Protokoll der Sitzung vom 03.09.2009

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zum Staatsvertrag über die Einrichtung eines nationalen Mechanismus aller Länder nach Artikel 3 des Fakultativprotokolls vom

18. Dezember 2002 zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 5/2159

Die Einbringerin ist die Ministerin der Justiz Frau Professor Dr. Kolb. Es ist vereinbart worden, hierzu eine Fünfminutendebatte zu führen. Frau Ministerin, Sie haben zur Einbringung das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sie sehen, die Bezeichnung von Gesetzentwürfen im Bereich der Justiz ist manchmal etwas unverständlich und sperrig. Deshalb möchte ich zunächst die Frage beantworten, worum es bei diesem Gesetzentwurf konkret geht.

Mit diesem Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag nach Artikel 3 des Fakultativprotokolls soll eine Länderkommission zur Verhütung von Folter eingerichtet werden. Daraus ergibt sich schon die nächste Frage: Weshalb brauchen wir eine Länderkommission zur Verhütung von Folter in einem Land, in dem die Grundrechte hochgehalten werden?

Folter ist eine ernste Verletzung von Menschenrechten und ist durch internationales Recht strengstens verboten. Da die Anwendung von Folter auf das Herz bürgerlicher und politischer Freiheiten zielt, war dies eines der ersten Probleme, deren sich die Vereinten Nationen angenommen haben.

Trotz dieses weltweiten Verbots der Folter hat Amnesty International im Jahr 2001 in einem Bericht festgestellt, dass in dem Zeitraum zwischen 1997 und 2001 in 140 Ländern Folter angewandt wurde - und das, wie gesagt, obwohl das Antifolter-Übereinkommen bereits im Jahr 1997 in Kraft getreten ist.

Sie sehen also, dass internationale Übereinkommen nicht ausreichen, um das Ziel der Verhinderung von Folter tatsächlich umzusetzen. Deshalb ist im Jahr 2002 mit dem Fakultativprotokoll ein internationaler Kontrollmechanismus vereinbart worden. Dieser Kontrollmechanismus soll nun endlich - das muss man einmal feststellen -, sieben Jahre nach der Vereinbarung des Fakultativprotokolls, in Deutschland umgesetzt werden.

Im Rahmen der in Dresden durchgeführten Justizministerkonferenz ist der Staatsvertrag zur Einrichtung einer Länderkommission zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung in freiheitsentziehenden Einrichtungen von allen 16 Bundesländern unterzeichnet worden. Dieser Staatsvertrag betrifft zuvörderst die Justizbehörden und den Maßregelvollzug. Aber auch der Polizeigewahrsam, die Psychiatrie und geschlossene Alten- und Pflegeheime fallen in den Anwendungsbereich dieses Staatsvertrags.

Damit leisten die Länder ihren Beitrag zur Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtung, die die Bundesrepublik eingegangen ist. Für die Bundesbehörden - das möchte ich ergänzend sagen - wird es eine zweite Kommission mit dem gleichen Aufgabenbereich für die in der Obhut des Bundes befindlichen Personen geben. Diese beiden Kommissionen sollen organisatorisch mit einer Geschäftsstelle bei der Kriminologischen Zentralstelle, der

so genannten KrimZ, in Wiesbaden angebunden werden.

Meine Damen und Herren! Wie soll diese Kommission arbeiten? - Wichtig ist, dass die Kommission unabhängig ist. Sie hat vier ehrenamtliche Mitglieder. Sie kann unangemeldet Einrichtungen des Freiheitsentzuges aufsuchen. Sie hat also entsprechende Besuchs-, Auskunfts-, Vorschlags- und Empfehlungsrechte. Die Hauptaufgabe dieser Kommission besteht darin, dass sie quasi präventiv darauf achten soll, dass Personen, die in der Obhut des Staates sind, weder misshandelt noch in irgendeiner anderen Form unangemessen behandelt werden.

Wir haben uns hier länderübergreifend auf das Modell einer Länderkommission verständigt. Dies geschah zum einen, um diese Überprüfung mit einheitlichen Kriterien und Maßstäben vornehmen zu können, und zum anderen, um den Aufwand, der in den einzelnen Bundesländern betrieben werden muss, auf ein vertretbares Maß zu begrenzen.

Ich halte das für eine gute Einrichtung. Ich bitte den Landtag deshalb, dem Gesetzentwurf zum Staatsvertrag nach der Behandlung in den entsprechenden Ausschüssen zuzustimmen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Sie meinen sicherlich den Ausschuss für Recht und Verfassung?

(Herr Stahlknecht, CDU: Ja!)

Wir kommen zu der angekündigten Fünfminutendebatte, meine Damen und Herren. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Tiedge. Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht zuletzt durch die Veröffentlichung eines lange geheim gehaltenen CIA-Berichtes über Folter und Misshandlungen von Gefangenen ist das unmenschliche Agieren von USSicherheitsbehörden wieder einmal in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit gerückt.

