Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Wo bleiben Ihre anerkennenden Worte an die deutsche Politik, die es in schlimmsten Krisenzeiten durch kluge Maßnahmen geschafft hat,

(Unruhe bei der LINKEN)

die Arbeitslosigkeit weiter zu senken?

(Zustimmung bei der CDU)

Das ist weltweit einmalig. Schauen Sie sich einmal unsere Nachbarstaaten an. Da können Sie palavern, was Sie wollen, Frau Bull. Schauen Sie sich doch einmal die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Armut in den Nachbarstaaten an.

Für die CDU war und ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die beste Medizin gegen Verarmung.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Entwicklung der Arbeitslosenquote spricht eine eigene Sprache. Die Arbeitslosenquote ist mit 12 % jetzt nur noch halb so hoch, wie sie zu Zeiten war, in denen Sie mit Regierungsverantwortung trugen. Stattdessen wollen Sie etwas völlig anderes. Sie setzen lieber auf ein System der zentralistischen Versorgung und Absicherung.

Ihre Ausführungen lassen sich dann auch schnell auf zwei Aspekte zusammenschmelzen: Wir brauchen mehr Geld für die Armen, und dafür schröpfen wir die Leistungsträger. - Das kann doch wohl nicht der Anspruch einer seriösen Politik sein. Das kann auch nicht der Anspruch für unsere Bürger sein, die sich mühen und streben, damit sie sich mehr leisten können als die, die mit dem Mittelmaß zufrieden sind.

Die Philosophie der sozialen Marktwirtschaft ist bis heute für die CDU Programm. Leistung muss sich lohnen für die, die sie erbringen, und es muss denen geholfen werden, die sich nicht selbst helfen können. Die CDU braucht von niemandem eine Anleitung, wie man Armut bekämpft. Die CDU hat über Jahrzehnte hinweg überall dort, wo sie regiert hat bzw. regiert, wie keine andere Partei bewiesen, dass sie für die nötige Balance im Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland sorgt.

Im Übrigen nehmen Sie einmal die 17 Millionen DDRBürger, für die Sie noch vor 20 Jahren in selbst geschaffener Verantwortung standen. Diese waren nach den OECD-Maßstäben nicht nur armutsgefährdet. Sie waren arm. Es verblüfft einen immer wieder, wie schnell Sie das vergessen haben und jetzt die Gutmenschen geben. Blicken Sie doch einmal zurück auf die DDR-Mindestrente, auf die Löhne für DDR-Ingenieure, Meister und Berufsschullehrer.

Stattdessen machen Sie Armut an einer Studie des paritätischen Wohlfahrtverbandes mit dem sinnigen Titel „Unter unseren Verhältnissen“ fest. Zu den Verhältnissen erwähne ich nur ganz nebenbei, dass das Haushaltsdefizit des Bundes in diesem Jahr bei 80 Milliarden € liegt. Das zeigt ganz deutlich, dass wir jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt haben. Darüber hinaus haben wir von Ihnen zur Begrifflichkeit der Armut nur Unkonkretes gehört.

(Zuruf von der LINKEN: Machen Sie es doch mal konkret!)

Ist man arm, wenn man kein Auto hat, oder verstehen Sie unter Armut, dass Menschen Hunger und Durst leiden? Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal über den Tellerrand zu schauen. Sie werden feststellen, dass das Sozialsystem in Sachsen-Anhalt und in der gesamten Bundesrepublik gar nicht so schlecht ist.

Die meisten Menschen auf der Welt, selbst in unseren Nachbarländern, wären froh, wenn sie nur einen Bruchteil der Leistungen zum Leben hätten, über die ein SGB-II-Empfänger verfügt. Gern verschweigen Sie die Vielfalt der Leistungen, die ein SGB-II-Empfänger erhält. Ich nenne beispielsweise die Krankenversorgung, Miet- und Heizkostenzuschüsse, Kindergeld, Zuschüsse für Bekleidung, Klassenfahrten und so weiter.

(Frau Budde, SPD: Das ist doch wohl selbstver- ständlich, dass es in Deutschland eine Kranken- versorgung gibt! Das muss man in Deutschland doch nicht extra sagen!)

Das alles muss die Solidargemeinschaft Deutschland schultern.

