Protokoll der Sitzung vom 12.09.2013

Der Massenexodus der Syrerinnen und Syrer ist nicht nur eine persönliche Katastrophe für jeden einzelnen Betroffenen, er ist eine globale Herausforderung, die auch eine globale Antwort braucht.

Meine Damen und Herren! Syrien liegt vor den Toren Europas. Insbesondere den reichen Ländern der EU kommt es zu, eine besondere Hilfsverantwortung für diese syrischen Flüchtlinge zu zeigen. Wir können durch entschlossenes und beherztes Handeln wirkliche Hilfe leisten. Ich denke, dafür ist es allerhöchste Zeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist richtig, dass Deutschland beschlossen hat, 5 000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Aber - das wurde schon gesagt - diese Hilfe geht angesichts des Ausmaßes dieser Katastrophe nicht weit genug.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Sie greift außerdem nicht schnell genug und sie ist der Bedeutung unseres Landes als viertgrößte Industrienation nicht angemessen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es stimmt, meine Damen und Herren, dass andere Länder in der EU weniger bzw. gar keine syrischen Flüchtlinge aufnehmen. Aber das kann für uns als größtes EU-Land doch kein Maßstab sein. Es stimmt, dass wir langfristig eine abgestimmte EUStrategie brauchen. Doch wir müssen jetzt handeln; denn in den Nachbarländern Syriens, die 98 % der Flüchtlinge aufnehmen, droht eine humanitäre Katastrophe riesigen Ausmaßes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Innenminister, wenn Sie Schweden ins Feld führen - die Vorrednerin ist ebenfalls darauf eingegangen -, dann muss ich eines sagen: Es ist ein Quantenunterschied zwischen dem, was Schweden anbietet, und dem, was Deutschland anbietet. Denn die Schweden bieten allen syrischen Flüchtlingen, die kommen wollen, einen unbefristeten Aufenthalt an.

Eine Aufnahme von 5 000 Menschen, wie sie Deutschland anbietet, entspricht gerade einmal so vielen Menschen, wie jeden Tag aus Syrien fliehen müssen. Der deutsche Beitrag bringt angesichts dieser Zahlen quantitativ kaum Entlastung für die Region. Wenn es bei dieser Zahl bleibt, dann bleibt es bei einer Symbolpolitik, meine Damen und Herren. Deutschland muss deswegen eine Botschaft senden, die weit darüber hinausgeht. 50 000 Flüchtlinge aufzunehmen wäre ein angemessener Schritt und ein deutliches Signal auch an unsere europäischen Nachbarn, die dann mitziehen sollten.

Auch die Bundesländer sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Das Land Sachsen-Anhalt hat die Anordnung zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen erlassen; Herr Innenminister, Sie sind in Ihrer Rede darauf eingegangen. Das war, soweit ich weiß, in dem Umfang bisher nicht bekannt. Aber dann müssen Sie, Herr Innenminister, auch darauf

eingehen, welche Zahlen dahinterstehen. Um wie viele Menschen geht es? Welche Bedingungen gelten? - Die Bedingung des Nachweises eines Verwandtschaftsverhältnisses ist eine sehr harte Bedingung in der syrischen Flüchtlingsrealität; denn dies trifft auf die allermeisten Flüchtlinge nicht zu.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wichtig ist, dass wir es mit unserem Angebot ernst meinen und dass das Angebot geeignet ist, tatsächlich zu einer Entlastung der Situation zu führen. Bei den 150 syrischen Flüchtlingen, die uns nach dem Königsteiner Schlüssel aus dem Bundeskontingent zugeteilt werden, kann es dann nicht bleiben.

Wir können es uns leisten, meine Damen und Herren, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Wenn jede Stadt und jede Gemeinde in Sachsen-Anhalt zwischen sechs und sieben syrische Flüchtlinge in dieser katastrophalen Situation aufnehmen würde, könnten wir unseren Beitrag verzehnfachen und 1 500 Flüchtlinge im Land Sachsen-Anhalt aufnehmen.

(Zuruf von Minister Herrn Bullerjahn)

Herr Innenminister, diese 1 500 Flüchtlinge könnten die Hausnummer sein, die Sie für die Anordnung zur Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen im Blick haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte auf einen weiteren Punkt aufmerksam machen, meine Damen und Herren: Flüchtlinge sind immer in einer existenziellen Notlage und sie genießen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Es gibt keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse. Es ist eine riesige Hürde für Flüchtlinge, wenn sie in Deutschland Verwandtschaftsbeziehungen nachweisen müssen. Das schließt das Gros der Menschen sofort aus und widerspricht auch einem Grundgedenken des Flüchtlingsschutzes.

In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig, auch Folgendes zu sagen: Die Genfer Flüchtlingskonvention gewährt den Flüchtlingen auch Schutz vor Diskriminierung, zum Beispiel aufgrund ihrer Religion und ihrer Herkunft. Das ist ein Recht, auf das sie sich als Flüchtlinge berufen können.

Vor diesem Hintergrund halte ich auch die Überlegungen und Äußerungen von Innenminister Friedrich - diese wurden heute schon angesprochen - zu einer bevorzugten Aufnahme von Christen für absolut unangemessen. Diese Überlegungen offenbaren seine Unkenntnis über die Lage in Syrien, sie sind unvereinbar mit der Genfer Flüchtlingskonvention und übrigens auch mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in dem es ebenfalls das Verbot der Diskriminierung

aufgrund der Religion gibt. Dabei darf es nicht bleiben.

