in Westdeutschland eine Art Ärzteberg. Deshalb sind die Zulassungsbedingungen so verändert worden, dass der Zugang zum Medizinstudium erschwert wurde, um eine vermeintlich bedarfsmäßige Anpassung zu erreichen. Wir müssen jetzt die Folgen unter anderem dieser bundesgesetzlichen Veränderungen ausbaden. Das ist das eine.
Auf der anderen Seite würde möglicherweise die Ausbildungsquote, wenn denn alle, die das Medizinstudium aufnehmen, dieses auch ordentlich beendeten, ausreichen. Die Abbrecherquote im Medizinstudium ist leider relativ hoch. Über die Hochschulen muss, denke ich, eine bessere Betreuung erfolgen, damit die Abschlussquote beim Medizinstudium erhöht wird.
Ein dritter Punkt spielt noch eine Rolle: Die jungen Medizinerinnen und Mediziner, die mit dem Studium fertig sind, die Approbation in der Tasche haben, gehen ja nicht alle in die Kuration, sondern etwa 40 % - so ist der Schnitt in Deutschland - suchen sich eine Betätigung
außerhalb der direkten medizinischen Versorgung, vor allem in der Wirtschaft, aber auch in der Verwaltung, in der Journalistik und in anderen Bereichen. Diese 40 % gut ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte stehen dann für die medizinische Versorgung der Bevölkerung leider nicht mehr zur Verfügung.
Bei uns in Ostdeutschland, also auch in Sachsen-Anhalt, kommt dazu noch die ungünstige demografische Entwicklung. Sie haben es dargestellt, Herr Brumme. Das macht uns zusätzlich Sorgen.
Wir hatten bis jetzt auch einen großen finanziellen Unterschied in der Vergütung, was es schwer gemacht hat, junge Mediziner zu uns zu locken oder dazu zu verleiten, hier zu bleiben, wenn sie hier studiert haben, und hier eine Existenz zu gründen oder eine Praxis zu übernehmen.
Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt rechnet damit, dass in den nächsten fünf Jahren im hausärztlichen Bereich ca. 150 Ärztinnen und Ärzte aufhören werden, sodass wir in dieser Größenordnung Nachbesetzungen ins Auge fassen müssen. In den nächsten zehn Jahren wird sogar mit einem Ersatzbedarf von 500 Ärztinnen und Ärzten im hausärztlichen Bereich gerechnet. Also: Die Altersstruktur ist außerordentlich ungünstig.
Wir wissen, dass die hausärztliche Versorgung ein zentraler Zweig der medizinischen Versorgung ist, weshalb auf verschiedenen Wegen ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, um diesbezüglich zu Verbesserungen zu kommen.
Dazu gehören einmal die Maßnahmen, die die Kassenärztliche Vereinigung, die ja aufgrund ihres gesetzlichen Auftrages nach dem Sozialgesetzbuch V die ambulante Versorgung sicherzustellen hat, selbst ergriffen hat, wie zum Beispiel überhaupt erst einmal eine Stiftungsprofessur für Allgemeinmedizin oder Lehrbeauftragte für Allgemeinmedizin in Halle und in Magdeburg zu finanzieren. Die Kassenärztliche Vereinigung organisiert auch Praktika für Studierende, damit sich überhaupt junge Menschen finden, die dann in die Ausbildung oder in die Weiterbildung zum Allgemeinmediziner bzw. zur Allgemeinmedizinerin gehen.
Außerdem gibt es, vereinbart vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, verschiedene Zuschläge, beispielsweise den Haltezuschlag für ältere Ärztinnen und Ärzte, damit sie noch länger als bislang, auch über das 66. Lebensjahr hinaus, ihre Praxen aufrechterhalten.
Des Weiteren gibt es einen Startzuschlag von 15 000 € für Mediziner, die in die Praxis gehen, die eine Praxis übernehmen oder eine neue gründen. Für diese Ärzte in einer neuen Niederlassung gibt es dann auch noch über fünf Jahre hinweg Sicherstellungszuschläge pro Patient und Patientin, die versorgt werden.
