Protokoll der Sitzung vom 23.03.2012

Im Rahmen der Demonstrationen von ver.di und der bei Schlecker Beschäftigten wurde gefordert, Arbeit zu organisieren, statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Ich finde, daran sollen wir uns in der Politik auch halten. - Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Latta. - Zum Abschluss spricht in der Debatte für die Fraktion der CDU Herr Kollege Thomas.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 47 000 Mitarbeiter, 6,5 Milliarden € Umsatz, Filialen in zwölf Ländern und mehr als 14 000 Filialen in ganz Europa. - Das ist Schlecker.

Im Jahr 1975 mit lediglich einer Filiale gegründet, konnte Schlecker zwei Jahre später bereits seine 100. Filiale eröffnen. Im Jahr 1989 konnte bereits die Eröffnung der 1 000. Filiale gefeiert werden. Seit 1994 ist Schlecker Marktführer.

Spätestens seit dieser Zeit haben wir alle Schlecker durch Anzeigenschaltungen in den Zeitungen kennengelernt. Darin hieß es: Wir suchen Gewerberäume, wir wollen expandieren. Schlecker war als Mieter von Objekten gern gesehen. Schlecker war als Steuerzahler gern gesehen. Schlecker war auch als Arbeitgeber gern gesehen. Zumindest sind mir bis dato keine Klagen und dementsprechend auch keine Diskussionen darüber bekannt geworden.

Wie es aber so oft bei ungebremstem Wachstum ist, verliert man hier und da den Überblick. Der verunglückte Werbeslogan „For you vor Ort“ markierte nicht nur einen unrühmlichen Höhepunkt der deutschen Werbeindustrie, sondern läutete gleichzeitig den Anfang vom Ende für Schlecker ein. Am 23. Januar 2012 war Schluss. Schlecker beantragte mit all seinen Töchtern die Insolvenz.

Es ist für mich nicht verwunderlich, dass wir in der Folge solcher schlechten Nachrichten, an denen sich die LINKEN immer gern laben, heute eine Diskussion führen, in der es nicht um das Unternehmen und darum geht, was mit den Beschäftigten geschieht. Vielmehr geht es in diesen Diskussionen um ganz billige Betroffenheitsrhetorik. Das haben weder das Unternehmen noch die Betroffenen verdient.

(Zuruf von Herrn Grünert, DIE LINKE)

Ich hatte gestern die Ehre, meinen Geburtstag zu feiern. Vor 30 Jahren hatte ich Jugendweihe. Zu diesem Anlass habe ich ein Buch mit dem Titel „Der Sozialismus - deine Welt“ geschenkt bekommen.

Die jetzige Diskussion hat mich ein bisschen daran erinnert: Da ist alles gut; da wird alles gut. Wenn es Lücken im Staatssystem gibt, dann wollen Sie sie mithilfe des Staates füllen. Sie haben nicht erklärt, wie Sie sie füllen wollen; Sie haben es nur festgestellt.

Wenn ich feststelle, dass viele Unternehmer auch hier im Raum zu Ihren Zeiten kein Unternehmen gründen durften und dass Sie zu Ihrer Zeit viele Familienunternehmen enteignet haben, dann spreche ich Ihnen das Recht ab, hier über solche Unternehmen solche Sätze zu formulieren.

(Frau von Angern, DIE LINKE: Was verste- hen Sie denn unter Demokratie?)

Wir tun gut daran, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Keine Angst, ich werde schon wieder sachlich, aber ich muss es Ihnen sagen; denn was Sie hier bringen, ist Polemik und hilft in der Sache nicht weiter.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Bleiben Sie auf der Erde!)

Meine Damen und Herren! Die Einschnitte bei Schlecker sind in der Tat ein herber Schicksalsschlag, einmal für das Unternehmen selbst und natürlich auch für die Betroffenen. Das stellt niemand infrage. Wir wollen uns auch um die Betroffenen kümmern.

Gleichwohl ist es etwas mutig, Kollegin Lätta, wenn Sie vollmundig beschreiben - -

(Heiterkeit im ganzen Hause)

- Habe ich etwas Falsches gesagt? Wie heißt sie?

Frau Latta.

- Frau Latta. Ich esse auch gern ökologisch bewusst, insofern verzeihen Sie mir den Versprecher, Frau Latta.

Ich möchte nun zu dem Satz zurückkommen, den Sie gebracht haben: Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN solidarisiert sich eindeutig mit dem Beschäftigten und der Firma Schlecker. Es wäre ehrlich gewesen, wenn Sie uns der Vollständigkeit halber erklärt hätten, warum sie vor zwei Jahren zu einem Boykott der Schlecker-Kette aufgerufen haben und warum sie sich heute von diesem BoykottAufruf nicht distanziert haben.