Sie beklagen geringe Löhne. Ja, die gibt es. Es gibt aber auch Aufstockerleistungen bei geringen Löhnen. Zeigen Sie mir bitte schön eine Volkswirtschaft auf der Welt, die geringe Löhne noch auf ein Existenzminimum ausgleicht.

(Frau Bull, DIE LINKE: Die haben auch einen Min- destlohn! Die brauchen das gar nicht!)

- Frau Bull, dort gibt es ganz andere Systeme im Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dort gibt es andere Kündigungsregelungen und so weiter. Darüber brauchen wir uns jetzt doch nicht zu streiten.

Man muss die Armutssituation immer ins Verhältnis setzen. Ich denke, dass wir in Deutschland ein Sozialsystem haben, um das uns - außer der LINKEN - die ganze Welt beneidet.

(Zustimmung bei der CDU)

Daher finde ich es gut, dass die Bundesregierung die Bildungschipkarten einführen will.

Für die CDU-Fraktion gilt nach wie vor: Keine Leistung ohne Gegenleistung. - Es ist für mich ein Skandal, dass sich besonders immer mehr junge Menschen unter 30 Jahren dauerhaft aus dem Arbeitsmarkt verabschieden, weil die SGB-II-Leistungen offenbar zum Leben reichen. Inzwischen gibt es in Deutschland viele solcher Karrieren, welche die Solidargemeinschaft zunehmend belasten. Auch das gehört zur Wahrheit. Davon habe ich in den Ausführungen der LINKEN leider ebenfalls nichts gehört.

Einer unserer richtigen Ansätze war und ist die Bürgerarbeit. Darüber werden wir morgen noch reden. Hierbei wird es am ehesten möglich, Arbeitsuchenden wieder eine echte Chance auf eine Beschäftigung zu bieten.

Hier greift auch das Prinzip „Fördern und Fordern“. Die Menschen haben wieder mehr Geld in der Tasche, als wenn sie zu Hause sitzen. Im Übrigen konnten wir feststellen, dass sich schon in Phase I der Bürgerarbeit in allen Modellprojekten zwischen 10 und 15 % der Arbeitnehmer plötzlich auf wundersame Weise in Arbeit abgemeldet haben. Aber das wissen Sie ja. Es gäbe noch viel Weiteres zu sagen. Meine Redezeit neigt sich aber leider dem Ende zu.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, im Hinblick auf das Sparpaket der Bundesregierung wird es in allen Bereichen spürbare und notwendige Einschnitte geben. Ja, es ist dringend geboten; denn ein „Weiter so“ kann es bei verantwortungsvoller Politik gegenüber den nachfolgenden Generationen nicht geben.

(Herr Tullner, CDU: Genau so ist es!)

Ich weiß übrigens ein gutes Mittel, wie wir den für Sachsen-Anhalt erfolgreich begonnenen Weg fortsetzen können: Vertrauen Sie der CDU. Wir kümmern uns.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von der Re- gierungsbank - Lachen bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Take, für den Beitrag der CDU. - Wir kommen jetzt zum Debattenbeitrag der FDP. Der Abgeordnete Herr Wolpert hat das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Take, ich vertraue der CDU. Aber ich kümmere mich lieber selbst um mein Schicksal.

(Beifall bei der FDP - Frau Bull, DIE LINKE: We- nigstens das!)

Meine Damen und Herren! Armut ist einer der Begriffe der deutschen Sprache, die die Menschen immer wieder aufrütteln und aus dem alltäglichen Trott herausreißen. Sie bringt die Menschen zum Nachdenken und wirkt wie ein Alarmzeichen. Sie begleitet die Menschheit von Anbeginn und ist verbunden mit der Vorstellung von existenziellen Notlagen, mit Bildern von Hunger, Kälte, Obdachlosigkeit und Krankheit. Armut wird als gesellschaftliche Bedrohung verstanden. Ihre Bekämpfung ist wohl die Mutter allen gesellschaftlichen Engagements und damit auch der Politik.

Die klassische Form der Armut gibt es heute in Deutschland und in Sachsen-Anhalt nicht mehr, von wenigen krassen Ausnahmefällen abgesehen. Das System der sozialen Marktwirtschaft hat mit seinen ordnungspolitischen Werten, dem Solidarprinzip und der Finanzkraft des Staates diese Armut aus Europa weitgehend verbannt.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Das ist auch gut so!)

