Sie sagten, an dieser Stelle solle das eingebunden werden, aber dabei sei zu beachten, dass das Grundgesetz ohnehin einen generellen Diskriminierungsschutz sicherstelle und dass deswegen nicht im Einzelnen unter anderem das Problem der sexuellen Identität aufgenommen werden müsse.
Ich argumentiere an dieser Stelle rein formal: Mit dieser Argumentation müsste man Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes ebenfalls für verzichtbar erklären. Denn diese Argumentation trifft in gleichem Maße auf alle Merkmale zu, die Sie vorgelesen haben: Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache usw.
Wenn es Ihre Argumentation ist, es gebe ohnehin einen allgemeinen Diskriminierungsschutz im Grundgesetz, dann dürfte ich nirgends irgendein Merkmal aufzählen. Wenn ich es doch mache, dann ist es auch legitim, andere Merkmale zu ergänzen, bei denen es ganz offensichtlich ein gesellschaftliches Problem gibt.
Herr Gallert, ich gebe Ihnen insoweit Recht - deswegen hatte ich einleitend gesagt, dass ich nicht aus der sozialpolitischen Sicht, sondern aus der juristischen Sicht meine Meinung vortrage -, als man, wenn man das Grundgesetz mit dem Ausgangspunkt, die Würde des Menschen ist unantastbar, ernst nimmt, eine Differenzierung, also eine Aufzählung in Artikel 3 Abs. 3 nicht benötigt hätte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das heißt allerdings nicht, dass man diese Aufzählung, weil es sie
nun einmal gibt, unendlich weiterführen kann. Dagegen jedenfalls wird sich die FDP aussprechen. Ich habe Ihnen vorgetragen, warum wir diesem Antrag nicht folgen können.
Die Meinung der FDP, die Sie eben dargelegt haben, ist bekannt. Die Diskussion ging schon so weit, dass gefragt wurde, ob auch Brillenträger und dergleichen aufgenommen werden sollten. Aber das lasse ich jetzt einmal beiseite.
Sie sind Jurist. Teilen Sie meine Meinung, dass es dann, wenn wir die sexuelle Integrität in die Aufzählung in Artikel 3 des Grundgesetzes aufnehmen, einfacher ist, die letzten Gesetze, die noch diskriminieren, zu ändern, als unter der geltenden Regelung?
Frau Kollegin Schmidt, ich kann Ihre Auffassung nicht teilen, weil die Schaffung von Regelungen, mit denen eingetragene Lebenspartnerschaften der Ehe gleichgestellt werden, ein Auftrag ist, den der Gesetzgeber bereits hat. Dafür bedarf es keiner Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes. Entsprechende Änderungen hat der Gesetzgeber in Berlin unter Rot-Grün mit dem Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft installiert. Das Bundesverfassungsgericht hat es für verfassungsgemäß gehalten. Dies bedeutet, dass wir die eingetragene Lebenspartnerschaft wie eine Ehe behandeln müssen und aus meiner Sicht auch sollten.
Auch in der letzten Legislaturperiode - Sie werden sich daran erinnern - hat die FDP-Fraktion durchaus darauf hingewiesen, dass zum Beispiel Änderungen im Abgeordnetengesetz erforderlich sind. Unser damaliger Koalitionspartner hat dies damals nicht gewollt, was im Übrigen nicht der Intention des Koalitionspartners entsprechen konnte - das will ich an dieser Stelle auch einmal sagen -, weil dies nämlich zu einer Bevorzugung der eingetragenen Lebenspartnerschaft führt. Denken Sie nur an das Beschäftigungsverbot von Mitarbeitern von Abgeordneten. So dürfen Ehemänner und Ehefrauen nicht beschäftigt werden, während die eingetragenen Lebenspartner beschäftigt werden dürfen. Das war sicherlich nicht die Intention.
Meiner Meinung nach ist es also jetzt schon Auftrag des Gesetzgebers, diese Institution, die das Verfassungsgericht für verfassungsgemäß erklärt hat, umzusetzen. Dazu bedarf es dieses weiteren Merkmals im Grundgesetz nicht.
Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Wir kommen zum Beitrag der CDU. Die Abgeordnete Frau Gorr hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag fordert die Fraktion DIE LINKE die Landesregierung auf, auf der Bundesratsebene existierende Initiativen der drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg zur Erweiterung des Artikels 3 Abs. 3 des Grundgesetzes um das Merkmal „sexuelle Identität“ zu unterstützen bzw. eine eigene Bundesratsinitiative zu dem Thema einzubringen. Wir haben das schon ausführlich gehört.
Alle Parteien haben heute früh im Rahmen der Aktuellen Debatte in diesem Hohen Hause darauf hingewiesen, welch hohes Gut die Meinungsvielfalt in einem freiheitlich-demokratischen Parlament darstellt. Es gibt Themen, da müssen auch die Partner in einer Regierungskoalition ihre unterschiedlichen Auffassungen vortragen können und dürfen. Der jeweils andere Partner kann und wird dies aushalten. Das ist ganz normal, wenn zwei große Volksparteien gemeinsam eine Regierungskoalition stellen. Dies muss ganz besonders gelten, wenn das Thema eine Erweiterung des Grundgesetzes mit sich bringen soll.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte für die CDU-Fraktion darstellen, warum wir den Antrag der LINKEN ablehnen werden.
Die CDU respektiert die Entscheidung von Menschen, ihren Lebensentwurf in vielfältigen Formen des Zusammenlebens zu verwirklichen. Dies gilt für die Ehe und für nichteheliche Lebensgemeinschaften von Frauen und Männern ebenso wie für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. In Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es dazu:
Die Gleichbehandlung aller Menschen ist in dem für das Grundgesetz fundamentalen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 festgeschrieben und wird in vielen Einzelgesetzen und Normen - so dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz - für die verschiedenen Rechtsbeziehungen konkretisiert.