Die Menschrechtsorganisation Human Rights Watch hat 350 Fälle von schlimmen Misshandlungen erfasst. Und die Verantwortlichen werden nicht müde zu verkünden, die Misshandlungen hätten Leben gerettet und Terroranschläge verhindert. - Was für eine menschenverachtende Heuchelei; denn die unter der Folter gestandene Wahrheit ist immer die Wahrheit des Folterknechtes.

Heiner Bielefeldt schrieb in seiner Publikation „Das Folterverbot im Rechtsstaat“ Folgendes:

„Für die meisten Menschenrechte gilt, dass sie unter bestimmten, eng definierten Umständen Einschränkungen erfahren können. Sie können darüber hinaus im Falle unmittelbarer Kollision gegen andere Menschenrechte konkret abgewogen und in der Situation eines Staatsnotstands - unter streng geregelten Bedingungen - zeitweilig beschränkt werden. Für das Folterverbot bestehen diese Möglichkeiten nicht. Es … behält seine ausnahmslose Geltung selbst im Falle von Notstand oder Krieg.“

Meine Damen und Herren! Es gibt kein höheres Gut als das menschliche Leben und die körperliche Unversehrt

heit. Aus diesem Grund ist das Verbot der Folter ausnahmslos und unmissverständlich. Es wurde deshalb als oberstes Gebot mit einer Ewigkeitsgarantie in Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, in Artikel 3 der Menschenrechtskonvention, der Antifolter-Konvention der Vereinten Nationen sowie in Artikel 1 des Grundgesetzes und in Artikel 4 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt festgeschrieben.

Ein Aufweichen würde nicht nur gegen nationales und internationales Recht verstoßen; es wäre für die Demokratie und den Rechtsstaat sogar kreuzgefährlich. Denn es würde an den bislang für unantastbar gehaltenen Verfassungsprinzipien wie der Würde des Menschen und den darauf fußenden strafprozessualen Grundstandards rütteln, die das Wesen des Rechtsstaates ausmachen. So schlimm und grausam einzelne Kapitalverbrechen sind, sie rechtfertigen jedoch nicht den Ruf nach einem so genannten übergesetzlichen Notstand, in dem scheinbar der Zweck jedes Mittel heiligt.

Nicht erst die jüngsten Veröffentlichungen über Folter durch USA-Behörden haben zu der Erkenntnis geführt, dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen nicht ausreichen, um das Folterverbot in den einzelnen Ländern kontrollierbar umzusetzen. Bereits im Jahr 1978 wurde die Idee eines Zusatzprotokolls zur Antifolter-Konvention der Vereinten Nationen geboren; allerdings dauerte es bis zum 9. Januar 2003, als das Fakultativprotokoll von der Generalversammlung der Vereinten Nationen endlich beschlossen wurde. Am 22. Juni 2006 trat es nach der Ratifizierung durch die erforderliche Mindestzahl von 20 Staaten in Kraft.

In der BRD wurde das Protokoll dann aber erst am 5. Juni 2008 durch den Bundestag ratifiziert. Lange - um nicht zu sagen: zu lange - hat es gedauert, bis der Gesetzentwurf zu dem in Rede stehenden Staatsvertrag eingebracht wurde, was laut einer Kritik in der Bundestagsdebatte nicht zuletzt an den Regierungen der Länder Sachsen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt lag.

Es wird nicht besser, wenn die Bundesrepublik gegenüber den Vereinten Nationen erklärt, dass die Verpflichtungen zur Folterprävention hinausgeschoben werden müssten, weil der Staatsvertrag zwischen den Ländern eine nicht genau vorhersehbare Zeit in Anspruch nehmen werde. Dass Deutschland als einziges Land von der Aufschubmöglichkeit Gebrauch machte, stieß beim Deutschen Institut für Menschenrechte auf Unverständnis.

Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter wurde unter anderem auch deshalb notwendig, weil man feststellen musste, dass weitere Maßnahmen erforderlich sind, um die Ziele des Übereinkommens zu erreichen und den Schutz von Menschen vor Folter und Misshandlungen zu verstärken. Das ist politisch und menschlich gesehen ein Armutszeugnis für die Situation der Welt im 21. Jahrhundert.

Aber solange es so ist, ist zumindest der nach Artikel 3 des Fakultativprotokolls geforderte innerstaatliche gesetzliche Rahmen ein erster Schritt. Dabei wird vom Institut für Menschrechte die schwache finanzielle Ausstattung kritisiert, aber auch die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. So soll im Zuständigkeitsbereich des Bundes, also bei der Bundeswehr oder der Bundespolizei, eine Bundesstelle, die vom Bundesministerium für Justiz eingerichtet wird, diese Aufgaben wahrnehmen.

