Protokoll der Sitzung vom 12.09.2013

Deswegen haben wir, als wir unseren Antrag stellten, darauf verzichtet, solche Details, wie ich sie eben erwähnte, die aus der Sicht meiner Fraktion wünschenswert wären, in den Antrag hineinzunehmen. Wir haben es vielmehr bei den drei zur Abstimmung stehenden Punkten belassen, die sich sehr eng an dem Beschluss orientieren, den der Bundestag in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause gefasst hat, um Ihnen, meine Damen und Herren, die Zustimmung zu unserem Antrag zu ermöglichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beantragen ein solches Aufnahmeprogramm nicht zum ersten Mal. Bereits im September des letzten Jahres beantragte meine Fraktion den Einsatz der Landesregierung für ein bundesweites Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus Syrien und den Nachbarstaaten sowie die Bereitstellung von Aufnahmeplätzen in Sachsen-Anhalt.

Die Argumentation der Landesregierung damals war sinngemäß: Hilfe ist zuerst in Syrien notwendig; die Leute jetzt aus Syrien herauszuholen, ist kontraproduktiv; darüber hinaus kann SachsenAnhalt gar nichts tun, weil es kein eigenes Aufnahmeprogramm auflegen kann oder darf.

Diese Ausgangslage hat sich nun mit dem Beschluss der Bundesregierung und des Bundestages geändert. Herr Minister, jetzt haben Sie tatsächlich die Gelegenheit zu zeigen, ob Sie dies denn wollen. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

Weil ich nicht zwingend noch einmal reden möchte, möchte ich noch ein paar Worte zum Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sagen. Zunächst bin ich froh darüber, dass offenkundig Einigkeit über die Notwendigkeit herrscht. Ich bin

darauf eingegangen, dass meine Fraktion weitergehende Wünsche und Vorstellungen hat bezüglich der Frage, für wen ein solches Aufnahmeprogramm wirksam werden soll.

Der wesentliche textliche Unterschied zwischen unserem Antrag und dem Antrag der Koalitionsfraktionen besteht in Punkt 2. Wir möchten den Menschen eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis ermöglichen; die Koalitionsfraktionen wollen diese von vornherein als eine befristete Aufenthaltserlaubnis gestalten. Hierin haben wir einen deutlichen Dissens.

Ich bin davon überzeugt, dass eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis die bessere Option wäre, weil die Menschen dann tatsächlich die Chance hätten, sich hier eine Perspektive in Sicherheit und Würde aufzubauen. An dieser Stelle möchte ich erneut auf das Beispiel Schweden verweisen, wo genau das passiert und wo gezeigt wird, dass es möglich ist. Meine Fraktion wird den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen ablehnen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke sehr für die Einbringung. Es gibt eine Nachfrage. - Herr Weigelt, bitte sehr.

Frau Quade, ich habe eine Nachfrage. Habe ich es eben richtig verstanden, dass Sie sagten, dass der Bundesinnenminister Friedrich den Begriff „Romaschwemme“ verwendet habe?

Herr Kollege Weigelt, ich sagte, dass der Bundesinnenminister durch Panikmache - das ist es in meinen Augen; ich nannte es in meiner Rede „Alarm schlagen“ - wegen angeblich dramatisch hoher Asylantragszahlen und mit der Warnung vor einer sogenannten Romaschwemme rassistische Stimmungen zumindest bedient. Das waren meine Worte.

(Zustimmung bei der LINKEN, von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE, und von Herrn Strie- gel, GRÜNE)

Für die Landesregierung hat jetzt der Minister für Inneres und Sport Herr Stahlknecht das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt der Antrag der Fraktion DIE LINKE vor, der darauf abzielt, wegen der dramatischen Situation in Syrien ergänzend zu den bisherigen Aufnahmeaktionen, die stattgefunden

haben, weitere syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Es sollen Personen Berücksichtigung finden, deren Verwandte bereits in Sachsen-Anhalt leben.

Der Antrag zielt auf die Veranlassung entsprechender notwendiger Modalitäten. Er geht aber, Frau Kollegin Quade, deshalb ins Leere, weil wir längst tätig geworden sind. Das, was Sie jetzt tun, ist gut gemeint, kommt aber eigentlich zu spät, weil wir schon gehandelt haben. Das werde ich Ihnen gleich erläutern.

(Zustimmung bei der CDU)

Nach UN-Angaben sind seit dem Beginn des syrischen Bürgerkrieges ca. zwei Millionen Menschen in die Nachbarstaaten Syriens geflohen. Am stärksten betroffen sind Jordanien, der Libanon und die Türkei, natürlich Syrien selbst, aber auch die Anrainerstaaten. Daher ist die Situation sehr, sehr schwierig.