Für eine explizite Festschreibung der sexuellen Identität als Diskriminierungsmerkmal in Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes besteht daher aufgrund der bestehenden Rechtslage kein Bedarf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der gesamtgesellschaftliche Umgang mit den Fragen der sexuellen Identität des Einzelnen, wie zum Beispiel die bereits erwähnte Transsexualität, und der sexuellen Orientierung, die sich in erster Linie auf die Ausübung der Sexualität und die Partnerwahl bezieht, unterliegt historischen Veränderungsprozessen. Die oben genannten rechtlichen Rahmenbedingungen sind ein sichtbarer Ausdruck dieses Wandels der gesellschaftlichen Wahrnehmung, der über eine reine Symbolik hinausgeht. Die CDU-Fraktion wird den Antrag der Fraktion DIE LINKE ablehnen.
Das war der Beitrag von Frau Gorr von der CDU-Fraktion. - Jetzt hat Frau Bull von der Partei DIE LINKE das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegen von der FDP, dass ich Sie nicht überzeugen kann, ist mir schon klar. Nur einige Argumente mag ich jetzt nicht so im Raum stehen lassen.
Erstens. Das in das Grundgesetz von 1949 aufgenommene Diskriminierungsverbot war eine Reaktion auf den Naziterror gegenüber ganzen Bevölkerungsgruppen. Da hat man nicht über den Daumen gepeilt gefragt, was man einmal aufnehmen könnte. Damals sind nur zwei Gruppen - höflich formuliert - vergessen worden. Das waren Menschen mit Behinderungen, die damals Opfer der Euthanasie geworden sind, und das waren schwul oder lesbisch Lebende, deren Schicksal der rosa Winkel im Konzentrationslager gewesen ist.
Im Jahr 1994 ist die erste Korrektur vorgenommen worden; seinerzeit sind Menschen mit Behinderungen im Grundgesetz berücksichtigt worden. Die letzte Gruppe steht noch aus.
Ein zweites Argument, das Sie in die Debatte eingebracht haben, ist die alte Fassung von § 175 des Strafgesetzbuches, die vor dem Hintergrund des Grundgesetzes Bestand hatte. Spätestens an dieser Stelle ist Ihre Argumentation - ich will es einmal so sagen - äußerst dünn.
Dann habe ich noch ein Fallbeispiel herausgesucht. Das bayerische Landesarbeitsgericht hat bereits im Jahr 1991 - das ist zu einem sehr frühen Zeitpunkt gewesen; ich komme auf den Zeitpunkt noch einmal zurück - die Klage eines schwulen Mannes zurückgewesen, dem während der Probezeit wegen seiner Homosexualität gekündigt worden ist, und zwar mit folgender Begründung - ich zitiere -:
„Der Kläger könne sich nicht auf Artikel 3 Abs. 3 GG berufen, weil diese Grundrechtsbestimmung einen Mann nicht davor schütze, wegen seiner Homosexualität benachteiligt zu werden. Vor der Benachteiligung wegen dieser ‚abartigen Anlage seines Geschlechtstriebes’ müsse ein Mann nicht in gleicher Weise geschützt werden wie vor einer Diskriminierung wegen seines Geschlechts, wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, Sprache…
Die Kündigung sei auch nicht sittenwidrig. Die wegen der Homosexualität erfolgte Kündigung sei von dem verständlichen und vertretbaren Motiv getragen gewesen, den persönlichen und geschäftlichen Umgang von Personen freizuhalten, deren Sexualverhalten als anstößig empfunden werde. Es widerspreche keineswegs dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, den Umgang mit homosexuellen Personen zu meiden und bestehende Kontakte zu ihnen abzubrechen.“
Das stammt aus dem Jahr 1991. Das ist zugegebenermaßen etwas lange her, belegt aber, dass eine einfachgesetzliche Regelung nicht ausreicht, sondern dass eine Grundgesetzänderung erforderlich ist, um die Rechtsprechung der Beliebigkeit oder - ich formuliere es anders; „Beliebigkeit“ ist etwas schwierig - der Abhängig
Frau Kollegin Bull, ich habe eine Nachfrage. Ist Ihnen bekannt, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts -
- nein, ich will mich nicht auf ein spezielles Urteil beziehen - Ihre Ansicht von der Auslegung des Grundgesetzes in ein Urteil einfließen lassen, sodass das Grundgesetz - egal, wie Sie es regeln - immer noch der Einschätzung der unabhängigen Justiz, nämlich des Bundesverfassungsgerichts, unterliegt, dass Sie also mit Ihrem Anliegen, die Auslegung durch eine bestimmte Regelung dem Weltbild der Richter zu entziehen, nicht durchdringen werden?
Na selbstverständlich. Auch Bundesverfassungsrichter und -richterinnen haben in bestimmter Weise eine subjektive Sicht auf die Dinge. Sie werden mir doch jetzt nicht erzählen, dass eine Wechselwirkung zwischen den beiden Dingen „subjektive Sicht auf die Dinge“ und „Rechtsprechung“ völlig ausgeschlossen ist?
Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Debatte. Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 5/2191. Die Abgeordnete Frau Schmidt hat eine Überweisung in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales beantragt. Darüber lasse ich jetzt abstimmen. Wer stimmt der Überweisung zu? - Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD. Wer lehnt dies ab? - Ablehnung bei CDU und FDP.
(Zuruf: Ach so! - Herr Czeke, DIE LINKE: Klar! Das ist doch eindeutig! - Heiterkeit bei der LIN- KEN - Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP - Unruhe bei der CDU)