Eine Rückkehr ist möglich, wenn das Scheitern auf dem Arbeitsmarkt behinderungsbedingt ist. Wenn aber einfach der Betrieb pleite macht oder Personalabbau betreibt und davon die Menschen mit Behinderungen betroffen sind, dann haben die Betroffenen diese Rückkehrmöglichkeit nicht, sondern sind den ganz normalen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt unterworfen. Sie werden einfach arbeitslos.
Das wäre kein so großes Problem, wenn der Arbeitsmarkt ein bisschen aufnahmefähiger wäre, als er es ist. Natürlich betrifft dieses Problem alle. Aber es ist ein wesentlicher Grund für Menschen mit Behinderungen, den geschützten Bereich, den sie derzeit noch haben, nicht zu verlassen.
Weitere Probleme sind, dass die Bedingungen in der Arbeitswelt nicht gerade und nicht überall barrierefrei sind. Dass der Arbeitsstress in der sogenannten normalen Arbeitswelt wesentlicher größer ist, ist bekannt. Insbesondere Menschen mit psychischen Behinderungen haben die meisten Probleme, übrigens auch in den Werkstätten. Der geistig Behinderte ist - in Anführungszeichen, Entschuldigung - pflegeleicht. Aber der Mensch mit einer psychischen Behinderung kommt jeden Tag mit einer anderen Stimmung zur Arbeit.
Eine andere Frage ist, wie die Arbeit der Menschen mit Behinderungen bewertet, das heißt vergütet wird. Bekommen wir es mit einem neuen Niedriglohnsektor zu tun? Bekommen wir es mit einem neuen Kombilohn zu tun? - Wir sind daran nicht interessiert.
Eine weitere Hürde ist die Zielgruppe selbst, also die Leistungsfähigsten unter den Menschen in den Werkstätten. Die Werkstätten sind selbst einem hohen Kostendruck unterworfen und brauchen gerade diese leistungsfähigen Menschen sozusagen für ihr eigenes Überleben. Woher soll also ihr Interesse kommen, gerade die Leistungsfähigsten in den ersten Arbeitsmarkt hinauszuentwickeln? - Sie tun es übrigens trotzdem; aber die Prozentzahlen oder die Promillezahlen haben wir ja gehört.
Wenn man die UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich ernst nehmen wollte, müsste man die Werkstätten von ihrem Werkstattcharakter befreien und sie zu Sozialbetrieben entwickeln,
müsste man das Einkommen vom Taschengeldcharakter befreien und versicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse begründen,
müsste man eine andere Arbeitsmarktpolitik machen, weil die Kürzungen im Arbeitsmarktbereich gerade für Menschen mit Behinderungen kontraproduktiv sind.
Uns sind erste Schritte nicht unwichtig, mir schon überhaupt nicht. Deshalb will ich Zustimmung zu diesem Antrag signalisieren. Aber ich sage Ihnen auch: Mit dem Thema sind wir noch lange nicht durch.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben in diesem Hohen Haus schon mehrfach thematisiert, wie wichtig uns Chancengleichheit und die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben sind. Der Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, ein modellhaftes Konzept zur Anerkennung von Qualifikationen in Werkstätten für behinderte Menschen in SachsenAnhalt zu initiieren, entspricht genau dieser Intention.
Bereits jetzt - wir haben es gehört - wird sorgfältig der individuelle Förderbedarf festgestellt, geben Praktika die Möglichkeit, in das reguläre Arbeitsleben hineinzuschnuppern, gibt es einzelne Übergänge in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Das alles reicht jedoch noch nicht aus.
Deswegen wollen wir einen Schritt weitergehen und sowohl für die Menschen mit Behinderungen als auch für die Unternehmen, die sie beschäftigen wollen, durch ein modulares Qualifikationssystem mit Zertifikaten über die einzelnen erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse eine Sicherheit der Abschlüsse dokumentieren.
Schritt für Schritt könnten neben den erworbenen handwerklichen Fähigkeiten auch soziale oder kreative Kompetenzen, aber auch Kulturtechniken nachgewiesen werden. Gerade bei geistig behinderten Menschen mit Lese- und Rechtsschreibproblemen könnten zum Beispiel nachgewiesene Computerkenntnisse eine gewisse Kompensation schaffen.
