Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

In engem Zusammenhang mit der Armutsgefährdung als materiellem Nachteil steht die Einschränkung der sozialen Teilhabe der Betroffenen. Ein geringes Einkommen oder der Bezug von Sozialleistungen haben zwangsläufig zur Folge, dass man sich bestimmte Dinge nicht leisten kann. Dies kann zur sozialen Ausgrenzung führen, die ganz besonders Kinder hart trifft, wenn sie beispielsweise aufgrund der finanziellen Schwäche ihrer Eltern ihre Konsummöglichkeiten im Vergleich zu Gleichaltrigen eingeschränkt sehen.

Meine Damen und Herren! Ein grundsätzliches Problem stellt sich aber dar, wenn die Chancengleichheit in der Bildung gefährdet ist. Es ist kein Geheimnis, dass sozial schwache Familien auch seltener notwendige Bildungsansprüche erfüllen als materiell besser gestellte Familien. Das manifestiert sich nicht erst beim Geld für außerschulische Bildungsangebote. Soziale Ausgrenzung

und mangelnde Bildung bei benachteiligten Familien sind zwei der Faktoren, die dazu führen, dass sich Nachteile bei der Teilhabe bis hin zur Armut vererben können.

Armut, die die Zukunft gefährdet, sowohl des Einzelnen als auch der Gesellschaft, lässt sich nicht durch einfache Lösungen beseitigen, sondern nur durch umfassende bildungs-, sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen im Geiste der sozialen Marktwirtschaft. Wir brauchen gut durchdachte Lösungen, um der Armut, der sozialen Ausgrenzung und der Chancenbenachteiligung zu begegnen.

Die Politik muss also die Rahmenbedingungen schaffen, um die Armut vor allem langfristig zu bekämpfen. Hierbei stehen die Wirtschafts- und die Bildungspolitik, aber auch die gesamte Landesentwicklung im Fokus. Die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt muss wachsen, damit das Land die Steuerkraft generieren kann, die es braucht, um die sinkenden Solidarleistungen anderer Länder, des Bundes und der EU zu kompensieren. Ferner entstehen so Arbeitsplätze, die es den Menschen ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben ohne Transferleistungen zu gestalten.

(Beifall bei der FDP)

Dazu muss sich die Politik auf innovative Zukunftsindustrien zum Beispiel in den Bereichen Energie, Logistik, Mobilität, Wasser- und Ernährung konzentrieren. Forschung und Entwicklung sind zu unterstützen, von der Hochschule über außeruniversitäre Forschungsinstitute bis hinein in die Unternehmen. Die Bildungspolitik hat sicherzustellen, dass die Menschen auch die Chance haben, diese neuen Arbeitsplätze auszufüllen.

Dabei gilt es, die Chancengleichheit und die Qualität zu erhöhen. Zum Beispiel wäre die Einführung einer Chipkarte denkbar, um kurzfristig etwas zu ändern. Zur Bekämpfung von Armut bedarf es aber auch des leistungsfähigen Staates und einer starken Solidargemeinschaft.

Letztlich braucht Sachsen-Anhalt auch Zuwanderung und deshalb attraktive Lebensräume, die die Menschen zum Bleiben und vor allen Dingen zum Kommen veranlassen. Es ist immer ein ganzheitlicher Ansatz, der eine nachhaltige Wirkung erzielen soll.

Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns als Instrument zur Bekämpfung der Armutsgefährdung ist ebenso simpel wie falsch. Das wäre fast, als wenn man der Logik folgen würde, dass man einen Zuzug von Bill Gates verhindert, weil er aufgrund seiner Einkommenshöhe die Armutsgefährdung erhöhen würde. So einfach das ist Leben nicht.

Sie müssen mal überlegen, welche Wirkung ein solcher Mindestlohn hat. Abgesehen von den rechtlichen Bedenken gegen die Außerkraftsetzung der Tarifhoheit ist es auch fraglich, welche Wirkung erzeugt wird. Langfristig wirkt ein solches Instrument sicherlich nicht, weil eine generelle Erhöhung des Lohnniveaus die Erhöhung der Preise und damit der Lebenshaltungskosten nach sich zieht und somit die Armutsgrenze nur auf einer höheren Basis definieren würde.

Wahrscheinlich aber ist, dass die Menschen eine Preiserhöhung nicht mittragen würden, sodass einige Produkte einfach nicht mehr nachgefragt würden. Der Produzent und Arbeitgeber wird den Arbeitsplatz abbauen, um den Preis konkurrenzfähig zu halten. Das Risiko des Abgleitens in Transferleistungen und damit in das Armutsrisiko würde so für die Menschen erhöht werden.

