Protokoll der Sitzung vom 20.10.2006

Wir schauen uns einmal genau an, wer eigentlich „der Einzelhandel“ ist. Wir können gar nicht pauschal von „dem Einzelhändler“ sprechen. Es ist völliger Quatsch zu sagen: Die machen jetzt alle rund um die Uhr auf.

Das Karstadt-Warenhaus hat etwa ganz andere Bedingungen und andere Interessenlagen. Als Mitglied im Tarifverband müssen sie ihren Mitarbeitern ab 20 Uhr Zuschläge zahlen. Selbst wenn man nicht aus anderen Gründen handelt, ist dadurch eine Wirtschaftlichkeitsgrenze gesetzt, die bei den Entscheidungsträgern zu einer ganz anderen Argumentationskette führt.

Des Weiteren gibt es die vom Inhaber geführten mittelständischen Einzelhandelsgeschäfte. Auch diese haben völlig andere Interessenlagen.

Darüber hinaus gibt es Einzelhandelsgeschäfte in diesen Shop-in-Shop-Systemen wie dem Allee-Center Magdeburg - das ist nicht mein Vokabular, aber man hört es immer wieder -, von denen man sagt, sie seien eigentlich scheinselbständig. Dort wird per Vertrag vorgeschrieben, wann sie zu öffnen und zu schließen haben, was sie in ihren Auslagen zu präsentieren haben etc. Die sind wiederum anders. Schließlich gibt es Tourismusorte usw.

Deswegen, denke ich, ist ein Gesetzentwurf, wie er jetzt vorgelegt wurde, viel näher an der Wirklichkeit als so manche Diskussion, die den Popanz aufbaut.

Ich möchte zum Schluss für die CDU-Fraktion feststellen: Nach dem Willen der CDU-Fraktion sollen Verbraucher und Einzelhändler die neuen Möglichkeiten der Ladenöffnung bereits im diesjährigen Weihnachtsgeschäft nutzen können. Wir haben die Diskussionen insoweit geführt und qualitativ abgeschlossen. Wir wissen genau, was wir wollen. Wir können diesem Gesetz in unveränderter Fassung kurzfristig zustimmen.

Wir sind aber auch gesprächsbereit, insbesondere was unsere geschätzten Kolleginnen und Kollegen von der SPD betrifft. Insofern glaube ich auch an den Willen des Machbaren und daran, dass wir uns vernünftig im Interesse aller, auch der Arbeitnehmer und der Einzelhändler, darüber kurzfristig verständigen können.

Ich würde es für unverantwortlich halten, wenn wir als Bundesland Sachsen-Anhalt, obwohl wir jeden Arbeitsplatz brauchen, Kaufkraft nach Niedersachsen oder nach Thüringen abfließen lassen würden, nur weil wir nicht zu Potte kommen oder nicht mutig genug sind, um frühzeitig Entscheidungen zu treffen.

Das Land Thüringen wird bereits vor dem Weihnachtsgeschäft 2006 eine neue rechtliche Regelung auf den Weg bringen, die identisch ist mit dem Gesetzentwurf, über den wir gerade beraten. Der niedersächsische Gesetzentwurf ist unserem ebenfalls sehr ähnlich.

Lassen Sie uns etwas für die Chancen auf Beschäftigung und für die Chancen unserer mittelständischen Einzelhändler tun und dieses Gesetz zügig verabschieden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der SPD)

Herr Gürth, Ihr Vortrag hat Fragen aufgeworfen. Sind Sie bereit, Fragen von Frau Rogée, von Herrn Gallert, von Herrn Paqué und von Herrn Kosmehl zu beantworten?

Herr Gürth, CDU:

Wenn ich dann nicht in Ungnade falle, ja.

Frau Rogée.

Herr Gürth, ich habe versucht, in meinem Beitrag deutlich zu machen, dass sich die Arbeitnehmerrechte in einer erheblichen Größenordnung verschlechtern werden. Ich bitte Sie, sich das noch einmal anzugucken und nicht so zu tun, als wäre das alles mit einem Federstrich zu erledigen.

Ich habe zwei Fragen. Erstens. Die Bedingungen in den Einkaufszentren, die Sie beschrieben haben, kennen wir. Ist das kein Zwang? - Schließlich müssen die dort ansässigen Geschäfte zu vorgeschriebenen Zeiten öffnen; denn wenn sie es nicht tun, werden sie hinausgeschmissen.

