Protokoll der Sitzung vom 13.07.2012

Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 6/1282 ab. Wer stimmt dem zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Somit ist der Änderungsantrag mit Mehrheit angenommen worden.

Wir stimmen jetzt über den Ursprungsantrag in der Drs. 6/1154 in der soeben geänderten Fassung ab. Wer stimmt dem zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Damit ist der Antrag in dieser Fassung angenommen worden und wir verlassen den Tagesordnungspunkt 19.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung

Konzept zur Anerkennung von Qualifikationen in Werkstätten für behinderte Menschen

Antrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/1166

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Dr. Späthe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Gestatten Sie mir zur Einbringung unseres Antrages mit dem Titel „Konzept zur Anerkennung von Qualifikationen in Werkstätten für behinderte Menschen“ Erläuterungen zur Entstehung und zu den Konsequenzen des Antrages vorzubringen; denn inhaltlich erklärt sich der Antrag von selbst.

In den letzten Jahren wurden einige Beschlüsse und Verwaltungsvorschriften unterschiedlichster Art und von unterschiedlichen Institutionen verabschiedet, die, in einen Zusammenhang gebracht, letztlich zu unserem Antrag geführt haben.

Erstens. Grundsätzlich müssen Anstrengungen unternommen werden, allen Menschen eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt zu geben. Das gilt für schwerbehinderte Menschen genauso wie für Menschen mit Behinderungen und damit auch für die Mitarbeiter einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.

Der Auftrag der Werkstätten ist in erster Linie die Sicherung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Sie haben den behinderten Menschen, die wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder nicht wieder auf

dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt sein können, eine angemessene berufliche Ausbildung und eine Beschäftigung gegen Entgelt zu bieten. Sie fördern den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die Durchlässigkeit zwischen Werkstätten und dem ersten Arbeitsmarkt muss verbessert werden. Und genau dies fand in der Vergangenheit in Sachsen-Anhalt in verschwindend geringem Maße statt, in gerade einmal 0,13 % der Fälle.

Zweitens. Die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen unterstreicht in Artikel 27 das Recht auf Arbeit und Beschäftigung. Ich zitiere:

„Dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, Arbeit, die in einem offenen, integrativen und für behinderte Menschen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wurde.“

Drittens. Unter dem Eindruck des demografischen Wandels, aber vor allem auch durch die zunehmende Akzeptanz der Rechte behinderter Menschen, also auch auf eine inklusive Teilhabe am Arbeitsleben, beschloss die 87. Arbeits- und Sozialministerkonferenz im Jahr 2010, dass für dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen die Möglichkeit genutzt werden sollte, auf den ersten Arbeitsmarkt zuzugreifen. Das kann in Form eines bezuschussten Arbeitsvertrages sein oder durch die Stellung notwendiger Betreuungsleistungen, aber auf jeden Fall ist eine Vielzahl von Maßnahmen notwendig, die schon möglichst frühzeitig, ja bereits in der Schulzeit einsetzen sollen.

Viertens. Ebenfalls im Jahr 2010 legte die Bundesagentur für Arbeit das überarbeitete Fachkonzept für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich für Werkstätten für behinderte Menschen vor. Es basiert auf dem Rahmenplan aus dem Jahr 2002, entwickelt diesen aber weiter und legt fest, dass sich das Eingangsverfahren, also die Phase der Feststellung vorhandener Kompetenzen und Neigungen der Wertstattbesucher, als auch der Berufsbildungsbereich, in dem die Ausbildung im Zentrum steht, stärker auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fokussieren hätten. Die Integrationschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt seien dadurch zu erhöhen, dass das Angebot von Qualifizierungsbausteinen gemäß Berufsbildungsgesetz zu prüfen und anzubieten ist.

Fünftens. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten veranstaltet regelmäßig ein Fachforum namens „Braunschweiger Gespräche“. Die Weiterentwicklung des eben erwähnten Fachkonzeptes wird im Resümee der „Braunschweiger Gespräche“ im Jahr 2011 als zentraler Impulsgeber für die Entwicklung der beruflichen Bildung in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen bezeichnet.

Zentraler Impulsgeber deshalb, weil erstmals ein Scharnier, das heißt ein Verbindungselement zwischen der beruflichen Bildung in Werkstätten und dem Berufsbildungsgesetz geschaffen wurde, so der Vorstand.

Die Konsequenz wäre, dass auch in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen eine Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen erfolgen könne. Dies erfordert natürlich noch umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen und ist realistischerweise - das wissen wir auch - nicht für jeden Werkstattbesucher eine Perspektive.

Uns ist selbstverständlich auch bewusst, dass der Arbeitsmarkt eine zentrale Rolle spielt, wenn es darum geht, in Sachsen-Anhalt auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Aber die Erfahrungsberichte der Unternehmen zeigen auch, dass Arbeitgeber gerade das Engagement behinderter Arbeitnehmer schätzen.

Die Ausrichtung auf anerkannte Ausbildungsberufe an sich würde wieder ein Stück Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bedeuten und einer langjährigen Forderung der Verbände auf Anerkennung der Bildungsabschlüsse in Werkstätten entsprechen.

Sechstens. Wie bekannt ist, erarbeiten Bund und Länder Aktionspläne zur Umsetzung der Konvention unter landesspezifischen Bedingungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dem Entwurf des Landesaktionsplanes Sachsen-Anhalt wird ganz klar der Anspruch formuliert, dass ein Schwerpunkt der Behindertenpolitik des Landes darin liegt, Menschen mit Behinderungen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu verschaffen. Dies gelte auch für Menschen, die schon länger in einer Werkstatt beschäftigt sind.