Die Aufgaben, die im Zuständigkeitsbereich der Länder liegen, also Strafvollzug, Polizei, Psychiatrie und anderes, sollen durch eine per Staatsvertrag einzurichtende Kommission wahrgenommen werden. Das würde aus unserer Sicht jedoch nicht zu einer effektiven Präventionsarbeit führen. Da wir eine solche gesetzliche Regelung jedoch für notwendig erachten, werden wir der Überweisung des Gesetzentwurfes an den Ausschuss für Recht und Verfassung zustimmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Frau Tiedge. - Wir kommen nun zum Beitrag der CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Herr Stahlknecht hat das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin mir sicher, dass wir in diesem Hohen Hause alle gemeinsam gegen Folter und für ein Verbot von Folter sind. Dies ist selbstverständlich und hat in Deutschland insbesondere aufgrund der unsäglichen Geschichte zwischen 1933 und 1945 mehrfach Eingang in gesetzliche Vorschriften gefunden.

Zum einen hat das Folterverbot, wie von Frau Tiedge genannt, in Artikel 1 des Grundgesetzes Eingang gefunden: Die menschliche Würde ist unantastbar, die Unversehrtheit des Lebens und der Gesundheit wird gewährleistet.

Zum anderen hat das Folterverbot auch in untergesetzliche Regelungen Eingang gefunden, zum Beispiel in die Strafprozessordnung und in Regelungen für die Durchführung von Ermittlungsverfahren. §§ 136 und 136a der Strafprozessordnung verbieten den Einsatz bestimmter Vernehmungsmethoden.

Selbstverständlich ist Folter auch nach einem abgeschlossenen Strafverfahren im Rahmen der Vollzugshaft nicht nur moralisch verwerflich, sondern gesetzlich verboten. Wenn es an dieser Stelle zu Folter kommen würde, also zu Übergriffen auf die körperliche Unversehrtheit, gäbe es Strafverfahren gegen diejenigen, die dies tun würden. Insofern sind wir in Deutschland, was das Verbot von Folter angeht, gut aufgestellt.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Es hat einmal eine kurz aufflammende Diskussion, ausgehend von einem Frankfurter Polizeipräsidenten, gegeben. Damals hat man im Zusammenhang mit einer Entführung, bei der man sich nicht sicher war, ob das entführte Opfer noch lebte, versucht, den Beschuldigten - als solcher war er in diesem Verfahrensstadium zu bezeichnen - mit verbotenen Vernehmungsmethoden dazu zu nötigen, das Versteck des Entführten preiszugeben. Das ist in der juristischen Fachliteratur einhellig als nicht gerechtfertigt bezeichnet worden; der Polizeipräsident musste seinen Hut nehmen.

Daran sehen Sie, Frau Tiedge, dass wir auch diese Diskussion in Deutschland hinter uns haben. Damit wird relativ klar: Wir stehen auf rechtsstaatlichen Füßen und lassen uns auch in solchen Grenzkonflikten nicht in Versuchung bringen.

Ungeachtet dessen sind wir damit einverstanden und unterstützen es, dass in all den anderen Staaten, die möglicherweise einen erheblichen Nachholbedarf in dieser humanistischen, in dieser rechtsstaatlichen Auffas

sung haben, Kontrollkommissionen eingerichtet werden, die länder- und nationalstaatsübergreifend unter den gleichen Voraussetzungen arbeiten.

Daher ist das, was mit dem Staatsvertrag ratifiziert worden ist und was wir gemeinsam im Rahmen der zweiten Lesung beschließen wollen, genau richtig. Es ist auch richtig, Frau Tiedge, dass wir unabhängig von dem föderalen System eine Kommission für die gesamte Republik, also für alle Länder, geschaffen haben; denn dort muss mit einheitlicher Zunge, mit einheitlicher Sprache gesprochen werden, damit in den Fällen, in denen der Verdacht von Misshandlungen in der Strafhaft aufkommt, relativ schnell reagiert werden kann.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuss für Recht und Verfassung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Stahlknecht. - Wir kommen nun zum Beitrag der FDP-Fraktion. Der Abgeordnete Herr Wolpert hat das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist nun eine lange Geschichte; Frau Tiedge hat sie aufgezählt. Das Abkommen der UN zum Folterverbot stammt aus dem Jahr 1984. Es sind 25 Jahre vergangen, bis wir uns dazu entschlossen haben, in Deutschland ebenfalls eine Kontrollinstanz zu installieren.

Ja, Herr Stahlknecht, Sie haben auf den Aspekt hingewiesen, dass es für andere Länder wichtig ist, dass wir weltweit eine solche Instanz installieren, aber ich denke, das ist auch für Deutschland notwendig. Es ist nicht nur ein Haufen von Gutmenschen bei der UN, der glaubt, dass das notwendig ist.