Zweitens. Sie sagten, Sie hätten eine Anhörung durchgeführt. Ich würde gern Informationen darüber haben; denn wir als Linkspartei.PDS haben darüber überhaupt keine Informationen erhalten.

Sehr geehrte Frau Kollegin Rogée, ich schätze Sie sehr. Ich weiß, dass Sie, obgleich Sie jetzt einen anderen Eindruck vermitteln wollen, einen so hohen Kenntnisstand über die Sachlage bei dieser Thematik haben, insbesondere als verantwortliche Frau in der Gewerkschaft, dass Sie einer zusätzlichen Anhörung gar nicht bedürfen. Sie haben selbst in Ihrem Vortrag darauf hingewiesen, mit wem Sie alles schon gesprochen haben.

(Lachen bei der Linkspartei.PDS)

Wenn Sie die Damen und Herren noch einmal anhören wollen, so steht es Ihnen frei, das zu tun. Wer will Ihnen das verbieten? Aber das haben Sie doch gar nicht nötig. So gut wie Sie weiß doch kein anderer Bescheid.

(Frau Dirlich, Linkspartei.PDS: Es geht hier nicht um eine Weiterbildung für Frau Rogée! - Weitere Zurufe von der Linkspartei.PDS)

Herr Gallert.

Sie haben für sich einen Nachholbedarf konstatiert, den Sie bei Frau Rogée nicht sehen. Sie haben an dieser Anhörung teilgenommen. Offensichtlich sind Sie als Fraktionsvertreter zu einer regierungsinternen Anhörung eingeladen worden, während die Vertreter der Oppositionsfraktionen nicht eingeladen worden sind. Ich frage Sie: Wie beurteilen Sie als parlamentarischer Geschäftsführer diese Tatsache?

Wenn Ihre Darstellung der Realität entspräche, würde ich das als Parlamentarier sehr kritisch beurteilen. Man muss klar zwischen der Exekutive und der Legislative trennen. Die Regierungsmehrheit von heute kann die Opposition von morgen sein. Deswegen muss man das auch trennen. Wir haben auch Überwachungs- und Kontrollaufgaben.

Die Anhörung, die die Regierung durchgeführt hat - sie ist verfassungsrechtlich gehalten, die Betroffenen anzuhören, wenn sie neue gesetzliche Regelungen schaffen will -, hat im zuständigen Ministerium ohne Beteiligung von Parlamentariern stattgefunden. Zumindest war ich nicht beteiligt.

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Sie sind darauf in Ihrer Rede gerade eingegangen!)

- Nein. Wir als CDU sind so frei, dass wir unabhängig von unserer eigenen Regierung eine Anhörung durchführen können. Wir bilden uns selbst unsere Meinung. Wir können selbst anhören, wir können selbst die Interessengruppen einladen und selbst Gespräche führen. Das können Sie auch.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Selbstgespräche! - Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

Ich denke, dazu brauchen Sie nicht die Regierung, oder?

Es wurde jetzt wegen der Selbstgespräche gelacht, Herr Gürth, nicht wegen Ihrer Ausführungen im Allgemeinen. - Herr Paqué.

Herr Gürth, ich habe Ihrem Vortrag entnommen, dass auch Sie an einer zügigen Beratung außerordentlich interessiert sind. Nach dem philosophisch und theologisch fundierten Vortrag des Kollegen Miesterfeldt sehe ich allerdings einen sehr großen Abstand zwischen Ihrer Position und der Position der SPD-Fraktion, die zum Teil auch von dem Ministerpräsidenten unterstützt wurde.

Meine Frage an Sie: Werden Sie in den weiteren Beratungen bereit sein, die noch bestehenden Differenzen mit der SPD so zügig einer Lösung zuzuführen, dass der Handel noch im Dezember dieses Jahres die Vorteile des neuen Gesetzes in Anspruch nehmen kann?

Erstens. Ein Politiker, der nicht bereit ist, mit anderen zu sprechen, um auch kurzfristig vernünftige Lösungen hinzubekommen, der braucht gar nicht erst anzutreten.

Zweitens. In dem konkreten Fall, so denke ich, sind die Positionen gar nicht so weit auseinander. Wenn man sich einmal die Äußerungen des von uns allseits ge

schätzten Ministerpräsidenten genau betrachtet, so wird deutlich, dass er Verständnis dafür geäußert hat, dass eine Fraktion noch Gesprächs- und Beratungsbedarf hat. Das zeichnet ihn aus, so meine ich.

