Protokoll der Sitzung vom 26.04.2013

Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen im Rechnungsprüfungsausschuss ist die Kritik des Landesrechnungshofes. Der Bericht des Landesrechnungshofes liegt der Öffentlichkeit und uns seit Dezember vor. Dem Ministerium liegt er wesentlich länger vor, weil es ja vorher Prüfmitteilungen gibt.

In diesem Bericht des Landesrechnungshofes - darauf will ich in dieser Debatte einmal hinweisen - stehen die Dienstleistungsverträge gar nicht im Mittelpunkt. Sie spielen nur unter anderem eine Rolle. Vielmehr vergleicht der Bericht des Landesrechnungshofes, welche Annahmen damals in der

Wirtschaftlichkeitsanalyse getroffen worden sind und was bis heute eingetreten ist.

Genau das ist die Grundlage, die wir brauchen, um zu beurteilen, ob dieses PPP-Projekt erfolgreich war oder nicht. Es baut also auf der Analyse aus dem Jahr 2006 auf, eine ganz erstaunliche Analyse. Man kann das in den Protokollen des Finanzausschusses nachlesen. Ich habe das getan, Frau Klein; denn ich war ja damals nicht dabei.

Im Übrigen hat diese Analyse damals nicht gesagt, der Wirtschaftlichkeitsvorteil liegt bei 12 %. Vielmehr ist man damals sogar so weit gegangen zu sagen, der Wirtschaftlichkeitsvorteil liegt bei mindestens 12 % bei extrem unwahrscheinlichen, konservativen Annahmen, dass wir alle Boni, die wir gewähren, auch wirklich auszahlen müssen. Eigentlich liege er bei 15 %, so hieß es damals.

Dort wurde dann betrachtet, wie sind die Kosten für das PPP-Modell gegenüber der Eigenerbringung. Dreh- und Angelpunkt waren damals die Baukosten bei der Eigenerbringung. Damals hat der Landesrechnungshof darauf hingewiesen, dass dort mehr als 200 000 € pro Haftplatz für die Erstellung, also als Investition angesetzt worden seien und dass andere vergleichbare Anstalten mit der Hälfte auskommen würden.

Die Frage, was würde es denn kosten, wenn wir selber bauen würden, muss heute offen bleiben. Denn wir sind in der Tat für 25 Jahre an dieses Modell gebunden. Wir wissen nicht, was die Eigenerbringung gekostet hätte. Aber schon damals bestanden erhebliche Zweifel daran, dass die Annahmen der Wirtschaftlichkeitsanalyse überhaupt stimmen.

Ein zweiter entscheidender Punkt für die Annahmen der Wirtschaftlichkeitsanalyse - darauf ist heute schon hingewiesen worden - war die Frage, wie viel eigenes Personal, wie viel Landespersonal brauchen wir noch extra, neben dem, das der private Dienstleister mitbringt.

Die damalige Annahme ging von 203,5 Stellen aus, also etwa 200 Stellen. Das Justizministerium, so bemängelt es der Landesrechnungshof, rechnet heute mit 272 Stellen, die man brauchte, hätte man eine volle Auslastung der JVA.

Nun ist sie nicht voll ausgelastet. Aber wenn man diese Annahme einmal zugrunde legt - das sind die beiden Punkte, die man vergleicht -, dann geht es um Mehrkosten von 5 Millionen € pro Jahr. 5 Millionen € mal 25 Jahre - Sie können es sich ausrechnen - ergibt 125 Millionen €. Diese Berechnung macht der Landesrechnungshof auf. Wir reden also über ganz andere Größenordnungen als über die, über die wir bei den Dienstleistungsverträgen reden.

Aber selbst bei einer Differenz von 1 Million € pro Jahr sind wir noch bei 25 Millionen €, die das PPP

Modell jetzt mehr kostet, als damals angenommen wurde. Das ist bemerkenswert, weil der Wirtschaftlichkeitsvorteil nur bei 40 Millionen € lag. Er schrumpft also bei dieser Annahme schon erheblich.

Jetzt kommt die Evaluation von Ernst & Young ins Spiel. Ernst & Young vergleicht, wie ist es weitergegangen, vergleicht die Modelle. Nur eines vergleichen sie nicht, nämlich die Personalkosten, die das Land selber hat. Das fließt in die Berechnung gar nicht ein.