Wir haben zusätzlich bei der Investitionsbank SachsenAnhalt Programme zu laufen, die praktisch über die Wirtschaftsförderung die Existenzgründung von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten unterstützen. Da gibt es so schöne Programme mit Namen wie „Wachstum“, „Fit“, „Tempo“ und anderes. Also: In dieser Hinsicht ist eine ganze Menge auf den Weg gebracht worden, um auch investiv die Existenzgründungen in diesem Bereich zu unterstützen.
Wir als Landesregierung haben eine ganze Reihe von Maßnahmen angepackt, um hierbei unterstützend tätig zu werden. Sie wissen, dass wir auch ins Ausland schauen und unter anderem mit der österreichischen Ärztekammer eine Vereinbarung abgeschlossen haben, wonach junge Mediziner aus diesem Nachbarland zu uns kommen können, weil dort sehr ungünstige Bedingungen bestehen, wenn junge Menschen mit dem Medizinstudium fertig sind, erst einmal eine Weiterbildung zu erhalten und sich dann niederzulassen.
Die Bedingungen sind bei uns viel besser. Sowohl bei den Niederlassungen als auch im stationären Bereich wäre dann ein Einsatz möglich. Wir hoffen, dass wir aus diesem Bereich, weil ja auch keine Sprachbarrieren vorhanden sind, medizinischen Nachwuchs nach SachsenAnhalt holen können. Das ist eine weitere der Möglichkeiten, die wir vonseiten des Landes Sachsen-Anhalt unterstützen.
Frau Ministerin, wir reden ja über die Zukunft unseres Krankenkassensystems. In diesem Zusammenhang möchte ich vielleicht einmal eine etwas andere Frage stellen, um dieses doch sehr schwierige Thema ein wenig aufzulockern. Wissen Sie, wer in Deutschland wann und mit welchen Gesetzen die Grundlage für unser heutiges Krankenkassensystem geschaffen hat und wie diese Gesetze heißen?
Es wäre vielleicht auch noch interessant, einmal den damaligen Beitragssatz zu ergründen. Dieser unterscheidet sich ja deutlich von dem, den wir heute haben. Das führte am Ende ja zu der Situation in Deutschland, dass wir im letzten Jahrhundert über 20 000 Krankenkassen hatten. Heute haben wir noch ungefähr 250 Krankenkassen.
Vielleicht können Sie am Ende dann auch die Frage beantworten: Was meinen Sie, wie viele Krankenkassen sind notwendig, um allen Menschen für die Zukunft Sicherheit in dieser Frage zu gewährleisten?
(Frau Budde, SPD: Keine! - Frau Weiß, CDU: Ei- ne - wie zu DDR-Zeiten! - Zuruf von Herrn Tull- ner, CDU - Heiterkeit bei der CDU)
Also: nur begrenzt. Sie spielen auf Herrn Bismarck an, dem wir diese Errungenschaften zu verdanken haben.
Sie haben aber Recht, es hat diese enorme Anzahl an Krankenkassen gegeben. Als wir im Jahr 1990 die Deutsche Einheit vollzogen, hatten wir über 1 200 Krankenkassen. Ich war damals nach der Erfahrung in der DDR sehr erstaunt darüber und fragte mich, was denn eigentlich 1 200 Krankenkassen an Aufgaben zu erfüllen haben.
Im Laufe der letzten 18 Jahre hat sich die Anzahl reduziert; wir haben jetzt 212. Das soll wohl der aktuelle Stand sein, aber es gibt dort eine relativ starke Dynamik, sodass die Darstellung, die immer mal diskutiert wird, dass durch die Einführung des Gesundheitsfonds das Kassensterben einsetzen werde, nicht schlüssig ist. In den letzten 18 Jahren ist die Zahl der Krankenkassen in Deutschland um 1 000 gesunken, ohne dass das Versorgungssystem Schaden genommen hätte.
Welche Zahl von Krankenkassen sinnvoll, notwendig und richtig ist, vermag ich nicht zu sagen. Es wird sicherlich noch eine Dynamik der Fusionen von Krankenkassen eintreten. Wir haben gerade die jüngste Fusion zur Kenntnis genommen: TK und IKK haben sich zusammengeschlossen. Das wird weitergehen und ist auch unter dem Aspekt zu sehen, dass die kassenartenübergreifende Fusion nun erst möglich ist.
