Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass ich darüber im Paket abstimmen lassen kann. Wer für die Überweisung in die weiteren benannten Ausschüsse ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Antrag zur Bildung eines Beirats in der Drs. 6/65 in den Ältestenrat überwiesen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 7.
Die Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Zoschke. Frau Zoschke hält heute Ihre erste Rede. Wir wünschen Ihnen für Ihre Arbeit weiterhin viel Erfolg.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Behindert ist man nicht, behindert wird man. So steht es sinngemäß in der Präambel der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Außerdem enthält die Präambel auch die Vereinbarung der Unterzeichnerstaaten, dass allen Menschen mit Beeinträchtigungen Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Diskriminierung zu garantieren sind.
Wenn dies so ist, liegt es an uns, liegt es in unserer Verantwortung, diese Formen der Behinderungen abzubauen, Barrieren zu überwinden und volle Teilhabe zu ermöglichen.
Was behindert die Menschen? - Stufen, die zu hoch sind, Treppen überhaupt, Schrift, die zu klein ist, Worte, die man nicht versteht, Arztpraxen, die nur über Treppen erreichbar sind, Busse, die nicht mehr fahren, Fahrradständer oder Werbeaufsteller, die gestern noch nicht auf diesem Weg standen,
Baustellen, an denen rot-weiße Flatterbänder auf die Gefahr hinweisen - gut sichtbar, auch für Sehbehinderte? -, Gedankenlosigkeit, Herzlosigkeit, Unverständnis oder Überheblichkeit in den Ämtern, Verwaltungen und ähnlichen Institutionen.
Der Alltag von behinderten Menschen ist noch viel zu oft voller solcher Ereignisse. Wenn wir davon ausgehen, dass unser Anspruch an Barrierefreiheit der ist, dass Menschen mit Behinderungen all das nutzen können, was auch wir nutzen, selbständig und weitestgehend ohne fremde Hilfe, selbstverständlich auch dann, wann sie es für erforderlich halten - daran gemessen haben wir noch allerhand zu tun, um unser Land diesem Anspruch entsprechend zu gestalten.
Und dass wir genau dies tun müssen, steht außer Frage. In Sachsen-Anhalt leben ca. 180 000 Menschen, die wegen diverser Barrieren an einer vollen Teilhabe an der Gesellschaft gehindert werden. Darüber hinaus bedeutet ein barrierefrei gestaltetes Lebensumfeld auch für unsere immer älter werdende Gesellschaft notwendige Lebensqualität. Barrierefreiheit nutzt allen und Barrierefreiheit braucht alle.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am 26. März 2009 die zwei Jahre zuvor beschlossene UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Seitdem stehen wir als Gesellschaft und insbesondere auch wir in Sachsen-Anhalt in der Bringeschuld den Menschen mit Behinderungen gegenüber.
Die Ansprüche der UN-Konvention weisen in zwei Richtungen. Zum einen wird die Gesellschaft als Ganzes in die Pflicht genommen und zum anderen jedes einzelne Individuum. Die Gesellschaft hat in erster Linie jeden Menschen vor Einschränkungen seiner Freiheiten durch den Staat zu schützen und die strukturelle Ausgrenzung behinderter Menschen zu verhindern.
Behinderte Menschen sollen in alle ablaufenden Prozesse, also in politische, kulturelle, soziale und wirtschaftliche, von Anfang an einbezogen werden. Der Grundsatz der Konvention bewegt sich fort von einem defizitorientierten Blick auf Menschen mit Behinderungen hin zur Erkenntnis der Vielfalt der menschlichen Existenz. Das heißt, die Behinderung wird als normaler Bestandteil menschlichen Lebens und als Quelle kulturellen Reichtums verstanden. Der behinderte Mensch wird mit der Konvention aufgefordert, an den eben beschriebenen Prozessen mitzuwirken, sich einzubringen und dafür Sorge zu tragen, dass dies tatsächlich so geschieht.
das Agieren der Menschen mit Behinderungen und deren Verbände. Dieses Haus hat in der Vergangenheit in anderer Zusammensetzung bereits mehrmals über dieses Thema diskutiert und auch Beschlüsse gefasst. Ich erinnere an den Beschluss vom Dezember 2009, mit dem die Landesregierung gebeten wurde, einen Aktionsplan zur Verwirklichung der räumlichen, mobilen und kommunikativen Barrierefreiheit in Sachsen-Anhalt ins Leben zu rufen.
