Protokoll der Sitzung vom 17.06.2010

(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

und nicht, wenn wir über Haushaltssanierung und über die Streichung von Dingen sprechen, die wir uns nicht mehr leisten wollen, wo wir den Gürtel enger schnallen wollen, mit all diesen Maßnahmen die anderen Probleme, nämlich die demografische Entwicklung in diesem Land Sachsen-Anhalt und die soziale Polarisation in diesem Land Sachsen-Anhalt, wieder zu verschärfen.

(Zustimmung von Frau Dr. Klein, DIE LINKE - Frau Dr. Hüskens, FDP: Dann machen Sie es doch mal!)

Bevor wir diese Konflikte nicht wirklich verstehen und sie nicht gemeinsam behandeln, werden wir für dieses Land Sachsen-Anhalt keine Lösung finden. Aber ich verspreche Ihnen, wir als LINKE werden diese drei Konflikte gemeinsam behandeln.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Ach! - Unruhe bei der FDP - Frau Dr. Hüskens, FDP: Machen Sie es doch! - Zuruf von der CDU: Was soll denn das? - Herr Gürth, CDU: Das ist doch lächerlich! Sie verschärfen Konflikte! - Zu- rufe von Frau Dr. Hüskens, FDP, und von Herrn Tullner, CDU)

- In Ordnung. Ich habe gehofft, dass ich Sie aufwecken kann. Es ist mir gelungen. Das sehe ich.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen und Unruhe bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Herrn Tull- ner, CDU)

- Übrigens: Im Gegensatz zum Ministerpräsidenten sind Ihre Zwischenrufe für mich keine Motivation, eine Pause zu machen. Das können Sie mir auch glauben. Sie sind eher ein Grund, meine Redezeit noch ein bisschen auszudehnen.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Das ist aber schade!)

- In Ordnung, Frau Dr. Hüskens.

(Herr Tullner, CDU: Sie reden hier im Landtag! - Frau Dr. Hüskens, FDP: Genau!)

Also: Wir haben trotz all der Dinge, die wir als identitätsstiftend für das Land Sachsen-Anhalt beschreiben können, tatsächlich das Problem sinkender politischer Akzeptanz für die politische Gestaltungskraft auf Landesebene. Das will ich hier noch einmal betonen.

Das hat neben den Dingen, die ich bereits nannte, aber noch einen anderen Grund. Es gibt noch einen anderen Aspekt. Das ist die Frage: Wie beurteilen eigentlich die Menschen unsere Problemlösungskompetenz für die substanziellen Probleme, die sie uns nennen, nämlich Arbeitslosigkeit, Fragen der Gesundheitsreform bzw. des Gesundheitswesens, Bildung usw. usf.?

Da fällt auf, dass es seit Jahren ein stabiles Absinken der Zuschreibung von Problemlösungskompetenzen übrigens an alle im Parlament vertretenen Parteien gibt. Das wechselt sozusagen kurzzeitig mal zwischen den einzelnen Parteien hin und her. Aber wir sehen, dass es seit doch einigen Jahren insgesamt ein deutliches Absinken der Zuschreibung von politischer Problemlösungskompetenz gerade auf Landesebene gibt.

Wer dafür einen Beweis braucht, der schaue sich bitte die Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl an. Sie lag bei 44 %. Die anderen 56 % sind nicht alle politik

verdrossene Bürger, sie sind nicht alle uninteressiert oder haben aufgegeben, sondern sie haben uns, und zwar egal wer jetzt hier sitzt, keine Problemlösungskompetenz für ihre zentralen Problemlagen mehr zugewiesen. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir uns dieses Problem genauer anschauen, dann schauen wir auf der Landesebene relativ schnell zum Bund. Dann wird man sagen, das ist ja so, weil sich - in den letzten zehn bis 15 Jahren kommt verstärkt die Europäische Union dazu - Kompetenzen auf eine andere Ebene verlagert haben. Wir sind ja überhaupt nicht mehr in der Lage, die Dinge hier vor Ort wirklich vernünftig und ordentlich zu regeln. Dann sage ich, natürlich ist das richtig. Das ist auch in meiner Partei mehrheitsfähig, solange die Landespolitiker unter sich sind. Aber es ist auch nur die Hälfte der Wahrheit.

