Protokoll der Sitzung vom 07.07.2006

Danke sehr, Frau Tiedge. - Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Dr. Kuppe um das Wort gebeten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Die Vorkommnisse in Pömmelte, die grausamen Handlungen an einem zwölfjährigen Jungen, waren im Januar 2006 Anlass für eine Aktuelle Debatte hier bei uns im Landtag. Es ging uns um ein gemeinsames Zeichen, sich klar und deutlich gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen rechte Angriffe zu äußern und diesen Vorfall auf das Schärfste zu verurteilen.

Die Ereignisse in Pretzien nehmen uns heute in die Pflicht, erneut und unmissverständlich unsere Haltung gegen Rechtsextremismus und für eine freiheitliche Gesellschaft hier im Landtag zu demonstrieren.

(Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der CDU)

Ich bin den Fraktionen von CDU, SPD und FDP für den vorliegenden gemeinsamen Antrag dankbar. Ich hätte es begrüßt, wenn es zu einem Antrag aller Fraktionen gekommen wäre.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der Linkspartei.PDS - Beifall bei der FDP)

Damit hätte der Landtag noch geschlossener seine Haltung gegen Rechtsextremismus, für Demokratie, für Menschenwürde und für Weltoffenheit zum Ausdruck bringen können. Ich bin aber davon überzeugt, dass dennoch über alle Fraktionen hinweg Einigkeit darin besteht, dass das zivilgesellschaftliche Engagement im Kampf gegen Rechts, gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus weiter gestärkt werden muss.

(Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS)

Ich will aus dem Tagebuch der Anne Frank einen Satz zitieren. Sie hat am 6. Juli 1944 aufgeschrieben:

„Wie schön und gut würden alle Menschen sein, wenn sie jeden Abend vor dem Einschlafen sich die Ereignisse des ganzen Tages vor Augen riefen und dann genau prüften, was gut und was schlecht gewesen ist an ihrem eigenen Auftreten.“

Dies allen zur Beherzigung.

Meine Damen und Herren! Wir sind alle sehr erleichtert, dass bei den letzten Landtagswahlen keine rechtsextreme Partei den Einzug in unser Parlament geschafft hat. Das ist auch ein Ergebnis der Anstrengungen von Vereinen und Netzwerken, die den Kampf gegen rechte Strömungen zum Ziel haben.

Wenn es auch keine parlamentarische Vertretung der rechtsextremen politischen Gruppierungen gibt, so sind sie doch auch in Sachsen-Anhalt öffentlich präsent. Sie unterwandern Strukturen und Veranstaltungen in Gemeinden, sie entfalten ihre gefährliche Tätigkeit inmitten unserer Gesellschaft.

Mit Besorgnis war dem Verfassungsschutzbericht 2005 für unser Bundesland zu entnehmen, dass die Zahl der Rechtsextremisten, die Zahl der politisch motivierten Straftaten und die der politisch motivierten Gewaltdelikte drastisch zugenommen haben. Das ist nicht hinnehmbar.

Die Übernahme der Schirmherrschaft durch den Ministerpräsidenten über das in der vergangenen Legislaturperiode gegründete „Netzwerk für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt“ unterstreicht den Stellenwert dieser Thematik bei der Landesregierung. Das Kabinett hat sich in Auswertung des Verfassungsschutzberichtes 2005 darauf verständigt, dass es in guter Kooperation dieses Netzwerk stärken will.

Ich will im Folgenden insbesondere auf den Punkt 3 des Alternativantrages eingehen und dabei auch zum Antrag der Linkspartei.PDS Stellung nehmen. Ich sage ganz klar: Das Auslaufen des Civitas-Programms zum Ende dieses Jahres wird am Engagement der Landesregierung im Kampf gegen Rechts und für ein tolerantes und weltoffenes Sachsen-Anhalt nichts ändern.

(Beifall bei der SPD)

Derzeit - Frau Tiedge, Sie haben es ausführlich beschrieben - wird das neue Bundesprogramm mit dem Titel „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entwickelt. Es fanden bereits erste intensive Fachgespräche dazu zwischen Bund und Ländern statt.

Vorgesehen ist, dass ein Programmbeirat unter Beteiligung der Länder als beratendes Gremium eingerichtet wird, der die weitere Planung und Umsetzung des Programms begleiten soll. Der Programmentwurf knüpft an die Erfahrungen mit der Umsetzung der bisherigen Aktionsprogramme an. Er ist, anders als bisher, auf Dauer angelegt, was ich begrüße. Es soll eine regelmäßige Überprüfung und Weiterentwicklung angestrebt werden.