Vor diesem Hintergrund messen wir humanitären Aufnahmeaktionen, die einen Beitrag zur Entspannung vor Ort leisten, einen hohen Stellenwert bei. Der Minister des Innern des Bundes, den ich sehr gut kenne, teilt diese Auffassung. Ich verwahre mich rein vorsorglich dagegen, dass Sie ihm unterstellen, er bediene rassistische Stimmungen.

(Beifall bei der CDU)

Ich halte das mit dem Duktus, in dem Sie das hier vortragen, fast schon für diffamierend. Auch wenn Sie polarisieren wollten, ist es diffamierend.

(Herr Höhn, DIE LINKE: Einfach treffend!)

Die Bundesregierung hatte sich im März dieses Jahres bereit erklärt, 5 000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Davon werden 150 Personen nach Sachsen-Anhalt kommen. Darüber hinaus ist im Rahmen des Resettlement-Verfahrens eine Aufnahmeanordnung im Gespräch, von der neben irakischen und iranischen auch syrische Flüchtlinge, die sich derzeit in der Türkei aufhalten, profitieren können.

Wir reden von einer Größenordnung von 150 Personen bundesweit, zu deren Aufnahme auch Sachsen-Anhalt seinen Beitrag leisten wird. Jedenfalls erfolgte zu der durch den Bundesminister im August dieses Jahres vorgeschlagenen Aufnahmeanordnung Anfang dieses Monats die Zustimmung durch mein Ministerium. Sollte eine entsprechende Anordnung verbindlich werden, steht einer kurzfristigen Umsetzung unsererseits nichts im Wege. Die Bundesrepublik ist insoweit zusammen mit Schweden im EU-weiten Vergleich ein Vorreiter bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge.

Unter Punkt 2 des Antrages wird der Bundestagsbeschluss angeführt, mit dem die Bundesregierung auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter anderem aufgefordert wird, den Bundesländern, die dies wünschen, das erforderliche Einverneh

men nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes zu erteilen, damit diese Länder in Ergänzung zur Aufnahmeanordnung des Bundes gegebenenfalls eigene Aufnahmeanordnungen für Familienangehörige von Syrern erlassen können.

Vor dem Hintergrund der deutlichen Verschlechterung der Lage in Syrien in den letzten Monaten, auch infolge des bekannt gewordenen Einsatzes von Giftgas, habe ich mich im Ergebnis einer Beratung am 2. September 2013 mit meinen Länderkollegen aus Bayern, Berlin, Hessen, MecklenburgVorpommern, dem Saarland, Sachsen und Thüringen aus humanitären Gründen dazu entschieden, zusätzlich zu der auf Initiative des Bundes bereits beschlossenen vorübergehenden Aufnahme von 5 000 syrischen Flüchtlingen weiteren vom Bürgerkrieg in Syrien betroffenen syrischen Staatsangehörigen durch eine Anordnung des Landes nach § 23 des Aufenthaltsgesetzes den Weg zu einer Aufenthaltserlaubnis in Sachsen-Anhalt zu eröffnen.

Ich habe mich am 8. September 2013 an den Bundesinnenminister gewandt, um das für eine solche Anordnung erforderliche Einvernehmen herzustellen. Wir haben vor, ohne zahlenmäßige Begrenzung die Einreise syrischer Flüchtlinge zu hier lebenden engen Verwandten zu ermöglichen, die bereit und in der Lage sind, den Lebensunterhalt der Einreisenden während des Aufenthalts in Deutschland zu sichern. Dies soll für Verwandte ersten und zweiten Grades einschließlich deren Ehegatten sowie für minderjährige Kinder und deren Personensorgeberechtigte gelten.

Vorausgesetzt wird ein rechtmäßiger Aufenthalt der hier lebenden Verwandten. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob insoweit eine Befristung vorliegt oder nicht. Die Aufenthaltserlaubnis wird für bis zu zwei Jahre erteilt - darin haben wir den Dissens - und soll verlängert werden können. Die Einreisenden werden auch eine Beschäftigung aufnehmen können. Selbstverständlich bleiben sicherheitsrelevante Erwägungen bei der Auswahl der Einreisenden nicht außer Betracht.

Ich bitte Sie, dem Antrag der regierungstragenden Fraktionen zuzustimmen, der diese Punkte beinhaltet. Seien Sie gewiss, dass wir unserer Verantwortung in der Ausländerpolitik gerecht werden und dass wir den Flüchtlingen aus Syrien aus humanitären Gründen selbstverständlich helfen, und zwar in Deutschland, das hierbei mit Schweden in der EU mittlerweile federführend ist. Insofern sind jegliche Ausführungen zum Thema Rassismus an dieser Stelle völlig verfehlt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Bevor wir in die Fünfminutendebatte eintreten, möchte ich bekanntgeben, dass sich die Fraktionen darauf verständigt haben,

die Tagesordnungspunkte 8 und 11 vorzuziehen. Alle Akteure bei diesen Tagesordnungspunkten sind damit einverstanden.