Ich möchte anmerken: Das gilt natürlich insbesondere für die, die sich in der Eingangs- bzw. Berufsbildungsphase befinden.

(Beifall bei der SPD)

Die schwierige Situation am Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt und das oftmals nicht anerkannte Potenzial von Menschen mit Behinderungen, wie es in dem Entwurf heißt, dürfen aber nicht davon abhalten, den Prozess in Angriff zu nehmen und konsequent zu verfolgen. So fordern wir auch im Entwurf des Landesaktionsplanes die Werkstätten auf, diesen Prozess mit geeigneten Maßnahmen zu befördern.

Ein Vorreiter auf diesem Gebiet und quasi für uns Vorbild ist das Saarland. Unter Bezugnahme auf das eben beschriebene Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit zum Eingangsverfahren in den Werkstätten wird in dem saarländischen Entwurf des Landesaktionsplanes formuliert: Die betriebliche Ausbildung in Werkstätten sollte durch anerkannte Abschlüsse zertifiziert werden.

Im März 2012 wurden erstmals 27 Mitarbeitern von Werkstätten staatliche Zertifikate für den erfolgreichen Abschluss der Berufsbildung in der Werkstatt überreicht. Dazu war es notwendig, ein modellhaftes Konzept für das Saarland zu erarbeiten. Es wurde von der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, der Bundesagentur für Arbeit und dem Land Saarland gemeinsam erarbeitet.

Wir möchten diesen Erarbeitungsprozess auch in Sachsen-Anhalt in Gang setzen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sehen hierfür zwei Ansätze. Einerseits ist eine modellhafte Landesregelung schneller umzusetzen als eine bundesweite Regelung, wie die teils langwierigen Diskussionsprozesse in den Verbänden und in der ASMK zeigen. Die Bewohner der Werkstätten bekämen in Bezug auf ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten endlich eine Anerkennung in die Hand. Diese würde ihnen bescheinigen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten in der Berufsbildung erworben wurden, und sich eben an ihren Kompetenzen und nicht an ihren Defiziten orientieren. Außerdem könnten potenzielle Arbeitgeber einschätzen, für welche Arbeitsabläufe und Verantwortungsbereiche ein Teilnehmer der Berufsbildung in der Werkstatt als Arbeitnehmer geeignet ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte aber betonen, dass eine bundesgesetzliche Regelung nicht aus den Augen zu verlieren ist, um in Abstimmung mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung zu einheitlichen Berufsabschlüssen zu kommen. Bis dahin ist die Landesregelung für Sachsen-Anhalt sinnvoll. Sie könnte einen Baustein im Landesaktionsplan zur Umsetzung der Konvention darstellen.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen und die Landesregierung aufzufordern, gemeinsam mit der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt/Thüringen der Agentur für Arbeit und der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen ein modellhaftes Konzept zur Anerkennung von Qualifikationen in der Werkstatt zu entwickeln. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr, Frau Kollegin Dr. Späthe, für die Einbringung. - Die Landesregierung hat signalisiert, dass Sie alles gesagt haben. Sie verzichtet auf einen Redebeitrag. Somit hat nunmehr für die Fraktion DIE LINKE Frau Dirlich das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zum Glück

fangen wir bei diesem Thema nicht bei null an. Es gibt inzwischen Integrationsunternehmen, es gibt Integrationsabteilungen in Betrieben und es gibt in der Bundesrepublik flächendeckend Integrationsfachdienste, die Menschen ganz individuell begleiten und betreuen können.

Das alles sind Versuche, Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu eröffnen, tatsächlich auf dem allgemeinen, auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Das alles dient dazu, der Forderung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderungen, also der UN-Behindertenrechtskonvention, gerecht zu werden.

Trotzdem - ich betone: trotzdem - nimmt die Zahl der Beschäftigten in den Werkstätten immer mehr zu. Die Werkstätten platzen inzwischen förmlich aus allen Nähten. Die Mitglieder der Besuchskommissionen des Psychiatrieausschusses können sich davon regelmäßig überzeugen.

Natürlich ist jeder Versuch lobenswert, diesen Zustand kritisch zu betrachten und Alternativen für die Arbeit der Menschen mit Behinderungen zu finden und zu befördern. Wir übernehmen auch gern einmal etwas aus dem Saarland.

(Frau Bull, DIE LINKE, lacht - Herr Miester- feldt, SPD: Schon wieder!)

Die Zielgruppe sind Menschen, die mit der Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz überfordert sind, aber bei entsprechender Qualifizierung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehen könnten.

Die Vorteile sind schon genannt worden: Die Menschen erhalten ein Zeugnis. Ihre Ausbildung wird damit nicht nur bewertet, sondern sicherlich auch aufgewertet. Die Fähigkeiten des einzelnen Menschen mit Behinderung sind für potenzielle Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen besser einschätzbar, sicherlich auch die Grenzen der behinderten Menschen und ihr Hilfebedarf.

Aber, ich denke, man darf die Schwachpunkte nicht ganz außer Acht lassen. Das Modell könnte sich beispielsweise den Vorwurf der Behindertenverbände einhandeln, dass behinderte Menschen vor allem auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft reduziert werden könnten.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das findet in dieser Gesellschaft ohnehin schon viel zu oft und viel zu vordergründig statt. Viele wollen nicht, dass dieses Prinzip nunmehr auch noch konsequent auf Menschen mit Behinderungen angewendet wird.

Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass die fehlenden Zeugnisse für die Betroffenen selbst nicht der Hauptgrund sind, den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu scheuen. Sie vermissen Regelungen für ihre Rückkehr.

(Zustimmung bei der LINKEN)