Sie nehmen die Dienstleistungsverträge und die Justierungen, die man hätte haben können, und stellen ohne Betrachtung des Personals fest, dass schon jetzt die Wirtschaftlichkeit um ein Drittel schlechter ist, also um rund 14 Millionen € schlechter ist, als man es damals angenommen hatte.

Jetzt rechnen Sie die Beträge einmal zusammen: Die Wirtschaftlichkeit dieses Projektes scheint futsch zu sein. Der wirtschaftliche Vorteil ist weg. Gleichzeitig ist die Qualität schlecht. Das nenne ich keinen politischen Erfolg.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Herr Strie- gel, GRÜNE: Man könnte es auch Misser- folg nennen!)

Jetzt, Frau Kolb, haben Sie mich überrascht, indem Sie gesagt haben, das Problem sei, Ernst & Young habe Ihnen gar keine Empfehlung gegeben, wie Sie mit den Verträgen umgehen sollen. Also, wenn ein Kollege es möchte, könnte er mir die Frage stellen. Dann würde ich das Fazit der Studie vorlesen.

Aber es ist dem Fazit eindeutig zu entnehmen, dass Ernst & Young sagt, es gibt einen Vertrag, den sollte man kündigen oder erheblich nachverhandeln und ganz anders gestalten; das ist der Vertrag über die Verpflegung, weil es da massive Qualitätsmängel gibt. Es gibt einen Vertrag, den sollte man beibehalten; das ist der Vertrag über EDV-Dienstleistungen. Es gibt fünf Verträge mit Mängeln, die müsste man nachverhandeln.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vor dem Hintergrund zu der Schlussfolgerung zu kommen, na gut, wir reden einmal über drei oder vier oder vielleicht auch nur über zwei Verträge, ist erstaunlich. Das Letzte wäre schon eine erstaunliche Position, wenn der Landtag heute beschließen sollte, dass wenigstens drei Verträge gekündigt werden sollten. So lese ich nämlich den Beschlussvorschlag der Koalitionsfraktionen.

Also: Aus dieser Empfehlung von Ernst & Young abzulesen, wir kündigen nur drei Verträge oder vielleicht einen Teil vom vierten, und dann auch noch abzulesen, wir kündigen den EDV-Vertrag, obwohl es der einzige ist, von dem Ernst & Young empfohlen hat, ihn beizubehalten, das bringt doch

zumindest einen erheblichen Diskussionsbedarf mit sich.

(Zuruf von Ministerin Frau Prof. Dr. Kolb)

Jedenfalls ergibt sich das eindeutig nicht als das Ergebnis aus dem Gutachten, das Sie selber angefordert haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Frau Ministerin, Sie beruhigen uns damit, dass Sie sagen, jetzt hätten Sie eine Stelle für Vertragscontrolling. - Oh, endlich gibt es eine ganze Stelle, die sich um das Vertragscontrolling kümmert. Das ist wunderbar. Das hätte man sich vielleicht auch vorher überlegen müssen.

In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, überlegen Sie es sich. Wenn Sie heute zustimmen, dass nur drei Verträge gekündigt werden sollen, dann werden Sie sich in den nächsten Jahren an die Nase fassen müssen, weil die anderen Verträge genauso weiterlaufen, wie sie jetzt ausgestaltet waren. Ob Sie das wollen, sollten Sie sich überlegen. Sie können auch unserem Antrag zustimmen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es gibt eine Nachfrage von Herrn Graner. - Bitte sehr, Herr Graner.

Vielen Dank, Herr Erdmenger. Ich habe mit Interesse gehört, dass Sie die Anzahl der eingegangenen Petitionen als Ausweis für die Qualität bzw. für die mangelnde Qualität der JVA Burg gesehen haben. Haben Sie einmal überprüft, wie viele Petitionen im Laufe der vergangenen Legislaturperioden von Insassen von Haftanstalten eingegangen sind und ob sich daran etwas verändert hat, seit die JVA Burg ans Netz gegangen ist?

Vielen Dank, Herr Kollege Graner. Ich bin kein Mitglied des Petitionsausschusses. Ich habe die Zahlen nicht geprüft. Ich habe mir von Mitgliedern des Petitionsausschusses genau das schildern lassen, dass die Mehrzahl der Petitionen aus der Haftanstalt Burg kommt. Ich finde, das ist zumindest ein deutlicher Indikator, den wir beachten müssen.