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Damals waren die Arbeitsbedingungen andere als heute!)

Die Botschaft, die heute von hier ausgehen muss, muss lauten: Wie können wir helfen? - Wir können helfen, indem wir die Leute aufrufen: Geh zu Schlecker, stärke das Unternehmen, stärke die Umsätze und die Gewinne.

Wobei Sie Recht haben: Ordnungspolitisch ist das bedenklich. Aber ordnungspolitisch ist es auch bedenklich, wenn wir uns über Firmenpleiten unterhalten, die exemplarisch für die gesamtwirtschaftliche Betrachtung gelten sollen. Das ist unfair und das ist unredlich.

Deswegen haben Sie, so denke ich, noch die Chance, sich davon zu distanzieren und vielleicht über Ihre Internetforen dazu aufzurufen, wieder bei Schlecker einkaufen zu gehen.

Meine Damen und Herren! Dass es Schlecker schlecht geht, hat natürlich Ursachen. Die Ursachen liegen in der Unternehmensführung. Ich habe mich darüber gefreut, dass ich mindestens zwei potenzielle Unternehmensberater gehört habe, die weise darüber gesprochen haben, wie man das alles so macht. Das ist mit Blick nach hinten immer einfach. Mit Blick nach vorn ist das schwierig.

Ich denke, solch ein rasanter Weg, wie ihn die Schlecker-Gruppe genommen hat, verdient bei allen Schwierigkeiten ein Stück weit Respekt; denn es steckt deutsches Unternehmertum in dieser Firma. Wir sollten uns davor hüten, das zu diskreditieren; denn ansonsten haben wir zukünftig Schwierigkeiten, solches Unternehmertum zu motivieren, in Deutschland überhaupt etwas zu veranstalten.

Deswegen ist die Frage, wie es so weit kommen konnte, eine Frage an die Unternehmensleitung; aber diese, Kollege Thiel, ist heute nicht hier. Ich kenne niemanden, der uns diese Frage heute im Detail beantworten sollte.

Ich weiß auch nicht, ob das an dieser Stelle weiterhilft; denn wir wollen nach vorn schauen und nicht nach hinten. Zudem wollen wir uns insbesondere mit der Frage beschäftigen, wie wir den Leu

ten, den Menschen, die sich jetzt in einer Ungewissheit befinden, helfen können.

Meine Damen und Herren! An der Schlecker-Pleite ist nicht der Staat schuld. An der Schlecker-Pleite ist das Unternehmen, die Unternehmensführung selbst schuld. Es ist schwierig, an dieser Stelle staatliche Maßnahmen zu verordnen; denn im letzten Jahr hatten wir in Deutschland 30 000 Firmenpleiten zu verzeichnen. Das ist sehr negativ. Das ist sehr unschön. Gleichzeitig sind aber 140 000 Firmen gegründet worden.

Es ist nun einmal ein Gesetz der Marktwirtschaft - das können wir nicht außer Kraft setzen -, dass es immer wieder Firmen gibt, die sich gründen, und dass es Firmen gibt, die in schweres Fahrwasser kommen.

Ich weiß nicht, ob wir bei 30 000 Fällen von Insolvenz in Zukunft über jeden einzelnen Fall hier in aller Detailliertheit debattieren wollen und können, oder ob wir uns nicht damit abfinden, dass es zu unserer Wirtschaft gehört, dass Betriebe, die es am Markt nicht schaffen, sich letztlich entweder anderweitig orientieren oder aber auflösen müssen.

Ich möchte davor warnen, dass wir Firmen, die durch unternehmerische Fehlentscheidungen in eine Schieflage geraten, mit staatlichen Subventionen versorgen und damit die Wettbewerber in schwierige Situationen bringen.

(Zustimmung bei der CDU)

Das ist ordnungspolitisch nicht durchzuhalten und auch nicht vermittelbar. Denn wo, meine Damen und Herren, wollen wir hierbei die Reißleine ziehen? Wo wollen wir hierbei den Strich ziehen? - Wir müssen sehr aufpassen, dass wir ordnungspolitisch den Kompass und die Richtung nicht verlieren.

Jetzt - das haben wir schon gehört - stehen bei Schlecker die Belange der Gläubiger, der Arbeitnehmer und des Insolvenzverwalters im Vordergrund. Wir sollten uns davor hüten, uns dort einzumischen. Wir können das nur unterstützen. Wir sollten alle mitarbeiten, um schnellstmöglich eine Lösung zu finden.