Letztlich bliebe nur die staatliche Festlegung der Preise, um das Niveau zu halten. Das würde nicht nur die soziale Marktwirtschaft ad absurdum führen. Es würde die Konkurrenzfähigkeit des Landes global gefährden und das Armutsrisiko nachhaltig erhöhen. Nicht der Mindestlohn ist das Mittel der Wahl, sondern konkurrenzfähige Arbeitsplätze, die ihren Mann und ihre Frau ernähren. Das ist das Ziel.

(Beifall bei der FDP)

Ein solcher Arbeitsplatz bedeutet nicht nur materielle Sicherheit, er gibt den Menschen eine sinnvolle Tätigkeit und damit einen Lebensinhalt. Er ermöglicht eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung, unabhängig von staatlichen Transferleistungen. Er ermöglicht, dass die Menschen selbstverantwortlich ihr Glück in die Hand nehmen können. Wenn wir das schaffen, dann gefährdet die Armut auch nicht die Zukunft, denn dann bleibt sie allenfalls ein kurzfristiges Phänomen.

Dies erfordert neben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein faires Bildungssystem, das allen Kindern, unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern, Möglichkeiten bietet, einen Abschluss zu erlangen und eine Berufsausbildung zu ergreifen. Nur über Bildung können qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Es ist besser, Geld in Ausbildung und Arbeitsplätze zu investieren als in die Arbeitslosigkeit.

Meine Damen und Herren! Das Ziel muss also darin bestehen, den Menschen Wege aus der Armut heraus zu bieten, und das funktioniert mit Anreizen. Das funktioniert nicht allein mit Transferleistungen, denn diese sind letztlich den Anreizen gegenüber auch wieder kontraproduktiv. Wirtschaftlich verhält sich derjenige bei uns, der den Weg des geringsten Widerstandes wählt. Es ist also so, dass ein soziales System mit Anreizen versehen sein muss, um aus diesem Kreislauf herauszukommen.

Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, dass diese Aktuelle Debatte uns in der Erkenntnis weiter gebracht hat, dass die LINKE in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Ich glaube, der Ansatz war populistisch und kurzatmig. Ich glaube, der wesentliche Umgang mit der Armutsgefährdung in unserem Lande braucht einen ganzheitlichen Ansatz, wie ich ihn dargestellt habe, und diesen wird die FDP verfolgen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank für den Debattenbeitrag der FDP. - Nun erteile ich der SPD das Wort, der Abgeordneten Frau Budde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wolpert, aber zumindest haben die Debatte und die Debattenbeiträge die Erkenntnis gebracht, dass CDU und FDP auch nicht weiterhelfen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Frau Dr. Hüskens, FDP: O doch! Aber immer!)

Was heißt eigentlich, Herr Haseloff, „ständig dieses Thema im Landtag“?

(Herr Tullner, CDU: Das kommt auf die Perspek- tive an!)

Wir haben das „Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ - falls Ihnen das noch nicht geläufig war, sage ich es Ihnen noch einmal -, und in diesem Jahr kann das Thema genauso wie in den folgenden Jahren gar nicht häufig genug auf der Tagesordnung stehen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Herr Kosmehl, FDP: Warum haben Sie es denn nicht auf die Tagesordnung gesetzt?)

Selbstverständlich ist das kein sachsen-anhaltisches Phänomen. Wir haben bundesweit mit dem Thema Armut zu kämpfen. Aber die Problemlage ist in SachsenAnhalt ungleich schärfer als in vielen anderen Bundesländern, denn die Armutsgefährdung in Sachsen-Anhalt ist die zweithöchste in der Bundesrepublik. Deshalb sollten wir es vielleicht lieber einmal mehr als einmal zu wenig debattieren.