Ein wichtiges Ziel unseres Antrages besteht darin, den ersten Arbeitsmarkt und seine spezifischen Bedürfnisse stärker in den Fokus zu nehmen. Gleichzeitig bedeutet der Nachweis von beruflichen Kompetenzen und Fähigkeiten für die Betroffenen mehr Selbstbewusstsein. Denn Lernen und der Nachweis des Gelernten setzen immer eine individuelle Herausforderung und Anstrengung voraus, die auch stolz macht.
Hinzu kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass man in Deutschland für alles einen schriftlichen Nachweis mit Stempel und Unterschrift braucht.
Wir hoffen, dass die Landesregierung zeitnah im Ausschuss für Arbeit und Soziales über erste Ergebnisse berichten kann. - Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.
Danke sehr, Frau Gorr. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Lüddemann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Antrag der Koalitionsfraktionen liest sich in der Tat zumindest auf den ersten Blick sehr gut. Werkstätten nicht zur Endstation beruflicher Karrieren werden zu lassen, das sollte unser aller Anliegen sein.
Das ist die eine Seite des Antrags. Über diesen Themen steht mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention die Zielstellung einer inklusiven Gesellschaft, in dem Falle eines inklusiven Arbeitsmarktes. Es geht nicht darum, den gegenwärtigen Zustand zu zementieren, sondern darum, ihn in einem größeren Gebilde, und zwar in einem inklusiven Arbeitsmarkt, für alle, aufgehen zu lassen.
Es ist zu fragen, ob Zertifikate für erworbene berufliche Qualifikationen, wie es der Antrag vorsieht, für dieses übergeordnete Ziel der richtige Weg sind. Die Zahlen der Beschäftigten in den Werkstätten steigen. Das ist nicht im Sinne eines inklusiven Arbeitsmarktes. Insofern finde ich auch die Verfahrensweise des Sozialministeriums richtig, zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Werkstätten mehr zuzulassen. Politik sollte dafür Sorge tragen, dass mehr Mensch mit Handicaps reguläre Beschäftigung finden. Doch dazu trägt die im Antrag vorgeschlagene Initiative wenig bis nichts bei.
Haben Sie, sehr verehrte Abgeordnete der Koalition, denn Anhaltspunkte, dass genau diese fehlenden Zertifikate - da stimme ich der Kollegin Dirlich zu; meine Erkenntnis ist es nicht, dass das der Hauptgrund wäre - ursächlich dafür sind, dass die Betroffenen keine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt finden? Und wenn solche Zertifikate von den Werkstätten als Vermittlungsinstrumente eingesetzt werden, werden sie dann wirklich auch als Vermittlungsinstrumente verstanden? Oder werden sie nicht eher dazu führen, dass sich die Leute in den Werkstätten noch wohler fühlen?
Das Saarland ist schon mehrfach angesprochen worden. Wenn Sie auf die Internetseite der dortigen Arbeitsgemeinschaft und auch auf die Seite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung gehen, dann ist da Folgendes zu lesen:
Herr Schmaus von der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten betont noch einmal, dass Menschen, die den Weg in die berufliche Bildung und die Arbeitswelt der Werkstätten suchen, nicht nur Arbeit, sondern auch ihren Lebensmittelpunkt in der Werkstatt finden - und das ein Leben lang. Genau diese Menschen sind es, für die dieses Zertifikat eine wichtige Würdigung ist - eine adäquate und formelle Würdigung, die sie verdienen. Daraus lese ich gerade nicht das Verständnis heraus, dass diese Zertifikate den Übergang in den Arbeitsmarkt erleichtern sollen.
Wenn diese Zertifikate das leisten sollen, müsste man das Verständnis dazu auch mit vermitteln. Ich glaube, diese Intention ist einfach nicht gegeben. Grundsätzlich müssen wir meiner Meinung nach früher ansetzen, nämlich bevor jemand überhaupt anfängt, in einer Werkstatt zu arbeiten. Wir haben derzeit einen Automatismus von Förderschule - Berufsbildungsbereich - Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Meistens ist dann auch Schluss. Wir brauchen eine höhere Durchlässigkeit der Arbeitsmärkte.
