Protokoll der Sitzung vom 20.02.2009

Nur Mut, nur Mut!

(Herr Czeke, DIE LINKE: Sicher! - Herr Borg- wardt, CDU, und Herr Gürth, CDU, lachen - Zu- rufe von Frau Dr. Hüskens, FDP, und von Herrn Wolpert, FDP)

Da können Sie dann jeden überzeugen. Herr Kollege Czeke - das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen -, wir sind in vielen Punkten uneins. Wir sind uneins, was die Frage der Verteidigungspolitik in Europa betrifft. Wir sind uneins in der Frage des Binnenmarktes und wir sind an der einen oder anderen Stelle - das liegt in der Natur der Sache - auch in der Frage der Zukunft der Agrarsubventionen unterschiedlicher Meinung.

Was man Ihnen aber nicht vorwerfen kann, ist, dass Sie sich nicht mit der Materie auseinandersetzten oder dass Sie nicht versuchten, Ihre Sichtweise zu erläutern. Das ist viel mehr wert als einzelne Politiker in Europa, die sich mit ihrem blanken Nein zu Europa und ihrem blanken Nein zum Verfassungsvertrag einer Diskussion darüber entziehen. Sie stellen sich wenigstens der Diskussion.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sehe dieser Diskussion aber gelassen entgegen, weil ich glaube, dass wir auf unserer Seite die besseren Argumente haben, nämlich für ein Europa, für den Lissabon-Vertrag, für die europäische Integration, als diejenigen, die dieses ablehnen.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt unterschiedliche Untersuchungen über die Frage, wie viel Einfluss europäische Entscheidungen in Brüssel auf die nationalen Gesetzgebungsverfahren haben. Eine Untersuchung des Deutschen Bundestages besagt: 40 % der Entscheidungen werden durch Gesetzgebungsverfahren

in Berlin getroffen. 84 % sind es - das ist die Spannweite -, sagt Altbundespräsident Roman Herzog. Ich glaube, die Wahrheit liegt dazwischen.

Es gibt Bereiche, etwa den Umweltbereich - jetzt ist die Umweltministerin leider gerade aus dem Saal gegangen -, in dem wir mittlerweile einen so hohen Anteil an europäischen Regelungen haben, die wir nur noch in nationales Recht umsetzen müssen, dass wir nahe an die von Roman Herzog angegebenen 84 % herankommen.

(Herr Czeke, DIE LINKE: Landwirtschaft!)

- Die Landwirtschaft, natürlich, Herr Czeke, die darf man bei der Gelegenheit nicht vergessen.

Es gibt andere Bereiche, die bisher eher verschont geblieben sind, die aber in den letzten Jahren aufgeholt haben und in den nächsten Jahren aufholen werden. Herr Staatsminister, Sie haben einen solchen Bereich genannt, nämlich den Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts. Ich will Ihnen deutlich sagen: Da müssen wir bei den Bürgern, insbesondere aber bei einzelnen Berufszweigen die Lust wecken, sich mit Europa zu beschäftigen.

(Zustimmung bei der FDP)

Juristen haben das über viele Jahrzehnte schon gemacht, allerdings eine sehr kleine Gruppe von Juristen. Heute werden Entscheidungen in Brüssel getroffen, die auch auf die Zukunft des deutschen Rechts Einfluss nehmen werden, weil wir eine Rechtsharmonisierung haben.

Dies ist nicht nur bei der Frage einer gemeinsamen Zuständigkeitsordnung in Zivilsachen so, sondern es sind mit dem europäischen Haftbefehl und mit der Arbeit an einem materiellen Familienrecht für Europa mittlerweile auch andere Bereiche betroffen. Diese Entscheidungen bekommen wir vorgesetzt. Die Regelungen gelten dann für uns. Deshalb müssen sich auch die entsprechenden Berufszweige umstellen. Deshalb ist es wichtig, die Angehörigen der Berufszweige auch in ihrer Eigenschaft als Bürger dafür zu sensibilisieren, dass Europa eben mehr ist als nur der Binnenmarkt oder das Klagen über Bürokratie.

(Beifall bei der FDP)

Europa setzt mittlerweile Regeln fest, die in vielen Bereichen eine entscheidende Rolle spielen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will noch weitere Probleme ansprechen. Das Wichtigste ist Transparenz. Die kommt nicht von heute auf morgen. Aber die Schaffung von Transparenz sollte unser Ziel sein, zum Beispiel die Transparenz von Entscheidungen im Rat, die wir nicht nachvollziehen können.

Willy Brandt hat einmal gesagt - das finde ich an dieser Stelle zur Transparenz ganz erwähnenswert -:

„Mit den Europa-Verhandlungen verhält es sich wie mit dem Liebesspiel der Elefanten: Alles spielt sich auf hoher Ebene ab, wirbelt viel Staub auf - und es dauert sehr lange, bis etwas dabei herauskommt.“

(Zustimmung bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das beschreibt es genau. Das heißt aber, wir dürfen nicht resignieren, sondern müssen weitermachen, wir müssen für Europa werben.

Davon kann uns nicht abhalten, dass die Europäische Union bzw. das europäische Parlament eine Sonnenschutzrichtlinie auf den Weg bringen will, die in Bayern zum Dirndl-Verbot in Biergärten führen würde oder dazu, dass die Bauarbeiter Schutzkleidung tragen müssen, wenn die Sonne scheint.