Was die Differenzen zwischen der SPD-Fraktion und der CDU-Fraktion betrifft, so kann ich nur sagen: Wir haben einen Gesetzentwurf, der von einem Kabinett, bestehend aus CDU- und SPD-Ministern, beschlossen wurde. Es gibt im Parlament noch unterschiedliche Nuancen, sodass noch Gesprächsbedarf besteht. Das betrifft bei der CDU beispielsweise die Sonntagsöffnung, bei der SPD geht es um den Samstag und ein paar andere Sachen.

Warum sollten wir das nicht hinkriegen, meine Damen und Herren? - Es gibt so viele kompetente Leute in der SPD und in der CDU. Vertrauen Sie uns! Wir kriegen das hin.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herr Gürth, halten Sie noch durch? - Es gibt noch eine Frage. Ich würde sagen, dann machen wir Schluss. Aber zunächst Herr Kosmehl.

Herr Kollege Gürth, ich kann aus den Erfahrungen der letzten vier Jahre durchaus nachvollziehen, dass man noch Abstimmungsbedarf mit dem Koalitionspartner hat. Ich kann mich daran erinnern, dass wir die CDU beim Sonn- und Feiertagsgesetz sozusagen auf den gemeinsamen Gesetzentwurf einschwören mussten.

(Herr Tullner, CDU: Ein Mal! - Herr Gürth, CDU: Das hat sich doch gelohnt, oder?)

Meine Frage zielt noch einmal auf die Sonntagsöffnung. Meine Frage ganz konkret an Sie lautet: Sind Sie der Auffassung, dass es zwingend notwendig ist festzulegen, dass die Geschäfte nur am ersten Advent geöffnet werden können, oder ob man es nicht den Gemeinden freistellen sollte, wann sie im Dezember - gegebenenfalls kann man die Anzahl einschränken - an einem Sonntag die Öffnung gestatten?

(Herr Schwenke, CDU: Man soll nichts übertrei- ben!)

Ich will in der gebotenen Kürze versuchen, die Auffassung der CDU zu formulieren. Ich glaube, da sind auch wir nicht weit weg von der Meinung, die die sozialdemokratische Fraktion zu diesem Punkt vertritt.

Ich denke, wir haben aus gutem Grund - Sie als Jurist wissen das sicherlich viel besser als ich - als einen Verfassungsgrundsatz auch den Schutz der Sonn- und Feiertage.

Wenn wir jetzt in Bezug auf dieses neue Gesetz sagen, wir wollen den Sonntag als ein besonders schützenswertes Gut schützen, und lassen die Ladenöffnung, anders als es in der Vergangenheit der Fall war, ohne Verlogenheit, unbürokratisch, aber klar begrenzt an vier Sonntagen im Jahr zu, dann halte ich das für sehr vernünftig. Im Einzelfall wird das vielleicht in so mancher Kommune dazu führen, dass die Geschäfte an weniger Sonntagen geöffnet haben. Das finde ich sogar gut so.

Wenn man sich die bisherige gesetzliche Praxis anschaut, die ich nur als extrem arbeitnehmerfeindlich bezeichnen kann, so muss man feststellen, dass in so mancher Gemeinde die Geschäfte aus Anlässen sonntags geöffnet waren, die nicht haltbar sind. Es gab Töpferfeste, Weinfeste und Kirchweihfeste selbst in Gemeinden, in denen nur 5 % der Bevölkerung religiös gebunden sind. Es wurden Veranstaltungen konstruiert ohne einen wirklichen Hintergrund, der einem Brauchtum entspricht. Zum Schluss mussten Gewerkschaften, Kommunen, Verwaltungen oder Gerichte entscheiden, ob eine Öffnung zulässig ist. Das halte ich für unhaltbar.

Was den Sonntag betrifft: Es dürfte auf keinen Fall mehr als vier im Jahr geben und im Dezember den ersten Advent, wenn man darauf käme. Das ist in der CDU nicht ganz unstrittig, aber ich glaube, dafür zeichnet sich in der CDU eine Mehrheit ab. Ich halte das für verantwortbar.

Ich sage aber auch an die Adresse der Kaufleute: keinen weiteren Sonntag im Dezember. Wenn man über Kultur - auch mancher Manager oder Unternehmer redet darüber - in unserem Land redet, setze ich voraus, dass die Weihnachtsmärkte in diesem Land nicht vor dem Ewigkeitssonntag stattfinden. Das halte ich für eine Unsitte, die man verhindern muss.

(Zustimmung bei der CDU)