Protokoll der Sitzung vom 24.02.2012

Im Übrigen hat das Europäische Parlament die Kommission ausdrücklich aufgefordert nachzuweisen, dass europäisches Handeln aufgrund des behaupteten Marktversagens erforderlich sei. Die Kommission hat bis heute keine Belege vorlegen können.

Ich darf noch hinzufügen: Ich halte die Richtlinie auch im Detail durchaus für problematisch. Als Grund für die Einführung der Richtlinie führt die Kommission nämlich an, mit der Einführung der Richtlinie passe man das EU-Recht an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes an. Tatsächlich geht der Richtlinienvorschlag weit darüber hinaus. Die Schwellenwerte für die Vergabe einer Dienstleistungskonzession sind nämlich angesichts der langen Laufzeiten von Dienstleistungskonzessionen viel zu niedrig. Außerdem sollen sowohl die voraussichtlichen Einnahmen Dritter als auch die vom öffentlichen Auftraggeber oder von der Vergabestelle zu zahlenden Beträge erfasst werden. Das ist, denke ich, offensichtlich eine Definition, die vollkommen unbestimmt ist und gerichtliche Auseinandersetzungen geradezu herausfordert.

Gleiches gilt auch für die Definition der Laufzeit der Dienstleistungskonzessionen. Gerade dabei drängt sich mir der Verdacht auf, dass sozusagen durch die Hintertür eine weitere Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen vor allem im Wasserbereich angestrebt wird. Dieser Tendenz müssen wir alle entschieden entgegentreten!

Meine Fraktion ist dezidiert der Auffassung, dass der engere Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge nicht privatisiert werden darf. Den Kommunen muss die Entscheidung überlassen bleiben, ob und, wenn ja, in welchem Umfang sie öffentliche Aufgaben selbst wahrnehmen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Herrn Czeke, DIE LINKE)

Aus diesen Gründen halten wir die Initiative für eine Subsidiaritätsrüge für den richtigen Weg und werden wir dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zustimmen.

Im Gegensatz zu dem, was Sie ausgeführt haben, Herr Czeke, sind wir der Auffassung, dass wir auch dem Alternativantrag der Koalitionsfraktionen zustimmen sollten, auch wenn dieser nicht die Rüge enthält, die wir ausdrücklich für erforderlich halten; denn es ist wichtig, dass vom Landtag das Signal ausgeht, dass der Landtag diese Richtlinie deutlich kritisiert. Man muss dem Alternativantrag zugutehalten, dass dies in ihm immerhin zum Ausdruck kommt. Deswegen werden wir auch dem Alternativantrag zustimmen. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Herrn Leimbach, CDU)

Danke sehr, Herr Weihrich. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kurze.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt drei zentrale Leitbegriffe,

die für einen freiheitlich gesinnten Menschen höchste Bedeutung haben. Diese leiten sich schon aus der Heiligen Schrift und aus dem Naturrecht ab. Ich rede von den Begriffen „Personalität“, der Würde der Person, „Solidarität“, dem mitmenschlichen Zusammenhalt, und „Subsidiarität“, der Verantwortlichkeit und Selbsthilfe der kleineren gesellschaftlichen Einheiten.

Dieser Grundsatz entspricht dem eingangs von mir zitierten Gedanken, dass die Verantwortlichkeit und Selbsthilfekräfte der jeweils kleineren gesellschaftlichen Einheit strikt zu beachten sind, bevor die nächstgrößere Einheit einen Regelungsrahmen setzt. In der Bewertung dieser Frage sind die Europäische Union und die Mitgliedstaaten nicht immer einer Meinung. An der grundlegenden Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips zweifeln nur ewig gestrige Zentralisten und Politplaner, die glauben, sich ihre Idealgesellschaft wie eine Skulptur erschaffen zu können.

Der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien und der Landtag selbst verfügen im Zuge der parlamentarischen Mitwirkungsrechte über das Recht, die Landesregierung aufzufordern, in den Gremien des Bundesrats auf Subsidiaritätsbedenken hinzuweisen oder einen Antrag auf eine Subsidiaritätsrüge zu stellen. Genau das fordert die LINKE in ihrem Antrag.