Was heißt eigentlich „Wir lassen das Land nicht schlechtreden“? Ich glaube, die einzige, die das Land acht Jahre lang mit Schlechtrede-Kampagnen, das heißt mit einer Rote-Laterne-Kampagne überzogen hat, war die CDUFraktion.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich hätte das jetzt alles nicht angebracht, aber mit diesen Plattheiten, mit denen Sie die Debatte angefangen haben, kommen wir auch nicht weiter.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Zurufe von Frau Dr. Hüskens, FDP, und von Herrn Tullner, CDU)

Was heißt: „Es geht doch denen allen gar nicht schlecht, wir haben doch ein vergleichbar gutes Sozialsystem in der Bundesrepublik Deutschland“? - Ja, das haben wir. Natürlich haben wir das, Gott sei Dank.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Aber trotzdem müssen wir diejenigen, die ein Problem haben, nicht mit den Menschen, die in Ghana oder woanders wohnen, vergleichen, sondern wir müssen sie mit dem Durchschnitt in der Bundesrepublik vergleichen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Zuruf von Dr. Hüskens, FDP)

Ja, die Armut hat in Deutschland ein anderes Gesicht als in Entwicklungsländern.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Ja, Gott sei Dank. Aber sie hat ein Gesicht und das darf so nicht bleiben.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Frau Dr. Hüskens, FDP: Das haben wir auch gerade gesagt!)

Wenn man darüber redet, dass Alleinstehende ein Armutsrisiko haben, wenn sie weniger als 801 € zur Verfügung haben, und eine Familie mit zwei Kindern ein Armutsrisiko hat, wenn sie weniger als 1 683 € zur Verfügung hat, dann frage ich mich, warum die Begründung lautet: Wir streichen Prozente beim Elterngeld im Babyjahr, wenn jemand mehr als 1 200 € verdient. Das seien die Besserverdienenden. Dort könnte man es sich leisten, beim Elterngeld zu streichen. Das ist doch eine schizophrene Diskussion, wenn klar ist, dass Familien bei einem Einkommen unter 1 683 € ein Armutsrisiko haben.

Das könnte natürlich daran liegen, dass Sie der Meinung sind, es sei die Frau, die das niedrigere Einkommen hat. Dann bleibt eben - bleiben wir doch mal bei unserem Familienbild - ausschließlich die Frau ein Jahr lang zu Hause und wir wechseln nicht mehr. Denn es lohnt sich für die, die mehr verdienen, nicht, wenn das den Mann betrifft.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Dieses Familienbild trägt die SPD in die Debatte!)

Das könnte sein, meine Damen und Herren. Ich weiß, dass Sie in der Bundesregierung sind, deshalb haben Sie jetzt ein Problem damit.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Ja, damit habe ich ein Problem!)

Meine Damen und Herren! Im Land Sachsen-Anhalt liegt mit 21,8 % ungefähr ein Fünftel der Menschen unterhalb der Grenze. Das heißt, sie sind von Armut bedroht. Dieser Anteil ist doppelt so hoch wie in Bayern und in Baden-Württemberg. Das muss man sich wenigstens zu sagen gestatten. Denn man muss auch wissen, wie das Umfeld in Sachsen-Anhalt ist und welche Probleme die Menschen haben.

Diejenigen, die besonders von Armut betroffen sind - auch das liegt auf der Hand -, sind natürlich die Erwerbslosen, das sind natürlich die geringfügig Beschäftigten, das sind natürlich die Alleinstehenden und vor allem die Alleinerziehenden mit Kindern. Mit Kindern unter drei Jahren besteht ein durchschnittliches Armutsrisiko von mehr als 50 %.

Das, Herr Haseloff, liegt nicht daran, dass diese Menschen einen besonderen Erziehungsauftrag haben. Den haben alle. Es liegt vielmehr daran, dass die Alleinerziehenden nur ein Einkommen haben, dass die Einkommen in Sachsen-Anhalt unterdurchschnittlich sind und dass es oftmals auch nur Einkommen aus Teilzeitarbeit sind. Am Erziehungsauftrag liegt das nicht, dass die Alleinerziehenden ein höheres Armutsrisiko haben.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Minister Herr Dr. Haseloff: Das habe ich nicht gesagt!)

- Das haben Sie gesagt. - 30 % aller Kinder leben in Sachsen-Anhalt in Bedarfsgemeinschaften und knapp 12 % aller Arbeitslosen sind Jugendliche unter 25 Jahren. Das heißt, Kinder und junge Erwachsene bis 25 Jahre tragen über 50 % des Armutsrisikos. Das muss man sich doch wenigstens einmal eingestehen, wenn man etwas entwickeln will, um sie wieder aus dieser Situation herauszuholen.

Es ist extrem alarmierend und die Schere geht immer weiter auseinander. Das betrifft ganz Deutschland. Die Zahl derjenigen, die unter die Armutsgrenze fallen, nimmt zu. Auf der anderen Seite nimmt auch die Zahl der Millionärshaushalte zu, und das in einem, wie Sie gesagt haben, reichen Land wie Deutschland.

Ich finde schon, dass es eine Blamage ist, dass die Schere immer weiter auseinander geht.