(Herr Borgwardt, CDU: Das ist ganz falsch! - Weitere Zurufe von der CDU)

Ich bin auch kein Mitglied des Petitionsausschusses. Ich war es in der vergangenen Wahlperiode.

Ich habe während Ihrer Rede mal eben auf die Schnelle die Zahlen überprüft. Dankenswerterweise - vielen Dank an den Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Herrn Mewes - haben wir immer den genauen Überblick. Es hat sich nichts verändert an der Zahl der Petitionen. Es gehen im Bereich der Justiz seit 20 Jahren sehr viele Petitionen von Insassen von Haftanstalten ein.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Brachmann, auch mit verlängerter Redezeit.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Klein, Schraps hat den Hut verloren. Wo liegt er? - Heute liegt er hier. Ich denke, wir sollten ihn aufgreifen und die Debatte, die wir führen, sehr ernst nehmen und dann auch mit den Ergebnissen entsprechend umgehen.

Ich will zunächst sagen, was ich hier nicht tun werde. Bisher haben alle Rednerinnen und Redner Kritik am Verfahren geübt. Dagegen werde ich nicht sprechen, weil ich keine überzeugenden Argumente hätte.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE, und von Herrn Erdmenger, GRÜNE)

Wir wissen seit Anfang Dezember des letzten Jahres durch den Bericht des Landesrechnungshofes, dass das PPP-Projekt in Burg, was seine wirtschaftliche Seite anbelangt, mit erheblichen Fragezeichen zu versehen ist. Es wurde seinerzeit signalisiert, jawohl, rechtzeitig bevor der mögliche Kündigungstermin kommt, wollen wir uns auch im politischen Raum darüber verständigen.

Ich hatte bis vor 14 Tagen auch noch keine Möglichkeit, mich tiefergehend mit den Ergebnissen auseinandersetzen, was mich dazu verleitet hat, öffentlich zu sagen, wenn uns denn die Zeit fehlt, dann sollten wir vorsorglich kündigen. Nun habe ich - es hat heute niemand ausdrücklich gesagt - aber wiederholt auch schon gehört: Mischt euch doch da nicht ein! Es ist exekutives Handeln, was da geschieht. - Richtig, könnte man sagen; aber es ist zugleich falsch.

Wenn man in die entsprechenden Haushalte hineinsieht, stellt man fest: 2011 VE für Burg 11 Millionen €, 2012 VE für Burg 11,35 Millionen €, 2013 VE für Burg 11,7 Millionen €. Dann kommt in den Haushaltsanmerkungen kleingedruckt der entscheidende Satz:

„Der Anstieg der Ausgaben für den Betreiber der JVA Burg beruht auf Rechtsverpflichtungen aus dem PPP-Vertrag.“

Genau das ist der politische Punkt, nämlich ob wir diese Rechtsverpflichtungen so fortführen wollen, wie sie bislang bestehen.

Wenn wir bei der Politik sind, darf ich zumindest zunächst für die SPD Folgendes sagen. Wir haben eine Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen. Die hat sich unlängst mit dem Thema befasst. Sie hat in einem Papier „Für einen modernen Strafvollzug Sachsen-Anhalt“ Folgendes festgehalten:

„Anliegen sozialdemokratischer Rechtspolitik war und ist es, erkannte Defizite unter anderem im Justizvollzug und insbesondere im grundrechtsrelevanten Bereich nicht durch Privatisierungen zu lösen, schon gar nicht was die inhaltliche Gestaltung des Vollzuges und die Arbeit mit den Menschen anbelangt, wozu namentlich die vollzuglichen Fachdienste für Behandlungs- und Therapieangebote gehören. Eine derartige Privatisierung des Betriebes einer JVA wird daher abgelehnt.“

An anderer Stelle heißt es:

„Für den Bereich bestehender PPP-Projekte ist anzustreben, die vollzuglichen Fachdienste baldmöglich in staatliche Hände zurückzuübertragen.“

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

So weit der politische Anspruch. Aufgabe verantwortlicher Politik muss es natürlich auch sein, das politisch Machbare in den Blick zu nehmen. Selbst wenn man es wollte, Herr Herbst, alle Verträge zu kündigen und das künftig in Eigenrealisierung auszuführen, wir könnten es nicht.

(Herr Herbst, GRÜNE: Warum?)