Ob es sich um Christen, um Muslime, um Drusen, um Jesiden oder um Juden handelt, darf nicht darüber entscheiden, ob diese Menschen in Deutschland Zuflucht finden dürfen. Besonders schutzbedürftig ist die gesamte syrische Zivilbevölkerung, und zwar unabhängig von ihrer Konfession.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Humanitäre Hilfe und Flüchtlingsschutz haben immer gemäß den Bedürfnissen - according to the need, sagt man - der Menschen zu erfolgen. Danach sollten wir uns richten. Ich glaube, mit beiden Anträgen haben wir die Chance, heute einen wichtigen Schritt voranzugehen. Gleichwohl würden wir uns noch einen Schritt mehr wünschen. Vielleicht klingen die Zahlen, die ich als Größenordnung genannt habe, bei Ihnen etwas nach, damit SachsenAnhalt einen eigenständigen Beitrag leisten kann. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Bommersbach.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Manche Dinge sind so einfach und erscheinen zum Schluss doch sehr kompliziert.

Herr Innenminister Stahlknecht hat uns mit seinen Worten aufgezeigt, wozu die Landesregierung momentan bereit ist und was sie bisher getan hat. Das begrüßen wir als Koalitionsfraktionen außerordentlich. Daran wird deutlich, dass wir den Menschen in Syrien helfen wollen, die durch den Krieg in eine schlimme Lage geraten sind. Mehr als zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht - Sie haben all das schon von meinen Vorrednern gehört - und Deutschland möchte seinen Beitrag zur Hilfe leisten.

Das Land Sachsen-Anhalt wird nach dem Königsteiner Schlüssel seinen Beitrag leisten, um den syrischen Flüchtlingen Schutz vor diesem schlimmen Bürgerkrieg zu geben. Wir sind - das hat der EU-Flüchtlingskommissar gesagt - neben Schweden die zweite Nation, die sich außerordentlich anstrengt, um ihren Beitrag zu leisten. Das sollte man auch einmal positiv werten und sollte nicht immer versuchen, die Dinge in eine negative Richtung zu pressen, wo sie gar nicht hingehören.

(Beifall bei der CDU)

Uns allen ist klar, dass es eine extreme Belastung ist, die wir Stück für Stück zu bewältigen haben.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen das tun, was in unseren Möglichkeiten steht und was sich nach den gesetzlichen Rahmenbedingungen für uns als machbar erweist.

In dem Änderungsantrag steht all das, was wir als Koalitionsfraktionen dazu zu sagen haben. Ich bitte Sie recht herzlich um Zustimmung. Denn alles andere wäre jetzt nur eine Wiederholung der Dinge, die meine Vorredner bereits gesagt haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Kollege Bommersbach. - Für die Fraktion DIE LINKE wird die Abgeordnete Frau Quade erwidern.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich angekündigt, nicht noch einmal zu sprechen. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, um auf die Frage von Frau Schindler einzugehen, warum DIE LINKE nicht mit auf dem Antrag der Fraktionen im Bundestag stand, auf dem die heutige Möglichkeit zur Beschlussfassung beruht.

Frau Schindler, die Fraktion DIE LINKE stand deshalb nicht mit auf diesem interfraktionellen Antrag, weil sie gezwungen war, einen eigenen, wortgleichen Antrag zu dem Thema einzureichen. Sie wissen ganz genau, dass sich die Unionsfraktionen weigern, irgendeinen interfraktionellen Antrag, an dem DIE LINKE beteiligt ist, egal worum es geht - das zeigt sich bei diesem humanitären Thema erneut -, mitzuzeichnen. Ihre Fraktion im Bundestag macht das mit. Deswegen war unsere Fraktion gezwungen, einen eigenständigen Antrag zu stellen. Das ist der Grund dafür.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Debatte ist beendet. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zu den beiden Anträgen ein. Es wurde Direktabstimmung beantragt. Wie stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 6/2415 ab. Wer stimmt diesem zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Damit ist der Änderungsantrag angenommen worden.

Wir stimmen nun über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/2392 in der soeben geänderten Fassung ab. Wer stimmt diesem zu? - Das sind alle Fraktionen. Damit ist der Antrag in der geänderten Fassung angenommen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 16.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften und des Nichtraucherschutzgesetzes

Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 6/2366

Einbringer ist der Minister für Landesentwicklung und Verkehr. Herr Webel, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Durch dieses Artikelgesetz werden Änderungen in drei Gesetzen vorgenommen.

Bei der ersten Änderung geht es um das ÖPNVGesetz unseres Landes. Das in § 9 des ÖPNVGesetzes enthaltene Ende der befristeten Finanzierungsregelung für die Ausbildungsverkehre soll verlängert werden. Wir finanzieren diese mit 31 Millionen €. Wir wollen diese Regelung für das Jahr 2014 verlängern.

Des Weiteren ist eine Änderung im Straßengesetz vorgesehen. Es gibt ja immer wieder Beschwerden darüber, dass wir viele Dinge regeln wollen und manches unnötigerweise regeln. Aber immer wenn es eine Gesetzeslücke gibt - wie in diesem Fall im Straßengesetz -, gibt es gute und kluge Bürger, die gute und kluge Anwälte bemühen, die dann feststellen, dass eine Regelungslücke besteht. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat am 20. Februar 2013 geurteilt, dass bezüglich des Winterdienstes auf Gehwegen und Fußgängerüberwegen eine Regelungslücke im Gesetz besteht. Natürlich gilt es, diese Lücke zu schließen.

Wir wollen, dass auch an den Bundesstraßen innerhalb von Ortschaften die Winterdienstpflichten durch die Bürger wahrgenommen werden oder, falls dies durch den Bürger nicht realisiert wird, dass die Kommunen die entsprechenden Kosten für den Winterdienst auf diese Bürger umlegen können.