Die andere Hälfte ist, dass die Ebene, die wir als so übermächtig und uns sozusagen an verschiedenen Stellen durchaus beschneidend empfinden, eigenartigerweise ein ähnliches Problem hat. Wer sich dieses Problem anschauen will, der muss nur einmal mit den Kollegen Bundestagsabgeordneten und meiner Meinung nach auch durchaus mit Vertretern der Bundesregierung über ihre politischen Spielräume und ihre politischen Einflüsse bei der Verabschiedung der verschiedenen Milliarden-Rettungsschirme in den letzten Monaten reden. Da werden wir genau dasselbe Bild bekommen, nämlich faktisch überhaupt keinen Einfluss mehr, faktisch sozusagen in die Position von Statisten verkommen.

Wir hatten die Situation, dass wirklich milliardenschwere Rettungsschirme - wir wissen alle, worüber wir hier reden - innerhalb weniger Tage durch den Bundestag durchgepaukt werden mussten mit der Begründung, wir müssen das jetzt ganz schnell machen, weil es fertig sein muss, wenn Montagfrüh die Börse aufmacht; wenn es nicht fertig ist, dann tritt die Katastrophe ein. Darin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt das eigentliche Problem.

Es ist zu konstatieren, dass die wirklich gewichtigen gesellschaftlichen Gestaltungsprozesse, die wirklich wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen längst an vielen Stellen die formal dafür zuständige politische Ebene Bundestag bzw. Landtag verlassen haben, dass sie sich inzwischen längst auf völlig anderen Ebenen abspielen,

(Zuruf von Herrn Kurze, CDU)

nämlich in Vorstandsetagen, bei Hedgefonds und an der Börse. Da werden inzwischen - das merken die Leute, das kriegen sie mit - viel wichtigere politische Entscheidungen getroffen als in den Parlamenten und in den Regierungen.

(Herr Wolpert, FDP: Nö! - Frau Dr. Hüskens, FDP: Ach!)

Wer daran noch einen letzten Zweifel hat, der schaue sich bloß einmal die aktuelle Entwicklung um die OpelBürgschaften an.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Da sieht man genau, wer hier eigentlich die Stellschrauben stellt

(Herr Dr. Schrader, FDP: Waren doch Ihre!)

und wer im Grunde genommen nur noch am Rande versucht, irgendwelche Dinge zu beeinflussen.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Dr. Schrader, FDP)

Deswegen geht es eigentlich darum, die politische Gestaltungshoheit mit dieser wirklich verheerenden Losung „Privat geht vor Staat“ wieder in die Politik zurückzuholen.

(Herr Czeke, DIE LINKE: Richtig!)

Mit der Auffassung, wir überlassen es dem Markt bzw. wir überlassen es der Deregulierung,

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

dann wird alles besser, muss gebrochen werden. Wir müssen die wirkliche politische Gestaltungskompetenz wieder in die politischen Gremien und Institutionen zurückholen.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Wir müssen den Gestaltungswillen artikulieren. Wir müssen uns aber auch die Gestaltungsmacht aneignen.

(Herr Tullner, CDU: Na klar!)

Das bedeutet, Kompetenzen ins Politische zurückzuholen. Das bedeutet, Ressourcen ins Politische zurückzuholen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir auch im Interesse der Bevölkerung wieder als Leute wahrgenommen werden, die Problemlösungskompetenz haben,

(Herr Tullner, CDU: Dann wird alles besser! Ja, ja!)

dann werden wir wieder wahrgenommen werden als diejenigen, die die Gesellschaft wirklich gestalten können,

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir auch keine Debatte mehr über ein Halbzeitparlament haben. - Danke.

(Starker Beifall bei der LINKEN - Herr Kley, FDP: Genau die haben Sie vor 20 Jahren in der DDR schon gehabt! - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Vielen Dank, Herr Gallert, für Ihren Redebeitrag. - Wir kommen dann zu dem Beitrag der Fraktion der SPD. Ich erteile Herrn Miesterfeldt das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Ministerpräsident, Sachsen-Anhalt ist ein junges Land und der Wettbewerb um das Jüngste ist auch ganz interessant. Aber insbesondere ist Sachsen-Anhalt ein Land mit viel Geschichte, mit großer Innovationskraft und einer häufig offenen und manchmal auch verborgenen Schönheit.

Als geografisch-politisches Gebilde ist sein Dasein bisher eher kurz. In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Kind zu einem mündigen jungen Erwachsenen gemausert. Es hat sich in dieser historisch kurzen Zeit gut entwickelt. Das sage ich sehr bewusst, als ein Zugereis

ter, der vor 36 Jahren auf das Gebiet dieses heutigen Bundeslandes kam.

Am Montag dieser Woche bin ich etwa 40 Minuten durch die Rosenstadt Sangerhausen gewandert.