Jetzt treten wir in die Fünfminutendebatte ein. Als erste Debattenrednerin wird für die SPD-Fraktion Frau Schindler sprechen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Die internationale Staatengemeinschaft ist sich weitestgehend einig - einig in der Verurteilung des Bürgerkrieges in Syrien, einig in der Verurteilung des Vorgehens der Assad-Regierung gegen die Oppositionellen im Land und einig auch im Vorgehen gegen den Giftgaseinsatz. Uneinig ist man sich darin, wie man darauf reagieren soll, und in Bezug auf die durchzuführenden Maßnahmen.

Noch am heutigen Abend werden Diskussionen in Genf geführt, Gespräche zwischen den führenden Nationen, um eine diplomatische Lösung zu finden. Ich denke, dass wir alle im Haus uns einig sind, dass eine diplomatische Lösung die beste wäre und dass wir diesen Krieg verurteilen.

Es ist schon gesagt worden, dass parallel zu dieser Auseinandersetzung eine humanitäre Katastrophe im Gang ist. Der EU-Parlamentspräsident sagte: Wenn die EU nur über die Lage in Syrien und über die Ablösung des Staatschefs Assad diskutiert, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie nicht gleichzeitig die Forderung nach einer Aufnahme von Flüchtlingen erhebt und innerhalb der EU darüber diskutiert.

Unumstritten ist die große Flüchtlingswelle. Die Zahlen haben meine Vorredner schon genannt. Es sind ca. zwei Millionen Flüchtlinge, die vor allen Dingen von den Nachbarstaaten Syriens aufgenommen worden sind. Innerhalb der EU ist der Umgang mit syrischen Flüchtlingen unterschiedlich.

(Herr Borgwardt, CDU: So ist es!)

Ich denke, Frankreich und Großbritannien sollten für Deutschland kein Beispiel sein. Im März 2013 einigte sich die Bundesinnenministerkonferenz darauf, die Aufnahme von 5 000 Flüchtlingen aus humanitären Gründen zu gestatten. Gestern - auch das wurde schon gesagt - war der erste große Aufmacher dazu zu lesen, dass die ersten 107 Flüchtlinge aufgenommen worden sind.

Es wurde auch auf den Beschluss des Bundestages hingewiesen, dass darüber hinaus weitere Flüchtlinge aufgenommen werden können. Der diesem Beschluss zugrunde liegende Antrag wurde von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den Bundestag eingebracht. DIE LINKE hat diesem Antrag zugestimmt. Ich weiß nicht, ab welchem Stadium des Verfahrens sich DIE LINKE dem An

trag angeschlossen hat, aber sie war nicht von Anfang an dabei.

Deutschland hat sich dazu bekannt, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Nach Aussage des Bundesinnenministeriums sind aber darüber hinaus noch weitere Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland. Derzeit befinden sich ca. 45 000 syrische Staatsangehörige in Deutschland, davon 30 000 im Asylverfahren. Seit März 2011 kamen ca. 18 000 Syrer als Flüchtlinge über ein Asylverfahren nach Deutschland.

Dieser Weg steht natürlich weiterhin offen, er kann aber nicht der alleinige Weg sein. Auch über das Kontingent von 5 000 Flüchtlingen hinaus sollte es möglich sein, Menschen aufzunehmen, wie wir es auch in unserem Antrag dargestellt haben.

Der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der Innenminister von Niedersachsen Boris Pistorius, sagte dazu, dass er die Aufnahme weiter beschleunigen und die von Ihnen angesprochenen bürokratischen Hürden beseitigen wolle.

Wenn es Länder wie Rumänien, das nun nicht gerade eines der reichsten Länder in der EU ist und das derzeit von der Flüchtlingslast innerhalb der EU mit am meisten betroffen ist, bewältigen und es in Schweden heißt - hierzu zitiere aus einer schwedischen Tageszeitung -: „Wenn das Haus des Nachbarn brennt, dann öffnet man die Türen“, dann sollte es auch einem Land wie Deutschland - ich verweise auf ein Wort der Bundeskanzlerin als Wahlkämpferin: Deutschland geht es gut - möglich sein, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr, Kollegin Schindler. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bürgerkrieg in Syrien findet vor unser aller Augen statt, und das nun schon seit Anfang 2011. Über das Internet gelangen all die Bilder und Videos zu uns, die von Zehntausenden Menschen inmitten des Chaos mit ihren Mobiltelefonen aufgenommen werden. So unterschiedlich die Motivationen dieser Aufnehmenden sein mögen, so ist den Bildern doch eines gemeinsam: Sie bilden eine grausame Realität ab, die die Menschen zum Verlassen ihres Landes zwingt.

Der Massenexodus der Syrerinnen und Syrer ist nicht nur eine persönliche Katastrophe für jeden einzelnen Betroffenen, er ist eine globale Herausforderung, die auch eine globale Antwort braucht.