Mich bringt auch das Glühbirnenverbot nicht aus der Fassung, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu dem Fachleute feststellen: Das ist blinder Aktionismus, das zeugt von Regulierungswut und das hilft der Klimapolitik gar nicht. Wenn ich jetzt höre, dass Professoren der Charité sagen, dass Energiesparlampen gefährlich seien, weil darin zu viel Blaulicht enthalten sei, das den menschlichen Körper wach hält, weshalb man nicht mehr in einen natürlichen Schlafrhythmus findet, dann frage ich mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, ob die Energiesparlampe wirklich die Lösung unseres Problems ist. - Ich meine nicht.

(Beifall bei der FDP)

Sie werden es mir an dieser Stelle auch nicht verdenken, dass ich auf das Schnitzelverbot eingehe. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn das Europäische Parlament den Bürgern in einer Verordnung sagt, sie sollen weniger Schnitzel essen, dann frage ich mich: Was geht das das europäische Parlament an?

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Ich sage das ausdrücklich. Das hat nichts damit zu tun, dass wir mit Blick auf den Klimawandel und den Klimaschutz mehr artgerechte Tierhaltung und eben weniger Massenviehhaltung brauchen, wozu der Bürger mit weniger Fleischnachfrage einen Beitrag leisten könnte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das sind Entscheidungen, die der Bürger selbst treffen kann. Die können auch die Regionen selbst treffen.

Eine letzte Bemerkung möchte ich noch anbringen, Herr Präsident. Ich will eines deutlich machen: Sachsen-Anhalt ist in Europa gut aufgestellt. Sachsen-Anhalt bringt sich an den wichtigen Punkten auch exponiert ein.

(Zuruf von der LINKEN: Ja!)

Wir machen das mit dem Netzwerk der Chemieregionen, in dem sich mittlerweile eine Gruppe zusammengefunden hat, die die europäische Politik begleitet. Dort ist Sachsen-Anhalt führend.

Wir machen das auch im Bereich des Ausschusses der Regionen, in dem wir mit Herrn Staatssekretär Schneider einen Ansprechpartner für Kohäsionspolitik haben. Das ist wichtig für unser Land, weil wir in dieser Förderperiode Strukturfondshilfen in Höhe von 3,4 Milliarden € bekommen. Wenn wir an dieser Diskussion nicht dranbleiben, kann es uns passieren, dass wir nach 2013 nichts mehr bekommen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Deshalb ist es wichtig, die Fachleute nach vorn zu bringen. Sachsen-Anhalt ist ein kleines Land, aber dort, wo wir können, bringen wir uns ein. Auch das muss an dieser Stelle gesagt werden.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, wir alle können unseren Beitrag dazu leisten, die Bürger für Europa zu begeistern, sei es in einer kritischen Diskussion, sei es in einer pro-europäischen Rede. Europa ist

wichtig. Wir brauchen jeden, der mitdiskutiert, jeden, der das Projekt unterstützt; denn Europa bietet alles, was wir brauchen: das Fundament für Frieden, für Freiheit, aber eben auch für Wohlstand. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. Ich glaube, Sie haben auch die Gäste auf den Besuchertribünen begeistert. - Ich begrüße Schülerinnen und Schüler der Comenius-Sekundarschule aus Salzwedel sowie Damen und Herren von der Bildungsgesellschaft Magdeburg. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zum letzten Debattenbeitrag, dem Beitrag der CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Borgwardt hat das Wort. Bitte schön, Herr Borgwardt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war doch sehr gut beraten, dem sehr verehrten - „hoch verehrten“ würden manche sagen - Kollegen Kosmehl die zwei Minuten abzutreten. Er hat dies nicht nur dadurch gerechtfertigt, dass er eine Rede für ein Europa in Freiheit und Verantwortung gehalten hat, sondern es hat auch einen gewissen Unterhaltungswert gehabt. Auch das braucht Europa. Insofern, glaube ich, waren die zwei Minuten ganz gut investiert.

(Zustimmung bei der FDP)

„Das Jahr 2009 wird kein einfaches Jahr für die Europäische Union werden.“ - Mit diesen Worten begann der tschechische Botschafter Dr. Rudolf Jindrák seine Rede vor dem Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten zur Vorstellung des Programms der tschechischen Ratspräsidentschaft anlässlich unserer Sitzung am 12. und 13. Februar in Berlin.

Worauf er anspielte, war jedem klar. Die von den Finanzmärkten ausgelöste globale Krise hat Europa mit einer Reihe großer Herausforderungen konfrontiert, die sich auf sämtliche Politikbereiche sowie auf den sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt auswirken werden.

Viele der Wirtschaftsprognosen, die der Planung für den Zeitraum 2007 bis 2013 zugrunde lagen, wie vernünftiges Wirtschaftswachstum, relativ stabile Energie- und Rohstoffpreise sowie Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse usw., haben heute keine Gültigkeit mehr. Die Fachleute sind sich uneinig über die Dauer und die Folgen der Krise.

Während Optimisten niedrige Wachstumszahlen vorhersagen, prognostizieren Pessimisten eine starke Rezession, und viele gehen von einem längeren Zeitraum der wirtschaftlichen Stagnation aus. Europa braucht daher verlässliche Führungsstrukturen in Wirtschaftsfragen. Eine wirksame Aufsichtsstruktur über Hedgefonds und Rating-Agenturen sowie die Beseitigung von Steueroasen muss weltweit durchgesetzt werden. Nur so wird es möglich sein, wieder Vertrauen in die Märkte zu bringen.

Maßgeblich tragen dazu die Rettungsschirme bei, mit denen die Geschäftspolitik der Banken in Richtung Dau

erhaftigkeit, Nachhaltigkeit und nicht zuletzt auch in Richtung Veränderungen bei den Anreizsystemen und den Vergütungsstrukturen gesteuert wird. Schließlich fördern auch die konjunkturellen Maßnahmen der Bundesregierung die wirtschaftliche Revitalisierung über das Jahr 2009 hinaus.