Bilder, wie wir sie aus Afrika, Asien oder Lateinamerika kennen, gibt es hierzulande nicht. Schon gar nicht sind sie prägend für unsere Gesellschaft. Sachsen-Anhalt ist ein lebenswertes Land und kein Armenhaus, wie es von mancher Seite betrachtet wird.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Wird heute hierzulande von Armut gesprochen, orientiert man sich meist an dem Konzept der relativen Armut, das auch die EU bei der Bemessung von Armut zugrunde legt. Alle Personen, deren Einkommen weniger als 60 % des mittleren Medians des nationalen Einkommens beträgt, gelten demnach als armutsgefährdet, nicht als arm. Das ist ein Unterschied.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Armut ist ein relativer Begriff. Die Armut von Menschen in einem Land wird gemessen an dem Einkommen der anderen. Deutschland ist ein reiches Land. Nach der Bundesstatistik nimmt Sachsen-Anhalt in der Reihe der

Länder mit den höchsten Armutsgefährdungsquoten gemessen am Bundesmedian den zweiten Platz ein.

Zum einen ist uns bekannt, dass die Löhne und Gehälter in Sachsen-Anhalt niedriger sind als in vielen anderen Bundesländern. Aufgrund des Fehlens größerer Firmen oder Konzerne ist der vorhandene Kapitalstock nicht so produktiv wie in strukturstarken Gegenden Deutschlands. Dadurch ist das Lohnniveau insgesamt niedriger, was sich bei den unteren und mittleren Einkommen besonders auswirkt. Das führt allgemein zu einer geringeren Kaufkraft, damit zu niedrigeren Preisen bei Dienstleistungen und somit wiederum zu geringeren Einkommen bei den dort Beschäftigten.

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: So soll es weiter- gehen, oder was?)

- Meine Güte, hören Sie doch bis zum Ende zu! Dann sehen Sie, wie der Weg aussieht, den die FDP vorschlägt.

Dennoch gibt es in Deutschland und in Sachsen-Anhalt erhebliche Unterschiede bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, was grundsätzlich nicht falsch ist. Wir streiten uns allerdings um den Grad der Spreizung. Viele Menschen empfinden das eben als Armutsgefährdung und ungeachtet der statistischen Maße auch als bedrückend. Es ist richtig, dass sich die Politik dieser Bedrückung annimmt. Es ist ein Thema von Bedeutung. Aber es ist nicht so gravierend, wie es hier teilweise dargestellt wird.

Wenn wir hier in Deutschland oder in Sachsen-Anhalt von Armut reden, dann meinen wir vor allem, dass einem Teil der Bevölkerung mehr als das durchschnittliche Einkommen zur Verfügung steht und ein anderer Teil deutlich unter diesem Durchschnitt liegt. Eine zentrale Ursache dafür ist die Arbeitslosigkeit.

Das geringere Lohnniveau ist dabei auch mitbestimmend, aber weniger gravierend als die andauernde Arbeitslosigkeit und deren Folgeerscheinungen. Niedriglöhne sind nicht ausschließlich ein ungewolltes Schicksal. Es gibt eine erkleckliche Anzahl von selbst gewählten Teilzeitarbeitsverhältnissen in Sachsen-Anhalt, die in die Statistik einfließen, ohne dass daraus ein politischer Handlungsbedarf resultieren muss.

Ein weiterer Faktor ist die Erkenntnis, dass Armut mit der Größe des Haushalts zu tun hat. Je kleinteiliger der Haushalt ist, umso geringer ist das verfügbare Einkommen und umso größer ist die Armutsgefährdung.

In engem Zusammenhang mit der Armutsgefährdung als materiellem Nachteil steht die Einschränkung der sozialen Teilhabe der Betroffenen. Ein geringes Einkommen oder der Bezug von Sozialleistungen haben zwangsläufig zur Folge, dass man sich bestimmte Dinge nicht leisten kann. Dies kann zur sozialen Ausgrenzung führen, die ganz besonders Kinder hart trifft, wenn sie beispielsweise aufgrund der finanziellen Schwäche ihrer Eltern ihre Konsummöglichkeiten im Vergleich zu Gleichaltrigen eingeschränkt sehen.