Die Lösungen finden wir nicht in zig Beratungsrunden der Ministerien und der Politiker; vielmehr muss hierbei knallhart nach Insolvenzrecht verfahren werden. Es muss mit Lieferanten und mit zukünftigen Investoren gesprochen werden. Darauf, so denke ich, sollte das Hauptaugenmerk liegen.

Deswegen ist die öffentliche Debatte, die wir heute erlebt haben, insbesondere auch vonseiten der LINKEN, eigentlich ein bisschen an dem Thema vorbei. Das ist schade.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Kollege Steppuhn hat Recht: Wenn Sie eine Grundsatzdebatte über Wirtschaftspolitik führen wollen, dann führen Sie sie bitte nicht auf Kosten der Unternehmen, die sich in einer schweren Phase befinden. Wir sollten sie etwas theoretischer führen; denn letztlich ist selbst die Debatte, die wir heute führen, nicht gut für Schlecker. Das gibt ein schlechtes Image, und das hat, so denke ich, das Unternehmen nicht verdient; denn nach wie vor - auch das haben wir heute gehört - gibt es Filialen, die funktionieren, die Gewinn machen. Letztendlich soll heute von hier ein Signal ausgehen, dass wir um die Unterstützung bitten.

Meine Damen und Herren! Natürlich bedeutet eine Unternehmensumstrukturierung, das Bestreben, ein Unternehmen wieder in die Gewinnzone zu führen, immer Maßnahmen zu ergreifen, meist auch unpopuläre Maßnahmen, meist eine Verschlankung des Unternehmens. Man muss sich dann auch von Arbeitsplätzen, die nicht profitabel sind, trennen. Auch das gehört leider dazu. Das ist bitter.

Bei Schlecker betrifft das insgesamt 12 000 Stellen. Es tut mir um jede einzelne Stelle leid, aber an dieser Stelle muss man die Gesamtheit sehen und darf nicht in eine billige Subventionsmentalität unter dem Motto „Wir stecken jetzt Geld rein und dann zum Schluss bringen wir das ganze Unternehmen durch diese Subvention in eine Schieflage und wir bekommen es überhaupt nicht mehr profitabel“ verfallen.

Wir haben es schon gehört: In Sachsen-Anhalt sind davon 450 Stellen betroffen. Ja, es ist richtig, auch wir von der Union haben der Transfergesellschaft zugestimmt. Aber ich lege Wert auf die Feststellung und sage das mit aller Offenheit: Wir haben der Transfergesellschaft erst zugestimmt, nachdem wir die notwendigen Fakten und Daten geprüft haben, nachdem wirklich das Material vorlag, nach dem wir auch entscheiden konnten.

Es ist doch ein Phänomen und es spricht für die Unternehmensführung, für dieses ungehemmte Wachstum, dass selbst Anton Schlecker nicht wusste, wie viele Leute bei ihm arbeiten. Wenn ein Insolvenzverwalter überlegen muss, wie viele Leute überhaupt hier arbeiten und wie viele davon betroffen sind, dann zeigt das, dass dort einiges in Schieflage geraten ist.

Anfang der Woche waren es noch 140 Arbeitsplätze, die davon betroffenen waren - das waren die Zahlen -, mittlerweile liegen genauere Zahlen vor: Es sind 441 Betroffene. Dies ist ein ganz anderes Volumen, eine ganz andere Anzahl und damit natürlich eine ganz andere Wichtigkeit.

Ich möchte Ihnen einen weiteren Punkt nennen: Am Anfang ging es um eine Ausfallbürgschaft in Höhe von 3 Millionen €, die sofort als verloren galten. Mittlerweile hat die Landesregierung durch die Verhandlungen vor Ort erreicht, dass wir die Aus

fallbürgschaft nicht nur auf 1,47 Millionen € nahezu halbiert haben, sondern auch das Risiko, dieses Geld zu verlieren, gegen null geht, weil die Sicherheiten bei Schlecker vorhanden sind.

Das, meine Damen und Herren, sind gute Verhandlungsergebnisse. Mit denen können wir auch als Union leben. Deswegen unterstützen wir die Landesregierung bei den Bemühungen.

Wir verhehlen natürlich nicht, dass das von mir eben Geäußerte auch Bedingungen sind, zu denen wir agieren wollen. Natürlich ist es ganz wichtig, dass sich der Sitz dieser Transfergesellschaft in Sachsen-Anhalt befindet, damit wir nahe an den Problemen sind und entsprechend helfen können.