Das Handlungskonzept zu dem neuen Programm setzt sich in seiner Vorschlagsvariante aus drei Säulen zusammen:

Die erste Säule beschreibt die Förderung von lokalen Aktionsplänen in kommunaler Verantwortung. Dabei sollen die Kommunen lokale Aktionspläne unter Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort entwickelt. Das ist grundsätzlich ein richtiges Vorgehen.

Die zweite Säule ermöglicht die Förderung von neuen Modellvorhaben, die überregional angelegt sein können und sich intensiv politischen Schwerpunkten, wie zum Beispiel der Arbeit mit rechtextremistisch gefährdeten Jugendlichen, annehmen.

Die dritte Säule ist auf der Ebene des Bundes angesiedelt. Sie umfasst die Steuerung und die wissenschaftliche Begleitung.

Das inhaltliche Spektrum des neuen Programms wird um einen präventiv-pädagogischen Ansatz verbreitert. Ein wichtiges Handlungsfeld soll auch der beruflichen Bildung eingeräumt werden. Der neue Fokus insgesamt ist, dass es künftig vermehrt um integrierte, lokale Strategien geht, deren Ziel die Stärkung der Zivilgesellschaft insgesamt ist.

Wir müssen - darin gebe ich Ihnen Recht, Frau Tiedge - bei den Gesprächen zwischen dem Bund und den Ländern starken Wert darauf legen, dass auch die Spezifika in Ostdeutschland noch stärker als bisher Berücksichtigung finden. Das wird auch unser Anliegen in der Arbeitsgruppe sein.

Nach dem jetzigem Stand wird der Bund jährlich 19 Millionen € für das Programm bereitstellen. Die Konditionen der Verteilung und die Konditionen der Kofinanzierung sind noch nicht ausreichend diskutiert. Das muss in den nächsten Wochen stattfinden.

Wir sind als Land daran interessiert, dass die Aktivitäten solcher Vereine und Institutionen wie des Vereins „Miteinander“ e. V., des Vereins Rückenwind e. V., das Engagement von lokalen und auch überregionalen Initiativen und Netzwerken berücksichtigt werden und dass wir auf die Stärken dieser Initiativen weiterhin setzen können. Das wird bei den Haushaltsvorbereitungen und Haushaltsdiskussionen im Herbst dieses Jahres natürlich zu einer finanziellen Untersetzung führen müssen.

Es gibt heute das Signal des Ministers der Finanzen, nachzulesen in der „FAZ“, dass auch er ein großes Interesse daran hat, die zivilgesellschaftlichen Strukturen, gerade die Arbeit mit der Jugend in unserem Land, im Kampf gegen Rechts auch finanziell zu fördern.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

- Herr Bullerjahn, unser Finanzminister. - Insofern sehe ich den Haushaltsberatungen optimistischer entgegen, als Sie es getan haben, Frau Tiedge. Wir müssen einen Schwerpunkt setzen im Kampf gegen Rechts. Ich denke, dass sich der Landtag darin einig sein wird.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Ministerin. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Scharf.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aussondern oder integrieren? Die Frage des Umgangs mit jungen Menschen, die mit extremistischem Gedankengut schwanger gehen, stellt sich immer wieder allen, die sich um die Zivilgesellschaft kümmern, seien es Vereinsvorsitzende, seien es Bürgermeister, seien es Stadt- und Gemeinderäte oder wer auch immer.

Aussondern oder integrieren? Diese Frage stellt sich auch uns als Landtagsabgeordneten. Für die CDU-Fraktion ist, so denke ich, klar: Wir dürfen und wir werden keinen Menschen aufgeben.

(Zustimmung von Minister Herrn Dr. Daehre)

Jeder Mensch ist es wert, dass man sich um ihn sorgt und versucht, ihn in die Mitte der Gesellschaft zurückzuführen. Ich weiß, dass das im Alltag alles andere als leicht ist. Die Ideologien hauptsächlich junger Rechts- und Linksextremisten machen immer wieder fassungslos. Es kostet sehr viele Mühe und Überwindung, auf diese Menschen zuzugehen. Die Ergebnisse eines solchen Engagements sind oft frustrierend, da sie oft nicht den erhofften Erfolg bringen.