Wie wir im Jahr 2009 bereits feststellten, schöpft dieser Beschluss allerdings bei Weitem nicht die Möglichkeiten aus, die dieses Land hat. Noch immer verhindern Kostenvorbehalte, Nichtwissen und Vorurteile barrierefreies Bauen und Gestalten.
Großer Handlungsbedarf existiert nach wie vor bei der Schaffung von Barrierefreiheit für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen. Wir fordern uns alle und insbesondere die Landesregierung hiermit auf, diese konkreten Aufgaben Lösungen zuzuführen. Es reicht nicht mehr aus, die UN-Konvention zu begrüßen und darauf zu verweisen, dass sich die Situation von Menschen mit Behinderungen in den letzten Jahren doch merklich verbessert habe.
Nicht die UN-Konvention muss sich in der Praxis bewähren, wie Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, das in Ihrem Koalitionsvertrag formulierten, sondern es muss aktiv gehandelt werden.
Da reicht es mir nicht, wenn mir in einer Absichtserklärung der Landesregierung vom Februar 2010 zur Umsetzung dieses Beschlusses mitgeteilt wird, dass das Ministerium für Gesundheit und Soziales mit allen Ressorts in einen Informationsprozess eintreten will.
Das Recht auf Barrierefreiheit ist mit der UN-Konvention ein einklagbares Menschenrecht, dem wir in der Landesgesetzgebung Rechnung zu tragen haben. Ein erster Schritt sollte schon 2010/2011 die Einrichtung eines Kompetenzzentrums des Landes für Barrierefreiheit sein. Ich sehe kein derartiges Kompetenzzentrum.
Die UN-Konvention hat unter anderem damit gebrochen, dass es persönliches Schicksal sei, eine Behinderung zu haben. Sie stellt klar: Die Behinderung besteht in erster Linie in der Wechselwirkung zwischen den Beeinträchtigungen behinderter Menschen und den Barrieren in der Gesellschaft. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger als: Wir haben Einfluss auf diese Barrieren in der Gesellschaft. Es steht in unserer Macht, sie einzuschränken, zu minimieren bzw. sie erst gar nicht zuzulassen. Dies ist unser aller Auftrag.
Der vorliegende Antrag verweist genau auf diesen Auftrag. Bevor wir jetzt wieder zu hören bekommen, es stehe alles im Koalitionsvertrag, wir machten das schon, keiner müsse sich kümmern, sage ich Ihnen: Ja, auf Seite 36 haben Sie dazu etwas geschrieben. Aber einen konkreten Zeitpunkt, wann es diesen Aktionsplan geben wird, nennen Sie nicht.
Mit unserem Antrag, meine Damen und Herren, nehmen wir Sie ernst, sehr ernst, und fordern Sie auf, unverzüglich zu handeln und konkrete Ziele und Maßnahmen festzulegen.
Damit würden wir auch einem Beschluss des Landesbehindertenbeirates von 2010 entsprechen, dem schon damals ein Landeskompetenzzentrum versprochen wurde.
Wir fordern also, die Aktivitäten zur Umsetzung der UN-Konvention in einem Landesaktionsplan über fünf Jahre zu bündeln und darin auch eine Prioritätenliste mit einer Zeitliste aufzunehmen. Diese Prioritätenliste soll neben den im Landtagsbeschluss in der Drs. 5/68/2309 B aufgeführten Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und zur Herstellung von Barrierefreiheit auch konkrete Maßnahmen zur Förderung und Entwicklung inklusiver Lebensformen beinhalten.
Dafür ist die Sensibilisierung einer breiten Öffentlichkeit, beginnend in den Verwaltungen, notwendig, um den Prozess der Inklusion in der Gesellschaft insgesamt zu befördern. Weder Vorurteile noch bürokratische Hemmnisse dürfen den Inklusionsprozess beeinträchtigen. Deshalb sollen verstärkt entsprechende Fort- und Weiterbildungen angeboten werden, um die Verwaltung stärker zu befähigen, Impulse zur Entwicklung von Selbstbestimmung und Teilhabemöglichkeiten in die Gesellschaft und damit auf alle Ebenen zu senden.