Es ist klar - ich denke, dass wir diesbezüglich in diesem Haus alle einer Meinung sind -, dass der Lebensstandard von Menschen durch den Abbau von Handelshemmnissen entscheidend verbessert wird. Die EU hat dazu vier Grundfreiheiten durchzusetzen: den freien Warenverkehr, die Personenfreizügigkeit, die Dienstleistungsfreiheit und den freien Kapital- und Zahlungsverkehr.

Die EU-Kommission hat am 20. Dezember 2011 im Rahmen der sogenannten Binnenmarktakte ein Legislativpaket zur Modernisierung des Vergaberechts vorgelegt. Dem stehen allerdings Subsidiaritätsbedenken entgegen, weil es aus unserer Sicht die Gestaltungsspielräume der Kommunen tangiert. Unsere Befürchtung ist, dass ein solcher Rechtsakt flexible Gestaltungsspielräume der Kommunen bei der öffentlichen Auftragsvergabe einschränkt und durch mehr Bürokratie die Kosten für die Verbraucher letztendlich erhöht.

Gerade im Bereich der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung gewährleisten die Kommunen in Deutschland einen hohen Qualitätsstandard. Daher ist es keineswegs sicher, dass der Qualitätsstandard in Deutschland durch eine Verschärfung der europarechtlichen Bestimmungen und die Verpflichtung zu einer europaweiten Ausschreibung verbessert wird. Auf keinen Fall möchten wir also, dass die Verpflichtung zur EU-weiten Ausschreibung sich zum Nachteil für die Verbraucherinnen und Verbraucher auswirkt.

Der europäische Gesetzgeber hat bei Dienstleistungskonzessionen bislang bewusst auf sekundärrechtliche Regelungen der Vergabe verzichtet. Der Bundesrat hat zuletzt in seiner Entschließung am 11. Februar 2011 Bedenken gegen sekundärrechtliche Regelungen erhoben. Bereits am 12. Februar 2010 hat der Bundesrat in einer entsprechenden Entschließung auf den bewussten Verzicht des Gesetzgebers auf sekundärrechtliche Regelungen hingewiesen, ähnlich bereits am 9. Juli 2004.

Aus unserer Sicht besteht daher kein weiterer sekundärrechtlicher Regelungsbedarf in dieser Frage. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gelten im Vergaberecht die aus den Grundfreiheiten des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abzuleitenden primärrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz.

Ein gesonderter Regelungsbedarf für Dienstleistungskonzessionen ist daher nicht erforderlich. Dies gilt umso mehr, als das Europäische Parlament die von der EU-Kommission ins Feld geführten Marktabschottungen und Wettbewerbsverzerrungen für nicht ausreichend belegt hält.

Deswegen bitten wir die Landesregierung, der Beschlussempfehlung der Ausschusses für Innere Angelegenheiten, des Wirtschaftsausschusses und des Ausschusses für Landesentwicklung und Verkehr zu folgen und im Bundesrat darauf hinzuwirken, dass die Subsidiaritätsbedenken Eingang in die Beschlussfassung des Bundesrates finden.

Gerade diesen Richtlinienvorschlag und die Diskussion über die Subsidiaritätsbedenken wollen wir gern zum Anlass nehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Verfahren der Landtagsinformation stetig weiter zu optimieren. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Herr Kurze. - Herr Czeke, Sie haben noch einmal das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kurze, warum glaube ich Ihnen gerade das Letztgenannte überhaupt nicht?

(Zuruf von Herrn Kurze, CDU)

Ich wünsche mir, dass die Landesregierung Sachsen-Anhalts mit dem Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien genauso verfährt, wie dies in Thüringen praktiziert wird.

(Der Redner hält ein Schriftstück hoch)

Es gibt nämlich ein Informationsblatt der thüringischen Landesregierung für den Ausschuss. Dieses

trägt übrigens das Datum 20. Januar 2012. Frau Ministerin, sofern es von Belang ist: 10.32 Uhr. Ich möchte mich hier im Haus nicht über Plagiate und auch nicht darüber streiten, warum Sie mit solch einer Polemik angetreten sind. Das kann ich nicht nachvollziehen, weil doch nur die Schweizer fragen: Wer hat’s erfunden?