Die aktive Auseinandersetzung und eine gelebte Vorbildrolle, zum Beispiel in der Feuerwehr, im Fußballverein oder in Heimatvereinen, ist aber allemal besser als eine Mauer des Schweigens oder des Wegschauens, wie wir es auch immer wieder erleben müssen.

Wir wollen es schaffen, dass junge Menschen zu starken Persönlichkeiten herausgebildet werden. Deshalb war

auch die Aktuelle Debatte heute Morgen wichtig, weil wir der Auffassung sind, dass starke, in sich gefestigte Jugendliche am ehesten immun sind gegen extremistische Infiltration, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Wenn auch längst nicht jedes Vorhaben gelingt, Jugendliche wieder auf den rechten Weg zurückzubringen, so werden sie von mir von diesem Podium aus keinen Vorwurf an den Bürgermeister und an den Gemeinderat von Pretzien hören, auch wenn ihr Versuch letztlich keinen Erfolg hatte. Aber sie haben sich um ihren Ort gekümmert, meine Damen und Herren. Das erkenne ich an.

(Zustimmung bei der CDU)

Es stellt auch überhaupt keinen Widerspruch dar, sich um junge Rechtsextremisten zu kümmern und gleichzeitig eine harte Kante zu zeigen, wo Grenzen massiv überschritten worden sind.

(Zuruf von Frau Bull, Linkspartei.PDS)

Letztlich, meine Damen und Herren, hat das der Vorfall in Pretzien gezeigt. Die zivilgesellschaftlichen Schutzmechanismen vor Ort haben nach meiner Auffassung gegriffen. Die Veranstaltung wurde beendet und aufgelöst und auch der Heimatbund hat sich inzwischen aufgelöst. Dieses ist - das hat eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes noch einmal klargestellt - durch die Bürgerinnen und Bürger des Ortes bei der Veranstaltung an dem Abend passiert, als sie gesehen haben, welche Funktion diese Veranstaltung letztlich einnehmen sollte.

Ich meine schon, dass die Bürgerinnen und Bürger in Pretzien sich ihrer Verantwortung vor Ort bewusst geworden sind. Freilich werden sie noch Wochen und Monate damit zu tun haben, diese Geschichte aufzuarbeiten. Die ersten Versammlungen werden wohl nur die ersten Schritte einer notwendigen Serie sein.

Gleichwohl müssen wir über das Geschehene tief betroffen sein. Der Ministerpräsident hat sich in dieser Weise geäußert und ich möchte mich diesem vollinhaltlich anschließen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass die notwendigen strafrechtlichen Maßnahmen inzwischen eingeleitet worden sind und auch greifen werden. Nach all dem, was ich in der Zeitung gelesen habe, wird es strafrechtliche Konsequenzen für dieses Verhalten geben müssen. Denn es wurden an dem besagten Abend eindeutig Straftatbestände erfüllt und diese müssen von der Gesellschaft auch strafrechtlich geahndet werden. Freilich bin ich kein Ermittler, wir haben eine Gewaltenteilung und letztlich wird die Justiz darüber befinden, meine Damen und Herren.

Nach meiner Auffassung muss als wichtiges Signal an die Menschen in Sachsen-Anhalt gesagt werden: Wir sind gegen jede Form des Extremismus, sei er politisch oder religiös motiviert. Wir sind gegen jede Form des politischen Extremismus, meine Damen und Herren.

Deshalb muss ich den Kolleginnen und Kollegen von der PDS heute wieder sagen: Wenn Sie nicht diesen Dreiklang bringen, gegen jegliche Form des politischen Extremismus zu sein, dann wird es schwer fallen, mit Ihnen gemeinsame Anträge zu formulieren. Ich bin aber sehr froh, dass sich zumindest die Fraktionen der SPD, der FDP und der CDU auf einen gemeinsamen Antragstext geeinigt haben. Es ist kein besonders gutes Zeichen dieses Hauses, dass wir die Gemeinsamkeit aller Fraktionen in dieser Frage nicht haben herstellen können, meine Damen und Herren.

Das zweite Signal, das heute ausgesandt werden muss, ist folgendes: Wir sind uns des überproportionalen Anstiegs rechtsextremistischer Straftaten bewusst und nehmen den Auftrag an, unsere Strategie zur Bekämpfung dieser Straftaten zu verbessern; so ist es in unserem Alternativantrag nachzulesen.

Wir als CDU und als Koalition werden und können aber heute keine Vorwegentscheidungen zum Haushalt für das Jahr 2007 und die folgenden Jahre fällen. Das war in diesem Hause noch nie üblich.