Es geht uns vor allem darum, die in Landeskompetenz zu regelnden Fragen zügig zu erfassen, die jeweiligen Änderungsbedarfe festzuhalten und einen Zeitplan für ihre Umsetzung festzulegen. Diese komplexe Aufgabenstellung muss in einem breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozess unter Einbeziehung Betroffener sofort in Angriff genommen werden. Das ist der Hauptantrieb für unseren Antrag.
Dabei steht der Landesregierung ein starker und erfahrener Partner zur Seite. Es sind die Betroffenen und ihre Verbände. Sie sind die wichtigste Erfahrungsquelle bei der Erarbeitung und Umsetzung eines solchen Aktionsplanes. Sie sind gemäß der Forderung „Nichts über uns ohne uns!“ einzubeziehen. - Ich bitte um Direktabstimmung über diesen Antrag.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Zoschke, Sie haben in Ihrem Redebeitrag selbst darauf hingewiesen - es wäre schön, wenn Sie zuhörten -, dass das, was wir tun sollen und tun müssen, in der letzten Wahlperiode und auch in den vorangegangenen Wahlperioden oft Thema war. Es war sogar Thema in den Ausschüssen.
Ich glaube, dass wir in den letzten 20 Jahren ein enormes Stück weitergekommen sind. Das geht alles nur schrittweise. Das wissen wir und das wissen auch die Verbände. Von daher denke ich, es ist richtig, diese Schritte weiter zu gehen und weiter darauf hinzuweisen. Das werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten auch tun. Ich sage deutlich: Sachsen-Anhalt braucht sich hinter keinem der alten und der neuen Bundesländer verstecken. Aber wir können noch viel mehr tun. Das ist richtig.
Ihr Antrag bezieht sich auf die Erstellung des Aktionsplanes zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen in Sachsen-Anhalt. Ich kann nur wiederholen, was ich im Ausschuss gesagt habe, denn es sitzen, da wir eine neue Wahlperiode haben, auch neue Abgeordnete hier. Das Ministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet zurzeit einen Entwurf eines Landesaktionsplans zur Umsetzung der UN-Konvention. Dieses Vorhaben ist - das haben Sie zu Recht beschrieben - auch Teil des Koalitionsvertrages.
Ende April 2011 hat die Bundesregierung ihren Entwurf für einen nationalen Aktionsplan vorgestellt. Das ist wahrscheinlich einigen bekannt. Der Landesaktionsplan wird sich an dem Aktionsplan des Bundes orientieren und ihn ergänzen.
Der Bund und die Länder haben bereits umfassende Rechtsvorschriften für die Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderungen und den Schutz ihrer Grundrechte erlassen, zum Beispiel die Behindertengleichstellungsgesetze. Das unsrige ist nach wie vor vorbildlich. Auf dem Stand des Erreichten soll nicht stehen geblieben werden, sondern vorbildhaft für alle Länder mit der Bildung einer inklusiven Gesellschaft fortgefahren werden.
Die Landesregierung sieht sich daher in der Verantwortung, das inhaltliche Anliegen der Behindertenrechtskonvention im Land entsprechend weiter umzusetzen. In Abstimmung mit den Ressorts - ich finde es richtig, dass wir uns miteinander abstimmen und erst einmal darüber sprechen, was wir umsetzen können - wird der Landesaktionsplan neben einer Bestandsaufnahme auch Ziele und Maßnahmen zur Selbstbestimmung, zur Teilhabe
sowie zur Inklusion für alle Lebensbereiche von Menschen mit Behinderungen vorstellen. Dabei werden auch die im Landtagsbeschluss der letzten Wahlperiode aufgeführten Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und zur Herstellung von Barrierefreiheit Berücksichtigung finden.
Der Entwurf dieses Landesaktionsplans, der in den nächsten Wochen erarbeitet und vorgelegt wird, wird, wie es die Behindertenrechtskommission fordert, unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Interessenverbände diskutiert und bereichert werden. Das wird bis Ende des Jahres erfolgen. Wir werden uns ein halbes Jahr Zeit nehmen, das zu diskutieren.
Dieser Implementierungsprozess völkerrechtlicher Vereinbarungen verdient auch im Landtag von Sachsen-Anhalt eine breite parlamentarische Unterstützung. Der Antrag wäre zwar meines Erachtens nicht nötig gewesen, aber man kann hier über ihn natürlich debattieren. - Vielen Dank.