Wir müssen den geschützten und den ungeschützten Arbeitsmarkt besser miteinander verzahnen, besser miteinander kooperieren lassen. Wir brauchen zudem auch eine Stärkung der Instrumente wie Arbeitsassistenz und Integrationsfachdienste. Das ist auch schon erwähnt worden. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir eben nicht mehr den kriegsversehrten Veteranen haben, der eine klar abgrenzbare Behinderung hat, die sein Leben lang so bleibt, wo man sicher ist: Darauf müssen wir uns einstellen.
Heute haben wir auch die sogenannten temporären Behinderungen. Wir haben Menschen, denen es 20, 25 Jahre ihres Lebens gut geht, die zehn Jahre eine besondere Unterstützung brauchen und dann aber auch gut wieder in den ersten Arbeitsmarkt übergeleitet werden können. Genau das muss unser Anliegen sein, nicht die Zementierung dessen, dass diese Menschen ihr Leben lang in den Werkstätten verbleiben.
Wenn das im ersten Absatz des Antrags der Koalitionsfraktionen formulierte Ziel erreicht werden soll: Warum verbessern wir dann nicht gemeinsam die Möglichkeit der Ausbildung für Menschen mit und ohne Behinderungen außerhalb von Werkstätten, indem wir etwa die personenbezogenen Hilfen systematisch dahingehend organisieren?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zertifikate geben aus unserer Sicht ein Signal in eine falsche Richtung. Sie zementieren die Struktur der Werkstätten und sie zementieren den Niedriglohncha
rakter der Werkstätten. Da meine Fraktion und ich die Deinstitutionalisierung anstreben und die Förderung von personenbezogenen Hilfen zur Arbeit wollen, werden wir in dem Punkt gegen den Antrag stimmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktionskollegin Frau Dr. Verena Späthe hat in ihrer Einbringungsrede bereits deutlich gemacht, worum es uns bei dem gemeinsamen Antrag von CDU und SPD geht. Daher möchte ich Ihnen und mir ersparen, auf zu viele Details einzugehen.
Es sei mir gestattet, zumindest zu Frau Lüddemann zu sagen: Sie sehen ja ein, dass es ein Ziel geben, also ein Konzept erarbeitet werden muss. Ich glaube, die Debattenbeiträge haben deutlich gemacht, dass wir alle sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie man Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt integrieren kann. Deshalb ist meiner Meinung nach die Zielvorgabe, dass wir für unser Land ein Konzept zur Anerkennung von Qualifikationen in Werkstätten für behinderte Menschen erarbeiten, der richtige Weg, damit wir auch zu einem einheitlichen Denken und Handeln kommen.
Dies soll nicht nur ein Konzept auf dem Papier sein, sondern wir wollen von der realen Situation und den Möglichkeiten ausgehen, die wir haben, um zu einer verbesserten Anerkennung von Qualifikationen, die Menschen mit Behinderung in Werkstätten erworben haben, zu kommen. Wir erfüllen damit auch den nationalen Aktionsplan, der Grundlage für unser politisches Handeln sein soll und muss.
Wir glauben, dass eine verbesserte Anerkennung von Qualifikationen dazu führen wird, dass sich die Chancen bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt der behinderten Menschen deutlich erhöhen.
Wir beabsichtigen, mit diesem Konzept alle Möglichkeiten auszuschöpfen um Menschen mit Behinderungen bestmögliche Chancen zu bieten, in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden. Wohl wissend, dass dies nicht einfach sein wird, sollten wir uns gemeinsam dieser Herausforderung stellen.
Oft haben behinderte Menschen in den Werkstätten Teilqualifikationen erlangt, die für den ersten Arbeitsmarkt nutzbar gemacht werden können - und dies sowohl im Interesse der behinderten Menschen selbst als auch der Unternehmen, die Arbeitsplätze mit Teilqualifizierungen anzubieten haben.
Unser Ziel, meine Damen und Herren - damit dies deutlich wird -, ist es nicht, ganze Berufsbilder zu verändern. Wir wollen vielmehr erreichen, dass behinderte Menschen über die Qualifikationen, die sie erworben haben, einen Nachweis erhalten, mit dem sie sich zum Beispiel auch bei einem Unternehmen zielgerichtet bewerben können.
Ein derartiger Nachweis bzw. ein Zertifikat soll aber auch - dies ist genauso wichtig - dazu führen, dass die Unternehmen erkennen, dass es sich bei behinderten Menschen um qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handelt und dass diese nachgewiesene Qualifikation die Unternehmen dazu veranlasst, behinderte Menschen auch einzustellen.