Angesichts des zeitlichen Drucks und der Möglichkeit, innerhalb von acht Wochen reagieren zu können, ist es doch fast normal, dass einmal zwei Landtage oder vielleicht auch einmal drei Landtage - es könnten noch mehr sein, weil wir auf der EUSprecherebene sehr eng verknüpft sind - ähnliche Anträge stellen. Dass Sie ausgerechnet in Berlin - deswegen freut mich die Konstellation so sehr - dem einstimmig folgen, das ist nur noch hinzunehmen.

Frau Ministerin, Sie teilen zwar die Rüge, aber um eine politisch-inhaltliche Bewertung drücken Sie sich. Das ist die Problematik, die wir attestieren müssen. Wir haben in diesem Hohen Hause - diejenigen, die schon länger dabei sein, können das bestätigen - lang und breit über die Europatauglichkeit der Landtage debattiert. Herr Kollege Steinecke war damals Präsident. Auch andere Landtagspräsidentinnen und -präsidenten haben sich der Sache angenommen. Alle Sprecher, inklusive der Sprecher von CDU und SPD, haben mehr Kompetenzen angemahnt.

Herr Kollege Tögel, da sitzen wir nun einmal in einem Boot. Ich stelle nur fest: Der eine rudert in die eine Richtung, und der andere will nicht trommeln.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der LIN- KEN)

Wir haben nun einmal den Lissabon-Vertrag. Wir waren kritisch genug und haben gesagt: Okay, Frühwarnsystem. Das ist die einzige Möglichkeit, das anzufassen. Deshalb müssten die EU-Politikerinnen und -politiker sagen: Hurra! Wir nehmen diese Möglichkeit endlich auf und verfolgen sie.

Es ist halt ein Problem, wenn der Staatsminister im Ausschuss kein aktuelles Briefing durchführt, wie es bei anderen Landtagen gemacht wird, wenn es keine Zusatzinformationen neben dem Arbeitsplan gibt, den es auch noch nicht gibt. Das ist die Problematik.

Herr Tögel, wenn das der zentrale Punkt ist, dass Sie nach unserer Rüge - Sie sind mir als Bedenkenträger bekannt - nur mit Bedenken kommen, dann ist das nur noch ein Weichspülen. Wenn das die einzige Alternative ist, habe ich mit meinem Misstrauen vielleicht doch Recht, dass man überprüfen sollte, ob das wirklich ein Alternativantrag ist.

Den Kollegen Kurze kann ich nur fragen, warum er keinen Änderungsantrag gestellt hat. Rüge gegen Bedenken auszuwechseln, dann wäre es doch wohl okay.

Bei Herrn Weihrich konnte ich die meisten Ähnlichkeiten feststellen. Dies gilt auch für die Bedenken gegenüber der europaweiten Ausschreibung und die Frage, was es die Kommunen kostet. Das sind die Befürchtungen, die wir aufnehmen wollten und für die wir die Öffentlichkeit erreichen wollten.

Von Herrn Schröder kann ich die Begründung für den Alternativantrag erwarten.

Bei Frau Budde muss ich mich wirklich fragen, ob dies SPD-Politik ist: Durch den Abbau von Handelshemmnissen und die Stärkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit im Gemeinschaftsraum entsteht gerade für sozial Schwächere ein enormer Zugewinn an Chancen. Donnerwetter! Wie wir das dann noch mit dem Mindestlohne schaffen sollen, ist mir schleierhaft.

Ich fand die Diskussion absolut wohltuend und muss noch einmal bekräftigen: Aufgrund der Tatsache, dass Sie weit hinter unserem Antrag zurückbleiben, können wir Ihren Antrag, der für uns keine Alternative ist, nur ablehnen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke sehr. - Damit ist die Debatte beendet. Wir treten in das Abstimmungsverfahren ein.

Wir stimmen zunächst über den Ursprungsantrag in der Drs. 6/812 ab. Wer stimmt dem zu? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Ursprungsantrag abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt über den Alternativantrag in der Drs. 6/839 ab, Wer stimmt zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Damit ist der Alternativantrag angenommen worden und die Debatte zu Tagesordnungspunkt 19 beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung

Sachsen-Anhalt. Gentechnikfrei!

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/822

Alternativantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/834

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Frederking.