Ich finde es richtig, dass starke Kassen entstehen. Die Krankenkassen sind die Verhandlungspartner der Kassenarztseite und der Krankenhausseite, und alle sollen auf Augenhöhe verhandeln. Da finde ich es schon gut, wenn es starke, gut ausgerüstete, auch vom Verhandlungsmanagement und -geschick gut ausgestatte Kassen sind. Aber auf eine Zahl lege ich mich nicht fest, Herr Kurze.
Frau Präsidentin, darf ich zumindest die Namen und das Jahr noch nennen, damit wir nicht im Unklaren aus dieser Diskussion gehen? 1883 gab es die erste Krankenkasse. Sie wurde von Otto von Bismarck eingeführt und hatte einen Beitragssatz von 1,5 %. Heute haben wir einen durchschnittlichen Beitragssatz von 15 %.
Herr Kurze, Sie kriegen ein Bienchen. - Damit ist die erste Runde beendet. Ich habe sieben Nachfragewünsche auf dem Tisch. Ich habe die Spielregeln noch einmal erläutert. Wir haben jetzt 30 Minuten Zeit für Nachfragen. Zunächst erhalten die ersten vier Fragesteller - Herr Franke, dann Frau Dr. Späthe, Frau Bull sowie Frau Hüskens - das Wort. - Herr Franke, bitte sehr.
Frau Ministerin, der GKV-Spitzenverband hält den Einheitsbeitrag in Höhe von 15,8 % für notwendig, um die im Jahr 2009 zu erwartenden Ausgaben zu finanzieren. Der festgelegte Beitrag von 15,5 % würde demzufolge bereits im Startjahr zu einer massiven Unterdeckung des Fonds und einer breiteren Erhebung von Zusatzbeiträgen führen. Welche ausgabenbremsenden Sofortmaß
nahmen halten Sie für angemessen, um sicherzustellen, dass der festgelegte Beitrag ausreicht, um die Ausgaben in der GKV zu finanzieren?
Herr Franke, der gesetzliche Auftrag war, den Beitragssatz für 2009 so festzulegen, dass er 100 % der Ausgaben deckt. Ich gehe davon aus, dass die Festlegung auf 15,5 Beitragssatzpunkte dies gewährleistet. Deswegen gehe ich auch davon aus, dass im kommenden Jahr keine Zusatzbeiträge notwendig sein werden.
Frau Ministerin, sehen Sie das Inkrafttreten des Wettbewerbsstärkungsgesetzes als den Abschluss der Krankenkassenreform an?
Nein. Bisher hat sich nach meinen Erfahrungen der Spruch „Nach der Reform ist vor der Reform“ gerade in Bezug auf Gesundheitsreformen immer wieder bewahrheitet. Nach meiner Einschätzung wird die nächste Gesundheitsreform kommen, weil zwei Punkte tatsächlich der Weiterbearbeitung bedürfen. Das ist einmal die Bearbeitung der finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung. Da sind noch Reformschritte notwendig, das muss in den nächsten Jahren geschehen.
Ein zweiter Punkt betrifft die Versorgungsstrukturen im Interesse der Versicherten. Da spielt das demografische Problem eine wichtige Rolle. Wir haben in SachsenAnhalt schon an manchen Stellen die Situation, dass die medizinische Versorgung in der Fläche schwierig wird. All das, was bis jetzt strukturell an Instrumenten im SGB V in Bezug auf integrierte Versorgung, auf Aufhebung der noch relativ streng getrennten Sektoren vorhanden ist, ist nach meiner festen Überzeugung unzureichend. Wir werden noch Öffnungen und Möglichkeiten brauchen, um entsprechend der demografischen Entwicklung und den Herausforderungen, die für die medizinische Versorgung damit verbunden sind, auch andere Modelle der Versorgung einführen zu können.
Wir haben in Sachsen-Anhalt auf der letzten Gesundheitskonferenz - alle Abgeordneten, die dort waren, haben es mitbekommen - den Beschluss gefasst, die Gesundheitsziele in Sachsen-Anhalt, die ja präventiv auf Inhalte ausgerichtet sind, um ein Versorgungsziel zu ergänzen. Das heißt, wir wollen gemeinsam mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen weiter das Ziel verfolgen, dass die Versorgung in allen Regionen unseres Landes gesichert ist.